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Subjektes zu fassen, eine Bedeutung, welche dem Urheber desselben am wenigsten entgehen konnte. Was Descartes fehlt ist im Grunde genau das, was Kant geleistet hat: die Herstellung einer haltbaren Verbindung zwischen einer materialistisch begriffenen Natur und einer idealistischen Metaphysik, welche diese ganze Natur als eine blosse Summe von Erscheinungen in einem seiner Substanz nach unbekannten Ich betrachtet. Es ist aber psychologisch sehr wohl möglich, dass Descartes die beiden Seiten der Erkenntniss, welche im Kantianismus harmonisch verbunden erscheinen, jede für sich, so sehr sie sich in dieser Vereinzelung zu widersprechen scheinen, klar erfasst hatte und um so zäher festhielt, je mehr er sich genöthigt sah, sie durch einen künstlichen Kitt von gewagten Sätzen zusammenzuhalten.

Uebrigens hat Descartes selbst die ganze metaphysische Theorie, an welche sich jetzt hauptsächlich sein Name heftet, ursprünglich gar nicht für so wichtig gehalten, während er seinen naturwissenschaftlichen und mathematischen Forschungen und seiner mechanischen Theorie aller Naturvorgänge den höchsten Werth beilegte. 68) Als aber sein neuer Beweis für die Immaterialität der Seele und für das Dasein Gottes unter seinen vom Skepticismus beunruhigten Zeitgenossen so grossen Beifall fand, liess Descartes es sich gern gefallen, als grosser Metaphysiker zu gelten und wandte diesem Theil seiner Lehre steigende Sorgfalt zu. Ob sein ursprüngliches System des Kosmos dem Materialismus etwa noch näher gestanden, als seine spätere Lehre, wissen wir nicht, da er bekanntlich aus Furcht vor dem Clerus sein bereits fertig ausgearbeitetes Werk zurückzog und völlig umarbeitete. Sicher ist nur, dass er seiner besseren Ueberzeugung entgegen die Lehre von der Umdrehung der Erde aus demselben entfernte.69)

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war Bruno poetisch, seine meisten Werke sind in poetischer Form, theils lateinisch, theils italienisch verfasst. Sein tiefsinniger Geist verlor sich gern in ein mystisches Dunkel der Betrachtung, aber ebenso kühn und rückhaltlos wagte er es auch wieder, seine Meinungen mit vollkommener Klarheit auszusprechen.

Bruno war ursprünglich in den Dominicaner-Orden getreten um Musse für seine Studien zu finden. Allein wegen Ketzerei verdächtig geworden, musste er fliehen und sein Leben blieb von da an unstät und von Verfolgungen und Anfeindungen in langer Kette durchzogen. In Genf, Paris, England und Deutschland hielt er sich der Reihe nach auf, um endlich den verhängnissvollen Schritt der Rückkehr in sein Vaterland zu wagen. Im Jahre 1592 fiel er zu Venedig in die Hände der Inquisition.

Nach vieljähriger Haft wurde er ungebeugt und fest in seinen Ansichten in Rom verurtheilt. Degradirt und excommunicirt wurde er als Ketzer der weltlichen Obrigkeit übergeben, mit der Bitte, ihn so gelinde als möglich und ohne Blutvergiessen zu bestrafen"; das hiess bekanntlich ihn zu verbrennen. Als sein Urtheil ihm verkündet wurde, sprach er: „Ihr fällt vielleicht mit grösserer Furcht das Urtheil, als ich es empfange." Am 17. Februar 1600 ward er auf dem Campofiore zu Rom verbrannt. Seine Lehren haben unzweifelhaft auf die nächstfolgenden Entwickelungen der Philosophie mächtig eingewirkt, obwohl er nach dem Auftreten eines Descartes und Baco in den Hintergrund zurücktrat, und wie so manche grosse Männer der Uebergangszeit vergessen wurde.

Die erste Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts durfte erst auf dem Gebiete der Philosophie die reifen Früchte der grossen Befreiung erndten, welche die Regenerationsbewegung der Reihe nach für die verschiedensten Gebiete des menschlichen Geisteslebens herbeigeführt hatte. In den ersten Decennien des Jahrhunderts trat Baco auf, gegen die Mitte desselben Descartes; seine Zeitgenossen waren Gassendi und Hobbes, die wir als die eigentlichen Erneuerer einer materialistischen Weltanschauung betrachten dürfen. Allein auch die beiden berühmteren „, Wiederhersteller der Philosophie", wie man sie gewöhnlich bezeichnet, Descartes sowohl als Baco, stehen zum Materialismus in einer engen und bemerkenswerthen Beziehung.

Von Baco insbesondere dürfte es für eine eingehende Forschung fast schwieriger werden, scharf und bestimmt nachzuweisen, worin

er sich vom Materialismus unterscheidet, als was er mit demselben gemein hat.

Unter allen philosophischen Systemen stellt Baco das des Demokrit am höchsten. Er rühmt, dass dessen Schule tiefer als irgend eine andere in das Wesen der Natur eingedrungen sei. Die Betrachtung der Materie in ihren mannichfachen. Wandlungen führe weiter als die Abstraction. Ohne Annahme der Atome lasse sich die Natur nicht wohl erklären. Ob Zwecke in der Natur walten, lasse sich nicht bestimmt sagen; jedenfalls müsse der Forscher sich lediglich an die wirkenden Ursachen halten.

Bekanntlich führt man auf Baco und Descartes zwei verschiedene Entwickelungsreihen der Philosophie zurück, deren eine von Descartes über Spinoza, Leibnitz, Kant und Fichte sich bis auf Schelling und Hegel erstreckt, während die andere von Baco durch Hobbes und Locke zu den französischen Materialisten des achtzehnten Jahrhunderts läuft; indirect müssen wir also auf die letztere Linie auch unseren heutigen Materialismus zurückführen.

Und in der That ist es auch nur zufällig, dass der Name des Materialismus erst im achtzehnten Jahrhunderte aufkam; das Wesen seiner Richtung ist mit Baco gegeben, und nur der Umstand hält uns ab, Baco als den eigentlichen Wiederhersteller der materialistischen Philosophie zu bezeichnen, dass er sein Augenmerk fast ausschliesslich auf die Methode gewandt hatte und dass er über die wichtigsten Punkte sich mit zweideutiger Zurückhaltung äussert. Die abergläubische und eitle Unwissenschaftlichkeit Bacos 60) stimmt an und für sich mit der materialistischen Philosophie zwar nicht besser aber auch nicht schlechter überein, als mit den meisten anderen Systemen. Nur was den ausgedehnten Gebrauch anlangt, welchen Baco in der Naturerklärung von den „Geistern" (spiritus) macht, seien uns einige Bemerkungen gestattet.

Baco lehnt sich hier an die Ueberlieferung an, aber mit einer Selbständigkeit der Ausführung, welche dem „Erneuerer der Wissenschaften" wenig Ehre machte. „Geister" aller Art spielen in der Kosmologie und Physiologie der neuplatonisch-scholastischen Weltanschauung eine grosse Rolle; zumal auch bei den Arabern, wo die Astralgeister auf dem mystischen Wege der Sympathie und Antipathie mit den in den irdischen Dingen wohnenden Geistern die Welt regieren. Am meisten wissenschaftliche Gestalt gewann die Lehre vom „spiritus" in der Psychologie und Physiologie, wo ihre Nachwirkungen bis

eigenthümlichen Wechselbeziehung zum Materialismus steht. Sie ist das entgegengesetzte Extrem, welches sich mit dem Materialismus nicht nur berührt, sondern sogar vielfach aus ihm hervorgeht, da doch schliesslich der Materie als solcher die Hervorbringung des Geistigen zugeschrieben werden muss also doch auch wohl in unendlich vielen Abstufungen. Die phantastisch personificirende Ausmalung dieser allgemeinen Beseelung der Materie, wie wir sie bei Paracelsus finden, gehört zu den Abgeschmacktheiten des Zeitalters, von denen sich Baco ziemlich frei zu erhalten wusste. Seine „spiritus" haben keine Hände und Füsse. Auffallend genug bleibt es aber, wie colossalen Missbrauch der,,Wiederhersteller der Naturwissenschaften" mit seinen Geistern in der Naturerklärung treiben konnte, ohne schon von den kundigeren Zeitgenossen entlarvt zu werden. Doch das ist unsere Geschichte. Man kann anfassen wo man will, so wird man ähnliche Erscheinungen finden. Was das vielfach in Frage kommende Verhältniss des Materialismus zur Sittlichkeit betrifft, so darf man unbedenklich annehmen, dass Baco bei grösserer Reinheit und Festigkeit des Charakters durch die Eigenthümlichkeit seines Denkens ohne Zweifel auf streng materialistische Grundsätze wäre geleitet worden. Nicht die unerschrockene Consequenz, sondern die wissenschaftliche Halbheit und Weichlichkeit zeigt sich hier wieder im Bunde mit sittlicher Entartung.

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Von Descartes, dem Stammvater der entgegengesetzten Linie philosophischer Diadochen, der den Dualismus zwischen Geist und Körperwelt herstellte, und von dem berüchtigten,,Cogito ergo sum" seinen Ausgangspunkt nahm, könnte es scheinen, dass er nur als Gegensatz zur materialistischen Richtung auf deren Consequenz und Klarheit zurückgewirkt habe. Allein wie wollen wir uns dann die Thatsache erklären, dass der schlimmste der französischen Materialisten, De la Mettrie, mit aller Gewalt ein Cartesianer sein wollte, und nicht ohne seine Gründe dafür zu haben? Es findet also auch hier noch ein directerer Zusammenhang statt, den wir im Folgenden erörtern wollen.

Was die Principien der Forschung betrifft, so stellen sich zunächst Baco und Descartes beide negativ gegen alle bisherige Philosophie, insbesondere gegen die aristotelische; beide beginnen mit einem Zweifel an Allem, aber Baco, um sich sodann an der Hand der äusseren Erfahrung zur Auffindung der Wahrheit leiten zu lassen, Descartes, um sie aus jenem Selbstbewusstsein, das ihm bei seinem

Zweifel allein übrig geblieben war, durch deductive Schlüsse herauszuarbeiten.

Hier kann kein Zweifel sein, dass der Materialismus nur auf Seiten Baco's liegt, dass das System des Cartesius von jenen Grundgedanken consequent weiter gebildet zu einem Idealismus hätte führen müssen, bei dem die gesammte Aussenwelt nur als Phänomen erscheint und allein das Ich wahre Wirklichkeit hat. 63) Der Materialismus ist empirisch und bedient sich des deductiven Weges selten und erst dann, wenn ein hinlängliches Material auf inductivem Wege gewonnen ist, aus dem man alsdann durch freies Schlussverfahren zu neuen Wahrheiten gelangen kann. Descartes begann mit Abstraction und Deduction, und das war nicht nur nicht materialistisch, sondern auch nicht zweckmässig; es leitete mit Nothwendigkeit zu jenen offenbaren Trugschlüssen, an denen unter allen grossen Philosophen vielleicht keiner so reich ist, als Descartes. Allein die deductive Methode trat einmal in den Vordergrund und damit zusammenhängend jene reinste Form aller Deduction, in der Descartes einen ehrenhaften Platz hat noch ausserhalb der Philosophie: die Mathematik. Baco mochte die Mathematik nicht wohl leiden; der Stolz der Mathematiker vielleicht besser gesagt ihre Strenge missfiel ihm, und er verlangte, dass diese Wissenschaft nur eine Magd der Physik sein, nicht aber sich als Herrin derselben geberden sollte.

So ging denn auch vornehmlich von Descartes jene mathematische Richtung der Naturphilosophie aus, welche an alle Erscheinungen der Natur den Maassstab der Zahl und der geometrischen Figur anlegte. Es verdient Beachtung, dass man noch im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts die Materialisten, bevor diese letztere Bezeichnung allgemeiner geworden war, nicht selten als „,mechanici" bezeichnete, d. h. als Leute, die von einer mechanischen Naturbetrachtung ausgingen. Diese mechanische Naturbetrachtung war aber ausgegangen von Descartes, befördert von Spinoza und nicht minder von Leibnitz, wiewohl dieser weit entfernt ist, sich selbst zu den Anhängern dieser Richtung zu zählen.

Knüpft somit in der Hauptsache der Materialismus an Baco an, so war es doch Descartes, der dieser ganzen Betrachtungsweise der Dinge schliesslich jenen Stempel des Mechanismus aufdrückte, der in De la Mettrie's l'homme machine am offensten hervortritt. Auf Descartes war es zurückzuführen, wenn man alle Functionen des

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