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gane, die zum Gehen, zum Befühlen der Gegenstände und zum Sprechen dienen, sich zum Gliederbau eines Menschen ausbildete, deren Innerstes ein Organ für den Gebrauch des Verstandes enthielte und durch gesellschaftliche Cultur sich allmählig entwickelte."

12) Lyell, Alter des Menschengeschl., übers. v. Büchner, S. 132 u. S. 142 u. f.

13) Lubbock, die vorgeschichtl. Zeit, II, S. 47 u. ff.; VierteljahrsRevue, I, S. 101 u. f.

14) Man kann die Frage aufwerfen, wozu bei einem so niedrigen Stande der Cultur ein voll entwickeltes Menschengehirn habe dienen können, oder wozu es gegenwärtig dem Australier oder Feuerländer diene? Wallace hat diesen Gedanken benutzt, um für die Entwicklung des Menschen besondre Bedingungen im Unterschied von der ganzen Thierreihe wahrscheinlich zu machen. Er behauptet geradezu, dass das grosse Gehirn des Wilden viel über den thatsächlichen Bedürfnissen seines Zustandes ist; wonach also völlig unbegreiflich würde, wie sich ein solches Gehirn durch den Kampf um das Dasein und auf dem Wege der natürlichen Zuchtwahl sollte gebildet haben (Vgl. Wallace, Beitr. zur Theorie der natürl. Zuchtwahl, deutsch von A. B. Meyer, Erlangen 1870; das. den Aufsatz: die Grenzen der natürl. Zuchtwahl in ihrer Anwendung auf den Menschen, S. 380 u. ff.). Allein Wallace stellt einerseits den Wilden hier viel zu niedrig gegenüber dem Thiere; anderseits geht er von einer unrichtigen Ansicht von der Natur des Gehirnes aus. Das grosse Gehirn dient nicht etwa, wie man früher glauben konnte, einseitig den höheren Geistesfunctionen, sondern es ist ein Coordinationsapparat für die mannigfaltigsten Bewegungen. Man bedenke nur, welch eine Masse von Coordinationscentren und Verbindungswegen schon allein die Sprache und die Association der Sprachlaute mit den verschiedenartigsten Empfindungen erfordert! Ist dieser verwickelte Apparat einmal gegeben, so kann der Unterschied zwischen den höchsten Denkfunctionen des Philosophen oder Dichters und dem Denken des Wilden auf sehr feinen Unterschieden beruhen, die zum Theil im Gehirn niemals werden nachzuweisen sein, weil sie eben mehr functioneller als substanzieller Natur sind (Vgl. hierüber das Kapitel: „Gehirn und Seele"). Wie wollte auch sonst von Wilden und Urmenschen gar nicht zu reden der in den groben Grundzügen gleiche Gehirnbau eines armen und ungebildeten Landmannes und seines talentvollen und wissenschaftlich gebildeten Sohnes zu erklären sein? Ueberhaupt fragt es sich noch sehr, ob die grosse Masse der heutigen Menschheit so sehr viel complicirtere Geistesfunctionen übt, als die Wilden. Diejenigen, welche nichts erfinden, nichts bessern und auf ihr Gewerbe beschränkt nachahmend im grossen Strome dahinschwimmen, lernen von dem mannigfaltigen Getriebe der heutigen Culturwelt nur einen kleinen Theil kennen. Die Locomotive und der Telegraph, die Vorherbestimmung der Sonnenfinsterniss im Kalender und die Existenz grosser Bibliotheken mit hunderttausenden von Büchern sind ihnen gegebene Dinge, über die sie nicht weiter nachdenken. Ob dann,

bei strengster Theilung der Arbeit, selbst bis in höhere sociale Stellungen hinein, die Functionen eines solchen passiven Mitgliedes der heutigen Gesellschaft viel höher sind, als diejenigen des Eingebornen von Australien ist noch sehr in Zweifel zu ziehen, zumal die letzteren nicht nur von Wallace, sondern auch im Allgemeinen in Europa noch unterschätzt werden. Die „Australische deutsche Zeitung" in Tamunda (reprod. in der Köln. Zeit.) bemerkt anlässlich einer Besprechung der neuesten Karte Petermanns vom Südosten Australiens in dieser Hinsicht Folgendes: „Das ausserordentlich günstige Klima Australiens erspart dem vielleicht glücklichsten aller wilden Menschenstämme die Sorge für die Errichtung von bergenden und schützenden festen Wohnungen; und die geographischen Gestaltungen und die grosse Mannigfaltigkeit und der Wechsel der ländlichen Scenerieen gestatten ihm nicht, sich feste Wohnplätze anzulegen die Natur des Landes zwingt ihn zu einem steten Wanderleben. Ueberall ist er zu Hause und überall findet er seinen Tisch gedeckt, den er sich aber mit anstrengendster Mühe unter Anwendung der höchsten Schlauheit füllen muss. Er kennt aufs genaueste, wann diese und jene Beere, Frucht oder Wurzel in dieser Gegend gereift, wann die Ente oder die Schildkröte dort legt, wann dieser oder jener Wandervogel hier oder da sich einstellt, wann und wo diese und jene Larve, Puppe etc. zum leckern Genuss ladet, wann und wo das Opossum am fettesten, wann dieser oder jener Fisch da oder dort streicht, wo die Trinkquellen der Känguruh und Emu sind u. s. w. Und gerade dieses ihm aufgedrängte Leben wird ihm lieb und zur zweiten Natur und macht ihn in einem gewissen Sinne intelligenter als irgend ein anderes wildes Volk. Die Kinder dieser Wilden in Schulen bei gutem Unterricht stehen den europäischen Kindern kaum nach, ja, überflügeln sie in einzelnen Fächern. Es ist durchaus unrichtig, sich die australischen Schwarzen als auf der tiefsten Racenstufe stehend, zu denken. In gewissem Sinne giebt es kein schlaueres Volk als sie.“

15) Eine gute Zusammenstellung der hieher gehörigen Thatsachen findet sich bei Baer, der vorgeschichtliche Mensch, S. 133 u. ff.; vgl. ferner Naturforscher 1874, Nr. 17 über den Fund von Thaingen (an der Linie Schaffhausen - Constanz), der u. A. auf einem Rennthiergeweih die Zeichnung eines Rennthiers enthält, welche an Feinheit und Charakter in der Form und an Detail in der Ausführung“ bei weitem alle bis jetzt bekannt gewordenen Zeichnungen aus den südfranzösischen Höhlen übertreffen soll. Der Berichterstatter (A. Heim, in d. Mittheil der antiquar. Gesellsch. in Zürich, Bd. XVIII, S. 125) hebt hervor, dass diese Thierzeichnungen sich stets in Verbindung mit lauter ungeschliffenen Feuersteinwerkzeugen finden; er nimmt an, dass sie erheblich älter sind als die ältesten Pfahlbauten der Schweiz, in denen sich nichts dergleichen findet. Es hätte also ein älterer Stamm von weit geringerer Culturentwicklung sich hier schon zu einer Kunstleistung erhoben, welche später wieder verloren ging.

16) Darwin, Abstamm. des Menschen, übers. von Carus, I. S. 47. 17) Es würde uns zu weit führen, auf die neuerdings so lebhaft

will, genau so weit reicht, als die Phantasie, deren Functionen mit denen der äusseren Wahrnehmung so eng verwandt sind. Brentano, Psychol. vom empir. Standpunkte, I, Leipz. 1874 stimmt unsrer Kritik der Selbstbeobachtung" nach der Weise Fortlage's vollständig zu; er behauptet aber (S. 41), ich habe, durch die Verwirrung auf diesem Gebiete veranlasst, die innere Wahrnehmung", d. h. also auch den „inneren Sinn“ (vgl. die vorhergehende Anmerkung) mit Unrecht geläugnet. Man könne den psychischen Vorgängen niemals unmittelbar die Aufmerksamkeit zuwenden und sie daher auch nicht „beobachten", wohl aber könne man sie „wahrnehmen" und diese Wahrnehmung lasse sich alsdann mit Hülfe des Gedächtnisses einer genaueren Untersuchung unterwerfen. Gegenstand der „inneren Wahrnehmung" im Gegensatz zu der äusseren sind nach Brentano die „psychischen Phänomene“ und diese sollen sich von den physischen unterscheiden lassen durch das Kriterium der „intentionalen Inexistenz“ d. h. der Beziehung auf etwas als Object (S. 127). Danach zählt Brentano nicht nur die Erscheinungen, welche uns die Sinne geben, sondern auch die Bilder der Phantasie zu den physischen Phänomenen; psychisch dagegen ist die Vorstellung als Act des Vorstellens (S. 103 u. f.). Damit gewinnt Brentano allerdings, wie Descartes (vgl. die vorhergehende Anmerk.) einen sicheren Unterschied des Physischen und des Psychischen, aber auf die Gefahr hin eine blosse Illusion zur Basis seines ganzen Systems zu machen. Die Unmöglichkeit einer Trennung des Actes der Vorstellung von ihrem Inhalte haben wir schon in Anm. 43 gezeigt. Wie verhält es sich aber mit den Gemüthsbewegungen? Der Zorn z. B. ist nach Brentano ein psychisches Phänomen, weil er sich auf einen Gegenstand bezieht. Was aber kann man am Zorn wahrnehmen und mit Hülfe des Gedächtnisses beobachten? Nichts als lauter sinnliche Symptome, bei denen überall wieder die Wahrnehmung in vollkommner Analogie steht mit der gewöhnlichen äusseren Wahrnehmung. Das Geistige im Zorn liegt in der Art und Weise, in Maass, Verbindung und Folge dieser Symptome, nicht in einem abtrennbaren Vorgang, der sich besonders wahrnehmen liesse. 45) Schaller, Psychologie, Weimar 1860, S. 17.

46) Auch auf diesem Gebiete sind seit dem Erscheinen unsrer 1. Aufl. einige vielversprechende Anfänge der Einsicht gewonnen worden. Auf der einen Seite haben wir den Versuch von Bert über die Lichtempfindungen der Wasserflöhe, welcher zu beweisen scheint, dass für diese Thiere genau dieselben Strahlen Lichtempfindung hervorrufen, wie für den Menschen (Der Pariser Akad. mitgeth. d. 2. Aug. 1869); auf der andern die Untersuchungen von Eimer und Schöbl (Arch. für mikrosk. Anat. VII, Heft 3; citirt Naturf. IV. Nr. 26) über die Tastorgane in der Schnauze des Maulwurfs und im inneren Ohr der Mäuse, wo sich ein so ungemeiner Reichthum von Tastapparaten vorfindet, dass wir uns die Empfindungsart wie die Leistungen von dem, was wir Tastempfindung nennen, wohl specifisch verschieden denken müssen. Genaue Experimente über die Leistungen fehlen freilich noch, so wie man umgekehrt für die längst bekannten Leistungen des „Fledermaussinnes" (nach Spallanzani's

Versuchen) die physiologische und anatomische Erklärung noch vermisst. Auch die von den Schallschwingungen bewegten Härchen an der freien Körperfläche der Krebse (Hensen, Studien über das Gehörorgan der Decapoden, Leipz. 1863, cit. bei Helmholtz, Lehre von d. Tonempfind., S. 234 u. f.), sowie die Nervenhaare auf der Oberhaut junger Fische und nackter Amphibien (nach F. H. Schulze, in Müllers Archiv 1861 p. 759) dürften wohl Empfindungen von ganz andrer Qualität als die unsrigen vermitteln. Wundt, physiol. Psychol. S. 342, Anm. I bemerkt: Es muss übrigens zugestanden werden, dass es Organismen geben mag, bei welchen die beim Menschen nur als Anlage vorhandene Disposition zu einem Continuum der Geruchs- und der Geschmacksempfindungen zu einer wirklichen Ausbildung gelangt ist, ebenso wie anderseits sehr wahrscheinlich Organismen existiren, bei denen das Continuum der Gehörund der Lichtempfindungen, das der Mensch besitzt, fehlt, so dass statt dessen nur discrete Mannigfaltigkeiten vorhanden sind.“

47) Vgl. Kussmaul, Unters. über das Seelenleben des neugeborenen Menschen. Leipzig u. Heidelb. 1859.

48) Bastian, der Mensch in der Geschichte, Leipz. 1860, 3 Bde.; Beitr. zur vergl. Psychol., Berl. 1868; Ethnolog. Forschungen, Jena 1871.

Hauptsächlich in der Schrift: Das Beständige in den Menschenrassen, Berl. 1868, hat sich Bastian in eine schroffe und viel zu weit gehende Opposition gegen den Darwinismus eingelassen, was jedoch dem Werthe seines Grundgedankens keinen Eintrag thut: die Gleichmässigkeiten im geistigen Zustande der Völker und namentlich in ihren mythologischen Ueberlieferungen nicht sowohl aus der Abstammung von einem gemeinsamen Urvolke zu erklären, als vielmehr aus der gleichen psychologischen Grundanlage, welche mit Nothwendigkeit zu gleichen und ähnlichen Gebilden des Aberglaubens und der Sage führen musste.

49) Domrich, die psychischen Zustände; ihre organische Vermittelung und ihre Wirkung in Erzeugung körperlicher Krankheiten. Jena 1849.

50) In meinen Vorlesungen über Psychologie habe ich stets einige Experimente dieser Art eingeschaltet und mich dabei von ihrer Stichhaltigkeit und Beweiskraft ebenso sehr wie von ihrem didaktischen Werthe immer mehr überzeugt.

51) Vgl. die Abhandlungen in den Berichten der königl. sächs. Gesellsch. d. Wissensch., phil. hist. Classe, 1866, S. v. 26. Mai, S. 75 u. ff. und 1871, S. v. 1. Juli, S. 1 u. ff. Drobisch hat durch diese bahnbrechenden Untersuchungen nicht etwa nur ein glänzendes Beispiel der Anwendung der numerischen Methode auf die Philologie gegeben, sondern auch den psychologisch wichtigen Beweis geliefert, dass in Sprache und Poesie Regelmässigkeiten zu Tage treten, von deren Herstellung im Einzelnen die Schriftsteller kein Bewusstsein haben. Was sich subjectiv als Tact, Gefühl, Geschmack darstellt, erscheint objectiv als ein be stimmten Gesetzen folgender Bildungstrieb. Hierdurch fällt u. A. auch ein ganz neues Licht auf die zahlreichen metrischen leges, welche man seit Ritschl's Plautus-Forschungen in den lateinischen Dichtern ent

des Bewusstseins, denn man kann offenbar keinen bestimmten Grad eines physischen Erregungszustandes in irgend einem Theile der Centralorgane angeben, welcher an sich und nothwendig mit Bewusstsein verknüpft wäre. Vielmehr scheint das Eingehen eines Erregungszustandes in das Bewusstsein stets von einem Verhältnisse zwischen der Stärke aller gleichzeitig vorhandenen Erregungen der Empfindungsgebiete abzuhängen. Es könnte also genau derselbe physische Vorgang mit dem gleichen reflectorischen Erfolge das eine Mal bewusst, das andre Mal unbewusst vor sich gehen. Dies ist zugleich für die Lehre von den „latenten“ oder „unbewussten" Vorstellungen zu beachten, über welche noch bis in die neueste Zeit hinein so viel Unklarheit herrscht. Es handelt sich bei diesen natürlich nicht um ein „unbewusstes Bewusstsein“, sondern ganz einfach um ein unbewusstes Spielen desselben Mechanismus, welcher bei einer andern Lage des Gesammtzustandes mit dem subjectiven Effect einer bestimmten Vorstellung verknüpft ist. Dass es in diesem Sinne latente Vorstellungen giebt, ist das ABC jeder empirischen Psychologie und es kann der genaueren Betrachtung nicht entgehen, dass nicht nur zweckmässige aber unbewusste Handlungen, sondern auch Associationsvorgänge der mannigfachsten Art sich ergeben aus diesem Spielen des gleichen Mechanismus, der bei anderm Gesammtzustande des Gehirns mit Vorstellung verknüpft ist.

Wegen dieses unverkennbaren Einflusses des Gesammtzustandes in dem organisch verbundenen Ganzen sind wir auch darin mit Wundt einverstanden, dass es für die Frage des Bewusstseins durchaus nicht gleichgültig ist, ob ein Rückenmarkscentrum noch in Verbindung mit dem Gehirn ist, oder von demselben abgetrennt. (Vgl. physiol. Psychol. S. 714 u. f.) Auch darin möchten wir zustimmen, dass im Rückenmark eines Thieres, welches vermöge seiner Organisation gar kein grosses Gehirn besitzt, ein deutlicheres Bewusstsein anzunehmen ist, als in dem abgetrennten Rückenmark eines Thieres von höherer Organisation. Unzweifelhaft ist ferner, dass die Annahme eines Bewusstseins in den abgetrennten Centren zweiten und dritten Ringes gar nicht zur Erklärung der Bewegungen beiträgt (Wundt a. a. O. S. 829). Dagegen können wir darin Wundt nicht zustimmen, dass der Mangel jeder Erinnerung und jeder daher stammenden spontanen Bewegung (S. 825 u. f.) bei dem enthaupteten Frosch als ein Argument gegen das wirkliche Vorhandensein von Bewusstsein angeführt wird. Allerdings scheint zu jedem Bewusstsein, wie auch Wundt annimmt, eine Synthese zu gehören, allein diese braucht nicht nothwendig über einen längeren Zeitraum sich zu erstrecken und verschiedene Empfindungen in einer Einheit zusammenzuschliessen. Schon in der blossen Verbindung des neu entstehenden Zustandes mit dem vorherigen liegt eine Synthesis, welche ein Bewusstsein logisch begreiflich macht. Die Empfindung muss sich auf eine Veränderung beziehen; das genügt. Uebrigens sei hier nochmals wiederholt, dass es sich niemals darum handeln kann, aus dem nur hypothetischen Theilbewusstsein die Bewegungen zu erklären, Lange, Gesch. d. Materialismus. II.

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