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Elemente in seiner freien und weltoffenen Art an Luther's Lebensanschauung erinnert.1 Wenn nun troß dieser Uebereinstimmung mit Luther dennoch die Gestaltung des sittlichen Lebens auf Seiten Zwingli's und seines Kreises eine so ganz andere geworden ist, als auf der lutherischen Seite, so ist daraus zu schließen, daß jene Erkenntniß bei Zwingli doch im Zusammenhang anderer Gedanken wird gestanden haben, welche als andersartiger Einschlag sich damit verbanden und den sittlichen Wirkungen jener Erkenntniß eine andere Richtung gaben. Mit diesem fremden theoretischen Element verband sich denn auch ein andersartiges praktisches Ziel, das er sich gesteckt, als bei Luther.

2. Jenes fremde Gedankenelement werden wir zunächst im philosophischen Gottesbegriff Zwingli's zu finden haben. Denn so ähnlich es mit bekannten Aeußerungen Luther's lautet, wenn Zwingli von Gott sagt: operatur omnia in omnibus, so hat das doch andere Wurzeln. Sein Gott, der unbewegt alles in Bewegung seht, wie er ihn aristotelisch charakterisirt, stammt viel mehr aus der Antike, als aus dem Evangelium. Und wenn Luther alles Heilswirken des Geistes Gottes auf die Menschen an die Gnadenmittel bindet und so vermittelt, so faßt dagegen Zwingli die Unbedingtheit des göttlichen Willens und die unmittelbarkeit des göttlichen Wirkens im innern Geistesleben in einer Weise, daß dagegen die Bedeutung der geschichtlichen Heilsvermittlung und der äußerlich vermittelten Gnadenwirkung verschwindet.2 Seine im Humanismus wurzelnden Aeußerungen über die Seligkeit der edleren Heiden sind bekannt. Diese Heiden haben ihre Zugehörigkeit zum Volke Gottes durch ihre Werke bewiesen. Und so entspricht denn auch bei den Christen dem Willen Gottes das sittliche Verhalten als die Vergewisserung jenes göttlichen Willens. Dieß um so mehr, als in diesem sittlichen Verhalten Gott selbst thätig ist, da ja Gott, wie er überhaupt der unbewegt alles in Bewegung sehende ist, bei den Christen im Glauben gegenwärtig ist, und so denn sie nicht müßig

1) Für seinen Stiefsohn Meyer v. Knonau zunächst bestimmt. Vgl. hierüber A. Baur I, 362 ff.

2) Vgl. auch A. Baur II, 52.

3) Salus et vita aeterna electione constat; neque enim manus eius clausa est aut abbreviata, ut inter gentes neminem servet. Potest enim Deus infundere fidem in cor gentium quam deinde operibus comprobant et ostendunt, qualiter non temere de Socrate, Seneca, aliisque multis sentio. Is ergo locus, qui non crediderit, condemnabitur, nihil ad eos pertinet, quibus evangelium nunquam praedicatur. In histor. resurr. etc. Opp. ed. Schuler et Schulthess VI, 6, 69. De provid. IV, 123. Vgl. Zeller a. a. D. S. 163 f.

sein läßt 1 jenes spezifisch reformirte Christus non otiosus. Dem entsprechend kommt denn auch der Glaube vorzugsweise als sittliches Verhalten und von Seiten seiner sittlichen Wirksamkeit in Betracht: er ist efficax virtus und indefessa actio. 2 Dem souveränen Willen Gottes entspricht auf Seiten des Menschen der Gehorsam, also der Glaube wesentlich als das sittliche Verhalten des Gehorsams, welches seinen Inhalt in den Werken herausseßt und in diesen die Heilsvergewisserung besißt, so daß also der Glaube durch seinen sittlichen Inhalt zur Rechtfertigungsgewißheit verhilft. Gewiß ist auch hier Christus uns gemacht zur Gerechtigkeit; aber es ist durch diese analytische Wendung des Urtheils die Rechtfertigungslehre doch alterirt und die Ethik damit zu einer geseßlichen verkehrt.

3. Denn wie die Werke solchergestalt zum Glauben gehören als sein Inhalt, so gehört das Geseß zum Evangelium oder auch wird das Evangelium als Gefeß gefaßt. Zwingli kennt hier wie dort nicht jenen scharfen Gegensaß, wie er bei Luther herrscht. Wenn das Gesetz die Offenbarung des Willens Gottes ist, so ist auch das Evangelium Gesez, und das ganze Verhältniß des Christen zu Gott kommt bei Zwingli ganz anders als bei Luther unter den Gesichtspunkt des Gesezes zu stehen, nur daß dieses für den Gläubigen nicht ein Druck, sondern ein Gegenstand der Freude ist, weil der rechtgläubige Mensch erfreut und gespeist wird mit einem jeglichen Worte Gottes, ob dasselbe schon wider die Begierden seines Fleisches ist". Gott ist der Herr, der seinen Willen als Gebot kund thut, auch im Evangelium. 3 Das Christenleben erhält dadurch einen viel geseßlicheren Charakter als bei Luther, und so tritt auch der Unterschied zwischen der alt= testamentlichen und der neutestamentlichen Stufe viel mehr zurück. 4 Es ist dasselbe Volk Gottes hier wie dort.

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Indem die Offenbarung Gottes in der Schrift unter den Gesichtspunkt der Willensoffenbarung der göttlichen Majestät, also mit dem

1) Fideles experiuntur, quam nihil otii det suis Christus. Opp. IV, 154. (In der Schrift Quo pacto ingenui adulescentes formandi sint etc. 1523). Baur, 3m.'s Theol. I, 365. Seeberg S. 19.

2) Fides enim, cum spiritus divini sit adflatus, quomodo potest quiescere aut in otio desidere, quum spiritus illi jugis sit actio et operatio? Fid. christ. expos. Opp. IV, 63.

3) Seeberg S. 18. Vgl. Auslegung der Schlußreden, 22. Art. Bei Baur I, 252 f.

4) Wie ja auch, um etwas ganz Aeußerliches zu nennen, in rein reformirten Kreisen mit einer gewissen Vorliebe alttestamentliche Namen als Taufnamen gewählt werden.

Anspruch gesetzlicher Normirung des Lebens tritt1, so hat das zur Folge sowohl eine geseßliche Beurtheilung des Weltlebens, als auch den Anspruch der Beherrschung des bürgerlichen Lebens nach den kirchlichen Normen. Denn das heilige Volk Gottes soll sich als solches darstellen auch in den äußeren Lebensformen und in der Beherrschung derselben, worin die Königsherrschaft Jesu Christi zur Geltung kommt. Zwar lehnt Zwingli selbstverständlich die asketischen Vorschriften der römischen Kirche ab. 2 Aber andrerseits berührten sich die Konsequenzen des Prinzips doch sehr nahe mit jener wiedertäuferischen Beurtheilung des weltlichen Lebens, die wir kennen gelernt haben, sodaß Zwingli sich derselben nur mit Mühe erwehrte. Die Wiedertäufer wollten die Heiligkeit des Volkes Gottes in geseßlicher Regelung des Lebens nach vermeintlichen biblischen Normen, besonders nach den bekannten Worten Christi in der Bergpredigt zur Erscheinung bringen. Zwingli war im Anfang (1522) mit den Züricher Radikalen eins, wenn er sich auch vorsichtiger hielt. Je mehr diese aber die Konsequenzen für das soziale Leben zogen, um so mehr erkannte er, daß dieß nicht durchführbar sei. So zog er sich auf die Unterscheidung zwischen dem sittlichen Ideal und der Wirklichkeit, zwischen den eigentlichen Anforderungen des Christenthums selbst und den Konsequenzen der menschlichen Unvollkommenheit, zwischen der göttlichen und der menschlichen Gerechtig= keit zurück.3 Aber es fragt sich, ob dieß ausreicht, denn es soll doch im Christenleben zur Verwirklichung des Ideals oder der göttlichen Gerechtigkeit kommen; es muß also die Verwirklichung derselben denkbar sein. Wenn sie aber prinzipiell mit den Wiedertäufern auf die äußere Lebensordnung bezogen wird, so ist sie undurchführbar, und es kann dann den Nothwendigkeiten des wirklichen Lebens gegenüber — wie bei der römischen Denkweise, mit welcher diese im Prinzip einverstanden ist nur durch Kompromisse geholfen werden. So ist Zwingli's Stellung den Wiedertäufern und ihrer Konsequenz gegen=

„Wie

1) 3. B. Aus der Antwort an Val. Compar, in dem Abschn. über die Abschaffung der Bilder, „der Gößen" WW. II, a S. 25: „Sind alle äußerlichen Dinge eitel und unnüß, die in Gottes Wort nicht Grund haben“ u. s. w. viel Ding hat man umgestoßen, darum, daß sie in Gottes Wort nicht Grund hatten". A. Baur, a. a. D. I, 470 ff.

2) Vgl. z. B. De delectu et libero ciborum esu I, 2 ff. Baur, a. a. D. I, 89 ff.

3) Vgl. die entsprechende Schrift 3m.'s De divina humanaque justitia I, 436-480 und Zeller, a. a. D. 185 f. A. Baur I, 293 ff.: Der Ünterschied der reinen Moralität von der bloßen Legalität.

über bei aller entschiedenen Verwerfung derselben 1 doch eine ge= brochene. 2

4. Von da aus nun erklärt sich auch der soziale Charakter der Zwingli'schen Reformation. 3 Denn mit jener gesetzlichen Fassung des Evangeliums hängt es zusammen, daß Zwingli die Anwendung desselben auf die Ordnung des politischen Lebens machte. Es ist nicht bloß der lebhafte Sinn für die Betheiligung am politischen Leben und die Neigung zum Eingreifen in dasselbe, was ihn charakteristisch von Luther unterscheidet, sondern seine Denkweise hierüber. Staat und Kirche fielen ihm in einer Weise zusammen, wie dieß bei Luther nicht der Fall war, welcher beide prinzipiell sehr bestimmt von einander unterschied, wenn auch die thatsächliche Sonderung dem nicht entsprach. Der Mittelbegriff für Zwingli ist der des Volkes Gottes, welches in Staat und Kirche dasselbe ist, also die Ordnungen beider gleicherweise in der Hand hat. Das gibt der Zwingli'schen Reformation den charakteristisch theokratischen Charakter mit demokratischem Gepräge, unterstüßt durch die republikanische Staatsform. Die Reform auch des sozialen Lebens seines Volkes gehörte von vornherein zu seinem Programm, und zwar soll diese durch geseßlich religiöse Regelung des äußern Lebens sich vollziehen. „Im Namen Jesu Christi unsres Seligmachers, ihm zu sonderem Lob und Wohlgefallen“ wird 1530 der sonntägliche Besuch des Gottesdienstes befohlen und auf die Nichtbeobachtung solcher Gebote Strafe gesetzt. Die Ordnung des bürgerlichen Lebens soll nach dem Worte Gottes stattfinden; denn Gott soll der Herrscher, Christus der König sein, und das Schriftwort ist seine Willenskundgebung. Von einer solchen Theokratie weiß Luther nichts und will er nichts wissen. Im bürgerlichen Leben gilt ihm das römische Recht; das Gesetz Mosis ist der Juden Sachsenspiegel und nicht der Deutschen, und der Kaiser Augustus hat nicht von Jesu Christo sein Regieren zu lernen gehabt. Es sind ganz andere Vorbilder, nach denen Zwingli sich richtet: wie ein antiker Reformator oder nach mittelalterlichem Muster etwa, woran man erinnert hat, eines Savonarola und seiner Vermischung des Religiösen und Politischen

1) Vgl. 3. B. Fid. christ, expos. IV, 66.

2) Auch nach A. Baur I, 303 haben für Zwingli „Kirche und Staat" troß ihrer verschiedenen Gebiete, Aufgaben und Mittel (dort das Evangelium, hier die Gewalt) das mit einander gemein, „daß beide an das Wort Gottes gebunden sind".

3) Vgl. Hundeshagen, Beiträge zur Kirchenverfassungsgeschichte u. Kirchenpolitik. I. Wiesb. 1864 S. 136 ff.

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handelt er. 1 So kam er denn auch im Einzelnen zu ganz andern Folgerungen wie Luther. Während Luther bei der Forderung des Gehorsams oder des rein passiven Ungehorsams auch einem Tyrannen gegenüber stehen blieb, weil auch dieser immer doch Obrigkeit sei, lehrte Zwingli, daß man einem Tyrannen — und ein Tyrann ist, wer ohne Gottesfurcht regiert und das Evangelium verfolgt zu gehorchen brauche, sondern ihm gegenüber im Stande rechtmäßiger Nothwehr sich befinde und sich daher von seiner Gewalt befreien dürfe: wenn die Obrigkeiten untreulich und außer der Schnur Christi fahren würden, mögen sie mit Gott entsetzt werden", nach dem einhelligen Willen des Volks oder durch den frömmeren Theil" des= selben; wenn man die üppigen Könige nicht abstoße, werde das ganze Volk gestraft. 2 Es werden also diese bürgerlichen Verhältnisse nach kirchlichem Urtheil behandelt; über kirchliche Dinge aber hat die ganze Gemeinde zu bestimmen, also auch über jene Fragen; die christliche Volksgemeinde erscheint als souveräne Interpretin des Willens Gottes.3 Man weiß aus der Geschichte, wie mit dieser Theorie auch Ernst gemacht wurde. Der Unterschied konnte nur sein, ob man die Gemeinde mehr in ihrer Gesammtheit faßte, wie Zwingli, oder mehr im Lehrstand repräsentirt, wie Kalvin, so daß die Theokratie, die sich beidemal ergab, mehr demokratisch oder mehr aristokratisch sich gestaltete; immer ist es die Selbstregierung des christlichen Volks unter seinem König Jesus Christus nach dem in der Schrift ausgesprochenen Gotteswillen als dem Gesez auch für das äußere Gemeinwesen, um so eine Ordnung desselben herzustellen, welche dieses Volk Gottes von der übrigen nichtchristlichen Welt unterscheide.

Darin liegt aber das Prinzip der Sekten: die äußere sichtbare Darstellung der Gemeinde der Heiligen. Ob diese Sekten maßvollere oder phantastischere Gestalt annahmen, kann für die Wirklichkeit einen großen Unterschied machen - das Prinzip ist dasselbe, und die Grundanschauung der Zwingli'schen Reformation ist ihre Rechtfertigung und bereitet ihnen den Boden. Auf dem Boden jener Dentweise steht auch Kalvin, nur daß bei ihm das religiöse Element und das persönliche Heilsinteresse entschiedener ins Gewicht fällt, als bei

1) Ritschl, a. a. D. S. 166.
2) Ausl. der 42 Artt. I, 369

A. Baur I, 265 f. 181.

f.

Seeberg S. 10.

De vera et falsa relig. comm. Opp. III, 300 f.

3) A. Baur erkennt an II, 49. 51, daß Zw. „sich über das Volk in einer Täuschung befand.

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