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Erstes Capitel.

Frankreich zur Zeit von Ludwig's XV. Ableben.

8 wird nicht so bleiben," sprach mit dem Vertrauen auf bessere Zeit das französische Volk aus, als es Ludwig XVI. mit dem Beinamen des Ersehnten begrüßte. Dies war nicht ein Gruß stumpfer Gedrücktheit, sondern der regsten und lebhaftesten Erwartung, reich an Hoffnungen und Ansprüchen; das Wort war prågnanter als die freudige Begegnung, die nach Jacob's I. Gemeinheit der Ernst und die Züchtigkeit Karl's I. bei den Engländern fand: in dieser war das Gefühl fittlicher Befriedigung vorherrschend; die Begrüßung Ludwig's XVI. aber war minder auf seine sittliche Würdigkeit, als auf die jugendliche und frische Kräftigkeit, für den Staat zu wirken, auf politisches Handeln und Schaffen gerichtet. Dieses um so mehr, je tiefer sich, in Folge des autokratischen Systems, nach der Losung Ludwig's XIV.: „der Staat bin ich," das gesammte Staatswesen in die Persönlichkeit des Monarchen versenkt hatte, und, was zum Heil des Staats dienen konnte, von dieser aus geltend gemacht werden mußte. Also ward nicht weniger denn Alles vom Könige gehofft und ihm die Aufgabe, von dem Staate das drohende Verderben abzuwenden, den Staat zu Macht und Ehren und das Volk zu Wohlstand zu bringen, vollständig zugeschrieben. Daß eine Volksvertretung dazu in Rath und That mitzuwirken habe, lag noch

außer dem Bereiche der öffentlichen Meinung; nur einzelne Stimmen hatten an die alten Reichsstände erinnert '); daß es anders werden möge, sprach man in der Form der bescheidensten Wünsche und des vollkommensten Vertrauens zu der Persönlichkeit des Monarchen aus; gewaltsamen Abwandlungen der Zustände war die gesammte Volksstimmung fremd; nur die Ahnung, daßes zu dergleichen kommen könne, war laut geworden2).

Ludwig XVI. erkannte und beherzigte die ihm vorliegende Aufgabe; ob sie nicht zu schwierig für ihn war, ob überhaupt auch die ausgezeichnetste Thatkräftigkeit und hohe geistige Gaben des Monarchen dem Staate zu helfen vermocht hätten, darüber recht zu urtheilen, ist ein Blick auf Ludwig's XV. po

1) Fenelon wollte mindestens die Berufung von Notablen. Bausset vie de Fénél. 3, 213 fg. Bei den Umtrieben des Herzogs von Maine u. s. w. gegen den Regenten im J. 1718 wurde im Namen Philipp's V. von Spanien ein Manifest an die Reichsstånde verbreitet; das war erbärmliche Gaukelei. S. darüber Moniteur, introduct. P. 29. Nachher brachte 1771 die Magistratur die Sache in Unregung, die cour des aides, das Parlement zu Bordeaux, das Echiquier zu Rouen. Mas lesherbes, Pråsident der cour des aides, bat den König d'interroger la nation elle-même, puisqu'il n'y a plus qu'elle qui puisse être interrogée de V. Majesté. Barruel mém. 2, 236 fg. Buchez et Roux hist. parlementaire de la révol. fr. 1, 160. Labaume hist. monarchique et constitutionelle de la révol. fr. 1, 360.

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freilich nicht

2) Voltaire, lettre à Chauvelin (2 Avr. 1764) aus dem Gesichtspunkte auf die Zerrüttung des Staatswesens -: Tout ce que je vois, jete les semences d'une révolution qui arrivera immanquablement, et dont je n'aurai pas le plaisir d'être témoin. Les Français arrivent trop tard à tout; mais enfin ils arrivent. La lumière s'est tellement répandue de proche en proche, qu'on éclatera à la première occasion, et alors ce sera un beau tapage. Les jeunes gens sont bien heureux; ils verront bien des choses. Schon vorher (1760) hatte Rousseau (b. Buchez et R. 1, 161) aus anderem Gesichtspunkte geschrieben: Nous approchons de l'état de crise et du siècle des révolutions; je tiens pour impossible que les grandes monarchies de l'Europe aient encore long-tems à durer; toutes ont brillé, et tout état qui brille est sur son déclin. Auf die Zerrůttung im französischen Staatswesen aber wies Helvetius in seinem Buche de l'homme hin, behauptend, Frankreich könne nur durch eine Eroberung gerettet werden, denn die Form der Verwaltung und der Polizei führe unfehlbar à un abrutissement total. S. Schloffer, G. d. 18. Jahrh. 2, 534.

litische Hinterlassenschaft nöthig. Er trifft auf einen besudelten Thron, ein gedrücktes Volk, ein erlahmtes und auswärts verachtetes Getriebe der Regierung; die Kriegsehre war dahin, der Schat erschöpft, der Staat mit Schulden belastet, die Regierung in Verlegenheit um Mittel, die dringendsten Bedürf- | nisse zu befriedigen. Andererseits die Stimmung der Geister, die öffentliche Meinung, in entschiedener Opposition gegen die öffentlichen Zustände, der Thron nicht durch den Kirchenglauben, nicht durch volle Ergebenheit des Adels gestüßt, sondern in diesem selbst der Geist der Opposition; die ehrfurchtsvolle Devotion der Masse aber mit Bekümmerniß über die zuneh menden Lasten und mit einer jungen Saat von Ideen über Recht und Wohl des Menschen und des Bürgers vermischt.

Die unglücksschwangere Erbschaft hatte sich seit Jahrhunderten aufgesammelt; in dem Schooße des Mittelalters hatte die Verkümmerung des öffentlichen Wesens und der Wohlfahrt des Volkes durch Feudalität, Kirchenthum und Despotismus begonnen. Bei weitem ålter und früher verjährt als die unumschränkte Machtvollkommenheit der französischen Könige war die drückende Herrschaft des Feudaladels und die irdische Ausstattung des Klerus mit Feudalrechten, und dieses war dem Bolke bei weitem mehr Stein des Anstoßes als das unumschränkte Königthum: der Geist der Revolution hat sich weit heftiger gegen die Feudalität und ihre Gunst am Hofe, als ge= gen den Thron selbst ausgesprochen. Der Feudaladel war früh zum Herrenthum gelangt; das Recht dazu leitete er von dem Degen, von der Eroberung ab. Der Klerus, nicht zufrieden mit der Herrschaft über die Geister und innig verwachsen mit der Feudalität, hatte mit dieser gemein die Formen der Oberherrlichkeit über Personen und Güter der ihm feudalistisch untergebenen Bestandtheile des Volks und Staates. Die Feudalrechte, welche weltlichen und geistlichen Grundherren zustanden, betrafen ebensowohl die Person als das Befihthum der Untergebenen; sie waren ein Inbegriff von Beschränkungen menschlicher und bürgerlicher Freiheit 3), durch welche die große Mehrheit der Nation einem vielfach gegliederten Herrenthum

3) S. unten v. 4. August 1789.

mit allen Anmaßungen, Launen und Gewaltthätigkeiten desselben pflichtig geworden war. Entrückt waren dieser Bannalität freilich die Bewohner einer ansehnlichen Zahl von stådtischen Orten durch Freiheitsbriefe (chartres), die sie von ihren Grundherren erlangt hatten. Das Beispiel aber, welches die Könige seit Ludwig VI. darin, gleichwie in der Lösung bäuerlicher Gutsunterthanen von Leibeigenschaft gegeben hatten, war von der Feudalaristokratie nur spårlich nachgeahmt und der Bereich der lettern wenig beschränkt worden. Zu dem Genusse persönlicher Freiheit hatten seit Philipp's IV. Berus fung der Reichsstånde (1302) die Städter auch Theilnahme am Staatsbürgerthum und an dessen ständischer Vertretung erlangt; diese aber nicht vermocht, sie gegen harten Druck sicher zu stellen; die Entwickelung des stådtischen Bürgerthums hatte, mit Ausnahme von Paris, geringes Gedeihen; überhaupt endlich lag es nicht in dessen Natur, auf Gemeinfreiheit im Ganzen und Großen hinzuarbeiten. Nun zwar bildete sich aus dem Bürgerstande die Magistratur hervor; aber als sie erblich geworden war, wollte sie mit dem Stande, dem sie ursprünglich angehörte, nicht mehr auf einer Linie stehen, und da der Feudaladel die Genossenschaft mit ihr verschmähte, stellte sie fich als ein zweiter Adel auf, noblesse de robe, und, wenn auch von Zeit zu Zeit bedacht, als Hüter des Gesetzes, despotischer Unbilde und ungebührlicher Vermehrung der Volkslaften entgegenzutreten, vermochte sie doch, bei dem Sonderintereffe, das ihr der Standesgeist eingab, nur selten, sich zu einer gemeinsinnigen und echt patriotischen Handlungsweise zu erheben. So war das Gerüft des Staates, als Richelieu die königliche Machtvollkommenheit von den beengenden Schranken der Feudalaristokratie zu befreien unternahm. Zu seinem Nivellirungs- und Centralisirungsprocesse bedurfte er nicht, wie die Fürsten des Mittelalters, der Mitwirkung des dritten Standes als Gegengewichtes gegen jene; es gelang ihm, die anmaßliche Theilnahme der Aristokratie an der Regierung zu beseitigen, ohne daß dem dritten Stande Heil daraus erwachsen wäre. Dies sezte sich fort unter Mazarin und erlangte seine Vollendung nach den Unruhen der Fronde, wo zulezt ein Aufstreben zur Wahrung des Gemeinwohls gegen Despotismus in den Bewegungen

der Magiftratur, zugleich der Beschluß ambitiöser Herrschlust in der frivolen Parteiung des Adels um Condé fich offenbart. Seit der Flagellation" (1655) verstummte das Parlement, nachdem der Adel schon seinen Nacken unter Mazarin's Foch ge beugt hatte. Der Despotismus hatte nirgends mehr Widerstand zu bekämpfen; er bildete ungestört seine Normen aus, und die Zustände der Zeit Ludwig's XIV. wurden zu stetigen Mustern für Hof, Udel und Regierung Frankreichs bis zur Revolution.

Der Organismus der autokratischen Monarchie Ludwig's XIV. begehrte willigen Gehorsam von Hohen und Niedern; der Adel war in völliger Abhängigkeit vom Throne und auf defsen Gunst und Gnade angewiesen; der Klerus erlangte in den Statuten der gallicanischen Kirche (1682) kein Recht für sich; es war dabei nur auf Feststellung des königlichen Supremats in der Kirche gegen påpstliche Unmaßung abgesehen: beiden Ständen aber blieb die Bevorzugung vor dem dritten Stande, und die aristokratische Verbindung jener mit einander ward dadurch befestigt, daß hohe und einträgliche Kirchenpfründen fast ohne Ausnahme nur an Adelige ertheilt wurden. Der dritte Stand hatte in dem hochfahrenden Despoten einen spröden Veråchter'); ihm kam nichts von den Gnadenbezeigungen zu gut, durch welche die Aristokratie für Einbuße an Macht und Selbständigkeit entschädigt wurde. Da ihm die Standesehre, auf welche der Monarch so hohes Gewicht legte, abging, konnte er, abgerechnet die niedern Geistlichen, die auf apostolische Dürftigkeit angewiesen waren, und die wenigen Glückli chen, die als Gelehrte und Schöngeister 2c. zu Ansehen kamen, nur durch gewerbliche Betriebsamkeit und materielle Güter pros periren. Dazu nun bot allerdings Colbert hülfreiche Hand; was er schuf und ordnete, hatte allerdings einen günstigen Einfluß auf Belebung und Kräftigung des Gewerbfleißes; jedoch der Ackerbau wurde dessen nur in geringem Maße theilhaft und auch bei den künstlichen Gewerben geschah wenig zur Erhebung oder Berechtung des Standes, dessen Fleiß von Col

4) Im Duellgesege vom I. 1679, Art. 16, heißen die Nichtadeligen ignobles, abjects, indignes.

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