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den; dieser habe sein Volk wiedergewonnen, hier sei es das Volk, das seinen König wiedergewinne; es sei der schönste Tag der Monarchie. In allen Straßen, durch welche der Zug ging, standen dichte Reihen bewaffneten Volkes, untermischt mit Soldaten, Weiber mit Blumenkränzen und dreifarbigen Båndern, Kinder und Greise, zerlumpter, frecher Pöbel und elegant Gekleidete durch einander. Die Gesichter waren zum Theil düster 110); oft wurde gerufen „Es lebe die Nation“, selten,,Es lebe der König". Ein Schuß, der eine Frau in der Nähe des Königs tödtete, kam wol nicht von der Hand eines Meuchelmörders 14). Als der König am Stadthause ankam, überreichte ihm Bailly die Nationalcocarde; der König heftete sie an seinen Hut. Durch Bewaffnete, die über seinem Haupte die Degen kreuzten, schritt er die Treppe hinauf 142). Der König war zu bewegt, um zu der Versammlung, die ihn im großen Saale umgab, mehr als die Worte: „Mein Volk kann immer auf meine Liebe rechnen" sprechen zu können. Bailly, nebst Lafayette im neuen Amte bestätigt, wurde der Dollmetscher des Königs; Lally-Tolendal erwiederte das mit dem Ausdrucke freudiger Dankbarkeit; der königl. Procus reur des Stadtmagistrats schlug vor, dem Könige, als Wiederhersteller der öffentlichen Freiheit, auf dem Bastillenplage eine Bildsäule zu errichten. Der König trat, mit der Cocarde am Hute, an ein Fenster und nun jauchzte auch das auf dem Greveplate versammelte Volk ihm entgegen.

Der Schrecken über die pariser Insurrection gab den Anstoß zur ersten Emigration. Graf Artois mit seinen Söhs nen, Prinz Condé mit seinem Sohne und Enkel, Prinz Conti, die Polignacs, Broglie, Villedeuil, Lambesc, Vermont zc. vers ließen Versailles in der Nacht des 17. Juli, meistens mit den Truppen, auf deren Schuß sie bisher gerechnet hatten 143).

140) Ferrières 1, 140.

141) Bailly 2, 64.

142) Ders. 2, 65. Es sollte Nachahmung eines freimaurerischen Brauches sein.

148) Weber 1, 396. Md. Campan 2, 53. Moniteur No. 27, S. 115. Die „France extérieure" hat bekanntlich mehre Historio.

Suchten sie nur Sicherheit: wer möchte sie darum anklagen? Nußbar konnte ihre Gegenwart dem Könige nicht sein, da sie sich selbst zu verleugnen nicht vermochten und auch niemand ihnen dieses Vermögen zutraute. Aber bald offenbarte sich, daß sie dem Vaterlande den Rücken zugewandt hatten, um im Auslande Hülfe zur Herstellung der alten Ordnung der Dinge zu suchen, und dadurch wurden sie Urheber einer Verschlimmerung der Revolution, die den König, dessen Namen sie zur Losung nahmen, da es ihnen doch nur um Wiedergewinn verloren gegangener Vortheile zu thun war, ins Verderben stürzte. Auch das mildeste Urtheil über sie muß mindestens ihre Bethörtheit rugen 1**),

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Zweites Capitel.

Umsturz des mittelalterlichen Staatswesens, ideale Anfänge des Neubaues, brutale Dazwischenkunft der Anarchie.

Bis zum Aufbruche der N.-V. nach Paris, Oct. 1789.

Der Volksjubel zu Paris war der Rausch augenblicklicher Aufwallung; die Freude war nicht nachhaltig, nicht beruhigend; das Volk war nur mit dem Könige ausgesöhnt, nicht mit dem

graphen aus der Zeit der Restauration; wir führen nur Saint-Gervais hist. des émigrés français, 1828. 3 Vol. 8, und Montrol hist. de l'émigration, 1825, an.

144) C'est une funeste erreur de s'imaginer que dans des tems de crise l'absence soit une force. Lameth 1, 409. Das haben nachher die im Anfange des Octobers aus der N.-V. austretenden Deputirten Mounier, Lally-Tolendal u. s. w., das haben die Royalisten und Aristokraten nach ihrer Resignation vom 29. Juni 1791 und noch spåter Danton und Robespierre erfahren.

Hofe; der Pöbel, nicht mehr in Furcht vor Strafe, war dem Geiste der Rottirung, der Rachgier und des Blutdurstes verfallen; die Leidenschaften nåhrten sich durch schlimme Erinnerungen und durch noch schlimmere Einflüsterungen, durch den fürchterlichen Wahn, das Volk müsse selbst und ohne Verzug Gerechtigkeit üben an Denen, die ihm wehgethan. Es wurde von Bailly nichts gespart, geregelten Friedensverkehr, Gewerbe, Verdienst, Zufuhr von Lebensmitteln und Beruhigung der Gemüther zu bewirken '); Lafayette betrieb, unterstüßt von Alex. Lameth und Matthieu Dumas 2), mit Eifer und Umsicht die Organisation der Bürgermiliz3), die nun auf seinen Vorschlag Nationalgarde genannt wurde *); aber beide waren zu arglos, um den Umtrieben der Anarchisten) recht begegnen zu können, und ohnmächtig, als den Pöbel die Wuth zu morden wieder ergriff. Am 22. Juli wurde Foulon, einer der am 11. Juli designirten Minister, als Gefangener in Paris eingebracht. Er war berüchtigt durch Erpressungen, wegen brutaler Äußerungen über das Volk), das er Vieh zum Heufressen

1) Procès-verbal der Electeurs b. Buchez et R. 2, 131. 144.

2) Lameth 1, 71. Dumas, Souvenirs 1, 435.

3) Infanterie 31,000 m. mit 1000 Officieren; von jenen 6000 befoldet, dabei die vormalige französische Garde, die einstweilen von den Districten unterhalten wurde (der District Eustach hatte eine Rechnung von 14,000 Livres für Wein und Wurst, Bailly 2, 207). Zu jeder Compagnie derselben kamen vier Compagnien Bürger; jene hießen Compagnien des Centrums. Außerdem Chasseurs und Reiterei, über 10,000 Mann. Von der Artillerie s. Lafayette 2, 337. Godard exposé 147. Gouvion, Lafayette's Waffengefährte in Amerika, wurde Chef des Generalstabes. Eine besondere Schar bildeten die Volontaires de la Bastille. Es hatten sich als solche gegen 800 Mann gemeldet, Bailly 2, 250. 4) Bailly 2, 52. Buchez et R. 2, 130.

5) Nach Bertrand de Molev. 4, 181 brachte Udr. Duport in einer société philanthropique, wozu auch Larochefoucauld gehörte, in Vorschlag, die Köpfe einiger hochgestellten Personen der Hofpartei springen zu lassen; Lafayette sollte das mit angehört und Mirabeau es spåter dem Könige und der Königin mitgetheilt haben. Dergleichen läßt sich ebenso schwer widerlegen, als leicht behaupten. Bailly war in der That,,bonhomme" und seinem Posten nicht gewachsen..

6) über das Folgendes. Moniteur No. 28; Buchez et R. 2, 146 aus Bachsmuth, Gesch. Frankr. im Revol.-Zeitalter. I. 10

genannt haben sollte, böfer Rathschläge gegen die N.-V. und Paris beargwohnt; dessen kundig hatte er sich verborgen ge= halten und aussprengen lassen, er sei gestorben, dies aber ihn nicht sichergestellt. Mit Nesseln um den Hals, Disteln auf der Brust und einem Bündel Heu auf dem Rücken, wurde er nach Paris geschleppt und hier auf das Stadthaus gebracht. Von dem nachgedrungenen Pöbel, unter dem sich aber auch wohlgekleidete Personen befanden, wurde seine Auslieferung zu rascher Justiz begehrt; umsonst suchten Bailly, Lafayette, Osselin u. s. w. ihn zu retten; er wurde weggeriffen, an der Laterne aufgeknüpft, dann sein Kopf abgeschnitten und auf einer Pike umhergetragen. An demselben Tage brachte eine tumultuarische Masse Volks Foulon's Eidam Berthier, bisherigen Intendant der Generalitåt von Paris, trok den Bemühungen der Wahlherren, den Zug unterwegs aufzuhalten, nach Paris. Vor seinem Wagen fuhr ein Karren mit Inschriften zu seiner Anklage einher; das Haupt Foulon's wurde ihm zum Kusse entgegengehalten. Die bewaffnete Macht that nichts zu seiner Rettung; Lafayette unterließ, es zu gebieten. Berthier wurde vom Stadthause fortgeschleppt, unter der Laterne massacrirt; sein Kopf und Herz dienten zum Triumphzuge der Tiger). Lafayette kündigte die Niederlegung seiner

dem Procès-verbal der Elect. und dem ami du roi; Bailly 2, 98 fg. Révolutions de Paris 1, 55 fg. Montgaillard 2, 263.

7) Zu den Äußerungen wahrhaften Cannibalismus gehört, daß einige Mörder mit Berthier's Herzen sich in ein Kaffeehaus begeben, Blut aus demselben in die Tassen gedrückt und zu dem scheußlichen Trunke gefungen haben sollen: Il n'est pas de bonne fête quand le coeur n'en est pas. Montgaillard 2, 266, mit der positiven Versicherung, daß dem so sei. Zwar ist nimmer aus den, Augen zu lassen, daß es auch einen Cannibalismus der Geschichtschreibung gibt, welcher dergleichen, ob wahr oder nicht, nur zu gern auftischt, und gern liest man dagegen bei den Deux amis 2, 74, daß der Dragoner, der Berthier das Herz ausgerissen hatte, deshalb von seinen Cameraden im Duell getödtet wurde; aber gab es nicht bald nachher bei den Modehåndtern eine couleur de sang de Foulon? (Montgaillard 2, 266) und sprach sich nicht derselbe tigerartige Sinn aus in Pamphlets, wie Convoi, service et enterrement de trèshauts, très-puissans seigneurs Foulon etc. (s. das gråßliche Machwerk b. Bailly 2, Beil. A).

Stelle an, doch blieb er auf Zureden. Tumult und Mordfrevel ruhten eine Zeit lang; aber Versammlungen von allerlei Genossenschaften, von Handwerksgesellen, Lakaien u. s. w., Gährung bei jeglichem Gerüchte, auch dem widerfinnigsten ®), mit excentrischem Treiben wiederholten sich jeden Tag; dazu machte die Herrschluft und Eigenmächtigkeit der Districtsversammlungen dem Maire zu schaffen ). Einen bösartigen Charakter hatte der Tumult des 6. August, wo ein falsches Gerücht das Volk gegen den Marquis La Salle aufreizte und diesem nur mit Noth das Leben erhalten wurde 10). Der aufreizende Ton mehrer Zeit- und Flugschriften "), unter denen seit dem 14. Juli die zuerst von dem talentvollen Loustalot redigirten Révolutions de Paris bedeutend wurden, veranlaßte schon am 24. Juli einen auf Beschränkung der Preffe gerichteten Beschluß der Wahlherren 12): es war die erste frühreife Ankündigung des Bedachts auf Innehalten von Seiten Derer, die zur Bewegung getrieben hatten; aber er blieb unkräftig, wie zuvor die königlichen Verordnungen der Art gewesen waren und wie ein am 2. August folgender Beschluß der neuen städtischen Behörde 3). Mit der Presse wirkte zusammen der Gesang;

8) Von Vergiftung der französischen Garde u. s. w. Bailly 2, 75, 9) Bailly 2, 73. 74. Der District des Petits-Augustins feste ohne Weiteres Friedensrichter ein.

10) Révolutions de Paris No. 4, S. 27 fg. Bailly 2, 223.

11) Aufregender als die Zeitschriften waren die Pamphlets und Placards oder Affichen. Die legteren, deren in den ersten Jahren der Revolution in Unzahl an die Mauern geklebt wurden, wobei die Colleurs einander zu übervortheilen suchten, indem die einen frisch angeschlagene Placards sogleich mit den ihrigen überklebten, find großentheils der histos rischen Literatur fremd geblieben; eine ansehnliche Sammlung derselben ift (nach Buchez et R. 11, 15) nach England, dem Verließ kostbarer Schage der Literatur, gewandert. Auch an Carricaturen mangelte es nicht. Boyer, Hist. des carricatures de la rév. fr. 1792, 2-8. Die Kupfer in Camille Desmoulins Révolut. de France et de Brabant können zum Theil dazu gerechnet werden.

12) Buchez et R. 2, 191.

13) Daselbst 2, 246. Bailly 2, 209. Dagegen trat Loustalot, Révolutions de Paris No. 4, S. 9 fg., in die Schranken; fein Aufsag

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