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Erstes Capitel.

Übergang der Macht von der Monarchie und Aristokratie an die Nationalversammlung und das Volk.

Vom 4. Mai bis 17. Julius 1789.

Die Eröffnung der Reichsversammlung war vom 28. April

auf den 5. Mai verschoben worden; daß die Deputirten noch nicht insgesammt in Versailles angelangt waren, namentlich nicht die pariser, veranlaßte keinen neuen Aufschub. Am 3. Mai wurden die Deputirten dem Könige vorgestellt; die Etikette, vertreten vom Großceremonienmeister, Marquis von Brezé, gab dem Klerus und Adel die Auszeichnung, daß ihm zwei Flügelthüren, dem dritten Stande nur eine geöffnet wurde; Brezé war unbekümmert um die eifersüchtigen Ansprüche des dritten Standes 1). Demgemäß war auch das Costům, für den Adel prunkvoll, für den dritten Stand einfache schwarze Tracht, bestimmt worden 2). Um 4. Mai war gottesdienstliche Weihe; die Deputirten und der Hof zogen nach der Kirche von Notre-Dame; eine unzählige Menge Volks wogte umher, freudiges Rufen begrüßte den dritten Stand, den Herzog von Orleans und den König; bedeutsames Schweigen oder Wiederholung des Lebehoch für Orleans 3)

1) Montgaillard 2, 190. Barère, Point du jour, N. 7: Les communes, très affectées de cette différence dans la présentation etc. 2) Moniteur, Introd. 235.

3) Md. Campan 2, 37.

folgte, als die Königin kam. Die Predigt des Bischofs von Nancy, de la Fare, war von Äußerungen einer jugendlich frivolen Bewegung begleitet. Als der Bischof von Civismus und öffentlichen Freiheiten sprach, wurde geklatscht*); der Geist des Unmuths aber gab sich durch Murren zu erkennen, als er unbedachter Weise im Gebete zu Gott die drei Stånde unter• schied *). Neuen Stoff zur Unzufriedenheit des dritten Standes gab die Anordnung, daß zur ersten Sihung der Reichsstånde, am 5. Mai, dem Klerus und Adel die große Eingangsthüre geöffnet, der dritte Stand aber durch eine Hinterthüre eingelassen wurde), auch daß die Site ebenso wie im J. 1614 angeordnet waren. Die Etikette ging in blinder Befangenheit, vielleicht ohne die Absicht, zu krånken, zu Werke; die Eifersucht des dritten Standes sog Gift aus Allem. Der König, mit einem freudigen Lebehoch empfangen, wies in seiner kurzen Rede auf das Deficit, mehr aber auf die Unruhe in den Gemüthern hin und empfahl Eintracht; aber unmittelbar nach der Rede drohte die Zwietracht auszubrechen: als der König sich bedeckt hatte, that der Adel desgleichen; nicht anders nun mehre Deputirte des dritten Standes; hier wurde gerufen Bedeckt euch"; dort Nehmt den Hut ab". Der König brachte rasch die Ruhe zurück, indem er selbst den Hut wieder abnahm ). Der Großfiegelbewahrer Barentin redete nun von dem, was der König bisher für die Staatswohlfahrt gethan, von der Frage, ob nach Stånden oder nach Köpfen zu stimmen und daß diese der Entscheidung der Reichsstånde überlassen worden sei, daß vormals Privilegien des Klerus und Adels ihre guten Gründe gehabt hätten, jezt aber andere Umstånde obwalteten, kündigte darauf des Königs Absicht an, Freiz

4) Ferrières 1, 21. Toulongeon 1, 40.

5) Recevez, ô Dieu, les prières du clergé, les voeux de la noblesse, et les très-humbles supplications du tiers-état. Beaulieu, Essais historiques 1, 93. Doch gibt es eine Variante; nach Montgaillard 2, 190 heißt es: Sire, recevez les hommages du clergé, les respects de la noblesse etc.

6) Montgaillard 2, 165.

7) Toulongeon 1, 39. Bertrand de Moleville 1, 166.

heit der Presse, Reform der Criminalgesetzgebung, des Civilprozesses, öffentliche Erziehung z. zu fördern, und schloß ebenfalls mit der Ermahnung zur Eintracht. Nach ihm gab Necker in einem langgedehnten Vortrage Bericht über den Zustand der Finanzen, woraus sich ein Deficit von 56,150,000 2. ergab; die Länge der Mittheilung brachte eine unbehagliche Stimmung über die Zuhörer; die Deputirten des dritten Standes sahen schon nicht mehr in der Finanzfrage das Wesentliche ihrer Aufgabe; was aber Necker über die Art der Abstimmung vorbrachte, womit jene sich bei weitem mehr beschäftigten, ermangelte, wie die gesammte Rede, der bewegenden und gez winnenden Kraft 3).

Das erste Geschäft der Deputirten war die Verification der Vollmachten; das Verfahren bei dieser konnte als Prårogative für die Entscheidung der Frage, ob nach Stånden oder nach Köpfen gestimmt werden, und ob den eins zelnen Stånden ein Veto gegen die Beschlüsse der übrigen bleiben sollte, angesehen werden. Der dritte Stand war auf Stimmung nach Köpfen schon durch die vorhergegangene Anwendung derselben in den Provinzialversammlungen) und das Vorurtheil, daß er das Ministerium und selbst den König für fich habe - denn wozu sonst doppelte Repräsentation des dritten Standes? - vorbereitet. Dazu kam, daß man ihm zur Versammlung den großen Saal, wo Tags zuvor alle Stånde zusammen gewesen waren, angewiesen hatte; endlich hatte er für sich das Beispiel früherer Reichsversammlungen 1o).

8) Moniteur No. 1. hiezu mag bemerkt werden, daß der Moniteur als Journal erst am 24. Nov. 1789 erschien und daß die Mittheilung der Debatten der N.-V. bis zum 3. Febr. 1790 kurz und unvollståndig war und erst seit dieser Zeit, wo das bulletin de l'assemblée nationale und der Moniteur mit einander vereint wurden, auf Vollständigkeit und zugleich Vergegenwärtigung des Dramatischen hingearbeitet wurde. In der zweiten Ausgabe (an IV) ist die Introduction nebst ciner Relation von den Verhandlungen der N.V. bis zum 24. Nov. und einer Gesch. der Begebenheiten nachgeliefert worden.

9) Moniteur, introd. 75.

10) Stimmung nach Köpfen (?) 1484, gemeinsame Verhandlung 1355 bis 1560,

Er erkannte, daß Vereinigung der drei Stände bei diesem Ges schäfte der erste Schritt zur Erreichung jenes Ziels sei, und zögerte, mit der Verification für sich allein zu beginnen, bevor die andern beiden Stände im gemeinsamen Saale fich eingez funden haben würden. Ob der dritte Stand diese Concession erwartete, ist schwerlich zu bejahen; als nun aber die beiden andern Stånde nicht erschienen, erklärte er auf den Vorschlag Mirabeau's, der hiermit seine parlementarische Wirksamkeit ankündigte, zunächst unthätig bleiben zu müssen. Der Adel begann dagegen am 11. Mai für sich die Verification der Volle machten seiner Standesgenossen, der Kastengeist ward durch die Parteinehmung des Grafen Artois ") und durch die Werbungen und Aufmunterungen des Polignac'schen Kreises, dessen Seele er war 12), genährt. Die Zahl der für Concessionen an den dritten Stand gestimmten Deputirten des Adels 13), 47 zusammen, machte nicht ein Fünftel der Gesammtheit aus und diese vermochten nicht, das Verfahren einseitiger Verification des Adels aufzuhalten "). Auch im Klerus hatte der Standesgeist die Majorität für sich; doch war diese gering, 133 gegen 114, und während der Adel sich spröde abschloß,

11) Erschrieb am 18. Mai mit dem Bedauern, wegen k. Verbots nicht Mitglied der Adelskammer sein zu können: Je donne à la chambre la ferme et certaine assurance que le sang de mon ayeul (Henri IV) a été transmis à mon coeur dans toute sa pureté, et que tant qu'il m'en restera une goutte dans les veines, je saurai prouver à l'univers entier que je suis digne d'être né gentilhomme français. Moniteur No. 3. G. 18.

12) Ferrières 1, 85. Montgaillard 2, 184.

18) Die bemerkenswerthesten: Die Herz. v. Orleans, Larochefou cauld, Luynes und Aiguillon, die Marq. v. Lafayette, Aguesseau, Blas cons, Latour-Maubourg, Sillery, Langon, Montesquiou und Biancourt, die Vicomtes Beauharnais, Noailles, Toulongeon, die Grafen ClermontTonnerre, Crillon, Castellane, Agoult, Lally-Tolendal, Matthieu v. Montmorency, Karl und Ulexander Lameth, Rochechouart, Virieu, die Barone Harambure und Menou, der Genieofficier Bureau de Puzy, die Parl.-Råthe Freteau, Udr. Duport und D'André. Daß eine ansehnliche Zahl von Damen hohen Standes sich für die Sache der Nation erflårte, kann nicht auffallen.

14) Moniteur No. 2, S. 15.

wurden bei dem Klerus Stimmen für Vermittelung überwies gend und auf den Wunsch mehrer Mitglieder des dritten Standes, der Klerus möge Commissare zu einer Verständigung bestellen, ohne Anstand eingegangen. Noch mehr, Klerus und Adel erklärten am 23. Mai, daß fie auf ihre Privilegien bei der Besteuerung verzichteten "); aber das war bei dem dritten Stande zur Nebenfrage geworden und die Stimmung gegen den Adel wurde bitter, als dieser am 26. Mai seinen Beschluß, nur als Stand verificiren zu wollen, wiederholte. Wie bei dem Udel Bouthillier, D'Entraigues, den die Polignac'sche Genossenschaft gewonnen hatte, D'Epremenil, Cazalès 2c. gegen Anmaßung des dritten Standes redeten und zur Behauptung angeerbten Rechtes ermunterten 16), so reizten Mirabeau, Le Chapelier 2c. den dritten Stand auf zu kühnem Eroge gegen den Stand, der sich stråube, das Recht der Nation anzuers kennen. Durch Mirabeau wurde am 27. Mai eine Deputation an den Klerus beschlossen und dieser im Namen des Gottes des Friedens, dessen Diener die Geistlichen seien, aufgefordert, mit dem dritten Stande einträchtig zusammenzutreten 17). Jeht nahmen auf Befehl des Königs der Großsiegelbewahrer und einige königl. Staatsråthe Theil an den Verhandlungen der Commissare 18); auch dieses förderte nicht; Adel und Klerus

15) Moniteur. No. 3, G. 20.

16) Ferrières 1, 41. 43. 45. Lameth 1, 406 ff. Vom Parles mentsrathe Lecarpentier de Chalouet f. Lameth 410: Il soutint avec chaleur, que c'était méconnaître entièrement les droits de la noblesse que d'obtempérer à de pareilles innovations, qu'il n'existerait plus de noblesse, si elle était condamnée à payer comme le tiersétat, qu'il ne concevait pas de noblesse sans priviléges, que c'étaient les priviléges, qui constituaient essentiellement son existence etc. Sehr richtig bemerkt Necker, De la révolut. fr. 1, 231: Ce dernier ordre (der Adel) fut malheureusement guidé dans les commencemens par des légistes parlant beaucoup des premiers usages et des vieilles traditions, par des légistes ou des issus de légistes, qui, pour faire oublier leur moderne noblesse et se montrer à l'égal des anciens preux, exagéraient tous les droits et soutenaient en fanfarons.

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17) Moniteur No. 4, S. 22.
18) Daf. S. 24.

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