Page images
PDF
EPUB

strengster Durchführung dieses Princips noch so viel des Eigenthümlichen übrig, daß er die Abrechnung nicht zu scheuen braucht. Auf dem Grunde des durch die Kämpeviser" wieder erweckten Volksbewußtseins fortbauend, sich aber wohl hütend, zu weit zurück zu greifen und etwa, wie später die Tragiker, die Späße 5 des Thor, sein Ringen mit dem alten Weibe und Aehnliches, in Scene zu sehen, hat er in der bürgerlichen Region ein Dußend Stücke geschaffen, die in ihrer gesunden Mischung von Spaß und Verstand eben so ergöglich, als echt Dänisch sind und ihm unter den comischen Dichtern vom zweiten Rang für immer seinen 10 Ehrenplaß sichern. Ich sage im Widerspruch mit Pruz: unter den comischen Dichtern vom zweiten Rang! und muß zu dem psychologischen Grunde dieser Behauptung, den ich bei der Characteristik Holbergs schon andeutete, nun auch noch in Kürze den allgemeinen angeben.

15

Wir wollen nicht mit Faust zu den Müttern am Nabel der Erde hinabsteigen; wir wollen uns gleich an die Töchter halten, denn jene antworten nur durch diese. Wir wollen nicht fragen: Was ist das Comische und das Tragische? aber wir wollen fragen: Was ist die Comödie und die Tragödie? Genau 20 besehen: zwei Formen für ein und dasselbe Verhältniß, das sie an den entgegengesezten Enden packen. Immer ist es der Mensch in seinem Conflict mit den ewigen Mächten, mag man diese nun fassen, wie man will, der dem Drama in beiden Gestalten die Aufgabe stellt, und der ganze Unterschied liegt in der Art der 25 Lösung. Das hatte Plato vor Augen, als er den tiefsinnigen Ausspruch that, es sei die Sache eines und desselben Mannes, Tragödien und Comödien zu schreiben. Das schwebte Goethe vor, als er die Comödie, in Molières Misanthrop, einmal fast tragisch fand und ein ander Mal die Tragödie, die Kunstform 30 selbst, für comisch erklärte. Denn wenn Beide nicht, wie Plato fordert, aus einem Dichtergeist hervorgehen, der mit gleicher Höhe und mit gleicher Schärfe in die dunkle, wie in die be

leuchtete Hemisphäre der Welt hineinschaut und vermöge dessen im rechten Moment mit den Motiven wechselt, so werden sie, je consequenter sie sich in ihrer schneidenden Einseitigkeit entwickeln, um so sicherer auch in ihr eigenes Gegentheil umschlagen 5 und zuletzt auf den aesthetischen Sinn wirken, wie Goethe es an sich erfuhr. Ein solcher Dichtergeist ist aber bis jetzt nur einmal, nur in Shakespeare, hervorgetreten, und darum hat nur er in der Comödie, wie in der Tragödie, „das Gesetz erfüllt“ und das absolut Vortreffliche hervorgebracht. Aristophanes mit seinen 10 immer bittern satyrischen Ausläufen kann uns hier um so weniger ein Einwand sein, als er seinem Freunde selbst keiner war, und Calderon, obgleich demselben Grundgesetz mit Shakespeare folgend, hat doch zu wenig Individualisirungskraft und bewegt sich mit zu wenig Freiheit, um neben ihm in Betracht 15 zu fommen; nur Goethe im Faust kann noch genannt werden, doch ist die comische Ader bei ihm zu schwach, als daß die Mischung vollkommen glückte, wovon er selbst auch wahrschein= lich ein Bewußtsein hatte, da er den Kaspar des Volksbuchs wegließ. Bei dieser Andeutung muß ich es bewenden lassen, 20 die Entwickelung, wenn auch äußerst lohnend, würde dies Mal zu weit führen. Uebrigens hat sich unter den comischen Dichtern. zweiten Ranges kaum einer dem Shakespeare so weit genähert, wie eben Holberg in seinem Ulysses von Ithacia, diesem köstlichen Pendant zum Don Quixote des Cervantes, der, wie 25 Leßterer die Rittergeschichten, so die Deutschen Comödien ohne Zusammenhang und Ende perfifliren wollte und fast ohne Ahnung des Verfassers zum köstlichen Kunstkrystall gedich.

88.

Vom Büchertisch.

1858.

Ein Buch von uns Wienern in lustig gemüthlichen Reimlein von
Rusticocampius. Leipzig, Verlag von C. L. Hirschfeld.

"

5

Rahel schrieb einmal an ihren Mann: „Dein Brief ist so faßenklug, daß er Mäuse fangen müßte, wenn er lebendig wäre." Dieser Ausspruch paßt vollkommen auf das lustig gemüthliche" Buch, das uns hier vorliegt. Der Verfasser, Herr Eduard Bauernfeld, mögte nach der Dedication gern den Titel des lezten Hof- 10 und Volksnarren davon tragen und hat den Muth, bei der Gelegenheit an Kaiser Maximilian und seinen Kunz von der Rosen zu erinnern. Dieser Wunsch ist gar nicht so bescheiden, wie er aussieht, und wird schwerlich in Erfüllung gehen. Dagegen hat er ein so seltenes diplomatisches Talent bewiesen, daß 15 er in jedem Departement des Auswärtigen mit Nußen zu verwenden wäre. Uns ist nie ein Product vorgekommen, das unter der Maske der Harmlosigkeit so viel Calcül versteckte. Hier ist geradezu Alles berechnet, vom scharfen Stoß an, der in's innerste Gekröse eindringen mögte, wenn nur die Spiße nicht abbräche, 20 bis zum kameradschaftlichen Gekiyel mit dem Lederknopf herunter. Der Meister zeigt sich schon gleich bei'm Zuschneiden des Themas. „Ein Buch von uns Wienern!" Was für ein Wien ist gemeint, das alte oder das neue? Das alte? Wie kommt Herr Dawison und Fräulein Seebach hinein? Freilich, es sind renommirte 25 Schauspieler, und Herr Bauernfeld hat Stücke geschrieben. Das neue? Was haben Bäuerle und Castelli noch darin zu schaffen? Nun, es sind gute Freunde, die ihre vergoldete Nuß zum Spielen haben mußten. Eine noch viel größere Virtuosität tritt aber in der Behandlung hervor. Wie artig sind diese Grob- 30 heiten, wie boshaft diese Complimente! Und wie geschickt sind vor Allem die Blizableiter angebracht. Wir haben in der ante

"

diluvianischen Zeit auch gewisse Verbrüderungsfeste mitgemacht, aber wir tranfen auf die Gesundheit Ferdinands des Gütigen und bringen es jezt in Erinnerung. Wir nehmen uns gegen einen Minister Etwas heraus, aber wir feiern auch zwei edle 5 Opfer". Wir binden mit der Montirungscommission an, aber wir rufen: Hoch, Radezki! Courage, Courage, wenn auch Gewitter in der Luft herumziehen sollten, bei uns wird's nicht einschlagen! Dabei wird fortwährend von Gemüth gebimmelt, was sich nicht viel besser ausnimmt, wie das Vaterunserbeten 10 bei'm Fenstereinwerfen und Laternenzusammenschlagen. Das Buch ist eine merkwürdige moralische Erscheinung; aesthetisch existirt es gar nicht, es gehört zu den plattesten Nachahmungen des Heine'schen Romanzero und verdient in jeder Beziehung die ernstlichste Zurückweisung.

15 Snack un Snurren ut de Spinnstuv. Plattdeutsche Dorfgeschichten in Dithmar'scher Mundart von Dr. Th. Piening. Hamburg, Hoffmann und Campe.

!!

Wir müßten mit der Kritik des Titels anfangen. Snack un Snurren ut de Spinnstuv? Diese Dorfgeschichten“ haben 20 mit der Spinnstube nicht mehr zu schaffen, als die Novellen von Hackländer und Spindler. Sie sind modern durch und durch, und wenn sie sich auch gerade für den Salon nicht eignen mögten, so wenden sie sich doch an ein ganz anderes Publicum, als sich bei schnurrenden Rädern auf einem Bauerhof um den 25 qualmenden Ofen zu versammeln pflegt. Das ist kein Fehler, aber wozu die Koketterie? Wer Beffchen trägt, muß sie nicht unter'm Hausrock verstecken wollen. Wir müßten weiter fragen: warum sind diese Dorfgeschichten plattdeutsch abgefaßt? Daß Klaus Groth sein „Quickborn" plattdeutsch schrieb, hatte einen 30 innern Grund; er stellte das dithmar'sche Volksleben vorzugsweise nach der Gemüthsseite dar, und das Gemüth ist nicht so vielzüngig, wie der Geist, es stempelt Einen Ausdruck und hält

Hebbel, Werte XII.

8

ihn fest. Wer sich davon überzeugen will, der vergleiche nur das Original mit der Uebersehung. Der Unterschied zwischen dem lebendigen und dem ausgestopften Vogel kann nicht größer sein. Bei Herrn Piening steht es aber völlig umgekehrt; seine Dorfgeschichten sind alle hochdeutsch gedacht und auf dem Wege 5 vom Kopf zur Feder in's Plattdeutsche übertragen. Das ist nicht einmal gelungen; man stolpert jeden Augenblick über eine verunglückte Wendung, die an die Gallicismen unserer aus Paris herübergeholten Theaterstücke mahnt, oder sagt der Plattdeutsche etwa: „Matthis wehr ganz sin Ansich“ und „Jedes Ding harr 10 ja sin Wissenschaft" 2c. Wenn es aber auch gelungen wäre, was wäre damit erreicht? Wir sind weit entfernt, die Declamationen, womit Herr Ludolf Wienbarg in einer verschollenen Broschüre gegen das Plattdeutsche zu Felde zog, unsererseits zu billigen oder gar zu unterstüßen; es hat das vollste Recht, als 15 Idiom fortzuleben und mag auch vom Dichter angewendet werden, wo er es nicht entbehren kann. Wir müßten es jedoch beklagen, wenn sich jetzt noch, drei Jahrhunderte nach Luther, der den Kampf zwischen den beiden Schwestern zum Heil der Nation durch seine Bibelübersehung ein für alle Mal entschied, neben 20 der hochdeutschen eine selbständige plattdeutsche Literatur etabliren und das einzige Band, das die deutschen Volksstämme noch zur Einheit zusammenknüpft, zerreißen wollte. Es würde auch schwerlich viel dabei herauskommen; man denke an Holland. Nein, diese Dorfgeschichten brauchten nicht darum, weil sie in Dith- 25 marschen spielen, in dithmar'scher Mundart geschrieben zu werden; sie hätten im Hochdeutschen eher gewonnen, als verloren. An und für sich sind sie aber recht gut und beurkunden ein schönes Unterhaltungstalent. Das erste Stück: „Wer Gott vertraut, hat gut gebaut!" will freilich nicht viel heißen; daß ein Mädchen 30 ihren Namen verheimlicht, weil ihr Vater ein Verbrecher war, ist zu oft da gewesen. „Hans Höhek“ ist schon anziehender, aber doch bloß Anecdote. Vortrefflich dagegen ist: „de schwatte Kater";

« PreviousContinue »