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107.

Schöne Verse.

1859.

So unglaublich es klingt, so entschieden ist es der Fall: 5 man schwärmt in unseren Tagen mehr, denn je, für schöne Verse; die Lesewelt thut es und die Tageskritik nicht minder. Einen größeren Beweis für das allgemein eingerissene Siechthum des Geschmacks und für den Mangel jedes echten Kunsturtheils kann es nicht geben. Mir ist immer zu Muthe, wenn ich den 10 nichtssagenden, gedankenverwischenden Ausdruck,,schöne Verse“ höre, als spräche man von schönen Nasen oder schönen Daumen. Nur durch das Detail vermag sich der Künstler überhaupt zu zeigen, aber nur, indem das Detail auf das Ganze hinweis't, und an sich betrachtet zweideutig und zweifelhaft wird. Von dem Act 15 in einem Drama, von dem Gesang in einem Epos angefangen, an der einzelnen Gestalt und an der einzelnen Schilderung vorbei bis hinab zum Saß, zum Vers, zum Adjectiv, wollen sie alle selbständig existiren, wollen sie alle, zu Sclaven geboren und bestimmt, die Rolle des Spartacus spielen und müssen alle 20 unter den Dienst des großen Ganzen gezwungen werden; ja, wenn in einem Kunstwerk jene Elemente sich nicht auflehnen wollen, dann haben wir eine leblose Maschinerie vor uns, statt eines pulsirenden Organismus, und das Verdienst, das der dichtende Morphy für sich in Anschlag bringt, wenn seine Bauern 25 feinen zweiten Bauernkrieg beginnen, dürfte voraussichtlich im Werthe etwas sinken. Der Saz oder der Vers muß Etwas erlebt haben, ehe er uns durch seine Kraft oder seine Selbstbescheidung zu imponiren und zu erfreuen vermag; sonst steht er, wie sich neulich Jemand ausdrückte, mit der ungeprüften Tugend 30 im sittlichen Gebiet auf einer und derselben Stufe. Die vielgepriesenen und gehätschelten schönen Verse der „,,kalligraphischen" Dichter von heute blicken auf keine gewonnenen Erfahrungen

zurück, sondern wiegen sich selbstgefällig in einer schlechten Unschuld, ähnlich der schlechten Unendlichkeit, von der Hegel spricht. Während ein ganzer Kreis deutscher Dichter, welchen ich näher zu bezeichnen vermeide, nur in den seltensten Fällen gute Verse zu Stande brachte und troß dem ewigen Verrenken der Sprache, 5 dem Nachzerren des Verbums u. dgl. sich einbildete, eine Meisterschule für poetische Form zu sein, seßte eine andere spätere Dichtergenossenschaft ihren Stolz darein, die Verse zu schniegeln und zu strehlen, sie vor Allem „fließend“ zu machen, wie Mähnen eines Pferdes, gleichviel ob der Stoff ein Empor= 10 sträuben der künstlerischen Form bedingte, oder ob die Situation es erheischte, einen trockenen Predigerton anzuschlagen, oder ob die Kunstgattung überhaupt einen gleichmäßigen Strom der Sprache zuließ, oder nicht. Die Bemerkung von Lazarus, man denke erst eigentlich, wenn man in Worten denke, ist eben so auf 15 die Kunst, wie auf die Wissenschaft anzuwenden, nur stellt sich der poetische Gedanke als ein vom wissenschaftlichen verschiedener dar. Thurmspißen und Himmelskörper werden nach den nämlichen mathematischen Gesezen gemessen, und des funkelnden Lichtes halber, das der Stern ausstralt, darf diejer keine aparte 20 Rechnungsmethode für sich beanspruchen. Hier ist der Punct, der über die sogenannte poetische Licenz entscheidet und der den früher berührten Dichtern, die den Rhythmus und den Reim als die Freistädte, wovon das alte Testament erzählt, betrachten, in welchen Sinn und Verstand vor der Verfolgung der Logik 25 sicher sind, zur reiflichen Erwägung empfohlen wird. Wer hätte das Geringste gegen das Bild einzuwenden: „Im einsamen Luftraum hängt nur der Adler und knüpft an das Gewölk die Welt"? doch welcher Gebildete vidirt dem nachfolgenden Verse den Paß: An ihren bunten Liedern klettert die Lerche selig in 30 die Luft"? Wenn ein Dichter, um den Gegensatz zwischen Abendland und Morgenland zu veranschaulichen, von jenem singt: Sie stammt aus jenem Lande nicht, wo ehrbar-blond

der Waizen reift, und stachligt-keusch die Gerste sticht, wenn man sie noch so leise streift", so ist diese Art, menschliche Eigenschaften den Naturproducten zu verleihen, poetisch und mithin auch vernünftig, was hoffentlich Jeder einsieht, der in gehobener 5 Stimmung ein Aehrenfeld durchschritt. Wenn aber ein Dichter eine Courtisane mit einer Rose vergleicht: „Eine Rose liegt am Weg zertreten und ein ganzer Himmel wohl mit ihr," so kann man sich über die Unrichtigkeit und Unsinnigkeit der Hyperbel durchaus nicht täuschen. In keiner zertretenen Rose ging ein 10 Paradies zu Grunde, keine zertretene Rose ist aesthetisch schön, feine Courtisane, weder Lais, noch Ninon de l'Enclos, ist deshalb mehr einer wunderbaren Rose ähnlich, deren zerknitterte Blätter uns Thränen entlocken sollten, weil sie eine Courtisane war; im Gegentheil. Was bedeutet aljo jener confuse Vers? 15 Kommt das innerste Wesen der künstlerischen Form bei den Libertinern des Verses übel weg, so geschieht dasselbe bei den Haarkräuslern des Verses. Jene leisten einen activen, diese einen passiven Widerstand gegen die Kunst. Jene suchen die unfertige Vorstellung mit dem Verstand zu beleuchten, und 20 schlagen das Besondere, das stets zuerst als Einfall erscheint, durch das mühselig herbeigeschleppte Allgemeine todt, diese suchen für das vom Verstand zubereitete Material eine demselben gemäße sinnliche Form und coloriren quasi ihre Abstractionen. Jene werden während des Zusteuerns auf's Ziel abstract, diese 25 sind es von Anbeginn. Jene, wenn sie holprige Verse machen und sich mit Bildern und Vergleichen herumschlagen, besigen dabei eine unbewußte Empfindung, das Ding gliedre sich nicht recht, irgend Etwas verhindere die dichterische Ausgestaltung, und sie ringen wenigstens redlich mit sich selbst, freilich leider 30 in einem Moment, in dem die reife Frucht schon anmuthig abfallen sollte. Diese dagegen wissen genau, daß ihre Phantasie grau ist, daß ihre Gedanken nie anschwellen, ihre Träume sie nie ängstigen werden, sie haben also keine schwere Arbeit, die

Farben zu schwächen, den Ausdruck zu dämpfen; sie wagen sich nicht weiter in's Meer hinaus, als der Kahn erlaubt, und sie sehen ihr persönliches Ich nicht ein, wenn sie produciren, sie tragen nicht, wie Erstere, die eigene Haut zu Markte. Frühling und Winter, Polargegenden und Tropenlandschaften, altgermanische Mythen und moderne Herzensconflicte werden in „schönen Versen“ vorgetragen, die sämmtlich so einträchtlich neben einander athmen, wie die Thiere in Noahs Arche, indeß der Vers im Tasso den Vers im Faust, ich mögte sagen, anfeindet, und der Vers im legten Mignonliede: „So laßt mich scheinen, bis ich werde", 10 sich vor jenem in Clärchens Soldatenliede beinahe schämig verstecken würde.

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Der Göze, den die heutigen Dichter der schönen Verse" anbeten, ist Platen. Es scheint dem Deutschen eingeboren, jeden Trank, der einst seine heilsame Medicin abgab, lange Zeit nach- 15 her als Nahrungsmittel noch fort zu genießen; die Wirkung wird dann natürlich eine andere; so bildete sich aus dem Lessing'schen Humanismus die Lichtfreundlichkeit heraus, und der Platen'sche Formalismus, der noch einen strammen Nerv aufwies, ging in eine behagliche Schlaffheit der akademischen Be- 20 handlung der Sprache über. Die Romantiker hatten alle Formen durch einander gewürfelt, Ulrich von Lichtenstein amalgamirte sich mit Aristo und den provençalischen Minnesängern, Tieck schrieb Tragödien, die von Canzonen, Sonetten und Trioletten wimmelten, Arnim und Brentano strengten sich an, 25 das von Goethe in die reine Kunstsphäre hinüber geleitete deutsche Volkslied wieder auf den rohen und überschwänglichen Naturlaut zurückzuführen, und da war Platen's einseitiges Bestreben, der poetischen Form schwere lateinische Gewichte anzuhängen und in antikisirender Weise um jeden Preis die Linien 30 der Sprache vom wuchernden Beiwerk zu befreien, vollkommen am Play. Platens verbitterte, ruhmgierige Individualität fiel zufällig mit der Nothwendigkeit jener Reaction zusammen, und

Beides war sein Pathos für den Formalismus. Seine Oden sind wirklich energisch, und seine Parabasen lies't man zuweilen mit einer gewissen Freude am Tonfall der Verse. Aber der Poet in ihm war ein Dilettant, und wer aus seinen Liedern 5 und Balladen, geschweige gar aus seinen Epen und Dramen die Ueberzeugung schöpft, der Graf von Hallermünde habe in Hinsicht auf den Bau, die Melodie und keusche Sinnlichkeit des Verses Goethe oder auch nur Schiller überboten, dem mögte ich von einer weiteren Beschäftigung mit den schönen Künsten 10 ernstlich abrathen.

Was nun Platen, wie ich angedeutet, mit Pathos in seinen schönen Versen geleistet hat, das leisten die gegenwärtigen ihm verwandten Dichter ohne Pathos, denn sie treten ruhig die Erbschaft an, um die er leidenschaftlich kämpfte, und stellen sich 15 in der Sucht nach antiken Themen, in der Vermeidung des Hiatus u. s. w., als die Nachahmer des Nachahmers dar. Grabbe, Freiligrath und Herwegh waren in der Behandlung des Verses Naturalisten, d. h. sie hielten sich vorherrschend an das wirkliche Leben und drückten mithin auch der Sprache den Mangel der 20 Empirie auf. Unsere jezigen nachplaten'schen Dichter aber sind Copisten einer längst dargestellten, also einer literairischen Welt: die Landschaft muß so geschildert werden, wie es Virgil gethan, die Liebe muß seufzen, wie bei Catull, das Distichon muß so gearbeitet sein, wie bei den griechischen Epigrammatisten. Den 25 Modus dafür in deutscher Sprache hat wieder Platen ange= geben; nun wandelt Brunhild gemessen einher, wie sich etwa ein heimischer Rector den Gang der Juno vorstellt, das Dalmatiner Mädchen schreitet wie Brunhild, Vittoria Colonna bewegt sich gleich dem Dalmatiner Mädchen. Dieser Nivellirungs30 proceß macht sich folgerichtig auch in der Sprache geltend, die der Gebildete und Einsichtige physiognomielos findet und die der vorüberrauschende Tag mit dem Prädicat „schöne Verse" belohnt. Man ist nicht deshalb in Wahrheit idealer, als Grabbe

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