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brennen. Aber was entschuldigt den Herausgeber? Kaiser Augustus hat sich den Dank der Nachwelt dadurch verdient, daß er die Aeneide den Flammen, denen der vom Tod übereilte Dichter sie geweiht hatte, entzog; muß man darum aber auch geistige Ex5 cremente retten, die Nichts beweisen, als daß der Mensch nicht zu allen Stunden gesund ist? In's Ergößliche schlägt das bis dahin widerwärtige Geträtsch um, wo es auf die Poeten und die durchreisenden Gäste kommt. Von dem alten Wieland erfährt man, daß er des Abends seine Parthie,,l'hombre" so gern 10 machte, weil er immer Glück zu haben pflegte. Die Staël sagt über die Herren, die sie am Hofe zu Weimar kennen lernt : ,,ils ont tous l'air, comme s'ils n'étaient pas nés encore," was die Artigkeit der bescheidenen Französin auf deutschem Boden wirklich glänzend documentirt. Den König von Preußen betrachtet 15 Henriette mit Gall'schen Augen und findet, daß der Geiz im Schädel sehr sichtbar sei, daß der Hochsinn aber auch nicht fehle. Ein Prinz, der in Petersburg während des Antichambrirens jedes Mal ein Gedicht von J. N. Götz, dem Verfasser der von Friedrich II. so warm belobten Mädcheninsel, auswendig lernt, 20 ist gewiß eine singulaire Erscheinung; ein Graf Görz, der alles Schlechte, wie ein Gewerb", betrieb, ist es vielleicht weniger. Die Bemerkung Henriettens über die Weimarer Aerzte, daß sie immer den Hunger, nie aber das Gegentheil bei ihren Patienten als Krankheitsursache voraussetzten, ist boshaft, hat aber in Bezug 25 auf Thüringen ethnographischen Werth. Nach Schillers Tode schreibt sie ihrem Bruder: „Es ist merkwürdig, daß Schiller allein in seinem schön organisirten Kopf gelebt hat. Die Aerzte stimmen darin überein, daß sie nie einen so verdorbenen und aufgelös'ten Körper angetroffen hätten, Alles verknorpelt, nur 30 den kleinsten Rest von Lunge und, stelle Dir vor! gar kein Herz mehr, nichts als ein Stückchen Haut." Das wird unseren Physiologen zu denken geben. Der Aesthetiker kann sich an den Urtheilen des Fräuleins über die Werke des abgeschiedenen.

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großen Dichters erbauen. Seine „Maria Stuart", deren erste Vorstellung sie mit auszustehen" hatte, ist ihr zu lang. Die Aeußerungen von des guten Wielands" Heftigkeit und Verzweiflung waren das einzig Angenehme, was sie am Leben erhielt. Ueber die ,,Turandot" hat er eine so lange Brühe & gegossen, daß das Gozzi'sche Märchen ganz unverdaulich geworden ist. Die,,Braut von Messina“ hat schöne Stellen, ist aber doch etwas trocken, auch sind die leichteren und helleren Farben" fade. Am gründlichsten wird der ,,Tell" vorgenommen; der frische Eindruck, den sie von diesem empfing, verdient ganz 10 wiedergegeben zu werden. „Da ich" schreibt Henriette „den großen", man könnte ihn auch den langen" Tell nennen, glücklich ausgehalten habe, so kann ich ihn auch loben; denn ich dachte, die Hiße würde mich umbringen, weil es ganz gedrängt voll Menschen war, und der größte Spaß an diesem Tage 15 waren die vielen Kutschen und Reiter, auch Fußgänger, welche alle die Jenaische Straße herbei kamen. Da war es billig, daß sie nicht für drei, sondern für fünf Stunden Vergnügen bekamen, um sich recht zu sättigen. Die Geschichte von Tell selbst ist, dünkt mich, für sich immer interessant genug, und es war 20 durch die Decoration gesorgt, wiewohl mit aller Meyer'schen und Goethe'schen Steifigkeit, uns recht in die Schweiz zu versehen. Fragst Du endlich nach den Dialogen, so muß ich mit Seufzen antworten: zu lang, viel zu lang! Des Wilhelm Tell eigent= liche Geschichte fängt sich erst mit dem dritten Acte an. Die 25 Princeß findet, daß das Stück kein Ganzes wäre, sondern aus mehreren bestände, und sie hat auch Recht. Im zweiten Acte der lange Bund der Eidgenossenschaft, wobei in der Wirklichkeit nicht der dritte Theil von Worten nöthig war, dann zwischen Tells Geschichte noch ein langweiliger Schweizer Prophet, den 30 man lieber hinter dem Theater sterben sähe, denn sterben muß er, man weiß nicht, warum. Dann noch eine Liebesgeschichte eines jungen ausgearteten Schweizers, den die Geliebte wieder

durch viele hohe Worte zur Raison und in sein Vaterland bringt. Dann kommt wieder Herzog Albrecht vor, der den Kaiser ermordet hat. Und zuleßt wäre es doch Schade gewesen, wenn Tell, dessen starker Character ziemlich gut gehalten war, 5 da er nur handelt und wenig spricht, nicht auch noch ein langes Monolog halten sollte, woraus, wie aus Allem, nur Schiller spricht und nicht der Mann selbst." Daß Goethe nicht mehr Gnade findet, braucht wohl nicht erst ausdrücklich bemerkt zu werden, und daß Henriette bei so vielem inneren Respect vor 10 dem Dioscuren-Paar sie alle Beide im Gegensatz zu Uz und Mathisson für aufgeblasen und stolz erklären muß, wird Niemand befremden. Das Alles ist aber nicht einmal neu, man trifft in den Jean Paul'schen und Herder'schen Correspondenzen schon mehr, als zu viel davon an. Darum frag' ich, ob es nicht end15 lich an der Zeit ist, auszurufen: Laßt die Todten ruhen!

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91.

Literaturbriefe.

1858.

I.

Eine Sendung neuer Bücher erinnert immer an das Gesicht des Apostels von dem Tuch mit den reinen und den unreinen Thieren und fordert zu sehr ernsten Betrachtungen auf. Wenn man erwägt, daß die Cultur eigentlich abnimmt, wie das Schreiben. zunimmt, indem der Maaßstab für das zu Leistende nothwendig 25 verloren gegangen sein muß, bevor eine Zeit sich massenweise zum Leisten berufen glauben kann, so mögte man sich Gervinus und seinen Nachfolgern unbedingt anschließen und als Kritiker einen eisernen Besen in die Hand nehmen. Wenn man dann aber wieder bedenkt, daß die Generationen überhaupt nicht viel 30 auf einander vererben, und daß der wahrhaft Gebildete den Schatz

seiner Bildung der Welt am Ende seiner Tage eben so wenig testamentarisch zu hinterlassen und ihn in Circulation zu erhalten vermag, wie der große Gelehrte seine Gelehrsamkeit, so wird man milder gestimmt und fühlt sich geneigt, der Gegenwart ein gewisses naives Recht zuzugestehen, sich um die Vergangenheit nicht zu 5 bekümmern. Nur darf dies Recht nicht gar zu weit ausgedehnt werden, und zu weit wird es jedenfalls ausgedehnt, wenn die Gegenwart in die Vergangenheit zurückgreift und ein vorhandenes, mehr oder minder gutes Bild hervorzieht, um es zu übermalen und ein schlechteres an die Stelle zu sehen. Das ist aber bei 10 einigen neuen Dramen geschehen, die wir aus diesem Gesichtspunct prüfen wollen.

Der Schmied in Ruhla. Schauspiel in vier Aufzügen von

Peter Lohmann. Leipzig.

Den Stoff bildet die bekannte Anecdote von dem Landgrafen 15 Ludwig dem Eisernen in Thüringen, der incognito als ein kleiner Nero in eine Schmiedewerkstatt eintrat und als ein zweiter Titus wieder daraus hervorging, weil der schlaue Cyclop ihm ein Collegium über Staatsweisheit gelesen hatte. Das giebt allenfalls, wenn der rechte Meister darüber kommt, eine Ballade, nie ein 20 Drama, weil man bei so rascher Gemüthsumstimmung nur an gefrierendes Wasser denkt, das seine Festigkeit vor dem ersten Sonnenblick wieder verliert, keineswegs aber zu dem neuen eisernen Mann das rechte Zutrauen faßt. Wenn jedoch ein Drama versucht werden soll, so hat Achim von Arnim längst gezeigt, wie 25 es ausfällt, und Peter Lohmanns Verse sind nicht geeignet, Arnims kräftige Prosa aufzuwiegen.

Ulrich von Starkenberg. Ein Drama in fünf Acten von Martin Meyer.

Innsbruck, Selbstverlag.

Der Verfasser behandelt das Tehma des Göz v. Berlichingen, 30 nämlich den Verzweiflungskampf des freien Adels gegen die

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Uebergriffe der Fürstengewalt; er bringt es aber nicht so weit, wie der Dichter des Fust von Stromberg.

Die beiden Cagliostro. Drama in fünf Acten von Robert Gisele.
Leipzig, F. A. Brockhaus.

Dieses Stück adressirt sich so ausschließlich an's Theater, daß es eigentlich nur durch eine Aufführung recensirt werden kann. Wenn diese gelingt, so ist jeder Salto mortale, den der Dichter zunächst durch das Ganze und dann auch wieder im Einzelnen wagt, vollkommen gerechtfertigt. Sie zu verlangen, 10 ist er auch durch manche Vorzüge seiner Arbeit berechtigt; die Handlung ist nicht ohne Interesse und spannend angelegt, die Charactere sind der Art, daß man vielleicht bei Lampenbeleuchtung ein Paar Stunden an sie glaubt, und der Dialog ist flüssig, oft sogar glänzend. Doch ist es gar wohl möglich, daß die Wirkung 15 schon auf der Bühne in die eines Operntextes ohne Musik umschlägt; im Lesen ist das ganz gewiß der Fall, und weit mehr, wie bei Groß-Kophta, in dem dasselbe Wagstück mit ungleich größerer Virtuosität durchgeführt ist und der doch auch an der Unmöglichkeit scheitert, das unüberwindlich Nüchterne und Wider20 wärtige, was in der Natur des italiänischen Erzlügners liegt, mit dem Wunderbaren zu verschmelzen. Das mag gelingen, wenn man eine Stufe höher steigt und den falschen Religions= stifter, z. B. Mohamed, nur nicht in Voltaires Manier, in seine Elemente auflös't, denn da hat man es doch mit allgemeinen, 25 die Welt umfassenden Zwecken zu thun, welche das Subject über die Mittel hinwegblicken lassen, deren es sich bedient, und den Jesuitismus gewissermaßen vermenschlichen. Ein Cagliostro aber, der nichts weiter will, als behaglich leben und kurz vor dem Wechselarrest in Ruhe sterben, ist und bleibt in alle Ewigkeit 30 der bloße Superlativ jenes ägyptischen Zauberers, der in den Champs Elysées zu Paris oder im Thiergarten zu Berlin mit

Hebbel, Werke XII.

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