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östreichischen Partei und einer Hofclique, welche der Königin nicht wohlwollte und bei dieser ebenso wenig Gunst hatte 2o), entlassen wurde. Größer war die Befriedigung aller wohldenkenden Staatsbürger, die am 24. Aug. erfolgte Verabschiedung Maupeou's und Terray's, und bald nachher auch Vrilliere's, des verhaßten Ausfertigers der Lettres de cachet, Entlassung zu erfahren. Auch der pariser Pöbel jubelte 21). Mit Turgot und Malesherbes, die an Terray's und Vrilliere's Stelle traten, waren nun Minister: Muy für das Kriegswesen, Vergennes, Antagonist Östreichs, für die auswärtigen Angelegenheiten, Miromenil Großsiegelbewahrer, Sartines für das Seewesen. Die Partei der Königin hatte nicht vermocht, Choiseul's Freund, Brienne, den Erzbischof von Toulouse, durch dessen Empfehlung der Abbé Vermont Lehrer Marie-Antoinette's geworden war, zu einem Ministerium zu bringen 22); Brienne, als Freund d'Alembert's bekannt, hatte die Partei der Devoten wider sich. Ebenso mislang Besenval's Intrigue, durch die Königin Ennery statt Sartines zum Marineminister zu machen. Die Köz nigin, klagt Besenval, hatte keine Ausdauer; sowie ich das Zimmer verließ, war Alles vergessen" 23). Bis zum I. 1777 war ihr Einfluß sehr unbedeutend 24); Maurepas hatte nur geringe Mühe, denselben von allen erheblichen Angelegenheiten abzuwehren. So wurde 1775 S. Germain wider Wunsch und Bemühen der Königin und Besenval's, die den Herrn de Castries empfahlen, Kriegsminister 25). Dessenungeachtet befand sich der König keineswegs außer dem Bereiche der Intriguen,

20) Besenval 1, 310.

21) Terray's Bild wurde an einem Galgen aufgehångt, Maupeou's gerådert. Als Ludwig bald nachher jagte, riefen ihm die Fischweiber von Compiegne zu, sein Großvater habe nie so schön als er (fort-) gejagt, chassé. Engl. Ber. b. v. Raumer 5, 132.

22) Daf. 5, 97.

28) Besenval 1, 326. 330.

24) Der engl. Berichterstatter b. v. Raumer 5, 111 sagt, der Einfluß der Königin mache sich nur von Zeit zu Zeit gleichsam sprungweise (by starts) geltend.

25) Besenval 2, 25.

Wachsmuth, Gesch. Frankr. im Revol.-Zeitalter. I.

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vielmehr mitten in denselben, und leider gab er, statt energischer zu werden, einer gewissen geistigen Indolenz, die durch seine Liebhaberei am Schlosserhandwerk und an der Jagd ́ genährt wurde 26), immer mehr Raum.

Die Blicke Frankreichs richteten sich zunächst und hauptsächlich auf die Thätigkeit Turgot's; in seinem Waltungsgebiete war die Hülfe am dringendsten nöthig. Doch ehe von dieser geredet wird, ist eines königlichen Beschlusses zu gedenken, dessen Folgen bei jener und bei den spåtern Staatshandlungen Ludwig's zu einem ungemein wichtigen Bedingniß wurden, von der Herstellung der Parlemente. Die neuen Gerichtshöfe hatten nicht aufgehört, verächtet und verhaßt zu sein 27); die Stimmung am Hofe und im Volke, voran die der Prinzen 28), war für Herstellung der alten Parlemente. Ludwig hielt Rath. Die Staatsflugheit mahnte ab 29); der Graf von Provence übergab eine Denkschrift gegen das gefährliche Vorhaben 20); die Tanten Ludwig's baten bei dem Andenken ihres Vaters, deffen Einrichtung bestehen zu lassen 3): umsonst; Maurepas ließ die Sache gehen 32), und Ludwig, vermeinend, der öffentlichen

26) Md. Campan 1, 124. Es mußte auffallen, daß Ludwig zu der Zeit, wo Joseph II. nach Paris kam (1777), das Invalidenhotel noch nicht gesehen hatte. Das. 1, 178.

27) Kanzler Meaupeou selbst machte sich lustig über seine Schöpfung. Engl. Ber. b. v. Raumer 5, 147. Die neuen Gerichtshöfe fürchteten sich vor der Volkswuth; sie wollten deshalb nicht bei Ludwig's XV. Trauerfeier erscheinen, ja sie wollten alle Geschäfte einstellen. Das. 5, 133.

28) Ders. 5, 118. 127. Alle Prinzen außer Monsieur und dem Grafen de la Marche hatten eine Bittschrift um Herstellung des alten Parlements unterzeichnet. Mit Urtois war die Königin sehr eifrig dafür. Labaume, Hist. monarch. et constit. de la rév. fr. 2, 17.

29) Im königl. Rathe Muy und Vergennes; nicht anders urtheilte der englische Gesandte, b. v. Raumer 5, 138. 142. 147, und Kaunig, das. 5, 139.

30) Soulavie 2, 200. v. Raumer 5, 148.

81) Labaume 2, 20.

32),,Er wollte die Regierung des jungen Königs durch eine Handlung auszeichnen, welche den Schein großer Güte und Måßigung an sich trug, und war sicher, sie würde zu der Beliebtheit führen, nach welcher

Meinung eine Genugthuung und dem Volke eine Wohlthat zu gewähren, beschloß am 12. Nov. 1774 die Herstellung der Parlemente. Der Póbel jubelte und beging Excesse 3); Volk und Staat hatten nicht Ursache, sich Glück zu wünschen. Es war eine unheilbringende Verordnung. Die Parlemente, aus lauter käuflichen Stellen bestehend, waren ein ebenso ungenügender als anmaßlicher Ersaß der durch die Regierung bei Seite gelassenen Reichsstände, jedenfalls nur eine unvollkommene Beamtenhierarchie, da ihr das Streben nach Einung durch Conföderation aller Parlemente, welches um 1770 stark hervortrat, mislungen war. Sie hielten mehr auf Formen als auf Ideen, mehr auf Freiheiten als auf Freiheit, mehr auf Stetigkeit als auf Bewegung, mehr auf ihre als auf des Volkes Rechte; fie hatten nichts Schöpferisches, vielmehr nur den Geist des Widerstandes in fich; ihre Engherzigkeit und ihr egoistischer Eigensinn mußten der reformatorischen Waltung erleuchteter Minister zum Hemmschuh werden. Es war an der Zeit, daß Unumschränktheit der Regierung zur Heilung von Schäden geltend gemacht würde, welche durch Misbrauch derselben schlimm geworden waren; der Despotismus konnte wohlthätig werden. Wollte er aber selbst sich beschränken, so håtte auf die Stimme Derer gehört werden sollen, die damals zu einer Versammlung der Reichsstände riethen "). Daß Ludwig sich in den Erwartungen von der Ersprießlichkeit seines Beschlusses getäuscht sehen würde, sprachen staatskluge Männer in jener Zeit aus 3),

der König sehr zu streben scheint." Der engl. Berichterstatter b. v. Raumer 5, 146.

83) Die Fischweiber zogen zu den hergestellten Parlementsråthen, gratulirten, sangen und tanzten. Engl. Ber. b. v. Raumer 5, 149.

34) Das. 5, 130, 137. 150. Es erschienen damals Schriften, worin auf das Volk verwiesen wurde. In einer hieß es: L'autorité souveraine et législative, réside-t-elle dans un seul ou dans le corps entier de la nation française? In einer andern: Les lois ne doivent être faites que par le concours du peuple et du roi, et si le roi veut être oppresseur c'est un tyran. Journal historique du parlement b. v. Raumer 5, 138. Der Herzog Larochefoucauld beantragte im Parlement selbst (30. Dec.) die Herstellung der assemblées nationales. Daf. 150.

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35) G. N. 29.

und die ersten Handlungen des pariser Parlements gaben zu erkennen, daß es mehr auf Bestreitung der Rechte der Regierung und auf starres Festhalten an unförmlichen Einrichtungen als auf Mitwirken zur allgemeinen Wohlfahrt bedacht war 36). Dies zeigte sich bald noch mehr in seiner Widerseßlichkeit gegen Turgot's Reformen. Auf eine höchst bedenkliche Erscheinung jener Zeit, die in Verbindung mit den Untersuchungen des Parlements über die Rechte der Krone stehen mochte, nämlich eine Schrift über den Gehorsam, welchen das Heer dem Könige schuldig sei, und daß es sich weigern müsse, offenbar ungerechte Befehle zu vollziehen 37), wurde wenig geachtet: wer konnte in dergleichen schon Vorboten eines Revolutionssturmes ahnen?

Turgot, aus der Schule der Physiokraten, hatte für sich den Ruf hoher geistiger Bildung und ausgebreiteten Wissens, fittlicher Unbescholtenheit und raftloser Thätigkeit, nicht minder aber die Segnungen der Limousins, denen er als ihr Intendant in Abstellung der Wegfrohnden, der Misbräuche und Unordnung bei Repartition der Steuern u. f. w. Wohlthaten zugebracht hatte. Malesherbes, begeisterter Jünger der neuen Philosophie im Wirken für Licht, Recht, Humanitåt und Volkswohlfahrt, zugleich aber von der höchsten sittlichen Lauterkeit, der Fenelon seines Zeitalters, hatte seine antidespotischen Gesinnungen nicht blos in der obengedachten Milde bei Verwaltung des Bücherwesens, sondern auch durch seinen Antrag auf Berufung der Reichsstånde im I. 177138) bewährt. Er war

36) Engl. Ber. b. v. Raumer 1, 150. Das pariser Parlement protestirte gegen die Form des lit de justice, wodurch es hergestellt war, uns tersuchte die Rechte der Krone, bestritt die Behauptung, daß der König diese von Gott und seinem Degen habe. Soulavie 2, 217. Labaume 2, 23. 27. Das Parlement von Toulouse erklärte die königliche Verfüs gung, welche das alte Parlement herstellte, und worin einige Beschrånkungen enthalten waren (s. dieses arrêt de discipline 6. Isambert, Recueil des anciennes lois fr. 23, 150) für nicht vorhanden. Engl. Ber. b. v. Raumer 5, 203.

37) Das. 5, 149.

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38) E. oben Cap. 1, N. 1. Leztern wiederholte er 1776 in einer Denkschrift an den König: Personne ne doit vous laisser ignorer, Sire, que le voeu unanime de la nation est d'obtenir des états généraux. Vergl. über diese Denkschrift J. B. Dubois, Notice histori

mit Turgot genau befreundet und hatte Vertrauen zu dessen Einsicht und Willen. Nur aus Freundschaft zu ihm nahm er den Ruf zum Ministerium an, und erst nach dreimaliger Ablehnung. Von der vereinten Thätigkeit der beiden wackern Månner war das Beste und Heilbringendste zu erwarten. Turgot beabsichtigte unbeschränkte Handelsfreiheit im Innern, Abschaffung der Salzsteuer, der Frohnden und Feudallasten, gleichmåßige Vertheilung der Steuern und Einführung einer Grundsteuer (subvention territoriale) statt der Kopfsteuer, Gewissensfreiheit, Aufhebung einer Anzahl von Klöstern, Aufhebung des Zunftbannes u. f. m.; er ging selbst mit dem Gedanken um, eine grande municipalité, als Surrogat für die vormaligen Reichsversammlungen, einzuführen 9). Malesherbes war bekannt als Gegner der Folter und der Lettres de cachet des kirchlichen und des Preßzwanges und des im Königseide enthaltenen Gelübdes, die Keher auszurotten und die Duellanten nie zu bez gnadigen. Daß diesen Entwürfen mächtige Hindernisse entge= gentreten würden, war vorauszusehen; Turgot griff der Feudal- und Beamtenaristokratie ans Herz und rüttelte den Schlendrian der Misbräuche auf *°); beide traten den Interessen des Klerus zu nahe *1). Es mag zugegeben werden, daß Turgot feine Aufgabe zu ideal gefaßt hatte, daß er manche schwer wegzuräumende Hindernisse übersah, daß seine Ansichten zum Theil

que sur Malesherbes 1795 und Boissy d'Anglas, Essai sur la vie et les opinions de Malesherbes 1, 343. 344.

39) Oeuvres de Turgot 1, 91. 2, 2 fg. 7, 7. 899. 400, 482. Vergl. (v. Schüß) Geschichte der Staatsveränderung in Frankreich unter Ludwig XVI. 1, 164–202.

40) Bouillé, keineswegs dem blindesten Aristokratismus angehörig, sieht (Mém. 16. 17) das Heil Frankreichs darin, wenn Ludwig XV. noch einige Jahre regiert und die Verwaltung Aiguillon's und Terray's fortgedauert håtte: was mochten die Ultras urtheilen!

41) Freunde der Reformen, wie überhaupt der bessern Tendenzen der neuen Philosophie, waren allerdings im hohen Klerus, wie im Adel zahlreich genug, z. B. in jenem Dillon, Erzbischof von Narbonne, Brienne, Erzbischof von Toulouse, Champion de Cicé, Erzbischof von Bordeaux, La Luzerne, Bischof von Langres; doch die anders gestimmte Masse hatte eine mächtige Stüge in dem Hofadel, dem sie dem Stande nach angehörte, und jene durften auch nicht unumwunden mit der Sprache herausgehen.

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