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90.

Aus Karl Ludwig v. Knebels Briefwechsel mit seiner
Schwester Henriette. (1774-1813.)

Ein Beitrag zur deutschen Hof- und Literaturgeschichte. Herausgegeben von Heinrich Dünger. Jena. Mauke 1858.

1858.

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Heinrich Dünger fährt unermüdlich fort, die Papierkörbe zu durchstöbern und aus den Brief-Chatullen hervor zu ziehen, was Ratten und Mäuse übrig gelassen haben. Wenn Franzosen und Engländer von der Art Literatur Notiz nehmen, die er mit 10 einigen Geistes- und Gesinnungsgenossen bei uns pflegt, so müssen sie einen Schluß daraus ziehen, der dem deutschen National= Character wenig günstig sein kann. Wo so viel Aufhebens von Schnitzeln und Abfällen einer bedeutenden Geistesthätigkeit gemacht wird, da kann wenig Capital im Umlauf sein, und wo 15 man sogar die Bedienten-Livreen ausbrennt, da stellt das Gold sich gewiß nie in Barren ein! So müssen sie denken und sich verwundern, daß wir nicht hinter jedem Menschen, dem zuweilen ein Einfall kommt, einen Stenographen mit ewig offener Schreibtafel aufpflanzen.

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Von Schillers Briefen wird Niemand auch nur einen einzigen überflüssig finden; es war ein Vortheil, den sein früher Tod mit sich brachte, daß er nicht redselig ward. Von Goethe ist für seinen eigenen Ruhm, wie für den seines Volks, schon viel zu viel gedruckt worden, und wenn alle die biographischen und 25 sonstigen Nothbehelfe wirklich zum Verständniß seiner Werke unentbehrlich wären, die aus den entlegensten Ecken und Winkeln zusammengeschleppt wurden, so würde es schlimm um diese Werke stehen. Das ist aber keineswegs der Fall, sondern es wird bloß von den Herausgebern vorgeschüßt, um ihr mißliches 30 Geschäft mit einigem Anstand fortseßen zu können. Goethes Bedeutung ist jedoch so groß und seine Wirkung bis auf diesen

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Tag so allumfassend und tiefgehend, daß man es mit den Gößendienern auf der einen Seite und den Industrie-Rittern auf der anderen nicht gar zu genau zu nehmen braucht. Lassen Kaiser und Könige es sich doch gefallen, auf Wirthshausschildern zu para5 diren; warum soll der Nationaldichter nicht auf dem Aushängeschild einer Literaten-Bude prangen und Narren hineinlocken? Was soll man aber sagen, wenn diese vertrauten Mittheilungen“ aus dem Artus-Kreise gar kein Ende finden, und wenn man sich nach den Tafel-Reden des Königs und seiner 10 Helden auch die Bedienten-Gespräche, ja den Küchen- und StallKlatsch bieten lassen soll? Ich dächte doch, da wäre es an der Zeit, zu protestiren! Nicht zwar, als ob der alte Knebel, wie ihn Varnhagen von Ense und Theodor Mundt durch die Herausgabe seines Briefwechsels und Nachlasses hingestellt haben, nicht 15 eine höchst ehrwürdige Gestalt wäre! Ich mögte ihn um Alles an seinem Plaß nicht entbehren. Aber hatten wir daran nicht genug, und wenn nicht, hat Guhrauer durch die Korrespondenz Knebels mit Goethe die etwa noch vorhandenen Lücken nicht bis zum Uebermaß ausgestopft? Ich glaube, Jedermann wird die 20 Frage mit Ja beantworten, der nicht in jedem guten Vergleich, der irgendwo vorkommt, eine besondere Gnade Gottes erblickt und in jeder treffenden Bemerkung eine Bereicherung unseres geistigen Nibelungenhorts! Das vorliegende Buch ist ein durchaus überflüssiges und muß um so entschiedener zurückgewiesen 25 werden, als sich sonst vielleicht Leo von Seckendorf und Herr von Einsiedel auch noch mit „Beiträgen zur deutschen Hofund Sitten-Geschichte" einstellen könnten. Knebel selbst bietet keine einzige neue Seite dar, seine Familien-Verhältnisse, auf deren schärfere Beleuchtung Heinrich Dünger in der Einleitung 30 ein sonderbares Gewicht legt, sind uns gleichgültig, und seine Schwester Henriette schreibt Briefe, wie jedes deutsche Mädchen von Bildung und Erziehung sie schreiben kann.

Wozu das drucken? Aber es ist einmal gedruckt, und man

muß sich darauf einlassen. Ich mögte nun diesen Beitrag zur „Deutschen Hof- und Literaturgeschichte" lieber einen „Nachtrag zu Böttigers Memoiren“ nennen, die wohl noch Manchem im Gedächtniß sind. Denn daß Bruder und Schwester sich lieben, gehört bis jetzt in der Welt noch nicht zu den seltenen Er- 5 scheinungen, und daß Menschen, die mit Schiller und Goethe, mit Wieland und Herder umgehen, hie und da ein vernünftiges Wort aussprechen, ist auch kein Wunder. Das Eigenthümliche ist daher in den Randglossen zu den Weimarer Situationen und Characteren zu suchen, und diese erinnern sehr stark an Böttigers 10 Kammerdiener-Kritik, deren wir in Deutschland um so eher entrathen können, als uns keine Nation der Erde den Vorwurf machen wird, daß wir unsere Helden und Heroen verziehen. Sehen wir uns in der Schazkammer um und sammeln wir die Perlen, wenn auch nur zur Bekräftigung unseres Urtheils. Um 15 mit der Knebel'schen Familie anzufangen, so taucht zunächst ein Vater auf, den der Sohn nachstehendermaßen characterisirt: „Es ist einmal ein innerlich verrückter und zerstörter Zustand der Seele, für den er gegenwärtig selbst nicht mehr kann, den er auch selbst schon seit langem her nicht mehr zu ändern im Stande 20 ist, ob er gleich das Unrecht davon einsehen mag, und der deshalb, wenn er nicht unglücklicherweise uns als seine Kinder von einer zu widrigen und unabänderlichen Seite berührte, außer aller moralischen Consideration liegt und schlechterdings nur unter die sich zugezogenen physicalischen Nebel gehört, die keine moralische 25 Empfindlichkeit rege machen sollten." Die Schwester äußert sich ergänzend: „Unserem Vater will ich Deinen Glückwunsch zum Geburtstag gelegentlich ausrichten; freilich interessirt ihn jezt nicht viel mehr, als das tägliche Brot." Daneben erscheint ein eben so undefinirbarer Bruder. Diesen Morgen schreibt 30 Henriette nach dem Tode des Vaters habe ich an Lebrecht einen langen Brief geschrieben, weil ihn der arme Tropf so nöthig hat; er hat mir fast verboten, den Papa jezt sterben zu lassen,

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und da mußt' ich mich vor ihm entschuldigen." Wir unsererseits fragen: wozu wird der Vorhang von diesen Dingen weggezogen; wenn es aber doch jener Curiositäten-Freunde wegen geschehen sollte, die den Faust mit Vergnügen für die Elle hingeben wür5 den, womit Goethes Aeltervater, der alte ehrbare Frankfurter Schneider, seinen Patroninnen vor hundert und funfzig Jahren zu einer Adrienne das Maaß nahm: warum erfahren wir nicht mehr? Nichts fataler, als für ein Räthsel, statt der Lösung, ein anderes zu erhalten, und wir wissen troy aller Aufklärung noch 10 immer nicht, ob Knebel senior durch den Trunk oder durch die Karten so heruntergekommen war. Nach diesem Ehrengedächtniß, das dem Erzeuger aufgerichtet worden ist, nicht durch die Kinder, die nicht ahnen konnten, daß man ihre flüchtig hingeworfenen Blätter einmal zu einem Brennesselkranz zusammenreihen würde, 15 sondern durch den Herausgeber, wenden wir uns zu den Penaten des Hauses. Diese haben wir in dem Großherzog von SachsenWeimar und in der Großherzogin zu suchen, denn dies wahr= haft durchlauchtige Paar gründete Knebel, wie so manchem Anderen, den die Lebenswoge unbarmherzig hin und her warf, 20 eine zwar bescheidene, aber doch auskömmliche Existenz, und Karl August schrieb dem Schüßling, als dieser die ihm ausgesezte Pension aus Zartgefühl einmal nicht länger annehmen zu können glaubte, einen Brief, der zu den höchsten Documenten menschlichen Geistes- und Seelen-Adels gehört und in seiner Simplicität 25 und Größe den erhabenen Verfasser allein schon bei seiner Nation in unvergänglichem Andenken erhalten müßte, wenn er auch nie der Mäcen Schillers und Goethes geworden wäre. Daß es Knebel troßdem hin und wieder in seiner Situation zu eng wurde, wird ihm Niemand verargen, der weiß, daß der Schuh überall drückt, 30 und daß der beste Schuster immer hinter den Bergen wohnt. Characteristisch und der Aufbewahrung werth ist das Wort, daß der Großherzog aus der Ferne wohlthuend wirke, in der Nähe aber vernichtend; es bestätigt Goethes Ausspruch über seine

durchaus dämonische Natur. Wem aber ist ein Commentar, wie dieser, nicht peinlich? „Von unsern Umständen will ich Dir weiter Nichts sagen, sie sind eben auch nicht lachend. Der Unterschied ist, daß der Herzog die uninteressirtesten, gutmüthigsten und edeldenkendsten Menschen hat, wie vielleicht kein Fürst in 5 Deutschland, daß ihm aber ein böser Genius das Interesse für seine eigenen Leute weggenommen und auf ein Preußisches Kürassier-Regiment transplantirt und ihm dadurch eine Menge widrige und unfaßliche Maximen in den Kopf gesezt. Er hat das Centrum seines Daseins außer seinem Lande gesezt; dadurch 10 verliert Alles Kraft, Muth und Leben, zumalen bei der engen Wirthschaft und den kleinen Besoldungen." Wir können es Karl August nicht so sehr verübeln, daß er in ernster Zeit über die Gränzen seines Fürstenthums hinausschaute und sich an seine Reichsstandschaft erinnerte, wir müssen ihn eher darum loben. 15 Wer mag nun gar Nachstehendes über die Großherzogin lesen? „Es ist mir ganz lieb, daß Du an die Herzogin geschrieben hast, da sie sich öfters nach Dir erkundigt. Bei ihrem angebornen und dann auch fürstlichen Mißtrauen ist es gut, wenn man sie an eine alte Anhänglichkeit glauben läßt, sonst glauben 20 sie endlich an gar nichts mehr, und dieß ist eben nicht das Gefühl, was selig macht, weder sich selbst, noch die andern. Ein Character dieser Art wird ohnehin mit zunehmenden Jahren nicht glücklicher, und Alles, was sie noch Gutes genießen, ist ein Zurückblick auf einen Sonnenschimmer der Jugend, der sich aber 25 auch immer seltner der Seele zeigt." Dazwischen Klagen des Bruders, daß er aus Rücksichten zuweilen spielen müsse und nur Groschen gewinne, aber Laubthaler verliere, und der Schwester, daß die Großherzogin sich ihrer Abkunft von einem großen Hause immer stärker bewußt werde! Mit den Geschwistern hadert man 30 natürlich nicht; man denkt sich die Grippe oder einen PodagraAnfall hinzu, und die Verstimmung ist erklärt, obendrein sehen sie sich gegenseitig die Bedingung, jedes anstößige Blatt zu ver

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