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Einleitung des Herausgebers.

Als Elise Lensing in einem ihrer Briefe nach Paris wieder einmal mit dem Plane kam, Hebbel solle suchen, Professor zu werden, da erwiderte er am 21. November 1843 scharf ab= lehnend; er könne, wenn es ihm vergönnt wäre, sie in der Tiefe seines Geistes langsam auszubilden, noch sechs bis sieben Dramen dichten, aber Lehrvorträge auszuarbeiten, sei ihm völlig unmöglich, er brächte wöchentlich keine zwei Seiten zusammen, statt sechzig. Elise beurteile ihn ebenso falsch, wie alle Freunde: „Sie meinen, ich bin nicht bloß ein Dichter, sondern auch ein Gelehrter, auch würde ich gewiß Einer seyn, wenn ich meine Jugend nicht schmählich verloren hätte, aber nun ist das zu spät." Genau erkannte Hebbel, daß seine Kenntnisse „zu lückenhaft“ seien, daß es über seine Kräfte gehe, sich noch welche zu erwerben: „Seße ich mich hin, um zu lernen, so ist es mir, als sprängen die Buchstaben im Buch wie Flöhe vor mir herum, ich werde dumpf im Kopf und muß aufhören;" aber er sah ein, daß nicht die Schwäche, sondern die Stärke seines Geistes ihn davon abhalte. Durch die Verhältnisse gezwungen hatte sich Hebbel ausschließlich als Autodidakt bilden müssen, dabei war er natürlich seinen Neigungen gefolgt: er beschäftigte sich mit dem, was seinem Wesen entsprach, mit Dichtkunst, Geschichte, Philosophie, Ästhetik, vernachlässigte dagegen das Elementare, bei jedem Fachstudium Notwendige. Wir staunen über die Weite seines Blicks, die Schärfe seines Urteils, die Tiefe seiner Auffassung, die Selb

ständigkeit seiner philosophischen Ansichten und seiner Weltanschauung, wir verkennen aber nicht, daß sie nicht methodisch auf dem Wege des systematischen Studiums, sondern mit genialer Intuition gewonnen wurden. Unermüdlich hat Hebbel an sich gearbeitet, niemals jedoch wurde er angeleitet, von Grund auf zu beginnen; der Zufall führt ihm einzelne Werke zu, in die er sich versenkt, wenn sie ihm etwas bieten, die er beiseite legt, wenn seine Vorkenntnisse nicht ausreichen. Das war kein Mangel seiner Natur, sondern ausschließlich die Folge seiner Situation. Julius Glaser war überrascht, wie schnell Hebbel im Englischen sich zurecht fand, das er ihm beibrachte; es zeigte sich sofort, daß Hebbel bei richtiger Anleitung auch zu lernen“ verstanden hätte, die rechten Lehrmeister hatten ihm aber stets gefehlt. Den allgemeinen Gehalt“ erfaßte er rasch und unmittelbar, aber das Besondere machte er sich nur schwer zu eigen.

Diese Eigenart seiner Entwickelung tritt nun selbstver= ständlich in seinen kritischen Arbeiten hervor und verleiht ihnen einen ausgeprägten Charakter, zieht ihnen freilich auch Schranken. Hebbel wird nicht müde zu bekennen, wie schwer ihm seine Aufsäße wurden, und ein Blick in die wenigen erhaltenen Manuskripte bezeugt das deutlich: sie wimmeln von Korrekturen, Umstellungen, Zusäßen, kurz von Zeichen einer mühsamen Produktion und stechen von den Handschriften seiner Dramen ganz merkwürdig ab. Mir will scheinen, daß sich darin nicht etwa das Sprunghafte des Gedankenprozesses, sondern die Zaghaftigkeit des Autodidakten äußert, denn auch dort, wo Hebbel nur die Resultate langjährigen Nachdenkens festhält, ringt er selbst im Tage= buch beim Niederschreiben mit der Form; ähnlich ging es ihm übrigens beim Reden: wir wissen, daß er im Gespräch meisterhaft seine Gedanken entwickeln konnte, eine eigentliche Rede zu halten, fiel ihm dagegen sehr schwer und glückte nicht. Der Dichter, der beim poetischen Schaffen oft nur zu klar wußte, was er wollte,

der nach traumartiger Konzeption genau Rechenschaft über seine Ausführung abzulegen vermochte, wurde ängstlich, wenn er sich auf einem Boden bewegen mußte, auf dem er sich nicht ganz sicher fühlte. Darin verrät sich unzweifelhaft ein tiefer Respekt, ja eine Scheu vor der Wissenschaft. Hebbel kennt so genau die Grenzen und Lücken seines Wissens, daß ihm daneben sein Reichtum gering erscheint; es ist eine stolze Bescheidenheit, denn er hält das Beste gerade gut genug für sich, ihm schwebt überall das Größte, Vollendetste als Jdeal vor, dem er sich jedoch in seinen Aufsätzen nur zu nähern glaubt, ohne es jemals zu erreichen. Er wird vielfach dunkel, nicht weil er unklar denkt, sondern weil ihm die Niederschrift dessen, was ihn zu seinen Resultaten geführt hat, bei der Leichtigkeit und Raschheit seiner Denkprozesse zu kleinlich erscheint; er selbst faßt so schnell, zieht die Konsequenzen mit solcher Virtuosität, daß er ein ähnliches inneres Vorgehen bei seinen Lesern voraussetzt. Dann sind alle seine Kritiken und Aufsäße nur Fragmente seiner ununterbrochenen, zusammenhängenden und einheitlichen Gedankenarbeit und besitzen darum ihren Mittelpunkt im Kerne des schreibenden Individuums, nicht aber in sich selbst. Dem Autodidakten fällt es weniger schwer, die allgemeinen Prinzipien zu entwickeln, als sich in die einzelne Erscheinung liebevoll zu versezen, er knüpft auch hier, wie im Drama (I S. XXXVIII), „die Individuen als nichtig überspringend, die Fragen immer unmittelbar an die Gottheit", sieht auch hier in den Werken oder Autoren, mit denen er sich gerade beschäftigt, nur die Typen, die Verkörperungen eines verborgen waltenden Gesezes. Er macht also nicht so sehr aus der Not eine Tugend, folgt viel mehr der „Autonomie“ seines Geistes und äußert sich so, wie er muß. Hebbel war darum kein milder Kritiker, auch sich selbst gegen= über war er streng; ihm schwebt das Ideal vor, dem kein einzelnes Erzeugnis des menschlichen Schaffens entspricht, er kann niemals den Abstand übersehen, der zwischen Leistung und Idee

besteht. Auch dort, wo er lobt das hätte er gern häufiger getan, als ihm möglich war fällt er niemals in den Ton des Panegyrikers, sondern sucht durch scharf eindringende Bemerkungen und wohlangebrachte Einwendungen gleichsam sein Recht auf Lob erst zu erweisen. Er verwirft aber auch nicht unbarmherzig, sein Streben geht dahin, das Wesentliche der Erscheinungen zu erfassen, ihre Notwendigkeit darzulegen. Nur freilich sind alle seine Kritiken und Auffäße gelungener in der Konzeption als in der Ausführung; er beneidete Lessing, Schiller, Rötscher, Tieck u. A. um die Anmut, mit der sie ihren Stoff behandeln, weil er die Spuren seines mühsamen Schreibens im abgeschlossenen Artikel noch sah und überzeugt war, daß aus dem mühseligen Kampf eines Menschen mit dem widerspenstigen Material fein vollendetes Werk hervorgehen könne.

Trozdem war es lange sein lebhafter Wunsch, eine Sammlung seiner kleinen Schriften veröffentlichen zu können, da sie dabei in ihrem inneren Zusammenhang erkannt werden mußten und erst ihre richtige Stellung zu gewinnen vermochten. Wiederholt machte er den Versuch, einen Verleger dafür zu interessieren, ohne daß es ihm gelang; schon als „Litterat“ in München plante er einen Band Kritiken über die neueste deutsche Litteratur, wobei er sich hauptsächlich gegen Laube richten wollte, doch scheint nichts davon aufbewahrt worden zu sein. Dann begegnet die Absicht einer Sammlung wieder im Jahre 1850, da er seinem Freunde Gurlitt am 28. August seine vollendeten und bereiteten Publikationen aufzählt (Nachlese I S. 305); diese Kleinen Schriften" sollten zwei Bände umfassen und wurden ohne Erfolg J. J. Weber angeboten (Nachlese I S. 307). Ende November 1855 bezeichnet Hebbel die Herausgabe seiner „Vermischten Schriften" als nahe bevorstehend (Bw. II S. 161), am 27. September 1857 verweist er Klaus Groth auf die „Vermischten Schriften", wo dieser ein Votum über seinen ,,Quickborn" finden werde (Bw. II S. 455), erwähnt die

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Sammlung auch schon öffentlich (vgl. XII . 280, 30. 284,23), aber erst im Frühjahr 1863 während seiner Rekonvalescenz ordnete er sie (Nachlese II S. 295). Als Campe sich zur Gesamtausgabe entschlossen hatte, war es für Hebbel zu spät, der Tod raffte ihn dahin. So legte dann erst Emil Kuh in den lezten drei Bänden seiner Ausgabe vor, was er im Nachlasse des Dichters gefunden oder nach seiner Erinnerung in den Zeitschriften und Zeitungen wieder entdeckt hatte. Hermann Krumm vermehrte die Sammlung durch Hebbels politische Auffäße, ich konnte weiteres hinzufügen, doch dürften wir noch nicht alles wieder besigen, so wird z. B. in den Briefen an Dingelstedt und sonst eines Aufsages über Gervinus' „Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts" für eine englische Zeitschrift gedacht, bei der Neuberg den Vermittler gemacht hatte (Bw. II S. 79), Näheres ließ sich nicht feststellen. Bei anderen Nachrichten blieb es zweifelhaft, ob es sich um wirklich verfaßte oder nur um geplante Arbeiten handle, so bei der Besprechung von Bambergs Geschichte der Februarrevolution“ und anderem, was zu verzeichnen der Raum nicht erlaubte.

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Aus der chronologischen Aneinanderreihung, die ich als die allein richtige durchgeführt habe, wird sich jezt wohl der innere Zusammenhang der Hebbelschen Manifestationen klarer als bisher ergeben und die Erfassung seiner Prinzipien leichter gewinnen. lassen. Man sieht, wie bei Hebbel immer eines aus dem anderen folgt, sich ergänzend, erweiternd, erklärend an einander schließt, man erkennt, wie recht Hebbel hatte, da er an Kühne schreibt (Bw. I S. 415), „daß die Kritik, die gegen die einzelnen Manifestationen eines Schriftstellers nothwendig zuweilen ungerecht seyn muß, weil sie sich alle bedingen und doch nur nach und nach hervor treten können“, sich bemühen müsse, „sie auf den Mittelpunct zurückzuführen, aus dem sie hervor gingen, und sie durch diesen mit einander auszugleichen“. Hebbel wußte (Bw. II S. 481), daß er sich nur aphoristisch äußere und

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