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Fünf Capitel behandeln die allgemeine Grundlage der Naturbetrachtung. Die Natur, die Bewegung, der Stoff, die Gesetzmässigkeit alles Geschehens und das Wesen der Ordnung und des Zufalls sind die Gegenstände, an deren Untersuchung Holbach seine Fundamentalsätze anknüpft. Unter diesen Capiteln ist es besonders das letzte, welches durch seine schroffe Beseitigung jedes Restes von Theologie die Deisten von den Materialisten für immer trennte, und welches namentlich auch Voltaire zu heftigen Angriffen gegen das System der Natur veranlasste.

Die Natur ist das grosse Ganze, dessen Theil der Mensch ist, und unter dessen Einflüssen er steht. Wesen, die man jenseits der Natur setzt, sind jederzeit Geschöpfe der Einbildungskraft, von deren Wesen wir uns ebensowenig eine Vorstellung machen können, als von ihrem Aufenthaltsort und ihrer Handlungs

Es giebt nichts und kann nichts geben jenseits des Kreises, der alle Wesen einschliesst. Der Mensch ist ein physisches Wesen und seine moralische Existenz ist nur eine besondere Seite der physischen, ein gewisser, aus seiner eigenthümlichen Organisation abgeleiteter Modus des Handelns.

Alles, was der menschliche Geist zur Verbesserung unserer Lage ersonnen hat, war nur eine Folge der Wechselwirkung zwischen den in ihn gelegten Trieben und der umgebenden Natur. Auch das Thier schreitet von einfachen Bedürfnissen und Formen zu immer zusammengesetzteren fort; ähnlich der Pflanze. Unmerklich wächst die Aloë durch eine Reihe von Jahren, bis sie endlich die Blüthen treibt, welche ein Vorbote ihres nahen Todes sind. Der Mensch als physisches Wesen handelt nach wahrnehmbaren sinnlichen Einflüssen; als moralisches Wesen nach Einflüssen, welche unsre Vorurtheile uns nicht erkennen lassen. Bildung ist Entwickelung; wie denn schon Cicero sagt: „Est autem virtus nihil aliud quam in se perfecta et ad summum perducta natura“. An all unsern ungenügenden Begriffen ist Mangel an Erfahrung schuld und jeder Irrthum ist mit Schaden verknüpft. Aus Mangel an Kenntniss der Natur hat der Mensch sich Gottheiten gebildet, die alleiniger Gegenstand seiner Hoffnungen und Befürchtungen wurden, ohne zu bedenken, dass die Natur weder Hass noch Liebe kennt und fort und fort, bald Wohl bald Wehe bereitend, nach unwandelbaren Gesetzen wirkt. Die Welt zeigt uns allenthalben Nichts als Materie und Bewegung. Sie ist eine unendliche Kette von Ur

sachen und Wirkungen; die mannigfaltigsten Stoffe stehen in beständiger Wechselwirkung, und ihre verschiedenen Eigenschaften und Zusammensetzungen bilden für uns das Wesen der Einzeldinge. Die Natur im weiteren Sinne ist also die Zusammenfassung der verschiedenen Stoffe in allen Einzeldingen überhaupt; im engern Sinne ist die Natur eines Dinges die Zusammenfassung seiner Eigenschaften und Wirkungsformen. Wenn daher gesagt wird, die Natur bringe eine Wirkung hervor, so soll damit nicht die Natur als Abstractum personificirt werden, sondern es soll nur gesagt sein, dass die betreffende Wirkung ein nothwendiges Resultat der Eigenschaften eines der Wesen ist, die das grosse Ganze bilden, welches wir sehen.

In der Lehre von der Bewegung steht Holbach ganz auf der Basis, welche Toland in der Abhandlung, die wir oben erwähnten, gelegt hat. Er definirt die Bewegung zwar schlecht 84), aber er behandelt sie allseitig und gründlich, jedoch ohne jedes Eingehen auf die mathematischen Theorien, wie denn überhaupt in dem ganzen Werk, gemäss seiner praktischen Absicht, das Positive und Specielle vor Betrachtungen und Abstractionen zurücktritt.

Jedes Ding ist vermöge seiner eigenthümlichen Natur auch zu gewissen Bewegungen fähig. So sind unsre Sinne fähig, Eindrücke von gewissen Objecten zu empfangen. Von keinem Körper können. wir etwas wissen, wenn er nicht direct oder indirect eine Veränderung in uns hervorbringt. Alle Bewegung, die wir wahrnehmen, versetzt entweder einen ganzen Körper an einen andern Ort, oder sie findet zwischen den kleinsten Theilchen desselben Körpers statt und bringt Störungen oder Veränderungen hervor, die wir erst an den veränderten Eigenschaften des Körpers bemerken. Bewegungen solcher Art liegen auch dem Wachsen der Pflanzen und Thiere und der intellectuellen Erregung des Menschen zu Grunde.

Uebertragen heissen die Bewegungen, wenn sie von Aussen einem Körper aufgenöthigt werden; selbständig, wenn die Ursache der Bewegung in dem Körper selbst ist. Hieher rechnet man beim Menschen Gehen, Sprechen, Denken, obwohl wir bei genauerer Betrachtung finden können, dass es nach strengen Begriffen keine selbständigen Bewegungen giebt. Der menschliche Wille wird durch äussere Ursachen bestimmt.

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Die Mittheilung der Bewegung von einem Körper auf den andern ist nach nothwendigen Gesetzen geregelt. Alles im Universum ist beständig in Bewegung, und jede Ruhe ist nur scheinbar 85).

Selbst das, was die Physiker nisus" genannt haben, ist nur durch Bewegung zu erklären. Wenn ein 500 Pfund schwerer Stein auf der Erde ruht, so drückt er jeden Augenblick mit seinem ganzen Gewicht, und empfängt einen Gegendruck der Erde. Man dürfte nur die Hand dazwischen legen, um zu sehen, wie der Stein Kraft genug entwickelt, um sie zu zerquetschen, trotz seiner scheinbaren Ruhe. Action ist nie ohne Reaction. Die sogenannten todten und die lebendigen Kräfte sind daher von derselben Art und entwickeln sich nur unter verschiedenen Umständen. Auch die dauerhaftesten Körper sind beständigen Veränderungen unterworfen. Die Materie und die Bewegung ist ewig, und die Schöpfung aus Nichts ist ein leeres Wort. Zu dem Ursprung der Dinge zurückgehen wollen, heisst nur die Schwierigkeiten hinausschieben und sie der Prüfung unsrer Sinne entziehen.

Was die Materie betrifft, so ist Holbach kein strenger Atomist. Er nimmt zwar elementare Theilchen an, erklärt jedoch das Wesen der Stoffe für unbekannt. Wir kennen nur einige ihrer Eigenschaften. Alle Modificationen der Materie sind Folge von Bewegung; diese verwandelt die Gestalt der Dinge, löst ihre Bestandtheile auf und nöthigt dieselben zur Entstehung oder Erhaltung von Wesen ganz anderer Art beizutragen.

Zwischen den sogenannten drei Reichen der Natur findet ein beständiger Austausch und Kreislauf der Theile der Materie statt. Das Thier erwirbt neue Kräfte durch Verzehrung von Pflanzen oder anderen Thieren; Luft, Wasser, Erde und Feuer dienen zu seiner Erhaltung. Dieselben Elemente aber unter andern Formen der Verbindung werden die Ursache seiner Auflösung, und alsdann werden dieselben Bestandtheile in neue Bildungen verarbeitet oder wirken zu neuen Zerstörungen.

Das ist der unwandelbare Gang der Natur; das ist der ewige Kreislauf, den Alles beschreiben muss, was existirt. In dieser Weise lässt die Bewegung die Theile des Universums entstehen, erhält sie eine Weile und zerstört sie allmählig, die einen durch die andern; während die Summe des Vorhandenen immer dieselbe bleibt. Die Natur erzeugt durch ihre verbindende Thätigkeit die Sonnen, welche in den Mittelpunkt eben so vieler Systeme treten; sie erzeugt die Planeten, die durch ihr eigenes Wesen gravitiren und ihre Bahnen um die Sonne beschreiben. Ganz allmählig verändert die Bewegung die einen wie die andern und sie wird viel

leicht eines Tages die Theilchen wieder zerstreuen, aus denen sie die wunderbaren Massen gebildet hat, welche der Mensch während der kurzen Spanne seines Daseins nur im Vorübergehen erblickt" 86).

Während übrigens Holbach so in den allgemeinen Sätzen ganz mit dem heutigen Materialismus übereinstimmt, steht er ein Beweis, wie fern diese Abstractionen von der eigentlichen Bahn der Naturwissenschaft lagen in seinen Ansichten vom Stoffwechsel noch ganz auf dem Boden der alten Zeit. Ihm ist noch das Feuer das Lebensprincip der Dinge. Wie bei Epikur, wie bei Lucrez und Gassendi sind auch bei ihm die Theilchen feuriger Natur bei allen Vorgängen des Lebens im Spiel und bringen, bald sichtbar, bald unter der übrigen Materie verborgen, eine Fülle von Erscheinungen hervor. Vier Jahre nachdem das System der Natur erschien, entdeckte Priestley den Sauerstoff, und während Holbach noch schrieb oder mit seinen Freunden seine Grundsätze erörterte, arbeitete Lavoisier schon an jener grossartigen Reihe von Versuchen, denen wir die wahre Lehre von der Verbrennung und damit eine ganz neue Grundlage jener Wissenschaft verdanken, welche auch Holbach studirt hatte. Dieser begnügte sich, wie Epikur, mit den logischen und sittlichen Resultaten der bisherigen Forschung; jener war von einer wissenschaftlichen Idee ergriffen, der er sein Leben widmete.

In der Lehre von der Gesetzmässigkeit alles Geschehens. geht Holbach auf die Grundkräfte der Natur zurück. Attraction und Repulsion sind die Kräfte, von welchen alle Verbindung und Trennung der Theilchen in den Körpern herrührt; sie verhalten sich, wie schon Empedokles einsah, wie Liebe und Hass in der moralischen Welt. Auch diese Verbindung und Trennung ist nach strengsten Gesetzen geregelt. Manche Körper, die an und für sich keine Vereinigung zulassen, können durch vermittelnde Körper dazu gebracht werden. Sein heisst nichts, als sich auf eine individuelle Art bewegen; sich erhalten heisst solche Bewegungen mittheilen oder empfangen, welche die Fortführung individueller Existenz bedingen. Der Stein leistet der Zerstörung Widerstand durch das blosse Zusammenhalten seiner Theile; die organisirten Wesen durch complicirte Mittel. Den Trieb der Erhaltung nennt die Physik Beharrungsvermögen, die Moral Selbstliebe.

Zwischen Ursache und Wirkung waltet die Nothwendigkeit in der moralischen wie in der physischen Welt. Staub- und Wasser

theilchen bei Sturm und Wirbelwind bewegen sich mit derselben Nothwendigkeit, wie ein einzelnes Individuum in den stürmischen Bewegungen einer Revolution.

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In den schrecklichen Erschütterungen, welche bisweilen die politischen Gesellschaften ergreifen und nicht selten den Umsturz eines Reiches herbeiführen, giebt es keine einzige Handlung, kein Wort, keinen Gedanken, keine Willensregung, keine Leidenschaft in den Handelnden, die als Zerstörer oder als Schlachtopfer an der Revolution betheiligt sind, welche nicht nothwendig ist, welche nicht wirkt, wie sie wirken muss, welche nicht unfehlbar die Folgen zu Stande bringt, die sie nach der Stellung, welche die Handelnden in diesem moralischen Wirbelstürm einnehmen, zu Stande bringen muss. Dies würde einer Intelligenz offenbar sein, welche im Stande wäre, jede Wirkung und Gegenwirkung aufzufassen und zu würdigen, welche in Geist und Körper der Betheiligten vorgeht "87).

Holbach starb den 21. Juni 1789; wenige Tage, nachdem sich die Abgeordneten des dritten Standes als Nationalversammlung constituirt hatten. Die Revolution, welche seinen Freund Grimm wieder nach Deutschland verschlug und Lagrange oft genug in Lebensgefahr brachte, trat auf die Schwelle der Wirklichkeit, als der Mann verschied, der ihr so mächtig vorgearbeitet hatte, indem er sie als ein nothwendiges Naturereigniss betrachten lehrte.

Von besonderer Wichtigkeit ist endlich das Capitel von der Ordnung, gegen welches Voltaire seinen ersten erbitterten Angriff richtete 88). Voltaire ist hier, wie so oft, der Vertreter des gemeinen Menschenverstandes, der mit seinen verschwommenen Gefühlsurtheilen und Verstandesdeclamationen gegenüber einer philosophischen Betrachungsweise, und wäre es die niedrigste, ganz und gar bedeutungslos ist. Dennoch wird es dem Zweck unserer Schrift entsprechend sein, hier einmal Gründe und Gegengründe gegen einander abzuwägen, um zu sehen, dass es ganz andrer Mittel bedarf, um über den Materialismus hinaus zu gelangen, als sie selbst dem gewandten und scharfsinnigen Voltaire zu Gebote standen.

Ursprünglich, sagt das System der Natur, bedeutete das Wort Ordnung nur die Art und Weise, ein Ganzes, dessen Seins- und Wirkungsformen mit den unsrigen eine gewisse Uebereinstimmung darbieten, in seinen einzelnen Beziehungen mit Leichtigkeit aufzu

Lange, Gesch. d. Materialismus.

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