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gen Maßregeln der Regierung und Kirche zu Theil wurde, ging auch auf die demokratischen Schriften Rousseau's über; ihre Verbreitung war nicht zu hindern; die darin gelehrten Princi pien faßten weit und breit Wurzel in den Gemüthern.

Allerdings fehlte es nicht an Verordnungen, Mahnungen, Verhaftungen und Bücherverbrennungen. Schon im J. 1750 führte der Klerus Beschwerde über zunehmende Verbreitung von Büchern, in denen die Religion gemishandelt werde, und über das Aufkommen von Vorwit und Unglauben. Dies wies derholte sich auf den Versammlungen der Prälaten im J. 1755 und 1758. Schon nach der erstern erfolgte 1757 eine gestrenge Berordnung 25) und kraft dieser eine Menge Verhaftungen. Sel ten vergingen ein paar Wochen, ohne daß ein Buchhändler oder Colporteur ins Gefängniß kam. Jedoch den holländischen Pressen konnte man nicht beikommen, und in Frankreich selbst wurde der Ausführung der Preß- und Censurgeseße unérműðlich entgegengearbeitet. Daher 1760 neue Beschwerden und Klagen des Klerus, die auf eine Verschwörung gegen die ges sammte Religion lauteten. Malesherbes aber, der in jener Zeit die Aufsicht über das Bücherwesen hatte 26), sah die Bücher als Waare an, deren Vertrieb nicht zu hindern im Interesse des Staates sei. Auf wiederholte Beschwerden des Klerus wurde zwar Rousseau's Emile 1762 dem Feuer übergeben; zugleich aber kehrte in demselben Jahre sich der Sturm gegen die Jefuiten; am 17. August wurden 261 Schriften derselben von Henkershand zerrissen und verbrannt. Die Aufhebung des Jesuitenordens öffnete dem Andrange der Philosophen gegen die verfallenden Bollwerke des Staates und der Kirche eine weite Bresche 27). Was half es, daß die Versammlung des Klerus

25) Todesstrafe für die Verfasser von écrits tendans à attaquer la réligion, à émouvoir les esprits, à donner atteinte à l'autorité du roi et à troubler l'ordre et la tranquillité de ses états. Galeerenstrafe für Die, welche etwas mit Umgehung der gefeßlichen Formen drucken. Isambert, Recueil des anciennes lois. 22, 272.

26) Biographie universelle 26, 358.

27) So viel ist dem eifrigen Jesuitenfreunde Georgel (Mém. 2, 263) zuzugestehen; aber die Macht des Jesuitismus war schon gebrochen, und der Aufhebung des Ordens vorzugsweise den Ausbruch der Revolution zu

im I. 1765 mehre Werke Voltaire's und Rousseau's als höchst gefährlich bezeichnete 28), daß 1768 einige Buchhändler auf die Galeeren geschickt, daß 1770 abermals mehre Schriften zur Verurtheilung namhaft gemacht wurden 29), daß Raynal's durch und durch revolutionäre Geschichte der Niederlassung der Europåer in den beiden Indien 30) der Verdammung verfiel und Raynal nur durch schleunige Flucht der Verhaftung entging, daß der Klerus im J. 1772 auf eine sich verbreitende Umwålzung in den Gemüthern hinwies und den Verkauf schlechter Bücher als dessen Hauptursache bezeichnete 31), daß selbst Friedrich II., der die einst von ihm gehåtschelte Literatur unartig werden sah, sich von den jüngsten Erzeugnissen derselben abwandte! Die neuen Ideen überwältigten alle Schranken, die Bewegung in den Gemüthern bekam einen immer wuchtvollern Umschwung; es waren nicht mehr Springfluthen der Oberfläche; die Tiefe des Sundes ward aufgeregt. Der neuen Lehre arbeitete selbst die übrigens so starre Magistratur in die Hand; das jansenistisch gestimmte Parlement war dem herrschenden Klerus nicht gewogen; zugleich widerstrebte es der Willkür des Hofdespotismus, protestirte gegen den Gebrauch von Lettres de cachet, gegen königlichen Machtspruch zur Niederschlagung von Processen u. s. w. Dagegen sollte ein Gewaltstreich helfen; die Parlemente wurden im Januar 1771 aufgehoben und neue Gerichtshöfe eingesetzt. Dies brachte eine Bewegung eigener Art hervor; die Masse kümmerte sich wenig

schreiben, kann nur ein so befangener Lobredner der Jesuiten, wie Abbé Georgel.

28) Voltaire's essai sur l'histoire générale, philosophie de l'hist., dictionnaire philosophique; Rousseau's Emile, contrat social, lettres de la montagne etc. Nous touchons au moment, où la librairie perdra l'église et l'état, heißt es in der Rede Loménie's, des Erzbischofs von Toulouse. Soulavie, Mém. du règne de Louis XVI. 1, 214.

29) Le système de la nature, le christianisme dévoilé. Woolfton's discours sur les miracles etc. Derf. 1, 222.

30) Peuples, voulez-vous être heureux, renversez donc les autels et tous les trônes, die Quintessenz seines Buches.

31) Soulavie 1, 224. Allerdings brachte der Klerus auch die Klage vor, daß die Calvinisten öffentlich religiöse Zusammenkünfte hielten.

darum, und es wurde kaum ein Murren derselben vernommen; auch die Philosophen nahmen sich des Parlements nicht an; Voltaire vielmehr, durch alten Widerwillen gegen die barbarische Criminaljustiz der Parlemente bestimmt, billigte deren Aufhebung 2): um so größer aber war der Lárm am Hofe; die Prinzen von Geblüte protestirten fast insgesammt. Die neuen Gerichtshöfe waren Gegenstand der Anfeindung und des Spottes am Hofe selbst.

So war die Stimmung der Geister, als Ludwig XV. am 10. Mai 1774 sein Leben beschloß. Er starb mit dem Glauben, daß es nicht so fortgehen könne wie bisher 33). Das Volk freute sich über seinen Tod als den Beginn des Heils 34).

82) Er sagte, der Kanzler Maupeou, der die Aufhebung der Parlemente durchgesezt hatte, verdiene eine Bürgerkrone. Journal hist, du Parlem. bei v. Raumer, Beitr. 5, 366.

33) Je vois bien comment va la machine, mais j'ignore ce qu'après moi elle deviendra et comment Berry s'en tirera. Soulavie 2. Préf. 29. Nach einer andern Relation: Tout n'est pas fini; je m'en tirerai moi, parceque je suis vieux; mais gare à mon petit-fils. Alex. Lameth, Hist. de l'assemblée constit. 1828. Vol. 1. Préf. 60. Ludwig sprach dies nach der Aufhebung der Parlemente und als man ihm dazu Glück wünschte. Noch anders führt diese Äußerung Ludwig's, und zwar aus einem Briefe desselben an den Herzog von Choiseul (?), an Mad. de Staël, Considérations sur les Principaux événemens de la révol. fr. 1, 43: J'ai eu bien de la peine à me tirer d'affaire avec les parlemens pendant mon règne; mais que mon petit-fils y prenne garde; ils pourraient bien mettre la couronne en danger.

34) Das konnte nicht ohne Couplets geschehen. Eins lautete:
Louis quelque méchant qu'il fut

Par son trépas se justifie,
Puisque aussi bien que le Messic
Il est mort pour notre salut.

Montlosier, Mémoir. Par. 1830, Vol. 1, 162.

3weites Capitel.

Ludwig XVI. in ungestörtem Besige der unumschränkten Monarchie.

Bis zu Necker's Entlassung 1781.

Ludwig's XVI. geistige Mitgift zum Throne war ein wohlwollendes landesväterliches Herz, Besonnenheit, treffende Urtheilskraft, Ehrbarkeit der Sitte '). Der Unterricht, den er unter Leitung des Herzogs von Vauguyon genossen, war dürftig gewesen und wenig über das bloße Material unpraktischen Wissens hinausgegangen; der Übung in Staatsgeschäften ermangelte er gänzlich; davon hatte ihn Ludwig XV. ferngehalten; im Gebiete des Kirchenthums war er zu gläubiger Devotion gewöhnt worden 2). Vermißt wurden bei ihm Selbstvertrauen und Entschlossenheit; daß er mit diesem edeln Fürstengute nicht ausgestattet war, ließ er schon als Knabe und Jüngling erkennen und seine gedrückte Stellung unter Ludwig XV., wo die Dubarry und ihr Anhang sich über ihn belustigen durften 3), war nicht geeignet gewesen, seinen Sinn schnellkräftiger zu machen und ihn zu selbständigem Wollen vorzubereiten. Er sehnte sich durchaus nicht nach der Zeit, wo er zur Regierung kommen sollte. Bei der Nachricht vom Tode Ludwig's XV. war sein erstes Gefühl das der Bangigkeit, wie er die ihm zufallende große Last werde tragen können; unverholen sprach er Bedürfniß und Wunsch des Rathes und Beistandes aus *). Ein Unglück für ihn und Frankreich ward, daß er bei fortdauernder Hingebung an fremde Autoritát den Einflüssen von Rathgebern, die es mit dem Staate und Volke minder gut

1) Bericht des engl. Gesandten bei v. Raumer, Beitr. 5, 102.

2) Soulavie 2, 41. Droz 1, 116.

3) Engl. Bericht b. v. Raumer, Beitr. 5, 92,

4) Das. 5, 82. 101.

als er meinten, sich zu entziehen nicht vermochte, daß er leicht irre geleitet werden konnte, wenn man ihm vorspiegelte, daß etwas, wozu man seine Autorisation begehrte, zum öffentlichen Wohle diene, daß er schwach genug war, bei klarer Überzeugung von der Güte seiner eigenen Ansicht sich Fremdes einres den und wider sein besseres Wissen und Wollen zur Ausführung kommen zu lassen, daß ihm Festigkeit des Willens und Ausdauer in Behauptung von Entschlüssen mangelte. Daher das mehrmals von ihm bei der Einwilligung zu etwas, das er nicht für wohlgethan achtete, ausgesprochene Wort: man werde es zu bereuen haben." Seine äußere Haltung war schüchtern; ohne den Ausdruck bestimmten und energischen Willens und was der Franzose sehr vermißte ohne militärische Straffheit; passiven Muth zeigte er spåterhin inmitten des wildesten Sturmes. Seine Rede war holpricht und übeltönend; doch, so oft es des Volkes Wohlfahrt galt, belebte sich sein Ausdruck, und die Rede ergoß sich in angenehmem Fluß *). Schriftliche Bescheide zeugten von Ludwig's menschen- und volksfreundlichem Sinne nicht minder als von unbefangenem, gesundem Blicke "). Die Flitterwochen seiner Regierung entschwanden schnell; seine bessern Eigenschaften versanken in Indolenz, und es blieb nur ein fittlich reines Gemüth und ein schwacher guter Fürstenwille zu rühmen übrig.

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Gleichwie es nun eine in den Annalen des französischen Reichs seit zwei Jahrhunderten vermißte Erscheinung war, daß in Ludwig ein zum Manne gereifter Thronfolger, der unmit telbar nach dem Tode seines Vorgängers die Zügel der Regierung ergriff, begrüßt wurde, nachdem drei Male vorher eine Regentschaft hatte eintreten müssen und dem ersten der Bourbonischen Könige der Thron durch Parteikrieg streitig gemacht worden war, ebenso und in noch höherem Maße mußte es für die Franzosen ansprechend sein, eine huldvolle, reizende und im Glanze der frischesten Jugendlichkeit strahlende Königin zur Seite des Monarchen, und nicht durch eine Må

5) Engl. Bericht b. v. Raumer, Beitr. 5, 92.

6) Das. 5, 102. 110. Boissy d'Anglas, Essai sur la vie et les opinions de Malesherbes. Par. 1819. 1, 26.

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