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hervor, wo im 13. Jahrhundert, fast gleichzeitig mit jenen Vorgängen in Paris, ganz ähnliche Lehrsätze auftauchen und von den Bischöfen verurtheilt werden. 44)

In Italien fasste damals der Averroismus in aller Stille feste Wurzel an der hohen Schule zu Padua. Diese gab in geistiger Hinsicht für den ganzen Nordwesten Italiens den Ton an und stand selbst wieder unter dem Einfluss der weltmännisch aufgeklärten und zum praktischen Materialismus neigenden Staatsmänner und Kaufleute von Venedig.45) Hier dauerte der Averroismus, mit ihm aber freilich auch die Vergötterung des Aristoteles und die ganze Barbarei der Scholastik bis in das 17. Jahrhundert fort; weniger angefochten als an irgend einer andern hohen Schule und daher auch weniger erwähnt. Wie eine feste Burg der Barbarei" trotzte Padua den Humanisten, die, grade in Italien am entschiedensten, fast alle zu Plato neigten, dessen schöne Formen in Sprache und Darstellung ihnen zusagten, während sie sich mit wenigen Ausnahmen hüteten, sich in die mystische Seite des Platonismus zu vertiefen.

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Wie den Humanisten, so trotzten die aufgeklärten aber an ihre Tradition gefesselten Scholastiker von Padua auch noch, so lange es gehn wollte, den Naturforschern. Cremonini, der letzte dieser Schule, lehrte an der Universität Padua gleichzeitig mit Galilei; während dieser für eine geringe Besoldung die Elemente Euklids lehrte, bezog Cremonini einen Gehalt von 2000 Gulden für seine Vorlesungen über die naturwissenschaftlichen Schriften des Aristoteles. Man erzählt, als Galilei die Jupitertrabanten entdeckte, habe Cremonini von Stund an durch kein Teleskop mehr sehen wollen, weil die Sache gegen Aristoteles sei. Aber Cremonini war ein Freigeist, dessen Ansichten über die Seele, wiewohl nicht streng averroistisch, doch nichts weniger als kirchlich waren und er behauptete sein Recht, zu lehren, was im Aristoteles stehe, mit anerkennenswerther Festigkeit. 46)

Ein Mann aus dieser Reihe scholastischer Freigeister verdient hier hervorgehoben zu werden: Petrus Pomponatius, der Verfasser des im Jahre 1516 erschienenen Büchleins von der Unsterblichkeit der Seele. Die Frage der Unsterblichkeit war damals in Italien so populär, dass die Studenten einem neu auftretenden Professor, dessen Richtung sie kennen lernen wollten, in der ersten Stunde zuriefen, er solle über die Seele reden;47) und es scheint nicht dass die orthodoxe Ansicht die beliebteste war; denn Pomponatius, der unter dem Schilde der Lehre von der zweifachen Wahrheit viel

leicht die kühnsten und scharfsinnigsten Angriffe gegen die Unsterblichkeit richtete, welche damals bekannt wurden, war ein sehr beliebter Docent.

Seine Richtung war freilich nicht die averroistische; vielmehr wurde er das Haupt einer Schule, welche mit den Averroisten in einen erbitterten Krieg gerieth und welche ihre Ansichten auf den Commentator Alexander von Aphrodisias zurückführte; allein der Zankapfel in diesem Streite war im Grunde nur die Lehre von der Seele und der Unsterblichkeit und die „,Alexandristen" standen eben doch in der Hauptsache ganz im Strom der averroistischen Denkweise. In der Unsterblichkeitsfrage aber gingen die „Alexandristen" radicaler zu Werke; sie verwarfen den Monopsychismus und erklärten die Seele einfach nach Aristoteles" für nicht unsterblich den Kirchenglauben dabei in bekannter Weise vorbehaltend.

Pomponatius nimmt in seinem Buche über die Unsterblichkeit der Kirche gegenüber einen sehr ehrerbietigen Ton an; er lobt die Widerlegung des Averroismus durch den heiligen Thomas mit grossem Eifer; um so verwegner sind aber die Gedanken, welche er in seine eigne Kritik der Unsterblichkeitsfrage einfliessen lässt. Die Behandlungsweise ist im Ganzen streng scholastisch, das von der Scholastik unzertrennbare schlechte Latein nicht ausgeschlossen; aber im letzten Hauptabschnitt 48) der Schrift, wo Pomponatius „,acht grosse Schwierigkeiten" der Unsterblichkeitsfrage behandelt, begnügt er sich keineswegs mit begrifflichen Erörterungen und Citaten aus Aristoteles. Hier kommt die ganze Skepsis des Zeitalters zum Wort, selbst bis zu sehr deutlichen Anklängen an die Theorie von den drei Betrügern.

Pomponatius betrachtet hier die Vergänglichkeit der Seele als bereits philosophisch erwiesen. Die acht Schwierigkeiten dieser Ansicht sind die gewöhnlichsten allgemeinen Gründe für die Unsterblichkeit, und diese Gründe widerlegt Pomponatius nun nicht mehr nach scholastischer Methode, da sie auch keine scholastisch geformten Einwände sind, sondern mit dem gesunden Menschenverstande und mit sittlichen Erörterungen. Unter diesen Schwierigkeiten lautet die vierte: da alle Religionen (,,omnes leges") die Unsterblichkeit behaupten, so würde, wenn sie nicht stattfände, die ganze Welt betrogen sein. Hierauf aber lautet die Antwort: Dass durch die Religionen fast Jederman getäuscht wird, muss man zugeben; es ist aber nichts Schlimmes dabei; denn da es drei Gesetze giebt, von Moses, Christus und Mahomed, so sind entweder alle drei falsch, und so ist die ganze

Welt betrogen, oder wenigstens zwei, und dann ist die Mehrzahl betrogen. Man muss aber wissen, dass nach Plato und Aristoteles der Gesetzgeber (,,politicus") ein Arzt der Seele ist, und da diesem mehr daran liegt, die Menschen tugendhaft zu machen als aufgeklärt, so musste er sich den verschiednen Naturen anbequemen. Die minder edlen bedürfen des Lohns und der Strafe. Einige aber lassen sich selbst dadurch nicht regieren, und für diese ist die Unsterblichkeit erfunden. Wie der Arzt Manches erdichtet, wie die Amme das Kind zu Manchem verlockt, wovon es den wahren Grund noch nicht einsehen kann; so handelt also auch mit vollkommnem Recht der Religionsstifter, dessen Endzweck als ein rein politischer angesehen

wird.

Man darf nicht vergessen, dass diese Ansicht damals in Italien unter den Vornehmen und besonders bei praktischen Staatsmännern sehr verbreitet war. So sagt Macchiavelli in seinen Betrachtungen zu Livius 49): „Die Fürsten einer Republik oder eines Königreichs müssen also die Grundpfeiler der Religion, die sie haben, aufrecht halten; wenn dies geschieht, wird es ihnen ein Leichtes sein, ihren Staat religiös, und folglich gut und einig zu erhalten. Und Alles, was zu deren Gunsten sich ereignet, wenn sie es auch für falsch halten, müssen sie begünstigen und fördern, und müssen dies um so mehr thun, je klüger und je bessere Kenner der Dinge in der Welt sie sind. Und da dieses Verfahren von den weisen Männern beobachtet worden ist, so ist daraus die Meinung von den Wundern entstanden, welche in den Religionen gefeiert werden, wenn sie gleich falsch sind; weil die Klugen sie vergrössern, aus welchem Anfange sie auch entspringen mögen, und deren Ansehen ihnen dann bei Jedermann Glauben verschafft." So mag auch wohl Leo X., als er über das Buch des Pomponatius zu Gericht sitzen sollte, gedacht haben, der Mann habe ganz recht; wenn die Sache nur keinen Lärm machte!

Auf den (dritten) Einwand, wenn die Seelen sterblich wären, gäbe es keinen gerechten Lenker der Welt, erwiedert Pomponatius: „Der wahre Lohn der Tugend ist die Tugend selbst, welche den Menschen selig macht; denn nichts Höheres kann die menschliche Natur haben, als die Tugend; da ja sie allein den Menschen sicher macht und frei von allen Stürmen. Denn beim Tugendhaften ist Alles in Harmonie; er fürchtet nichts und hofft nichts und bleibt im Glück und Unglück sich selbst gleich." Dem Lasterhaften ist das Laster selbst Strafe. Wie Aristoteles im 7. Buch der Ethik zeigt: dem Lasterhaften ist Alles

gestört. Er traut Niemanden; er hat weder wachend noch schlafend Ruhe und führt, von Qualen des Leibes und der Seele beängstigt, ein so erbärmliches Leben, dass kein Weiser, wie arm und schwach er auch sei, das Leben eines Tyrannen oder eines lasterhaften Vornehmen wählen würde."

Gespenstererscheinungen erklärt Pomponatius für Täuschung der erregten Phantasie oder Betrug der Priester; Besessene sind krank (Einwand 5 u. 6); gleichwohl wird ein Rest hieher gehöriger Erscheinungen anerkannt und auf den Einfluss guter und böser Geister oder auf astrologische Wirkungen zurückgeführt. Der Glaube an die Astrologie war nun einmal mit der averroistischen Aufklärung unauflöslich verbunden.

Mit grossem Nachdruck erhebt sich endlich Pomponatius gegen diejenigen (achter Einwand), welche behaupten, lasterhafte und schuldbewusste Menschen pflegen die Unsterblichkeit zu leugnen; gerechte und gute dagegen sie anzunehmen. Im Gegentheil, sagt er, sehen wir offenbar, dass viele Lasterhafte an die Unsterblichkeit glauben und sich gleichwohl von ihren Leidenschaften hinreissen lassen, während dagegen viele gerechte und edle Männer die Seele für sterblich gehalten haben. Zu diesen zählt er Homer und Simonides,, Hippokrates und Galen, Alexander von Aphrodisias und die grossen arabischen Philosophen); endlich von unsern Landsleuten (,,ex nostratibus“; hier verräth sich auch beim Scholastiker der Geist der Renaissance!) Plinius und Seneca.

In ähnlichem Geiste schrieb Pomponatius über die Willensfreiheit, deren Widersprüche er offen darlegte. Hier kritisirt er sogar den christlichen Gottesbegriff, indem er den Widerspruch zwischen der Lehre von der Allmacht, Allwissenheit und Güte Gottes und der Schuld des Menschen mit allem Scharfsinn verfolgt und aufdeckt. Auch bekämpfte Pomponatius noch in einem besondern Werke den Wunderglauben, wobei wir freilich wieder astrologische Wirkungen als natürlich und thatsächlich in den Kauf nehmen müssen. So ist es z. B. ächt arabisch, wenn er die Gabe der Prophetie vom Einfluss der Gestirne und von einer unbegreiflichen Verbindung mit unbekannten Geistern ableitet. 50) Die Wirkung der Reliquien dagegen ist durch die Einbildung der Gläubigen bedingt und würde ebenso gut erfolgen, wenn es Hundeknochen wären.

Man hat viel darüber gestritten, ob bei diesen Ansichten des Pomponatius seine Unterwerfung unter den Kirchenglauben mehr als

eine blosse Form gewesen sei. Solche Fragen sind allerdings in zahlreichen ähnlichen Fällen äusserst schwer zu entscheiden, da wir in keiner Hinsicht den Maassstab unserer Zeit anlegen dürfen. Der ungeheuere Respect vor der Kirche, dem so mancher Scheiterhaufen den gehörigen Nachdruck gegeben, genügte vollkommen, um in den Gemüthern auch der freiesten Denker das Credo mit einem heiligen Schauer zu verbinden, der die Grenze zwischen Wort und Wesen mit einem undurchdringlichen Nebel verhüllte. Wohin aber bei Pomponatius in diesem Streit zwischen philosophischer und theologischer Wahrheit das Zünglein der Wagschale neigte, hat er uns hinlänglich angedeutet, wenn er die Philosophen allein für die Götter der Erde erklärt, und so weit von den Uebrigen entfernt, welches Standes sie auch sein mögen, wie wahre Menschen von gemalten!

Jene Zweideutigkeit im Verhältniss von Glauben und Wissen ist übrigens ein bezeichnender und sehr standhafter Zug der Uebergangszeit zur neueren Denkfreiheit. Nicht einmal die Reformation vermag sie zu beseitigen, und wir finden sie von Pomponatius und Cardanus bis auf Gassendi und Hobbes in den verschiedensten Abstufungen vom scheu verborgenen Zweifel bis zur bewussten Ironie. Im Zusammenhang damit steht die Neigung zu einer zweideutigen und die Schattenseiten mit Vorliebe hervorkehrenden Apologie des Christenthums oder einzelner Lehren, bei der wir ebenfalls neben der offenbaren Absicht vom Gegentheil zu überzeugen, wie bei Vanini, auch Fälle haben, wie in Mersenne's Commentar zur Genesis, deren eigentliche Natur schwer festzustellen ist.

Wer das Wesentliche am Materialismus in seiner Opposition gegen den Kirchenglauben erblickt, könnte Pomponatius und zahlreiche mehr oder minder kühne Nachfolger zu den Materialisten rechnen; sucht man dagegen nach Anfängen einer positiven materialistischen Naturerklärung, so wird man auch bei den aufgeklärtesten Scholastikern jeden Anfang davon vermissen. Ein einziges, bis jetzt ganz vereinzeltes Beispiel, das sich dahin zählen liesse, taucht freilich schon im 14. Jahrhundert auf. Im Jahre 1348 nämlich wurde in Paris Nicolaus de Autricuria 51) zum Widerruf genöthigt wegen verschiedner Lehrsätze, unter denen sich auch der findet, dass es in den Naturvorgängen nichts gebe als die Bewegung der Verbindung und Trennung der Atome. Also ein förmlicher Atomistiker, mitten in der Alleinherrschaft der aristotelischen Naturlehre! Aber derselbe Verwegne wagte es auch überhaupt zu erklären, dass man den

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