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hier geht der Verfasser über Klaus Groth, dem die Erfindungskraft fast ganz zu fehlen scheint, hinaus, wenn er anders nicht selbst entlehnt hat. Die übrigen Sachen sind jedenfalls ergößlich, wenn wir „Hans Roger“ ausnehmen, der gänzlich mißglückt ist 5 und hier und da sogar an's Ekelhafte streift; rohe Studentengeschichten, die zum Theil schon vor 20 Jahren auf dem Theater zu Tode gehezt wurden, dürfen nicht wieder aufgewärmt werden. und am allerwenigsten so plump.

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Drei Erzählungen von Emil Kuh. Troppau und Leipzig, bei
Alf. Traßler.

Diese drei Erzählungen ringen, was die Composition anlangt, mit einander um die Krone der Schlottrigkeit und legitimiren sich dadurch als echt österreichische Producte. Der Verfasser versagt der realen Welt hartnäckig seine Anerkennung und negirt 15 ihre sämmtlichen Geseze. Es ist eine bloße Güte von ihm, daß er nicht Menschen mit zwei Köpfen auftreten läßt oder den Blüten der Bäume nicht die Früchte voranschickt, denn auf dem Standpunct, den er nun einmal gewählt hat, wäre er vollkommen dazu berechtigt gewesen. Das Alles thut jedoch Nichts; für 20 die Verkehrtheit des Ganzen entschädigt die Vortrefflichkeit des Details. Sind die Charactere dramatisch unwahr, so werden einzelne Stimmungen hinreißend geschildert; sind die Situationen. unmöglich, so glänzen sie doch in echt poetischen Farben. Er hat sich offenbar an schroffen Vorbildern, wie Heinrich von Kleist 2c. 25 geschult, aber die Geister, die er herauf beschwor, sind ihm noch zu mächtig und grinsen ihn an, statt ihm zu dienen. In seinem willkürlichen Anhäufen von Zügen, die zwar elementarisch bedeutend, aber im besonderen Fall überflüssig oder gar störend sind, gleicht er noch zu sehr der Elster, die silberne Löffel und 30 goldene Ringe zusammenträgt und sich bloß das Nest damit verdirbt. Das wird anders werden, er wird das Mißverhältniß zwischen der Armuth seiner Erfindungen und dem Reichthum

seiner Ausführungen auszugleichen wissen und dann gewiß Erfreuliches leisten. Walter Scott wäre ihm jezt als Studium zu empfehlen.

89.

Dramatische Literatur.

Marie Bluntfield. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen von Arnold Ruge.
Erster Act. 1858. (Deutsches Museum.)

Ulrich von Starkenberg. Ein Drama in fünf Acten von
Martin Meyer. Innsbruck 1858. (Selbstverlag.)

1858.

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Gewiß nur des Contrastes wegen haben Sie mir diese beiden Musterproben des Deutschen Dramas mitgetheilt, des Contrastes wegen, der zwischen den beiden Dichtern, wenn auch keineswegs zwischen den Hervorbringungen derselben besteht. Stolz und frech hält Arnold Ruge, welcher Verfasser höchst 15 schäzbarer philosophischer Abhandlungen ist, leider aber auch zugleich Entdecker und alleiniger Vertreter einer politischen Weltanschauung, die durch Detmolds satyrische Illustration ihr größtes Renommée erhielt, mit dem ersten Act einer Marie Blunt= field in Deutschland seinen Wiedereinzug. Demüthig und auf- 20 richtig bescheiden, wie es scheint, schreitet neben dem seines Sieges gewissen Triumphator in Martin Meyer ein wackerer Tiroler daher und bietet seinen Ulrich von Starkenberg aus, wie seine Landsleute ihre Handschuhe und Tücher. Der Kritiker steht verlegen in der Mitte, denn es fällt ihm eben so 25 schwer, den Einen zu loben, als den Andern zu tadeln, und doch soll er gerecht sein.

Ich wurde vor einer Reihe von Jahren einmal an einem öffentlichen Ort in Hamburg einem Fremden vorgestellt, einem ehrwürdigen Greise mit lang herabwallenden Silberlocken und 30

einem weihevollen Gesicht. Ich wußte selbst nicht, warum es eigentlich geschah, erfuhr es aber bald, indem der Vermittler mir mit Unterwürfigkeit zuflüsterte, daß der Alte sich nicht bloß im öffentlichen Leben, wie in Wissenschaft und Kunst, bedeutend 5 hervorgethan und einen großen Namen erworben, sondern auch ganz nebenbei das Geheimniß entdeckt habe, aus Erdäpfeln das vortrefflichste Kalbfleisch zu machen. Obgleich ich jung genug war, um mir den Stein der Weisen, die Universaltinctur und das Lebens-Elixir noch als wirkliche Inventurstücke der Welt 10 ohne Widerspruch gefallen zu lassen, so sezte mich diese Eröffnung doch in einiges Erstaunen. Wie wuchs mein Erstaunen aber, als der Alte ruhig bemerkte, darauf sei er nicht stolz, denn das sei eine Kleinigkeit, von der man gar nicht reden müßte, aber er gewinne aus dem Abfalle der Erdäpfel auch 15 jedes beliebige Gemüse und bereite aus dem Abfalle des Ab= falls noch ein sehr dauerhaftes Stiefelleder, und darauf, fügte er mit einer verbindlichen Verbeugung gegen mich hinzu, bilde er sich allerdings ein wenig ein. Mir wurde deutlich, daß Cagliostro in einer neuen Gestalt vor mir stand, und ich zog 20 mich zurück, bevor ich die übrigen Wunderdinge, die noch im Anzuge schienen, vernommen hatte, aber unendlich oft bin ich an diesen Mann und seine Erdäpfel durch Schriftsteller erinnert worden, die geradezu Alles können, und die, wenn die eine Richtung ausgebeutet ist, sich über Hals und Kopf in die andere hinein. 25 werfen, wie ein amerikanischer Kellner, der zu predigen anfängt, bevor er noch die Laufschürze abgeworfen hat. Nie jedoch ist dieß auf bedauerlichere Weise geschehen, als durch Arnold Ruge und seine poetischen Productionen. Seine „neue Welt" mit ihrer thörigten Vorrede und ihrem läppischen Prolog sei 30 ihm seiner wissenschaftlichen Verdienste wegen verziehen, aber gegen dieje Marie Bluntfield, die nach Schiller und Walter Scott noch eine Maria Stuart bringen will, muß man alles Ernstes protestiren. Der Würzburger Philosoph Johann Jacob

Wagner gab eine förmliche Dichterschule heraus und machte sich anheischig, jeden auch nur halbwegs begabten Menschen zu einem guten Poeten umzuschaffen. Arnold Ruge scheint die Wahrheit dieser wunderlichen Theorie durch sein eigenes Beispiel practisch darthun zu wollen. Wenn aber Wagner schon durch 5 die auf dem Wege des Selbst-Experiments gewonnenen Proben sich schmählich prostituirte, so ist dieß bei Ruge fast noch mehr der Fall, und diesen muß man bei seinen oft dargelegten vortrefflichen Einsichten in die Natur des Aesthetischen einer schweren Sünde zeihen, während Jener in seinem Stumpfsinn 10 vollkommen unzurechnungsfähig war und für seine bleischweren Reimereien eine Entschuldigung hatte. Man hört nicht darum auf, abstract zu sein, weil man, anstatt dem Faden nachzuspähen, der Himmel und Erde verknüpft, sich einmal mit Menschen und menschlichen Dingen befaßt und das Product der Wahrschein= 15 lichkeits-Rechnung, was sich diesen gegenüber ergiebt, in eine poetische Form kleidet. Es giebt im Gegentheil eine Abstraction, die ganz Anschauung zu sein scheint, weil sie immer ein con= cretes Object mit dem anderen vergleicht und jeden Gedanken in ein willkürlich aufgegriffenes Bild auflös't, und die doch 20 noch heilloser ist, wie diejenige, die in unverlarvter Nacktheit hervortritt. Und in beiden Arten excellirt Ruge. Seine Charactere und Situationen sind nach der Wahrscheinlichkeits-Rechnung zusammengesetzt, die ihn dagegen sicher stellt, daß er die junge Königin von Schottland nicht als Conventiklerin auftreten und 25 den Reformator Knox keine Arie aus dem Don Juan absingen läßt, und sein Dialog mit dem unausgegohrenen Mischmasch von epigrammatischen Spizen und rohen plastischen Ansäßen verhält sich zum dramatischen Ausdruck, wie die Eiszapfen am Dach, die vor der Sonne in scheußlichen Mißgestalten weg= 80 tröpfeln, zu dem ruhigen Strom, in dem sie sich spiegelt. Eben darum ist der vorliegende erste Act dieser Marie Bluntfield auch zum Urtheil völlig genügend, denn wo die Elemente

fehlen, kann in alle Ewigkeit kein Organismus entstehen. Ruge hat über Dichter zu richten, und er wird ihnen, wenn es ihm gefällt, seine Politik bei Seite zu lassen, immer willkommen sein; er muß sich aber nicht selbst unter sie mischen.

5 Martin Meyer äußert sich über Grund und Zweck seines Dramas nachstehendermaßen im Vorwort: „Als ich vor einigen Jahren Beda Webers, meines geschäßten Landsmannes, Geschichtswerk: Oswald von Wolkenstein und Friedrich mit der leeren Tasche durchlas, drang sich mir sogleich der Gedanke 10 auf und ward durch die ausdrückliche Bemerkung des Verfassers noch bestärkt, daß die Vorgänge jener Zeit, der Kampf des Tirolischen Adels gegen die staatlichen Neuerungen Friedrichs und ganz vorzugsweise der muthvolle, bis zum Aeußersten getriebene Widerstand der Brüder von Starkenberg einen lohnen15 den Vorwurf zur dramatischen Bearbeitung biete, um so mehr, als ich in den letteren und einigen hervorragenden, eng mit ihnen verbundenen Adelshäuptern nicht sowohl die Träger veralteter feudaler Grundsäße, sondern vielmehr die Verfechter edler persönlicher Freiheiten und höherer patriotischer Ten20 denzen zu erkennen glaubte. Mogte ich mich hierin täuschen oder nicht, ich faßte die Sache einmal von diesem Gesichtspuncte auf und wagte mich an den Versuch. In wie weit es mir gelungen, meine Aufgabe zu lösen und Charactere und Begebenheiten jener Zeit zu einem dramatischen Gebilde zu gestalten, 25 muß ich der Kritik zur Entscheidung überlassen; immerhin glaube ich jedoch in Rücksicht des schwer zu bewältigenden Stoffes auf einige Nachsicht hoffen zu dürfen, wenn mein Talent zu schwach war, um der historischen Treue, den Bühnen= technischen Rücksichten und zugleich den dramatischen Anforderungen 30 durchwegs gerecht zu werden." Was ist darauf zu antworten? Der Historiker wird sagen: Du hast dich im Gesichtspunct geirrt, und der Aesthetiker: Deine Aufgabe ist durch Goethes Göz von Berlichingen bereits gelös't.

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