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aufgehalten; erst am Abende erreichte er Paris. Unterwegs und bei dem Einzuge in Paris bezeugte der Pöbel ausgelassene Freude; die Weiber sangen und tanzten; oft hörte man das Geschrei: „Wir werden keinen Brotmangel mehr haben, hier ist der Bäcker, die Bäckerin und der kleine Bäckerjunge"; oft aber auch Låsterreden gegen die Königin. Nach kurzem Besuche auf dem Stadthause zog der Hof in die Tuilerien ein, die seit länger als einem Jahrhunderte öde gewesen waren.

So gut als der Aufbruch der Weiber nach Versailles und das nachfolgende meuterische Begehren der Nationalgarden, ihnen dahin zu folgen, ist auch der Einbruch des Pöbels in den Palast am 6. Oct. als die Wirkung eines Complottes zur Entthronung des Königs, zur Erhebung des Herzogs von Orleans auf den Thron und zur Ermordung der Königin bezeichnet worden. Auf das Erste scheinen selbst die Reden der Grenadiere zu Lafayette hinzuführen. Bei der Untersuchung, welche der Chatelet darüber führte 147), wurden von einer Menge der Verhörten Aussagen vorgebracht, nach denen ein böser Schein auf dem Herzoge von Orleans und auf Mirabeau, als Anstifter einer Verschwörung und als thåtigem Theilnehmer an dem Attentate des 6. Oct. 148), zu haften drohte: jedoch keine dieser Aussagen hatte zuverlässigen Grund; Meinen und Hörensagen war die Quelle fast aller 149). Ganz wahnhaft ist die Be

147) Angeordnet den 23. Nov., begonnen den 4. Dec. 1789, beendet den 26. Juni 1790.

148) Mirabeau sei mit bloßem Såbel zugegen gewesen, der Herzog von Orleans habe sich an der Spike des Pöbels befunden, als dieser die große Treppe hinaufstürmte, zu geschweigen der angeblichen Verkleidung des leztern als Weib. Wollte man doch einen Grund zum Verdacht ge= gen Mirabeau darin finden, daß dieser vor Ankunft der Weiber zu Mounier sagte: Mounier, Paris marche sur nous etc., da doch schon früher Kunde davon in Versailles war.

149) Was oben Cap. 1, Not. 70 bemerkt worden ist, gilt nicht in Bezug auf den 5. und 6. Oct.; es kann nicht einmal wahrscheinlich ge= macht werden, daß Orleans und Mirabeau Urheber oder Förderer der Volksbewegung und der Attentate des Mordgesindels gewesen seien. Mag auch Chabroud's Bericht über manchen bedenklichen Punkt mit verdächtiger Beschönigungslust hinweggleiten, mag er mit Absicht hie und da zu wenig eindringen oder hervorheben, so sagt doch auch Mounier's Appel Wachsmuth, Gesch. Frankr. im Revol.-Zeitalter I.

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hauptung, daß der Aufstand durch englische Umtriebe bewirkt worden sei; doch dergleichen Anklagen Englands wurden mehr und mehr zur fixen Idee der Volkspartei 150). Den äußern Anstoß zu einer Volksbewegung kann ein Einzelner geben, wenn die Stimmung dazu vorher ihre rechte Höhe erreicht hat; die Stimmung selbst aber wird nicht durch Einzelne bereitet. Eben so waren unter dem Pöbel Banditen, denen nichts für heilig galt und die auf verruchten Mord ausgingen; auch das Volk in Masse war von Rachgier gegen die Gardes-du-corps erfüllt: dennoch war der leitende Grundgedanke bei der letztern Sicherstellung gegen Brotmangel und dazu Einholung des Königs nach Paris. Dieser blieb, als den Gråueln Einhalt gethan war. Verfehlt war also, da auch einige Gardes-du-corps zum Opfer gefallen waren, nicht, was im Sinne des Volks gelegen hatte, verfehlt war aber, was einzelne Bösewichter hatten ausführen wollen.

Mit der Geltung und dem Einflusse des Herzogs von

aus Unmuth, Bitterkeit und Befangenheit weit mehr, als für wahr gelten kann. Sprach doch selbst Maury (Moniteur 1790, S. 1148) aus, daß er in den Acten keinen Grund zur Anklage gegen Mirabeau finde! Daß aber nach seinem Votum dies nicht auch von Orleans gesagt werden könne, gründete sich mehr auf dessen frühere Gunstbuhlerei bei der Menge und demagogische Manoeuvres gegen den Hof, als auf glaubhafte Aussa= gen von dessen Erscheinen und Thun in den Octobertagen selbst.

150) Es kann nicht auffallen, daß auch Lafayette dieselbe theilt. Er argwohnt (2, 321) Umtriebe des Auslandes schon bei der pariser Insurrection im Julius. Ist doch derselbe befangen genug, bei dem Octo: beraufstande an aristokratische Umtriebe zu denken, die den König einschüchtern und zur Flucht nach Meg bestimmen sollten! 2, 329. Am wunderlichsten nehmen sich die Anschuldigungen gegen Orleans aus in eis nem Buche, das uns spåterhin gute Dienste leisten wird Sénart, Révélations puisées dans les cartons des comités de salut public etc. Publ. par Alex. Dumenil, 2de édit. 1824. Da heißt es S. 5, Orleans wollte König werden und Pitt spornte ihn dazu an, Santerre war schon 1789 Orleans Parteigånger und theilte Geld aus, das er von Orleans und Pitt erhalten hatte; darauf Cap. 8, Orleans und Marat insurgirten die Vendee u. s. m. Im grellsten Gegensaße zu Denen, welche die Octoberscenen von einzelnen Conspiranten ausgehen lassen, behauptete Mercier in den annales patriotiques: que ces événemens avaient été conduits par la providence. Mounier, Appel 78.

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Orleans war es vorbei: hatte er Entwürfe auf Besiz des Throns gehabt, so war der 6. Oct. für ihn, was der Barricadentag im I. 1588 für Heinrich Guise. Die Krise war vorüber und es kam kein Moment günstiger Umstände für ihn wieder. Dagegen wurden sogleich nach dem 6. Oct. Anklagen gegen den Herzog, als Unstifter des Attentates, laut; eine Schrift,,Domine salvum fac regem" brachte die gehåssigsten Unschuldigungen gegen ihn vor 15). Daß er schlimmen Einfluß auf das Volk übe und mit unheilbringenden Entwürfen umgehe, war auch Lafayette's Ansicht 12); dieser sah deshalb die einstweilige Entfernung des Herzogs aus der Hauptstadt als ein nothwendiges Bedingniß zur Sicherung der Ruhe an und wirkte bei dem Könige aus, daß dem Herzoge die Weisung ertheilt wurde, sich nach London zu begeben; zur Beschönigung des Erils wurde eine politische Mission als Zweck der Reise angegeben. Lafayette selbst übernahm es, den Herzog zur Annahme des Auftrages zu bewegen; er kam nur durch Drohungen zum Ziele 153). Mirabeau gab den Herzog nun gänzlich auf 15). Von einer nachherigen Partei Orleans wird nach der Rückkehr des Herzogs im Jul. 1790 und späterhin die Rede sein.

Daß Paris seine immerwährende Residenz sein solle, hatte Ludwig noch nicht ausgesprochen und die N.-V., ungewiß über den Entschluß des Königs, blieb einstweilen noch in Versailles. Die pariser Municipalitåt richtete an den König und die N.-V. Gesuche um eine Entscheidung nach Wunsch der Pariser und suchte zugleich neuer Aufwiegelung des Volks mit kräftiger Hand zu wehren; Marat wurde wegen wiederholten Preßfrevels vor

151) Révol, de Par. No. 15, S. 31.

152) Lafayette 2, 855 fg.

153) Das. 2, 358.

154) Mirabeau's Wort b. Mounier, Appel 253; Il est lâche comme un laquais; c'est un J. F. qui ne mérite pas la peine qu'on s'est donnée pour lui in anderer Form ausgedrückt b. Montgaillard 3, 113: Je ne me mêle plus des affaires du prince. Sa lâcheté de caractère finira par perdre tous ses partisans; c'est un misérable qui n'est bon qu'à être prince: je l'abandonne à ses vices.

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Gericht gefordert, entzog sich aber der Haft durch Versteck 155). In der N.-V. erhoben sich Stimmen der trüben Ahnung und Sorge gegen die Übersiedelung nach Paris 156); zugleich war eine große Zahl von Deputirten dergestalt mit Unwillen und Abscheu über die Vorfälle vom 5. und 6. Oct. und die nachherigen Insulten, welchen geistliche Deputirte ausgesetzt waren, erfüllt, daß sie aus der N.-V. ausschieden; über 200 sagten fich los von ihr, unter diesen Mounier, Lally-Tolendal, Bergasse, der Bischof von Langres. Es war wie eine Emigration, ungünstig für den König und die Partei, welche den Thron, nach Beschränkung der Willkür, aufrecht zu erhalten bemüht war, tadelnswerth an Denen, welche sich der bessern Sache entzogen. Maury und Cazalès gaben durch ihr Bleiben ein besseres Beispiel.

In ihren lehten Sizungen zu Versailles verhandelte die N.-V. zunächst über eine sofortige Reform der Criminalgesehe und verfaßte am 8. Oct. eine Verordnung, kraft welcher die prealable Folter und die Sellette endlich aufgehoben und das Criminalverfahren überhaupt nach humanern Grundsätzen geregelt wurde 157). Darauf hielt Talleyrand am 10. Oct. einen Vortrag über die Güter des Klerus, worin er, selbst einer der . hohen Pfründenträger, den Sat, daß jene der Nation gehörten, aufstellte 158). Un demselben Tage begehrte Custine ein Martialgesetz einen Entwurf dazu legte Mirabeau am 14. Oct. vor; die Berathung darüber aber ward noch ausgesetzt. Nach einem Decrete vom 11. Sct. sollte der Titel des Königs künftig,,König der Franzosen" sein. Wegen der Menge aus der

155) Buchez et R. 3, 129. 138.

156) u. 2. sprach Gregoire dagegen. Moniteur S. 281, Col. 3.`

157) Moniteur S. 291. Zum Geseße bestätigt am 3. Nov.; abge= druckt 6. Duvergier 1, 56. Anzuführen ist daraus noch, daß an der Instruction jedes Criminalprocesses eine Anzahl unbescholtener Bürger als Notablen Theil nehmen (Vorspiel zur Jury), daß Verhaftsbefehle mindestens von drei Richtern verordnet werden, der Verhaftete binnen 24 Stunden zum Verhör vorgeführt, die gesammte Instruction öffentlich gehalten werden sollte.

158) Moniteur No. 71, G. 291. Planck neueste Religionsgesch.

N.-V. ausscheidender Deputirter wurde am 15. Oct. beschlos sen, die Erlangung von Påffen zu erschweren; auf bestimmte Zeit sollten diese nur aus dringenden Ursachen, auf unbestimmte Zeit nur nach Ankunft eines Stellvertreters ertheilt werden.. Die Besorgniß vor dem in Paris zu erwartenden Andrange veranlaßte den Beschluß, daß nur von der pariser Gemeinde Deputationen in der N.-V. zugelassen, Deputationen_von_andern Körperschaften aber an das Recherchencomité verwiesen werden sollten.

Eine Aufforderung des Königs, ihm nach Paris zu folgen, erhielt die N.-V. schon am 9. Oct.; ihr Aufbruch dahin erfolgte bald nachher. Versailles wurde nach der Entfernung des Hofes ein Ort der Öde; die Zahl seiner Bewohner sank in wenigen Jahren von 80,000 auf 25,000 herab 159).

Drittes Capitel.

Die Zeit des Organisirens und des scheinbaren Einverståndnisses zwischen König und Nationalversammlung.

Vom 19. Oct. 1789 bis 14. Jul. 1790.

Schaffen ist hervorstechendes Merkmal dieses Zeitraums; rastlose Thätigkeit der Nationalversammlung, das Gerüste eines politischen Neubaues aufzuführen, und stete Willfährigkeit des Königs, ihre Beschlüsse zu bestätigen; die Früchte davon, Ordnung des Staatsbürgerthums, eine neue Grundeintheilung Frankreichs zum Behufe der Volksrepråsentation und der Administration; Municipalitåten und neue Gerichtsverfassung. Das Bild des Verfalls zeigt sich fortwährend im Staatshaus

159) über Versailles seit seiner Verwaisung s. Zinkeisen in v. Ráumer's histor. Taschenbuche, Jahrg. 8, S. 425 fg.

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