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stände, welche entweder ursprünglich nicht beachtet wurden, oder welche vielleicht überhaupt gar nicht zu beseitigen sind. Bedenkt man, dass der geordnete gesetzmässige Zustand zwar nur durch. das Erwachen des sympathischen Gemeinsinns und durch Abnahme der roheren egoistischen Triebe entstehen kann, dass aber der Egoismus in einem solchen Gemeinwesen, wie z. B. das der alten Römer, immer noch eine sehr bedeutende Rolle spielt und nur gleichsam in Schranken gebracht ist, innerhalb deren er als berechtigt anerkannt wird: dann wird man auf die Frage geführt, warum nicht in ähnlicher Weise Schranken gegen die überwuchernde Besitz-Ungleichheit aufgestellt wurden, um das heilsame Gleichgewicht zwischen Egoismus und Gemeinsinn aufrecht zu erhalten. Wir finden dann, dass grade im alten Rom die edelsten und besten Männer sich an der Lösung dieses Problems vergeblich versucht haben. Es ist auch ganz natürlich, dass diejenigen Besitzenden, welche sich nicht grade durch Gedankenschärfe und Opferfreudigkeit auszeichnen - ohne übrigens schon Dogmatiker des Egoismus zu sein zunächst in allen Versuchen einer solchen Erwerbs-Beschränkung nur den Angriff auf das Eigenthum sehen, und dass ihnen die Erschütterung der Grundlagen der Gesellschaft in einem übertriebenen Lichte erscheint, weil ihr Interesse mit dem Bestehenden gar zu eng verknüpft ist. Hätte man den römischen Optimaten zur Zeit der agrarischen Kämpfe die Geschichte der folgenden Jahrhunderte im Spiegel zeigen und den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Verfall und der Accumulation der Reichthümer nachweisen können; vielleicht würden nicht Tiberius und Cajus Gracchus ihre höhere Einsicht mit ihrem Blut und ihrem guten Ruf bezahlt haben.

Es ist nicht ganz überflüssig darauf hinzuweisen, dass es nur eine petitio principii sein würde, wenn man auf das Unrechtmässige einer Erwerbsbeschränkung hinweisen wollte. Es handelt sich eben darum, was Recht sein soll. Das erste Recht — ein Recht, welches die ganze Natur anerkennt ist das Recht des Stärkeren, das Faustrecht. Erst nachdem ein höheres Recht anerkannt ist, wird jenes zum Unrecht; allein nur so lange das höhere Recht auch wirklich der Gesellschaft höhere Dienste leistet. Ist das rechtsbildende Princip verloren, so tritt doch stets das Recht des Stärkeren wieder ein, und in rein sittlicher Beziehung ist die eine Form desselben nicht besser als die andre. Ob ich meinem

Betrugsfälle rühren bei Lichte besehen von den zahlreicheren Geschäften her und die Gewaltthaten stammen auch nicht aus dem Glauben an die unbefleckte Empfängniss, sondern aus einem Mangel an Erziehung, der zunächst nur mit dem äusseren Druck des Kirchenregimentes und der daraus stammenden Armuth zusammenhängt. Wie schwierig es überhaupt ist, aus moralstatistischen Zahlen Schlüsse zu ziehen, haben wir schon oben gesehen, und wir enthalten uns deshalb hier der speciellen Kritik einiger interessanten Punkte, da das Endergebniss in Bezug auf die zunächst vorliegende Frage doch jedenfalls ein negatives ist. So viel ist sicher, dass die Pfaffenlehre von der moralischen Verruchtheit aller Ungläubigen sich in der Erfahrung nicht bestätigt, und dass eben so wenig ein sittlicher Nachtheil des Glaubens bewiesen werden kann. Ueberblickt man aber die Geschichte im grossen Ganzen, so scheint es mir kaum zweifelhaft, dass wir der stillen aber beständigen Wirkung der christlichen Ideen nicht nur unsern moralischen, sondern selbst den intellectuellen Fortschritt grossentheils zuschreiben dürfen, dass jedoch diese Ideen ihre volle Wirksamkeit erst entfalten können, indem sie die kirchliche und dogmatische Form zerbrechen, in die sie eingehüllt waren, wie der Saame eines Baums in seine harte Schale.

Die Kehrseite dieser vortheilhaften Einwirkung des Christenthums ist grade in denjenigen Lehren und Einrichtungen zu suchen, durch welche eine dauernde und unbedingte Herrschaft der Dogmen und der Kirche in den Gemüthern begründet werden sollte. Vor allen Dingen ist es die schon früh in den Kreis der christlichen Dogmen eingedrungene Lehre von der allgemeinen Verdammniss der gesammten Menschheit und den ewigen Höllenstrafen, welche durch Niederdrückung der Gemüther und Erhebung des Priesterhochmuths namenloses Unheil über die neueren Nationen gebracht hat. Das Recht der Kirche zu binden und zu lösen wurde der Eckstein der Hierarchie und die Hierarchie in allen ihren Formen und Abstufungen wurde der Fluch der modernen Nationen. Aber auch wo sie scheinbar gebrochen war, blieb die Herrschsucht die hervorstechendste Eigenschaft der Geistlichkeit als eines besonderen Standes, und mit nur allzu grossem Erfolge wurden die reichen Mittel der religiösen Ideen und der kirchlichen Ueberlieferungen benutzt, um eine Befangenheit des Geistes zu erzeugen, die mit Abstumpfung gegen jede unmittelbare Wirkung

Form freilich irrthümliche Lehre auf, die Lehre von der Bodenrente. Man nahm an, dass die Grundbesitzer aus den unerschöpflichen Kräften des Bodens ausser der Verzinsung ihres Capitals und der Verwerthung ihrer Arbeit noch einen besondern Gewinn. ziehen, welcher durch das Monopol der Benutzung jener Naturkräfte hervorgebracht wird. Später wurde gezeigt, dass dies nur insofern richtig ist, als die Menge des Bodens begrenzt ist, oder in Folge gewisser Umstände (Auswanderungsscheu, Mangel an Capital zur Rodung fruchtbarer Niederungen, Mangel an Freiheit u. s. w.) als begrenzt betrachtet werden muss. Es tritt dann in relativer Geltung dasselbe Verhältniss auf, welches absolut gelten müsste, wenn einmal der ganze anbaufähige Boden der Erde in Privatbesitz gelangt wäre. Obwohl sonach die Lehre von der Bodenrente nur eine relative Gültigkeit hat, so tritt doch für jedes Land ein Zustand ein, in welchem sie bis zu einem gewissen Grade anwendbar ist.

Endlich hat man gefunden, dass die Höhe des Arbeitslohns, der von einem mit Capital versehenen Unternehmer denen bezahlt wird, die ohne Grundbesitz oder andre Mittel sich nur aus ihrer Arbeit erhalten müssen, gleich jedem andern Waarenpreise durch Angebot und Nachfrage bestimmt wird. Sofern also das Angebot die Nachfrage überwiegt, muss der Arbeitslohn auf ein Minimum. sinken. Es ist ganz natürlich, dass grade hier die Theorie des Egoismus sich der Wirklichkeit in sehr hohem Grade annähert, da es sich successiv nur um kleine Beträge handelt, und der Arbeit geber, der auf dem bestehenden Rechtsboden seine Interessen wahrnimmt, anfangs selbst von den Folgen dieses Verhältnisses nur einen unklaren Begriff hat.

In Zeiten grösserer Rohheit wird die Bevölkerung theils durch die Ungunst des Klimas, bei Mangel an Vorräthen, theils durch Fehden und Kriege mit barbarischer Behandlung der Ueberwundenen beständig decimirt, die Capitalsammlung kann nicht ungestört vor sich gehen, und auf Ueberfluss von Arbeitskräften folgt wieder Mangel, auf Mangel an Boden wieder die Möglichkeit, durch geringe Anstrengung ausgedehnte Territorien zu erwerben. Sobald aber die schlimmsten Leidenschaften beruhigt sind, Gemeinsinn und Rechtsordnung ihr Werk begonnen haben, beginnt auch, wie das Unkraut, das unter dem Weizen aufwächst, die Wirkung jener eben bezeichneten Verhältnisse.

Die Bevölkerung mehrt sich, der Boden zur Bearbeitung beginnt zu fehlen; die Bodenrente steigt, der Arbeitslohn sinkt: der Unterschied zwischen der Lage der Besitzer und der Pächter, der Pächter und der gemietheten Arbeiter wird immer grösser. Nun bietet die aufblühende Industrie dem Arbeiter höheren Lohn; aber bald strömen ihr so viele Arme zu, dass sich hier dasselbe Spiel wiederholt. Der einzige Factor, welcher jetzt den Zuwachs der Bevölkerung hemmt, ist das Elend, und die einzige Rettung vor dem äussersten Elend ist die Annahme von Arbeit um jeden Preis. Dem glücklichen Unternehmer strömen unermessliche Reichthümer zu; der Arbeiter erhält nichts als sein kümmerliches Dasein. So weit macht sich die Sache ganz ohne die Dogmatik des Egoismus.

Jetzt erschreckt das Elend des Proletariats theilnehmende Herzen; allein der Weg aus diesen Zuständen zurück zu der alten Einfachheit der Sitten ist unmöglich. Ganz allmählig haben sich die Besitzenden an einen reichen und mannigfachen Genuss verfeinerter Lebensfreuden gewöhnt. Kunst und Wissenschaft haben sich entfaltet. Die Sklavenarbeit der Proletarier schafft vielen fähigen Köpfen Musse und Mittel zu Forschungen, Erfindungen und Schöpfungen. Es scheint Pflicht, diese höheren Güter der Menschheit zu wahren, und gern tröstet man sich mit dem Gedanken, dass sie einst ein Gemeingut Aller sein werden. Inzwischen macht das schnelle Wachsen der Reichthümer Viele dieser Genüsse theilhaftig, deren Gemüth innerlich roh ist. Andre verwildern in sittlicher Beziehung, indem sie keine Aufmerksamkeit, keine Theilnahme mehr übrig behalten, für etwas, das ausserhalb des Kreises ihrer Vergnügungen liegt. Die lebhafteren Formen der Sympathie mit dem Leiden schwinden schon durch das gleichförmige Wohlleben der Bevorzugten. Diese fangen an, sich als besondre Wesen zu fassen. Ihre Diener sind ihnen wie Maschinen; die Unglücklichen sind ihnen eine unvermeidliche Staffage; sie haben für das Schicksal derselben kein Verständniss mehr. Mit dem Abreissen der sittlichen Bande erlischt die Scham, welche früher von allzuüppigen Genüssen zurückhielt. Die geistige Kraft erstickt im Wohlleben; das Proletariat allein bleibt roh, gedrückt, aber geistesfrisch.

In einem solchen Zustande war die alte Welt, als das Christenthum und die Völkerwanderung ihrer Herrlichkeit ein Ende machten. Sie war zum Untergang reif geworden.

liche, mächtig waltende Wesen der natürlichen Entwicklung ethischer Ideen einen bedeutungsvollen Anknüpfungspunkt bieten. Der Gegensatz des Ganzen, der menschlichen Genossenschaft gegenüber dem Einzelnen ist für den Naturmenschen nicht leicht zu fassen; wohl aber konnte der Gedanke an ein rächendes Wesen ausserhalb der Menschheit hier eine frühe Stellvertretung üben, und in der That findet sich die Gottheit als Rächerin menschlicher Frevel schon bei Völkern, deren Vorstellungen noch sehr rohe, deren Religionsgebräuche zum Theil schauderhafte sind. Mit der fortschreitenden Cultur schreiten auch die Vorstellungen von den Göttern fort, und wir sehen, wie Gottheiten, in denen ursprünglich bloss eine schreckhafte oder wohlthätige Naturkraft personificirt ist, allmählig immer bestimmtere ethische Bedeutung erhalten. So können wir in der classischen Periode des alten Hellas gleichzeitig die Spuren der alten Naturbedeutung der Götter neben der ethischen Bedeutung entdecken, und neben beiden stand die Ausartung des rohen Volksaberglaubens, die in der Religionsübung des täglichen Lebens weit mehr hervortrat, als wir nach den herrlichen Ueberlieferungen hellenischer Dichtkunst und Plastik vermuthen sollten. So kann die Religion gleichzeitig dem ethischen Fortschritt dienen und Greuel heiligen, während sie, dem Volkscharakter entsprechend, die bunten Gebilde einer Ideenwelt in eigenthümlichen Formen entfaltet.

In den Gebilden menschlicher Vorstellung wiederholt sich das uralte Problem vom Verhältniss des Ganzen zu seinen Theilen. Der Materialismus wird niemals darauf verzichten können, auch die geistigen Gebilde der Religion in ihre Elemente zu zerlegen, wie er die Körperwelt auf die Atome zurückführt. Die Phantasie, die Furcht, der Fehlschluss machen ihm die Religion, die ein Product dieser Einzelwirkungen ist, und wenn er ihr eine ethische Wirkung zuschreibt, so wird er diese aus einer Uebertragung der natürlichen Moral auf die übernatürlichen Begriffe zurückführen. Wenn wir sehen, wie die Religion oft zum Guten oder Schlimmen eine erstaunliche Gewalt über die Menschen ausübt, wie sie im Mittelalter Tausende von Kindern zur Kreuzfahrt treibt und in unsrer Zeit die Mormonen unter Kampf und Verschmachten in die Wüste des Salzsee's fliehen lässt; wie der Muhamedanismus mit der Schnelligkeit einer lodernden Flamme Nationen umschmelzt und Continente in Wallung bringt; wie die Reformation eine Epoche

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