Page images
PDF
EPUB

fortfährt, wie er angefangen hat, so wird er sich einen glänzenden Plaz in der Unterhaltungsliteratur erobern und bedeutend da= zu beitragen, uns in diesem stark gesuchten Artikel von unseren übermüthigen Nachbarn jenseit des Rheins unabhängig zu machen.

5 Die Königin. Historischer Roman von Ludwig Storch in vier Bänden. Leipzig, J. F. Hartknoch.

Viel solider geht es bei Storch her, aber das Resultat ist trozdem viel weniger befriedigend. In die Sphäre der Kunst erhebt er sich eben so wenig, wie Mühler, und in der Sphäre 10 der Unterhaltungslectüre bleibt er weit hinter ihm zurück. & war an und für sich schon ein unglücklicher Gedanke, von den Unruhen in den Cevennen auszugehen. Tieck und sein vortrefflicher Torso sind noch nicht vergessen, und die Vergleichung ist unvermeidlich. Die Handlung verläßt dies Terrain nun zwar so 15 bald, als möglich ist, und das beweis't, daß der Verfasser die Gefahr kannte, die er neben jenem Dichter lief, aber sie ist und bleibt lahm und wickelt sich in gar zu großer Breite ab, auch kann der Ausgang, die Proclamation der Heldin zur Königin der Huronen, kaum den Titel rechtfertigen, geschweige höheren 20 Ansprüchen genügen. Wir sehen Storch lieber auf deutschem Boden.

Erzählungen bei Nacht. Novellen von M. Solitaire.

Heinrich Matthes.

Leipzig,

Der Verfasser beklagt sich in einem Nachwort bitter 25 darüber, daß ihm vielfach die Nachahmung Callot-Hoffmanns zum Vorwurf gemacht worden sei. Uns scheint dieser Vorwurf nur eben so gerecht, als die Widerlegung thörigt, die er versucht und die mit einer Herabseßung Hoffmanns beginnt. Es ist ganz gewiß, daß seine „Creaturen" von den „Figuren“ des 30,unseligen" Hoffmann ausnehmend verschieden sind; die Identität wird wohl auch Niemand behauptet haben. Aber noch gewisser

ist es, daß diese seine Creaturen durch Hoffmann in's Leben gerufen wurden, und je unbewußter dieß subjectiv geschehen sein mag, um so größer ist objectiv die Abhängigkeit. Sie gereicht ihm jedoch auch keineswegs zur Schande, denn Hoffmann war eine elementarische Natur von seltenem Umfang und außer 5 ordentlicher Energie, und wenn die unnatürliche Begeisterung für die Elle des Krämers und die Sense des Bauern einmal wieder vorbei ist, wird man mit Vergnügen, wenn auch nicht mit unverständiger Bewunderung, wieder zu der wunderbaren. Laterna magica zurückkehren, die er in die Welt hineinhing. 10 Schlimm ist es nur, daß der Verfasser seinen Meister nicht erreicht, und der Unterschied zwischen dessen Schöpfungen und seinen Nachbildungen, auf den er ein so unglückliches Gewicht legt, und den wir ihm leider bestätigen mußten, hat einzig und allein in der Unzulänglichkeit seines Talents ihren Grund. 15 Hoffmanns Phantasiestücke, mag man sie nun hoch oder niedrig stellen, sind immer voll und rund, wie Träume. Solitaire sezt die seinigen mühselig aus den widersprechendsten Elementen zusammen und glaubt sie zu motiviren, weil er dem Regenbogen, der nicht ganz werden will, mit dem Tüncherpinsel 20 nachhilft. Doch fehlt es seinen Erzählungen keineswegs an gelungenen Parthien; aber wie sieht es mit den Compositionen im Ganzen aus?

Bilder aus dem häuslichen Leben von Karl von Holtei. Zwei Bände. Berlin, Artistische Anstalt.

Christian Lammfell. Roman in fünf Bänden von Karl von Holtei. Zweite Auflage. Breslau, Eduard Trewendt.

25

Holteis schönes Talent muß sich auf das wirkliche Leben stüßen, wenn es Gedeihliches und Erfreuliches bringen soll. Seine Vagabunden bildeten eine Art Ergänzung seiner 40 Jahre, 30 die man mit Recht in unserer Memoiren-Literatur sehr hoch stellt; daher kam ihnen das Gerundete der Gestalten und das

Gesättigte des Colorits. Sein Christian Lammfell ist das Product freier Erfindung; daher fehlten diesem zweiten Roman, den wir für verblaßt und gedehnt erklären müssen, die Vorzüge des ersten. In hohem Grade vortrefflich sind dagegen wieder 5 die Bilder aus dem häuslichen Leben; Niemand wird sie ohne Befriedigung aus der Hand legen.

10

XI.

Die dresdner Gallerie. Geschichten und Bilder. Von A. v. Sternberg. Zweites Bändchen. Leipzig, F. A. Brockhaus.

Der erste Theil dieses Werkchens ist uns nicht zu Gesicht gekommen, den zweiten müssen wir zum Vorzüglichsten rechnen, was jemals aus Sternbergs Feder hervorgegangen ist. Es war ein sehr glücklicher Gedanke, die berühmtesten Bilder, welche die erste Gemäldegallerie Deutschlands enthält, zu Mittelpuncten 15 kleiner Novellen zu machen, und er ist eben so reizend, als erschöpfend ausgeführt worden. Bald ist es das Schicksal des Meisters, bald das seines Werkes, welches den Stoff abgiebt, und während die Anecdote uns auf das Angenehmste beschäftigt, fühlen wir uns zugleich in die vorüber gerauschten 20 Zustände verschwundener Jahrhunderte verseßt. In der „grünen Spinne" sind sogar Elemente echtester Märchenpoesie; das allerliebste Stück würde Goethes neuer Melusine zur Seite stehen, wenn der Schluß weniger trivial wäre. Einige Stilnachlässigkeiten müssen wir aus demselben Grunde streng rügen, 25 aus dem das Auge an polirtem Stahl keine Rostflecken duldet; ein Schriftsteller, wie Sternberg, sollte nicht vergessen, daß das feinere Ohr ein übel lautendes „ist“, „hat“ oder „wen“ darum nicht weniger hört, weil es in der Feder stecken bleibt.

Drei Jahre von dreißigen. Ein Roman von Ludwig Rellstab. Neun Bände. Leipzig, F. A. Brockhaus.

Wenn einer unserer angesehensten Historiker den Wunsch ausspricht, daß der historische Roman nie erfunden sein mögte, so können wir ihm nicht beistimmen, müssen vielmehr an Goethes 5 Ansicht festhalten, daß mit Walter Scott eine ganz neue Art der Kunst von unberechenbarer Bedeutung hervorgetreten sei. Aber freilich hat von Walter Scotts zahllosen Schülern keiner den Meister erreicht, und wenige sind ihm so nahe gekommen, daß sie auch nur die Existenzberechtigung mit ihm theilen. Ludwig Rell- 10 stab, sonst ein achtungswerther Autor, in dem die productive und die kritische Begabung in einem schönen Gleichgewicht stehen, ist nun unter diesen Schülern einer der lezten. Es war an und für sich ein höchst unglücklicher Gedanke, den Dreizigjährigen Krieg zum Thema zu wählen; ist denn Schillers Wallenstein nicht da, 15 und hat der Dichter demjenigen Leser, dem dies ungeheure Bild nicht genügt, noch irgend Etwas zu sagen? Die Ausführung erinnert nun aber obendrein an Nichts so lebhaft, als an Ben Johnsons Tragödien, in denen die nackte Geschichte bekanntlich für die ausgebliebene Poesie entschädigen sollte. Eine Menge 20 historischer Züge werden gehäuft, allein sie nehmen sich aus, wie die Libelle im Bernstein oder das Insect im Harz, wenn sie auch beweisen, daß der Verfasser gründliche Studien gemacht hat, denn es fehlt ganz und gar an lebendigen Characteren. Darum will auch für die Haupthandlung durchaus kein Interesse 25 aufkommen, obgleich es keineswegs an spannenden Episoden mangelt.

Die Heimatlosen. Erzählung aus den Freiheitskriegen. Von
D. Glaubrecht. Frankfurt a. M., Heyder und Zimmer.

Dieser Roman schildert die Zeit, wo der Deutsche in seinem 30 eignen Vaterlande heimathlos war, wo die heiligsten Regungen der Seele als verbrecherisch bestraft und die natürlichsten Empfin

dungen von einer fremden Polizei mit Acht und Bann belegt wurden. Es war die glorreiche Zeit, wo am Strand der Elbe der Hamburgische unpartheiische Correspondent, das älteste Journal Deutschlands, in französischer Sprache erschien, und wo in Triest 5 an den Ufern des Adriatischen Meeres der Napoleon'sche Soldat an Regentagen aus Commisbrod ein Trottoir erbaute, um trocknen Fußes über die Straße gehen zu können und nebenbei den staunenden Barbaren den erlangten Culturgrad der großen Nation recht augenscheinlich zu machen. Es ist heilsamer, daß 10 an diese Zeit erinnert wird, als wenn ein neuer Heinrich Heine ein neues Buch ,,Le Grand" lieferte oder ein neuer Gaudy einen neuen Band „Kaiserlieder“. Wäre der wohlgemeinte Roman nur nicht durch ungesunde pietistische Elemente und durch einen Kirchthurmpatriotismus, dem das deutsche Volk eben sein ganzes Elend 15 verdankt, in einigen Parthien gar zu sehr entstellt.

Meister Putsch und seine Gesellen. Ein helvetischer Roman in sechs Büchern (zwei Bänden) von Alfred Hartmann. Solothurn, Jent und Gaßmann.

Als dichterische Leistung betrachtet, ist das Buch nur mittel20 mäßig, es wirft aber ein blendendes Licht auf manche schweizer Zustände und verdient aus diesem Grunde Empfehlung, wenn man auch bei der Lectüre ein Gefühl hat, als ob man durch ein mittelalterliches Bleifenster, das mit seinen kleinen runden Scheiben jedes Object in hundert Stücke zerschneidet, in's Freie schauen 26 müßte. Die Schreibart ist ungebührlich vernachlässigt; wer sagt denn im Deutschen z. B. Kaltblut" statt „kaltes Blut"?

25

"

Kleine Wanderchronik von C. Julius Rodenberg. Zwei Bände.
Hannover, C. Rümpler.

Ein zwar leichtes, aber äußerst frisches Feuilletontalent, 30 welches den Beweis liefert, daß der Deutsche dem Franzosen darum nicht an Anmuth und Zierlichkeit nachsteht, weil er ihn

« PreviousContinue »