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äffen; diese, z. B. Mammon, würde man kaum bei Eugen Sue ertragen. Der Vers tänzelt bald leichtfertig dahin, ohne Grazie zu erlangen, und erhebt sich bald wieder in überkühner Vermessenheit zur gereimten Ode, ohne den Inhalt sonderlich zu s steigern, wenn man ihn nicht in der Ueberschrift erblickt. Wie stechen solche gespreizte Prachtstücke gegen das einfach-natürliche ,,Strandbild" ab, das für des Dichters Talent ein besseres Zeugniß ablegt, als der ganze übrige Band.

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Gedichte von Otto Banck. Leipzig, Verlag von Karl Fr. Fleischer. Auch aus dieser Sammlung spricht eine Individualität, die sich ihrer stark bewußt ist. Aber das Selbstgefühl hat hier nichts Widerwärtiges, es ist der natürliche Ausdruck einer Jugendkraft, die sich zum ersten Mal an dem stumpfen Widerstand der Welt versucht und ihn vielleicht zu gering anschlägt, nicht 15 aber das traurige Product eines künstlich unterhaltenen Rausches, der die Illusion um keinen Preis fahren lassen will. Die positive Seite des Dichters liegt in der Reflexion, wenn er auch nichtsdestoweniger dem Gemüthsleben manches reizende Bild abgewinnt, und gipfelt, wie bei Leitner, im Epigramm, jedoch 20 in derjenigen Gattung desselben, welche man zu Eschenburgs oder Bouterwecks Zeit die französische oder altdeutsche zu nennen pflegte. Mancher seiner „sinnreichen Einfälle“, um den alten Namen zu brauchen, verdiente, im Logau zu stehen, und Besseres kann man schwerlich zur Empfehlung des Buches sagen.

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Gedichte von Emil Kuh. Braunschweig, Georg Westermann.

Der Dichter ist uns schon als Erzähler begegnet, und wir haben schon bei Beurtheilung seiner Erzählungen, so scharf sie im Allgemeinen auch ausfallen mußte, sein seltenes Talent für alles Zuständliche bereitwilligst anerkannt. Da das Zuständliche 30 nun in der Lyrik Hauptsache ist, so versteht es sich von selbst,

daß er uns jezt in viel höherm Maaße befriedigt, wie früher.

Seine Sammlung enthält zwar keine jener wunderbaren Kunstkrystalle, die sich an Phantasie, Herz und Geist zugleich wenden, weil alle drei gleichen Antheil an ihnen haben, aber sie bietet Manches dar, was, wenn es auch von der höchsten Region ausgeschlossen bleibt, doch ohne Zweifel in der unmittelbar an sie s gränzenden auf einen Ehrenplaz Anspruch machen darf. Wir dürfen sie daher jedem Freunde echter Poesie warm empfehlen.

IV.

Wenden wir uns nun zu den Vögeln, die in Schaaren fliegen, wenigstens dies Mal; denn die Möglichkeit, sich noch ein- 10 mal höher zu erheben und dann vom großen Schwarm abzusondern, wollen wir nicht Jedem der Dichter absprechen, die uns jet beschäftigen werden. Nach der alten Rangordnung geht das Geistliche dem Weltlichen voran; prüfen wir denn zunächst die Sänger, die sich vom Kirchendach herab vernehmen 15 Lassen, anstatt sich auf dem Apfelbaum zu wiegen oder im blühenden Hollunder zu verstecken. Da treffen wir zuerst Karl Simrocks Sionsharfe (Elberfeld, B. L. Friederichs), die wir nur darum hier herein ziehen, denn ihr gebührte allerdings ein anderer Play, um ein Maaß für das Uebrige zu haben. 20 Diese Sammlung altkatholischer Kirchenlieder, mit gewohnter Vorsicht und Geschicklichkeit vom Herausgeber zusammengestellt, ist historisch eben so interessant, als sie aesthetisch und ethisch befriedigt; sie adressirt sich nach der Vorrede an alle Freunde des Schönen und der geistlichen Dichtung, ohne Unterschied der 25 Confession, und diese ernsten Klänge, die zum Theil schon ein volles Jahrtausend heiligte, werden auch ohne Zweifel jedes empfängliche Gemüth trösten, erschüttern oder erheben. Anders steht es mit den Gedichten Gedeons von der Heide (Schaffhausen, Fr. Hurter). Weit entfernt, die Religion zu 30

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suchen, wo der Dogmenstreit ein Ende hat, und wo das: Ein' feste Burg ist unser Gott" harmonisch mit dem „Ave Maria“ zusammenklingt, thut der Verfasser Alles, was irgend an ihm liegt, um den kirchlichen Hader auf's Neue zu entzünden. 5 Glücklicherweise bleibt die Kraft weit hinter dem Willen zurück, obgleich das Selbstbewußtsein in ihm unglaublich stark ist und ihm gestattet, sich seinem Volk am Rhein als einen Barden“ zu empfehlen, wegen dessen es alle anderen fortjagen müsse. Es hat daher Nichts zu sagen, daß er den Erzbischhof von Köln 10 für einen Märtyrer und einen Heiligen zugleich erklärt und den Zeitgeist in den Bann thut; im Interesse der Religion selbst mögten wir ihm aber rathen, keine zweite Ballade, wie die „Rosenkranzpredigt des heiligen Dominicus" zu machen, denn er ist nicht der Mann, der unsern Herrn und Heiland 15 Jesus Christus mit einer Dirne in ihrer Kammer zusammen= bringen kann, ohne ihn zu prostituiren. Seinen Wunsch, daß sich der „kezerischen" Literatur eine katholische gegenüber stellen mögte, wird übrigens jeder patriotisch gesinnte Protestant theilen; es wäre ein schöner Gewinn, wenn wir, mit oder ohne Wunder, 20 einen zweiten Schiller und einen zweiten Goethe erhalten könnten, und auch ein Calderon oder ein Cervantes wären nicht zu verachten. Viel erquicklicher, wenn auch poetisch nicht eben bedeutend höher stehend, sind Ernst Pfeilschmidts Heil'ge Zeiten. (Leipzig, Brockhaus.) Das inhaltschwere Evangelien25 wort: „an ihren Früchten sollt Ihr sie erkennen" bildet den Kern des anspruchslosen Büchleins, und Christen aller Confessionen werden es mit Erbauung lesen können, denn wenn es auch Luther, Zwingli und andere große Vorkämpfer der Reformation feiert, so geschieht das auf edel menschliche Weise und 30 kann den vernünftigen Katholiken so wenig verlegen, wie die Verherrlichung der Heiligen und Märtyrer den Protestanten in der Sionsharfe". Durchaus trivial sind dagegen Georg Wilhelm Schulzes geistliche Lieder (Halle bei Richard

Mühlmann) und werden, obgleich fast alle bekannten Kirchenmelodien angepaßt, schwerlich in irgend einem Gesangbuch gastliche Aufnahme finden; das reicht noch nicht einmal an den allezeit fertigen Johann Rist, und Risi fand doch wenigstens die Sprache noch nicht auf der Stufe vor, wo sie für Jeden dichtet und 5 denkt", der selbst Nichts in sie hinein zu legen hat.

Indem wir nun zu den weltlichen Sängern übergehen, begegnen wir zunächst zwei Veteranen, Veteranen des Lebens und zum Theil auch der Literatur. Karl Ludwig Storch (Gedichte, bei Brockhaus) bietet in einem mäßigen, wohl ge- 10 sichteten Bande die reisen Resultate gediegener Mannes- und Menschenbildung dar, aber, wir fügen es um so unumwundener hinzu, als der Dichter selbst in der Zueignung auf ungeschminkte Wahrheit dringt, ohne poetische Verklärung. Seinem Talent können wir den Lorbeer nicht zuerkennen, wohl aber seinem 15 Character den Eichenkranz. A. v. Maltig (Noch ein Blatt in Lethe; Weimar, T. F. A. Kühn) zeichnet sich durch scharfe und kühne Schilderungen unserer gesellschaftlichen Zustände aus und würde sich in diesem Gebiete bei etwas weniger Breite hier und da zum Vortrefflichen erhoben haben; die lyrischen An- 20 läufe dagegen wollen Nichts sagen, und die biblischen Scenen erinnern an die Zeit Geßners, wo man Adam und Eva darzustellen glaubte, indem man ihnen die modernsten Empfindungen. und Gedanken lieh, statt einfach ein Kind auf seinem ersten Spaziergang zum Vorbild zu nehmen. Das „Nebelleben“ 25 eines Anonymus (Weimar, bei T. F. A. Kühn) ist zu platt, um mehr als erwähnt werden zu können; diese Reimereien gehören zu den Pilzen, die nach des Verfassers eigner Meinung über den Gräbern gefeierter Größen emporschießen, sobald sie ge= schlossen sind. Dem Album lyrischer Originalien, zum 30 Besten der Hinterlassenen der im Hauenstein-Tunnel Verunglückten herausgegeben von Friedrich Oser" (Basel bei Schweighauser) mögte man des frommen Zwecks wegen die größte Ver

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breitung wünschen. Es ist auch insofern interessant, als es aus allen deutschen Gauen, vom danisirten Holstein an bis zum französisirten Elsaß hinauf, poetische Proben liefert. Wenn man jedoch aus diesen auf den Stand des deutschen Parnasses über5 haupt schließen müßte, so wäre das Ergebniß traurig. Glücklicherweise haben wir das nicht nöthig. Adolph Strodtmanns Hoheslied der Liebe" (Hamburg, Th. Niemayer) und Ludwig Bunds „Nachtschatten“ (Düsseldorf, in Commission bei Schaub) fassen wir zusammen; was sich hier für Poesie 10 ausgiebt, ist ein Gemisch von Sprachschaum und Rhetorik. Höchst vortheilhaft stechen gegen diese Producte einer willkürlichen innern Erhizung die Gedichte von Albert Träger (Leipzig, Ernst Keil) ab. Die Sammlung ist jedenfalls verfrüht und darum zu monoton, aber der Dichter erregt Hoffnungen 15 durch die Tiefe seiner Empfindungen und das weise Maaß seines Ausdrucks.

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92.

Shakespeares Zeitgenossen und ihre Werke.

In Characteristiken und Ueberseßungen von Friedrich Bodenstedt. Erster Band: John Webster. Berlin 1858. Verlag von R. Decker.

1858.

Die Shakespeare-Literatur häuft sich auf bedrohliche Weise in Deutschland und mahnt mit jedem Jahre stärker an das schneidende Distichon der Xenien, das durch die Auslegerschaar, 25 die einst hinter dem großen Königsberger Philosophen einher= 30g, wie hungrige Raben hinter dem Pflüger, in's Leben ge= rufen wurde und das mit dem unartigen Pentameter schloß: „Wenn die Könige bau'n, haben die Kärrner zu thun!" Es dürfte eben so belehrend, als ergöglich, sein, auf die vielen 30 Stadien, welche diese Literatur bereits durchlaufen hat, einen flüchtigen Rückblick zu werfen. Welch ein Abstand zwischen dem

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