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denn wer dem Künstler es zur heiligen Pflicht macht, das Urtheil der Zeit" zu verachten, den hätte das Urtheil eines „Preisgerichts" sicher nicht gedrückt und beirrt, da es nur ein höchst unansehnliches Bruchtheil im Gesammturtheil der Zeit bildet. Doch, wir erinnern uns: nur durch zweier Zeugen 5 Mund wird allerwegs die Wahrheit kund", und befragen den zweiten, den Freund des Vorigen, Goethe, der sich glücklicherweise gleichfalls vor den Schranken befindet, um darüber verhört zu werden, ob er, wenn Lessings Emilia Galotti" durch neun Mitglieder der Berliner Akademie seinem „Göß von Berlichingen“ 10 vorgezogen worden wäre, nicht auf der Stelle, wie Leisewitz, das Drama verflucht und auf „Faust“ und „Egmont“, „Iphigenie“ und „Tasso“ Verzicht geleistet hätte, um der Unannehmlichkeit einer solchen öffentlichen Rüge" zu entgehen. Der Zeuge citirt lächelnd ein Wort seines Tasso über den Seidenwurm, fügt 15 ironisch hinzu, er glaube nicht, daß das arme Thier zu spinnen aufhöre, wenn die Wolle besser im Preise stehe, wie die Seide, murmelt Etwas von einer unzugänglichen Burg, in der man sicher wohne, wenn es Einem bloß um die Sache zu thun sei“, und geht mit einem langen Blick auf unsere „Dichterseele" und 20 ihr „stilles Walten" stolz und vornehm ab. Nun können wir endlich ruhig sein. Durch Zeugen, die wir nicht luden und also auch nicht bestachen, sondern die wir im Gerichtssaale als gegnerische antrafen, haben wir bis zur Evidenz dargethan, daß es mit dem Dichter und dem Künstler im Allgemeinen ganz so 25 steht, wie wir dachten. Seine Neigung ist die Welt mit allen kommenden Geschlechtern." Ihn berührt nur Eine Concurrenz, die ideale durch höhere Geister. „Und dem Großen gegenüber giebt es auch noch eine Rettung, aber freilich auch nur Eine: die Liebe!" Das hat sich auch zu allen Zeiten bestätigt. 30 Beethoven, um ein Beispiel aus der Vergangenheit anzuführen, schuf ruhig an seinen Symphonien fort, obgleich alle Musiker ihn für verrückt erklärten und ihm gern den Flügel zerschlagen,

ja das Notenpapier zerrissen hätten. Und Cornelius, der noch unter uns wandelt, hat auf seine apocalyptischen Rosse noch immer nicht den Wrangel oder den Radezky gesezt, obgleich sie dadurch bedeutend leichter in Mode kommen würden. Der 6 Eine dachte an die Ohren derer, die erst geboren werden sollten; der Andere denkt an ihre Augen, Keinem von Beiden aber kam es in den Sinn, mit dem Geschäft zu wechseln, weil sie den Beifall der Tauben und der Blinden nicht davontrugen. Leisewiß ist schon aus dem Grunde fein Einwand, weil er 10 nach dem Julius von Tarent, diesem blassen Pendant der Lessing'schen Musterstücke, gar Nichts mehr hervorgebracht hat, gar Nichts in irgend einer Form, bis auf ein paar FidibusSchnißel. Das beweis't, daß er sich gleich vollständig ausgegeben hatte. Nie hat ein echter Künstler aus „Ehrgeiz“ gedichtet, gemalt 15 oder componirt; nie ist er daher durch Zurückseßung“ stumm gemacht oder aus seiner Bahn gedrängt worden, nie aber freilich auch durch das „Gottesurtheil des Erfolgs“ übermüthig und vermessen. Das Tragische seines Schicksals liegt eben darin, daß er als Mensch zur Befriedigung seiner menschlichen Bedürfnisse 20 so gut, wie ein Anderer, der Erreichung äußerer Zwecke bedarf, als Künstler aber diesen Zwecken Nichts opfern kann, ohne einen Selbstmord zu begehen. Die Poeten, die durch Preisgerichte zerschmettert werden können, sind alle aus den Satyren des Horaz ausgebrochen. Man muß sie wieder einzufangen 25 suchen, denn sie werden sämmtlich Journale gründen, die das Vortreffliche herunterreißen und das Niederträchtige loben, und sie sind genial im Organisiren von Cliquen und unerreichbar im Stiften von Kameraderieen, die das stille Walten" der Dichterseele ganz anders stören, als ein Fehlgriff der Akademiker. 30 Doch, sie wird auch das aushalten, wenn sie nur die rechte ist. Unser Leser hat sich überzeugt, daß Karl Guzkow seinen Protest nicht im Namen der deutschen Literatur erhoben hat, da er sich mit ihren höchsten Repräsentanten im schneidendsten Wider

spruche befindet. Er hat daher nur ein Selbstportrait geliefert, aber allerdings eins vom ersten Rang, das jeden Commentar zu seinen Werken überflüssig macht. Es ist so, wie wir sagten: in dieser Organisation ist das begleitende Motiv an die Stelle des bestimmenden getreten, die kleine beiläufige Triebfeder, der 5 Niemand ihr relatives Recht bestreitet, an die Stelle der großen. Der Ehrgeiz sezt sie in Bewegung, nicht der Schöpferdrang, denn dieser hält nach eigenem Bekenntniß nicht Stand, wenn jener verlegt wird, er spielt also eingestandenermaßen die untergeordnete Rolle. Das ist nun die Art des wißigen Kopfs, 10 dem der Tiefsinn abgeht; es ist nicht die Art Lessings, des unsterblichen Lessings, der seinen „Nathan“ schuf und mit den herrlichsten Eigenschaften seiner reichen Natur ausstattete, obgleich er glaubte, daß er erst spät oder nie seinen Weg auf's Theater finden würde; aber es ist die Art Voltaires, der sich 15 durch Stafetten von Act zu Act über den Ausfall seiner Merope“ in Kenntniß seßen ließ, und der als höchster Typus aller dieser Mischgeister auch gerade in den Mischgattungen, im Zeitbild, im satyrischen Drama u. s. w., excellirt. Was kann dabei herauskommen, als verworrenes Denken und Empfinden 20 und gewaltsames Abtreiben der unausgetragenen Geistesfrüchte, damit für den vergötterten Erfolg" nur ja der Moment nicht versäumt werde? Hier ist unsere Aufgabe gelös't, die lezten Gründe einer solchen Erscheinung sind bei Solger und Vischer nachzusehen, die unser Autor mit so viel Widerwillen in den 25 Händen der Preisrichter erblickt, wir haben sie nicht zu entwickeln. Uebrigens wollten wir nur nachweisen, daß die Schillerstiftung des Prinz-Regenter von Preußen die Literatur nicht mit Schmach und das „stille Walten der Dichterseele" nicht mit Unheil bedroht. Auch wir bezweifeln es stark, daß die Nach- 30 welt ein neues goldenes Zeitalter der deutschen Poesie von ihr datiren wird, und auch wir hätten manche Einwendung gegen die Statuten auf dem Herzen. Wir würden z. B. vorschlagen,

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dem Ganzen zunächst eine historische Basis zu geben. Das würde dadurch geschehen, daß das Preisgericht sich im ersten Jahre einfach darauf beschränkte, die Aussprüche zur Vollziehung zu bringen, welche die Nation selbst bereits seit dem 5 Auftreten Uhlands, als des ältesten unserer jezt lebenden dramatischen Dichter und Theaterschriftsteller, über diese gefällt hat. Die Candidaten, unter denen sich kein einziger „Sophoclide" oder Aristophanide" befinden würde, unter die wir aber, wie wir ausdrücklich zur Verhütung aller Mißdeutungen erklären 10 wollen, Karl Gußkow wegen seines „Urbilds“ unbedingt mitrechnen, dürften die Zahl Zehn kaum erreichen und gewiß nicht überschreiten; der Kostenpunct wäre also für den preußischen Staat ganz unerheblich, die moralische Wirkung würde jedoch ohne allen Zweifel groß sein. Wie es damit aber auch werden 15 möge, ein unvollkommener Segen ist noch nicht gleich ein Fluch und verdient feinen unmotivirten Protest, sondern einen aufrichtigen Dank.

112.

Shakespeares Zeitgenossen und ihre Werke.

20 Zweiter Band: John Ford: Dritter Band: John Lilly, Robert Green und Christoph Marlow. Berlin, Decker 1860.

Zweiter Artikel.
1861.

Ich habe den ersten Band dieses Werkes, John Webster 25 enthaltend, ausführlich beurtheilt und würde auf dasselbe, obgleich ich es versprach, ohne einen besonderen Grund schwerlich zurückgekommen sein, wenigstens nicht vor seinem völligen Abschluß, denn was ich augenblicklich dachte, als ich die pomphafte Vorrede las, ist bis jezt buchstäblich eingetroffen. Allein der 30 Herausgeber hat für gut befunden, meine Beurtheilung in der Einleitung zu seinem zweiten Bande, nicht etwa, wie es an

Hebbel, Werke XII.

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gemessen und statthaft gewesen wäre, zu widerlegen, sondern sie, was allerdings leichter war, durch plumpe Sophismen, ja durch offenbare Unrichtigkeiten und grobe Unwahrheiten zu verdrehen und zu verläumden; und dieß nöthigt mich, für mein Wort einzustehen und es mit Beweisen zu unterstüßen, die ich ihm 5 sonst erspart haben würde. Ich mußte seine Doctrin, wornach auf einmal von Shakespeares Zeitgenossen mehr zu lernen sein. sollte, wie von Shakespeare selbst, zwar bestreiten und seinen übrigen Behauptungen bis zur Verificirung durch die That den bescheidenen Zweifel, den die Pietät für seine Vorgänger mir 10 einflößte, entgegenstellen. Aber ich begnügte mich, aus Achtung vor seinem respectablen Uebersezer-Talent, zur Erhärtung meiner Behauptungen den von ihm angepriesenen Dichter einer gewissenhaften Section zu unterziehen, anstatt seine eigenen Säße, so sehr sie auch dazu herausforderten, der Analyse zu unterwerfen oder 15 gar seine wunderliche Reproductions-Methode zu prüfen. Wenn ich das jezt nachhole, so bin ich durch die Nothwehr dazu ge= zwungen.

Herr Professor Bodenstedt läßt mich vor seinem Leserkreise, der die „Wiener Zeitung“ gewiß nicht zur Vergleichung bei der 20 Hand hatte, reden, wie es ihm gefällt, ganz in der Manier des seligen Johann Melchior Goeze, der die wörtlichen Aufführungen auch nicht liebte und Lessing gern so lange zusammenzog, bis Sinn und Verstand erstickt waren. Ich will ihn buchstäblich citiren, bitte mir aber im wieder vorkommenden Falle das Gleiche 25 von ihm aus, wenn er das Recht auf Antwort und Alles, was sich daran knüpft, nicht verlieren will.

,,Zum Schlusse

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heißt es in der Eingangs erwähnten Einleitung noch ein Wort zur Verständigung. Ich hatte geglaubt, mich über den Zweck dieses Unternehmens in der Vor- 30 rede zum ersten Band deutlich genug ausgedrückt zu haben. In diesem guten Glauben bestärkten mich die freundlichen, ganz in meine Intentionen eingehenden Urtheile der geachtetsten deutschen

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