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Amyntas.

Nikias, trefflicher Mann, du Arzt des Leibs und der Seele! Krank, ich bin es fürwahr; aber dein Mittel ist hart. Ach! mir schwanden die Kräfte dahin, dem Rate zu folgen; Ja, und es scheinet der Freund schon mir ein Gegner zu sein.

5 Widerlegen kann ich dich nicht: ich sage mir alles,

Sage das härtere Wort, das du verschweigest, mir auch. Aber, ach! das Wasser entstürzt der Steile des Felsens Rasch, und die Welle des Bachs halten Gesänge nicht

auf.

Rast nicht unaufhaltsam der Sturm? und wälzet die Sonne Sich, von dem Gipfel des Tags, nicht in die Wellen

hinab?

Und so spricht mir rings die Natur: Auch du bist, Amyntas, Unter das strenge Gesetz ehrner Gewalten gebeugt. Runzle die Stirne nicht tiefer, mein Freund, und höre gefällig,

Was mich gestern ein Baum, dort an dem Bache, gelehrt. 15 Wenig Äpfel trägt er mir nun, der sonst so beladne:

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Sieh, der Efeu ist schuld, der ihn gewaltig umgibt. Und ich faßte das Messer, das krummgebogene, scharfe, Trennte schneidend, und rißz Ranke nach Ranken herab; Aber ich schauderte gleich, als tief erseufzend und kläglich Aus den Wipfeln zu mir lispelnde Klage sich goß: Overlege mich nicht! den treuen Gartengenossen,

Dem du als Knabe, so früh, manche Genüsse verdankt. Overlege mich nicht! du reißest mit diesem Geflechte, Das du gewaltig zerstörst, grausam das Leben mir aus. 25 Hab' ich nicht selbst sie genährt, und sanft sie herauf mir erzogen?

Jst wie mein eigenes Laub nicht mir das ihre verwandt?

Goethes Werke. I.

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Soll ich nicht lieben die Pflanze, die, meiner einzig be

dürftig,

Still, mit begieriger Kraft, mir um die Seite sich schlingt? Tausend Ranken wurzelten an, mit tausend und tausend Fasern senket sie fest mir in das Leben sich ein. Nahrung nimmt sie von mir; was ich bedürfte, genießt sie, Und so saugt sie das Mark, sauget die Seele mir aus. Nur vergebens nähr' ich mich noch: die gewaltige Wurzel Sendet lebendigen Safts, ach! nur die Hälfte hinauf. 35 Denn der gefährliche Gast, der geliebteste, maßzet behende Unterweges die Kraft herbstlicher Früchte sich an. Nichts gelangt zur Krone hinauf, die äußersten Wipfel Dorren, es dorret der Ast über dem Bache schon hin. Ja, die Verräterin ist's! sie schmeichelt mir Leben und Güter, Schmeichelt die strebende Kraft, schmeichelt die Hoffnung

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mir ab.

Sie nur fühl' ich, nur sie, die umschlingende, freue der Fesseln, Freue des tötenden Schmucks fremder Umlaubung mich

nur.

Halte das Messer zurück, o Nikias! schone den Armen, Der sich in liebender Lust, willig gezwungen, verzehrt! 45 Süß ist jede Verschwendung: o laß mich der schönsten genießzen!

Wer sich der Liebe vertraut, hält er sein Leben zu Rat?

Hermann und Dorothea.

Also das wäre Verbrechen, daß einst Properz mich begeistert, Daß Martial sich zu mir auch, der Verwegne, gesellt? Daß ich die Alten nicht hinter mir ließ, die Schule zu hüten,

Daß sie nach Latium gern mir in das Leben gefolgt? Daß ich Natur und Kunst zu schaun mich treulich bestrebe,

Daß kein Name mich täuscht, daß mich kein Dogma

beschränkt?

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Daß nicht des Lebens bedingender Drang mich, den Menschen, verändert,

Daß ich der Heuchelei dürftige Maske verschmäht? Solcher Fehler, die du, o Muse, so emsig gepfleget, Zeihet der Pöbel mich: Pöbel nur sieht er in mir. Ja, sogar der bessere selbst, gutmütig und bieder,

Will mich anders; doch du, Muse, befiehlst mir allein. Denn du bist es allein, die noch mir die innere Jugend Frisch erneuest, und sie mir bis zu Ende versprichst. 15 Aber verdopple nunmehr, o Göttin, die heilige Sorgfalt!

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Ach! die Scheitel umwallt reichlich die Locke nicht mehr: Da bedarf man der Kränze, sich selbst und andre zu täuschen; Kränzte doch Cäsar selbst nur aus Bedürfnis das Haupt. Hast du ein Lorbeerreis mir bestimmt, so laßz es am Zweige Weiter grünen, und gib einst es dem Würdigern hin! Aber Rosen winde genug zum häuslichen Kranze: Bald als Lilie schlingt silberne Locke sich durch. Schüre die Gattin das Feuer, auf reinlichem Herde zu kochen!

Werfe der Knabe das Reis, spielend, geschäftig dazu! 25 Laß im Becher nicht fehlen den Wein! Gesprächige Freunde, Gleichgesinnte, herein! Kränze, sie warten auf euch. Erst die Gesundheit des Mannes, der, endlich vom Namen Homeros

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Kühn uns befreiend, uns auch ruft in die vollere Bahn. Denn wer wagte mit Göttern den Kampf? und wer mit dem Einen?

Doch Homeride zu sein, auch nur als letter, ist schön. Darum höret das neuste Gedicht! Noch einmal getrunken! Euch besteche der Wein, Freundschaft und Liebe das Ohr. Deutschen selber führ' ich euch zu, in die stillere Wohnung, Wo sich, nah der Natur, menschlich der Mensch noch erzieht. 35 Uns begleite des Dichters Geist, der seine Luise

.

Rasch dem würdigen Freund, uns zu entzücken, verband.

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Auch die traurigen Bilder der Zeit, sie führ' ich vorüber, Aber es siege der Mut in dem gesunden Geschlecht. Hab' ich euch Tränen ins Auge gelockt, und Lust in die Seele Singend geflößt, so kommt, drücket mich herzlich ans Herz! Weise denn sei das Gespräch! Uns lehret Weisheit am Ende Das Jahrhundert: wen hat das Geschick nicht geprüft? Blicket heiterer nun auf jene Schmerzen zurücke,

Wenn euch ein fröhlicher Sinn manches entbehrlich erklärt. 45 Menschen lernten wir kennen und Nationen; so laßt uns, Unser eigenes Herz kennend, uns dessen erfreun.

Episteln

Gerne hätt' ich fortgeschrieben,
Aber es ist liegen blieben.

Erste Epistel.

Jezt, da jeglicher liest, und viele Leser das Buch nur Ungeduldig durchblättern und, selbst die Feder ergreifend, Auf das Büchlein ein Buch mit seltner Fertigkeit pfropfen, Soll auch ich, du willst es, mein Freund, dir über das Schreiben

5 Schreibend, die Menge vermehren und meine Meinung verkünden,

Daß auch andere wieder darüber meinen, und immer So ins Unendliche fort die schwankende Woge sich wälze. Doch so fähret der Fischer dem hohen Meer zu, sobald ihm Günstig der Wind und der Morgen erscheint; er treibt sein Gewerbe,

10 Wenn auch hundert Gesellen die blinkende Fläche durchkreuzen.

Edler Freund, du wünschest das Wohl des Menschen

geschlechtes,

Unserer Deutschen besonders und ganz vorzüglich des

nächsten

Bürgers, und fürchtest die Folgen gefährlicher Bücher: wir haben

Leider oft sie gesehn. Was sollte man, oder was könnten 15 Biedere Männer vereint, was könnten die Herrscher be

wirken?

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