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halb, weil er sich nicht auf die geistige Hökerei verstand, und weil man, wo man bloß den kleinen Finger brauchte, entweder den ganzen Menschen mit in den Kauf nehmen oder auch auf diesen Verzicht leisten mußte. Es ist sehr zu beklagen, daß der Tod ihn überrascht hat, bevor er die beabsichtigte und nach 5 der Versicherung des Herausgebers im Kopf bereits vollständig entworfene Selbstbiographie niedergeschrieben hatte.

Handelt es sich hier nur um eine kurze Characteristik seiner Leistungen, so sind seine Naturschilderungen wohl unbedingt an die Spize zu stellen. Mit dieser Allgemeinheit ist nun freilich 10 noch Nichts gesagt, denn keine literairische Krone ist wohl öfter gewandert, wie die des Naturmalers, von Brockes an bis auf Freiligrath herab, und jeder König erhielt einmal seinen Tribut. Aber bei Fallmerayer liegt die Kunst nicht, wie bei den meisten seiner Vorgänger, in gebundener oder ungebundener Rede, in 15 der Neuheit und dem Glanz der Farbenmischung, sondern in der Schärfe und Richtigkeit der Zeichnung, und darum ist sie auch noch im Refler zu firiren, da die Linie Stand hält, nicht aber das Lichterspiel. Bewunderungwürdig vor allem nämlich, und vielleicht beispiellos und einzig, ist sein Blick für die Physiognomie 20 der Erde und für das Autochthonische der Völker, welche ihre verschiedenen Striche bewohnen; er stellt den Menschen und die Natur, wie sie sich gegenseitig bedingen, mit fast dramatischer Energie hin und mußte schon wegen dieses Instincts für das Zusammengehörige den verkappten Slaven in dem prahlerischen 25 Neu-Hellenen entdecken, wie der Naturforscher die fremde Raupe auf dem Baum, der keine Nahrung für sie hat. Die Fragmente aus dem Orient bedürfen keines Anpreisens mehr, aber die in dieser Sammlung gebotenen und früher nie erschienenen Nachträge stehen auf ganz gleicher Höhe. Mit den Geschichtswerken brauchen 30 wir uns eben so wenig zu beschäftigen; die Urtheile von Hase, Niebuhr u. s. w. sind bekannt und haben eben so wenig eine Besiegelung, als eine Revision, nöthig, da die neue Doctrin, wonach

ein Geschichtschreiber eigentlich kein warmblütiger Mensch, sondern ein faltblütiges Insect sein muß, sich schwerlich lange halten wird. Wohl aber wollen wir auf das köstliche Kaleidoskop aufmerksam machen, das sich in den politischen und culturhistorischen Auffäßen und 5 den kritischen Versuchen in einem wahren Kolibriglanze eröffnet. Nicht zwar, als ob wir überall mit den darin vorgetragenen. Ansichten und Meinungen übereinstimmten; im Gegentheil, wir weichen oft bedeutend ab. Wir sind z. B. sehr weit davon entfernt, in Joseph v. Hammer-Purgstall einen geistigen Heroen 10 zu erblicken, wie Fallmerayer; er war nach unserer Ueberzeugung, und wir kannten den Mann, nicht viel mehr, als ein verspäteter Polyhistor, der sich mit derselben Verbissenheit um einen steierischen Käse, wie um die Weltkugel, schlug, weil ihm das Maaß für Groß und Klein völlig fehlte. Aber wir denken auch über 15 die französischen Dramatiker etwas anders, wie Lessing, und wir haben schon oben im Eingang entwickelt, warum das solchen Erscheinungen gegenüber gleichgültig ist. Und diese Blätter strogen von Geist und Humor, sind daneben aber auch so voll von den tiefsten Gedanken und den erschöpfendsten Bemerkungen, 20 daß sie zu dem Anregendsten gehören, was unsere ganze neuere Literatur zu bieten hat. Möge der Herausgeber uns bald auch die zweite Hälfte dieses Nachlasses, denn er hat uns dies Mal nur die erste vorgelegt, zugänglich machen.

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118.

Zwei Aufklärer.

1862.

Es sind seltsame Empfindungen, mit welchen man mitten im tiefsten Frieden ein Zeughaus betritt und sich die Zerstörungsund Vernichtungswerkzeuge des Krieges betrachtet. Wozu dem 30 Tode so viele neue Sensen schmieden; hat er nicht an seiner

Hebbel, Werke XII.

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Hippe genug? So denkt man, wenn man eine Waffenkammer nach der andern durchschreitet und die Mordinstrumente mustert, die Bellona aus der Hand gelegt und in Ruhestand versezt hat. Und wie wäre es auch anders möglich in einer Zeit, wo Frühling, Sommer, Herbst und Winter den Menschen in fröhlichem Wechsel- 5 tanz mit ihrem Segen überschütten, und wo ein Tropfen Blutes, im Uebermuth des Rausches oder aus Raserei der Liebe vergossen, das allgemeinste Entseßen verbreitet und die auf Blumen eingeschlafene Themis so aufscheucht, daß sie hundert Arme auf einmal ausstreckt. Aber wie ändert sich das Alles, wenn troß der 10 Theologen und Philosophen und der bis zum jüngsten Tage gültigen Verträge der erste Kanonenschuß wieder fällt! Da wird jede Waffe wieder geprüft, von dem verrosteten Morgenstern des Schweizer Bauern an bis zum Percussionsgewehr hinauf, und im Drange der Noth findet sich für die schlechteste, wie für die 15 beste, ein Arm, der nach ihr greift.

Eben so verhält es sich mit den geistigen Kämpfen. Kaum sind sie vorüber, so staunt die Welt auch schon, daß sie mit solcher Erbitterung geführt werden konnten, und die Kritik der Schlachtfelder, die oft unmittelbar nach dem Sieges jubel beginnt, 20 ist vielleicht die ungerechteste von allen. Aber wie wohl der einzelne Mensch von Krankheiten geheilt, jedoch nicht das Menschengeschlecht von der Krankheitsanlage befreit werden kann, so wird wohl auch die einzelne Generation einen auf sie vererbten Irrthum los, aber keineswegs in der Menschheit selbst die Quelle 25 verstopft, aus der neue Wahngebilde emporsteigen. Wer begriff noch die Herenprocesse, wer sah nicht wenigstens mit Stolz auf ein Jahrhundert herab, in dem eine so furchtbare Verirrung möglich gewesen war, und beklagte Männer, wie Thomasius und Spee, die ihre beste Kraft an die Widerlegung solcher Kinder- 30 märchen sehen mußten? Da kam das Tischrücken und das Geisterklopfen; die erste Juristenfacultät Deutschlands legte öffentlich für die Wahrheit des Factums ihr gewichtiges Zeugniß ab;

Aerzte ließen sich durch den Psychographen in kritischen Fällen die Recepte schreiben, geistreiche Dichter — ich berichte Thatsachen erholten sich Raths bei ihm, wenn sie nicht wußten, wie sie ihren dramatischen Knoten in einem historischen Trauerspiel lösen sollten, 5 und ehrbare Familienväter wandten sich bei Hausdiebstählen nicht an die Polizei, sondern an das hölzerne Instrument des berliner Schneiders, in dem ein Wahrsagergeist saß, der sogar über seine Generalia, über Stand, Namen, Alter und Geschlecht, wie ein Delinquent zu Anfang des Verhöres, bereitwilligst 10 Auskunft gab, bevor er Vertrauen verlangte. Der Schwindel war lächerlich, hatte aber seine ernste Seite und bewies auf's Schlagendste, daß die dunkele Wurzel, der die Weltgeschichte ihre reiche Passionsblumenflora verdankt, noch immer lustig forttreibt, wenn auch die Schößlinge abgeschnitten sind, und daß sie noch 15 äußerst kräftig ist, denn was bedeutet der Glaube an besessene Menschen gegen den an besessene Tische? Und das sind die Wendepuncte, wo die Jahrhunderte einander begreifen lernen und sich Gerechtigkeit widerfahren lassen.

Ein solcher Wendepunct ist jezt eingetreten: das Zeitalter 20 der Aufklärung kommt wieder zu Ehren und aus demselben. Grunde, wie das Zeughaus, weil der Krieg vor der Thür steht. Wie ist es abwechselnd geschmäht und gescholten, verhöhnt und verlacht worden, und wer wollte läugnen, daß es zum guten Theil verdient war? In Frankreich die Encyclopädisten und in 25 Deutschland die Jesuitenriecher, Voltaire mit seinem grinsenden Satyrgesicht und Nicolai mit seiner Nachtwächterphysiognomie, dort eine Harpye, welche die Schaubrote des Altars hämisch beschmußte, hier eine Bäckermeisterseele, welche sie mit gemeinen Semmeln zu vertauschen wünschte: wie hätte man nicht, je nach30 dem man mit seinen Gedanken diesseits oder jenseits des Rheins verweilte, zwischen Abscheu und Spott schwanken sollen! Wer sich so recht unter die Realisten jener Tage versezt und sich 3. B. erinnert, daß Joachim Heinrich Campe lieber die braun

schweiger Mumme erfunden, als alle Tragödien von Aeschylos bis zu Shakespeare herab gedichtet haben wollte, der wird die Reaction der Romantiker natürlich finden, ohne nöthig zu haben, ultramontane Umtriebe dahinter zu suchen. Aber freilich wurde ein Schlachtfeld nach dem Siege noch nie so verunreinigt, wie s das der Aufklärer, und ein treuer, tapferer Soldat noch nie so gemißhandelt, wie der Verfechter des gesunden Menschenverstandes. Man sah nur noch seinen Zopf, nicht seinen Kopf, und konnte sich die Zeit durchaus nicht mehr vergegenwärtigen, wo sogar ein Product, wie Voltaires Saul, obgleich es ein Attentat auf 10 den heiligen Geist der Poesie enthielt, das der jugendliche Goethe gern mit dem Tode am Autor gestraft hätte, heilsam war. Jezt fällt uns das nicht mehr so schwer, der alte böse Feind, von dem unsere Väter und Großväter sich nichts Arges mehr versahen, regt sich wieder mächtig, der Religionsfriede wird überall gestört, 15 ein Concordat drängt das andere, und schon giebt es einen Erzbischof, in Toulouse, dem durch den scheußlichen Proceß Calas berüchtigten Toulouse, der die seit der Revolution unterbrochene, früher gebräuchliche Feier eines kleinen Vorspiels der Bartholomäusnacht wieder in Scene sezt.

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Es ist daher nicht bloß zweckmäßig, sondern fast nothwendig, die vergessenen Kämpfer für „Humanität und Menschenrecht" wieder vorzulassen, und wer wäre so berufen, dazu das Signal zu geben, als der berühmte Verfasser des „Lebens Jesu“. Sei uns denn an seiner Hand der alte trockene, aber mannhafte 25 Reimarus*) willkommen, obgleich er in seiner Allongenperücke etwas spießbürgerlich darein schaut; seine „Apologie oder Schußschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes" wird wieder gute Dienste thun, und wo seine Kritik in ihrer allerdings spröden Einseitigkeit zu weit geht oder nicht weit genug, da wird sie 30

*) Hermann Samuel Reimarus. Von David Friedrich Strauß. Leipzig, F. A. Brockhaus.

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