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in der zunehmenden Besorgniß des Volkes vor Rüstungen des Auslandes, vor Umtrieben der Emigranten und in dem Argwohn, daß der König mit Fluchtplänen umgehe. Die Befürchtung eines Krieges der Nachbarmächte, zunächst des deutschen Reichs und Savoyens, gegen die Revolution hatte schon am Ende des J. 1790 den Beschluß, die Grenzfestungen zu verproviantiren, veranlaßt; am 28. Jan. 1791 traten Mirabeau und Alex. Lameth auf, im Namen mehrer Comités Ergänzung des Heeres zu begehren. Der Gedanke an Krieg wurde seitdem auch im Volke allgemein und die Journalisten stimmten von Zeit zu Zeit einen kriegerischen Ton an 168); um so mistrauischer wurde es nun gegen alle und jede Erscheinungen, die sich auf Einverständniß des Hofes mit dem Auslande deuten ließen. Das zeigte sich, als die Tanten des Königs, voll Bekůmmerniß über die Gewissensconflicte, die sie bei ihrer Abneigung gegen beeidigte Priester voraussahen, Anstalten zur Auswanderung trafen. Sowie es ruchbar wurde, daß in Versailles Reisewagen in Stand gesezt würden, schrieben die Journalisten, die Tanten des Königs wollten dem Auslande große Geldsummen zuführen 169) oder auch, der König selbst bereite sich zur Flucht 17o). Am 13. Febr. sammelte fich der Pöbel; Tags darauf erschien eine Deputation von der Municipalitåt mit einem Gesuch von 32 Sectionen der Hauptstadt vor der N.-V.,

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168) Camille Desmoulins No. 56, S. 169 (auch b. Buchez et R. 8, 415) macht kriegsrechtliche Vorschläge, Musterstücke frivoler Brutalis tåt: 1) Tout soldat autrichien, piémontais ou autre qui sera pris les armes à la main, sera pendu sur l'heure comme brigand ou fusillé comme bête féroce. 2) Tout soldat ennemi qui, honteux de servir dans un camp de Tartares, et au milieu d'une horde de brigands,` viendra rendre ses armes et se réunir à des hommes ses frères contre les loups d'Autriche, recevra une portion de terre etc. 3) Tout déserteur ennemi, qui apportera la tête d'un capitaine, recevra quatre fois autant que le subdélégué payait dans l'ancien régime à celui qui apportait une tête de loup . . . . il sera pareillement fait une prisée en estimation de tous les membres, depuis une oreille jusqu'à un quartier d'aristocrate etc.

169) L'ami du peuple No. 371.

170) Annales patriotiq. v. 1. Febr. b. Buchez et R. 9, 39.

ihre Unruhe über die Abreise der Tanten auszudrücken, ein Gesetz über Verpflichtungen der königl. Familie ") zu erbitten und auf die Umtriebe der Emigranten aufmerksam zu machen. Das erstere ließ Mirabeau, damals Präsident, bei Seite; überhaupt gab er nur allgemeine Zusicherungen. Sun jog am 19. Febr. eine Masse Pöbels nach Bellevue, dem Wohnsize der Tanten; diese fanden zwar Zeit genug, vor der Ankunft jenes Haufens abzureisen, wozu der damalige Befehlshaber der versailler Nationalgarde, Alexander Berthier, behülflich war 172); aber da ihnen die pariser Municipalität Pässe verweigert hatte, wurden sie in Arnay le Duc angehalten. In Paris verbreitete sich indessen das Gerücht, auch der Graf von Provence wolle abreisen, das Volk wurde unruhig und wogte nach dem Palais Luremburg zu; eine Deputation von Weibern begab sich zu Monsieur; die Zusicherung desselben, daß er Paris nicht verlassen werde, stellte sie zufrieden. Als nun aber die Nachricht von dem Aufenthalt der königl. Tanten nach Paris kam, entstand neuer Tumult; zahlreiche Massen, insbesondere Weiber, drångten sich um die Tuilerien und die Nationalgarde mußte anrücken, um die Plähe zu säubern 173). Die N.-V. berieth am 24. Febr. vier Stunden lang, ob man die Tanten reisen laffen sollte, oder nicht, wobei Mirabeau sich für Freiheit der Auswanderung erklärte und Menou der Sache durch eine heis tere Wendung ein Ende machte, als er spottend sprach, Europa werde staunen, daß die N.-V. vier Stunden darüber verhandelt habe, ob zwei Damen die Messe lieber in Rom als in Paris hören wollten174): die N.-V. beschloß, der Abreise derselben nichts in den Weg legen zu wollen. So entkamen fie. Indessen hatte Barnave auf Veranlassung der obengedach= ten Deputation der Sectionen am 21. Febr. eine Motion über

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171) sur le mode particulier d'existence de la dynastie regnante. Daß damit Verpflichtungen, namentlich zur Residenz, gemeint waren, ergibt sich aus der Veranlassung und aus der Rede. Moniteur No. 47, G. 192.

172) Md. Campan 2, 132. Révolut. de Par. 8, 181.
173) Buchez et R. 9, 41. 42 fg. Moniteur v. 22. Febr.
174) Moniteur No. 56, S. 228.

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die Verpflichtungen der königlichen Familie erhoben und demzufolge der Constitutionsausschuß den Entwurf zu einem Geseße über das Recht der Auswanderung und über Verpflichtung der Staatsbeamten überhaupt, namentlich zum Aufenthalte an dem Orte ihrer Berufsthätigkeit, über die „Residenz“, auszuarbeiten bekommen. Zunächst wurde, am 25. Febr., über den lehtern Entwurf verhandelt. Die Royalisten Maury, D'Epremenil, Cazalès u.s. w. bekämpften schon im Beginn der Debatte den Ausdruck öffentlicher Beamte (fonctionnaire public) als unziemlich für den König; Mirabeau gab das nicht zu, erklärte sich aber mit Nachdruck gegen antimonarchische Factionisten jeder Art 175) und stimmte für Aufschub des Gesezes, bis über die Regentschaft gesetzlich bestimmt sein würde; dies beschloß die N.-V

Mirabeau hatte nun nach der Debatte über das Recht, Krieg und Frieden zu beschließen, zum zweiten Male im Interesse des constitutionellen Throns seine Stimme erhoben; das nächste Mal, an dem Tage, wo er zuleht in der ganzen Fülle seiner Kraft auftrat und mit einer Art dictatorischen Troßes sein Wort geltend machte, richtete er sich unmittelbar gegen die äußerste Linke. Es war am 28. Februar, einem an revolutionåren Bewegungen reichen Tage. In der N.-V. wurde zuvörderst über ein Gesetz zur Sicherung der Ruhe und des Gehorsams gegen das Gesetz, insbesondere vor Gericht, verhandelt. Anlaß dazu hatten eigenmächtige Handlungen einiger pariser Sectionen gegeben und gegen diese sprach der Eingang des Entwurfes, daß kein Theil der Nation für sich eine Handlung der Souverånetåt üben dürfe. Gegen Chapelier's Entwurf wurden Einwendungen von Petion, Robespierre, Barnave und Buzot gemacht, die insgesammt auf sorgfältigste Verwahrung der Interessen des Volkes gerichtet waren; Robespierre hauptsächlich bekämpfte einen Artikel, der die Freiheit der Presse zu beschränken drohte 176); der Erfolg war, daß die

175) Bien décidé que je suis à combattre toute espèce de factieux qui voudraient porter atteinte aux principes de la monarchie, dans quelque systême que ce soit etc. Moniteur No. 58, S. 234.

176) Buchez et R. 8, 449. Der Artikel lautete: Toute invitation Bachsmuth, Gesch. Frankr. im Revol.-Zeitalter I. 20

Abstimmung gegen den Geseßvorschlag entschied. Darauf brachte Chapelier den Entwurf zu einem Geseze über Emigration vor, dem ersten Gliede in einer langen Reihe von Bannsprůchen gegen die Emigranten '77). Chapelier erklärte von vorn herein, daß das damit beauftragte Comité den Entwurf zu einem solchen Geseße sehr schwer und fast unausführbar gefunden habe. Die Debatte wurde ungemein bewegt; drei Male nahm Mirabeau das Wort; er bekämpfte die Zulåssigkeit eines Gesetzes, das die Freiheit der Auswanderung, ein naturgemåBes Recht des Bürgers, beschränke, aufs entschiedenste. €3 war nicht mehr zu verkennen, daß er die Feindseligkeit der Jacobiner gegen die Anhänger der alten Zeit zu theilen aufgehört hatte; auf der äußersten Linken wurde gemurrt; Mirabeau rief: Stille, die dreißig Stimmen" 178). Er siegte; die Vorlegung eines Gesezes über Emigration wurde noch aufgeschoben. Um Abende kam es zu einer zweiten stürmischen Scene bei den Jacobinern 179); Mirabeau kam in die Situng; Duport klagte ihn an wegen seiner Rede in der N.-V., jener hielt eine Gegenrede; Aler. Lameth trat als zweiter Anklåger Mirabeau's auf: Mirabeau's Wort, nichts als Ostracismus werde ihn von seinen Brüdern trennen, machte ungemeinen Eindruck; doch sein Bruch mit den Jacobinern war entschieden.

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Un demselben Tage ward die Ruhe in Paris durch einen Volksauflauf gestört. Die Municipalität ließ am Schlosse von Vincennes arbeiten, um dahin eine Anzahl Gefangener aus den überfüllten städtischen Gefängnissen zu versehen; der Pöbel rief, man wolle dort eine neue Bastille erbauen, in der Antonsvorstadt erscholl Sturmglocke und Lårmtrommel, Masse Volks zog gen Vincennes und gab sich ans Werk, das Schloß niederzureißen. Lafayette bot die Nationalgarde auf und zerstreute den Pöbel. Das Bataillon der Antonsvorstadt,

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faite au peuple, verbalement ou par écrit, de desobéir à la loi est un crime contre la constitution de l'état. Das Geset s. b. Duvergier 2, 250.

...

177) Buchez et R. 9, 46 fg.
178) Silence aux trente voix!

179) Buchez et R. 9, 871.

von Santerre, dem Bierbrauer und Bataillonschef, aufgefor dert, hatte den Dienst verweigert, aber nicht gewagt, fich der übrigen Nationalgarde zu widersehen 180). Indessen war auf die Kunde von dem Volksauflaufe bei den Royalisten Besorgniß entstanden, daß die Person des Königs in Gefahr kommen môge; einige hundert Edelleute, mit Dolchen, Pistolen und Såbeln bewaffnet, eilten nach den Tuilerien, dem Könige Schuß zu bringen. Einige liefen nach dem Palais-royal, Camaraden zu sammeln 181). Die wachhabenden Nationalgarden wurden unruhig und begehrten vom Könige Entwaffnung der unberufenen und drohenden Hülfsmannschaft. Es ging im Palaste ungestum zu, bis Lafayette am Abende mit der Nationalgarde zurückkam und die Edelleute entfernte, was nicht ohne Demůthigungen und Mishandlungen ablief. Nun wurde von den Demagogen der Eifer der Royalisten als Versuchy, den König zu entführen, dargestellt 182). Die Royalisten haben freilich nur zu oft bewiesen, daß sie jeglicher Unbesonnenheit, gleichwie die Volkspartei jeglicher Übertreibung in Berichten von royalistischen Umtrieben, fåhig waren: aber der Gedanke, unter jenen Umstånden, ohne alle Voranstalten an hellem Tage den König zu entführen, grenzt an Wahnsinn. So aber ihn vorzustellen, paßte nicht zu der Rechnung der Demagogen; sie zogen es vor, von Verschwörung zu sprechen. Marat hatte angezeigt, 5000 Dolche würden zur Ermordung der Patrioten verfertigt: die Policei suchte nach und fand deren 36, zum Negerhandel bestimmt 183). Aber der Tag hieß von nun an journée des poignards; Dolchritter ward seit jenem Tage Lieblingsausdruck des Volkes zur Bezeichnung royalistischer Edelleute und Verschworner.

Um 29. Febr. erließ das Departementsdirectorium, zu welchem Mirabeau gehörte 184), eine Proclamation gegen Ruhestd

180) Buchez et R. 9, 111. Révolut. de Par. 7, 379. 590.

181) Bertrand de Molev. 4, 226.

182) L'ami du peuple No. 388, S. 11.

183) Buchez et R. 9, 139.

184) Seine Mitglieder waren, außer Mirabeau: Kersaint, Cerutti, Lacepède, Talleyrand, Danton, Anson, Sieyes, Alex. Lameth u. f. w.

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