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gereihten Briefe: „Die Gedichte auf Hans Sachs und auf Miedings Tod schließen den achten Band und so meine Schriften für diesmal. Wenn sie mich indessen bei der Pyramide [des Cestius, vgl. die Anm. S. 352 zu Röm. El. VII, 26] zur Ruhe bringen, so können diese beiden Gedichte statt Personalien und Parentation [Leichenrede] gelten." Es war also kein Zufall, daß Goethe sie auch in den späteren Ausgaben stets nebeneinander stehen ließ.

Auf Miedings Tod (S. 269). Als Goethe im November 1775 nach Weimar kam, besaß die kleine Residenz keine Schauspieltruppe, ja seit dem Schloßbrand im Jahre zuvor (V. 137) nicht einmal einen zu Theatervorstellungen geeigneten Raum. Der Dichter des „Götz“ aber belebte bald wieder die Theaterlust und rief an Stelle der abgezogenen Berufsschauspieler die ganze Hofgesellschaft auf die Bretter, die der Hof-Ebenist (d. h. Drechsler und Kunstschreiner) Mieding bald in dem soeben neuerbauten Redoutensaale, bald im Freien, bald in einem der benachbarten Schlösser (V. 141 f.) nach Bedürfnis aufschlug und abbrach. Diese höfische Dilettantenbühne, deren Vorstellungen mannigfachster Art (V. 153 f.) bis zur Wiederberufung einer ständigen Truppe im Jahre 1783 fortdauerten, wurde für unsere Literatur von größter Bedeutung: sie hielt das dramatische Interesse Goethes wach, und Schöpfungen wie „Iphigenie" (V. 166) sind ihr zu danken.

Der Tod Miedings drei Tage vor einer auf Mittwoch (V. 14 und 32) den 30. Jan. 1782 zum Geburtsfest der Herzogin Luise angesetzten Aufführung - bedeutete einen unersetzlichen Verlust. Denn kein roher Zimmermann" (V. 6) war er gewesen, sondern sein erfinderischer Kopf und seine geschickte Hand hatten sich überall in dem kleinen Theaterwesen geltend gemacht, das mit den bescheidensten Mitteln rechnen mußte (V. 65—98). So verlor Goethe in ihm einen sehr werten Gehilfen, und wie er solche sowohl in privaten als in amtlichen Verhältnissen zu schätzen, zu lieben und zu ehren wußte, davon zeugen gleich diesem Gedicht zahlreiche Briefe, in denen er tüchtigen, schlichten

Männern dieser Art, zugleich aber seinem eigenen Charakter unvergängliche Denkmale schuf. Nicht minder ehrt es auch die weimarische Gesellschaft jener Zeit, daß Goethe dem abwesenden Freunde Knebel am 17. April 1782 schreiben konnte: „Ich bin mir noch keiner so schönen Sensation bewußt, als dieses Gedicht in unserem Kreise gemacht hat."

Während der Eingang unmittelbar den Moment darstellt, in dem die Nachricht von Miedings Tod festliche Vorbereitungen störte, läuft das Gedicht in eine fingierte, nicht zu wirklicher Aufführung bestimmte Trauerfeier aus. Goethe war sich der unvollkommenen Einheit dieser im Abstand mehr als eines Monats gedichteten Teile wohl bewußt, doch deuchte ihm, wie er am 16. März 1782 an Charlotte v. Stein schrieb, „das Ende des Anfangs nicht unwert, und das Ganze zusammenpassend.“ Ein besonderer Umstand persönlichster Art scheint entscheidend dafür gewesen zu sein, daß das Gedicht überhaupt und eben in dieser Art beendigt wurde. Ein enges Freundschaftsverhältnis, das den Dichter mit der schönen, seit 1776 in Weimar wirkenden Sängerin Corona Schröter (1751-1802) verband, hatte unlängst eine Störung erlitten (vgl. Goethes Briefe, Cotta'sche Auswahl Bd. 2 S. 76 f.). Nun fand sich die Gelegenheit, den im Anfang des Gedichtes (V. 7-13) genannten Theatergehilfen diese Hauptstütze der dramatischen Unternehmungen in besonders ehrender Weise anzureihen und sie sich dadurch zu versöhnen. So versteht sich auch, Wort für Wort, was Goethe am 17. März 1782 der eifersüchtigen Freundin Charlotte v. Stein schrieb: „Mein Gedicht hat der Herzog sehr gut aufgenommen, ich bin auf fein weiteres Schicksal verlangend. Ich habe der Schrötern zu Ehren zwölf Verse drinne [V. 169–180], die du, hoff' ich, schön finden und in allem Sinne damit zufrieden sein sollst."

Ilmenau (S. 276). Goethe war noch kein halbes Jahr in Weimar, als er erkannte, daß die genialische Wirtschaft der ersten Monate ein Ende haben müsse und daß er berufen sei, dem achtzehnjährigen Herzog nicht sowohl ein lustiger Gesell als ein ernster Freund und guter Geist zu sein. Brieflich und gewiß auch mündlich erteilte er ihm offenherzig

„Lektionen“ (vgl. Brief-Auswahl Bd. 1 S. 240, 248, 292 u. ö.), suchte ihm seine jugendlichen Unarten abzugewöhnen und ihn mit dem Bewußtsein zu erfüllen, daß auch ein kleiner Fürst große Aufgaben habe. Insbesondere lenkte er des Herzogs landesväterliches Interesse auf einen unter dessen Vorgängern arg vernachlässigten und durch untreue Beamte schwer geschädigten Teil seines Ländchens, auf Ilmenau, dessen Forsten, Ücker, Bergwerke und Industrien ebenso wie die Verwaltung, das Gerichts- und Steuerwesen völlig heruntergekommen waren. Durch eigene rastlose Tätigkeit ein Beispiel gebend, machte Goethe diesen Winkel des Landes zu einer Regicrungsschule für den Fürsten. Der Erfolg lohnte die Bemühung: nach sieben Jahren sah er die wirtschaftliche Lage Ilmenaus bedeutend gehoben und zugleich, daß sich der Herzog aus seiner Sturm- und Drangperiode „zu wohltätiger Klarheit durchgearbeitet" habe. So mochte er ihn „zu seinem Geburtstage im Jahre 1783 an die Gestalt seiner früheren Jahre sehr wohl erinnern“. Die Szene, durch deren poetische Darstellung er diese Absicht ausführte, lag damals schon mehrere Jahre zurück. „Wir hatten uns", schilderte Goethe sie am 23. Oktober 1828 gegen Eckermann, „am Fuß eines Felsens kleine Hütten gebaut und mit Tannenreisern gedeckt, um darin auf trockenem Boden zu übernachten. Vor den Hütten brannten mehrere Feuer, und wir kochten und brieten, was die Jagd gegeben hatte. Knebel, dem schon damals die Tabakspfeife nicht kalt wurde, saß dem Feuer zunächst und ergötzte die Gesellschaft mit allerlei trocknen Späßen, während die Weinflasche von Hand zu Hand ging [V. 59 f.]. Seckendorf, der schlanke mit den langen feinen Gliedern, hatte sich behaglich am Stamm eines Baumes hingestreckt und summte allerlei Poetisches [V. 69 f.]." An dieser Stelle des Gedichtes hatten ursprünglich auch noch andere Mitglieder der Gesellschaft geschildert werden sollen, denn die Handschrift hat hier nach einem „pppp" in einer Lücke die Verse

"Indes ein Alter äußre Weisheit zeigt,
Bedächtig lächelt und bescheiden schweigt.“

In seiner Mitteilung an Eckermann fuhr Goethe im Anschluß an die obigen Säße fort: „Abseits in einer ähnlichen kleinen Hütte lag der Herzog in tiefem Schlaf [V. 77 f.]. Ich selber faß davor, bei glimmenden Kohlen, in allerlei schweren Gedanken, auch in Anwandlungen von Bedauern über mancherlei Unheil, das meine Schriften angerichtet [V. 86 f.]."

Goethe selbst scheidet sich im Gedicht in zwei Personen: diejenige der Verse 1-85 tritt V. 86–91 an die andere, an seine eigene frühere Gestalt heran, und diese spricht V. 92 bis 155, worauf die erste wieder beginnt, indem sie die Vision verscheucht und zur Beglückwünschung des Herzogs übergeht. V. 22 haben verschiedene Erklärer dahin gedeutet, daß Goethe in diesem Gedicht entweder die in der Anm. S. 324 f. mitgeteilten Verse („Dem Schicksal“) oder ein uns unbekanntes Fragment wieder aufgenommen habe; die Worte verstehen sich jedoch ohne solche Hypothesen: die Träume, die den Wiederkehrenden an der Stätte jener Szene umschmeicheln, locken ihn, die damalige romantische Situation, die ihm als ein poetisches Bild vor der Seele steht, nun in wirklichen Reimen zu schildern. V. 52 spielt auf Shakespeares „Wie es Euch gefällt“ II, 1 an. In V. 119 folgt vorliegende Ausgabe mit der Weimarischen der Handschrift: in die früheren Drucke, vom ersten (1815) ab, hatte sich statt und schuldig“ ein wiederholtes „unschuldig“ eingeschlichen, das den Sinn verdarb. V. 156. Zu „Und o wie dank' ich euch" setzte Herder in der Handschrift die Frage „wem?“ Hierdurch ließ sich Goethe zu der Änderung „Wie dank' ich, Musen, euch" verleiten, indem er verkannte, daß die Anrufung den erst V. 161 genannten Göttern gilt. Schon Dünger forderte mit Recht die Wiederherstellung der ursprünglichen Lesart. — Eine geistvolle Analyse des Gedichtes hat Bernhard Suphan in der „Festschrift zum 8. Okt. 1892′′ und in der Deutschen Rundschau“ Nov. 1893 gegeben.

Epilog zu Schillers Glocke (S. 282). Drei Wochen nach Schillers Tode, am 1. Juni 1805, schrieb Goethe, selbst von ernstlicher Krankheit kaum genesen, an Zelter: „Ich dachte, mich selbst zu verlieren, und verliere nun einen Freund und

in demselben die Hälfte meines Daseins." An dem gleichen Tage beantwortete er eine Anfrage Cottas, „ob man nicht unserem Schiller ein Trauerdenkmal auf dem deutschen Theater sehen solle,“ mit den Worten: „Nach meiner Überzeugung soll die Kunst, wenn sie sich mit dem Schmerz verbindet, denselben nur aufregen, um ihn zu mildern und in höhere, tröstliche Gefühle aufzulösen; und ich werde in diesem Sinne weniger das, was wir verloren haben, als das, was uns übrig bleibt, darzustellen suchen. Mein Plan ist ge= macht, und ich hoffe ihn nächstens auszuführen.“

Zunächst hatte Goethe daran gedacht, seinen Schmerz durch die Vollendung von Schillers Demetrius"-Fragment zu überwinden und durch gleichzeitige Aufführung einer solchen gemeinsamen Arbeit auf allen deutschen Theatern dem hingeschiedenen Genossen selbst, sich und den Freunden, die herrlichste Feier bereiten zu lassen (vgl. Bd. 30 S. 147 f.). Von diesem Vorsatz bald zurücktretend, plante er dann eine umfangreiche, aus Chören und Soli gemischte Dichtung, deren musikalischen Teil Zelter übernehmen sollte. Aber noch ehe diese Idee über andeutende Schemata und Entwürfe hinausgediehen war (— sie sind in der Weim. Ausg. Bd. 16 S. 561 f. abgedruckt —), ergab sich die Gelegenheit, Schillers Andenken durch eine dramatische Vorstellung des „Liedes von der Glocke“ auf dem Theater zu Lauchstädt, der Sommerbühne des weimarischen Hoftheaters, zu feiern. Am 4. August 1805 erbat sich Goethe hierzu Zelters musikalischen Beistand, ohne noch einer eigenen dichterischen Mitwirkung für diesen Zweck zu erwähnen; bei der Aufführung der „Glocke“ aber, am 10. (oder 11.) d. M., wurde bereits, im Anschluß an die leßten Verse derselben, Goethes Epilog" vorgetragen. Nach dem schönen Erfolg dieser Vorstellung verzichtete Goethe darauf, die Totenfeier" auszuführen, die bei der ersten Wiederkehr von Schillers Geburtstag, am 10. Nov. 1805, hatte dargestellt werden sollen.

Bei der Lauchstädter Feier hatte der „Epilog“ nur aus 10 Stanzen bestanden: die zwölfte (V. 89-96) fügte Goethe erst für eine Wiederholung am 9. Mai 1810 hinzu, die Verse 39–46 und die leßte Stanze für eine weitere am 10. Mai 1815.

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