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auf das Evangelium zurückging und in diesem feinen Standort nahm, erwuchs damit auch die Möglichkeit, von da aus ein innerliches Verhältniß auch zu der Welt des natürlichen Bewußtseins und der irdischen Lebensaufgaben in der „Freiheit des Christenmenschen“ zu gewinnen. Jenes war der Charakter der „Renaissance“ Italiens, dieses der Reformation Deutschlands.

4. Das Eigenthümliche der Geistesstimmung und Lebensgestaltung gegen den Ausgang des Mittelalters, welche man Renaissance nennt, besteht in dem Doppelten: dem rücksichtslosen Selbstgefühl des Einzelnen und seiner Individualität und der rücksichtslosen Hingebung an die natürliche Geisteswelt, welche neu und reich aufgegangen war. Auf allen Gebieten des Lebens, in Staat, Wissenschaft, Kunst, Gesellschaft, Sittlichkeit machte sich gegenüber der Beherrschung des Lebens durch die überlieferte kirchliche Autorität das Recht der Individualität geltend. Es hat wohl niemals einen größeren Reichthum genialer Begabung gegeben als in der Periode der Renaissance in Italien. Wie in der Kunst sich gegenüber dem herkömmlichen Typus einer gewissen gleichmäßigen Allgemeinheit das individuelle Gepräge geltend macht, so auch in der Wirklichkeit des Lebens. Und das Selbstgefühl der individuellen Besonderheit äußerte sich auch in der Ablehnung der herkömmlichen Schranken für die Führung und Gestaltung des Lebens. Die eigene Natur und ihr Wille tritt an die Stelle des kirchlichen oder des sittlichen Gesetzes. Im Staatsleben sind es Machtmenschen, welche ihr Interesse und ihren Willen allein als Gesez anerkennen. Macchiavelli's „Fürst" ist die Theorie davon. Den Lebensgenuß, der keine äußere Schranke kennt, predigten Bocaccio's einschmeichelnde Erzählungen. Das gesammte Leben dieses Kreises verkündigt das Recht des Genusses und der Leidenschaft bis zur Rücksichtslosigkeit gegen alle Sittlichkeit und Sitte. Mit dieser Welt der Subjektivität, wie sie hier in ungewohnter Fülle ihren Reichthum im Guten und Schlimmen erschlossen, tritt sodann in Bund die äußere Welt des natürlichen Geisteslebens, in welche man sich mit Begeisterung warf. Die Erschließung der alten Welt, ihrer Wissenschaft und Kunst, hatte einen Enthusiasmus entzündet, welcher ganz andrer Art war als jenes ruhige Bestreben etwa der karolingischen oder ottonischen Zeit, klassische Bildung auf den Boden der germanischen Barbaren zu verpflanzen. Es war natürlich; Italien stand ja im geschichtlichen Zusammenhang mit jener Welt der Antike. Schien sie verschwunden gewesen zu sein, so trat sie nun in erneuter Schönheit und mit dem Reiz der Romantik bekleidet in den Gesichts

kreis. Mit Begeisterung fiel man ihr zu und fand in ihr eine geistige Befriedigung, wie sie die Kirche und ihr Christenthum nicht zu gewähren vermocht hatte. Jener Welt des Geistes und der Schönheit gegenüber erschien das Christenthum eher als Barbarei denn als Macht der Bildung. Die Antike tritt geradezu an die Stelle des Christenthums und Plato und Homer an die Stelle der heiligen Schriften.

Es war nicht die sittliche Wahrheit, welche man suchte, sondern der geistige Genuß; das Evangelium der Bildung, nicht der sittlichen Wiedergeburt; das Wohlgefallen an diesen höchsten Erzeugnissen menschlichen Geisteslebens, nicht das Wohlgefallen Gottes. Dafür aber wird man nicht Märtyrer, wenn es die Entscheidung gilt. Die Renaissance war innerlich Ablehnung der Kirche und so denn auch des Christenthums, welches man nur in der Gestalt dieser Kirche kannte. Aber es kam ihren Vertretern nicht in den Sinn damit Ernst zu machen. Wozu auch? Ihr äußeres Verhältniß zur Kirche störte nicht ihr Leben des geistigen Genusses. Und andererseits störte auch die Kirche sie nicht darin. Der päpstliche Stuhl selbst schloß einen Bund der kirchlichen Autorität mit diesem Geist rein weltlicher Bildung. Leo X. ist der charakteristische Repräsentant dieses Bundes. Und dieser Bund datirte nicht erst von ihm. Er geht in mannigfaltiger Gestalt weiter zurück. Auch ein Alexander VI. ist in seiner Weise ein Vertreter desselben. Denn die rücksichtslose Genialität dieser Borgias ist ganz im Geist der Renaissance. So war es natürlich, daß Savonarola unterging, indem er sich beiden entgegenstellte, jener unsittlichen Bildung und dieser unfittlichen Vertretung der Kirche. Und er mußte um so mehr untergehen, als er seinen Standort nicht ausschließlich im Evangelium nahm, sondern zugleich auch in seiner Subjektivität. Denn diese, schließlich eine schwärmerische und fanatische Subjektivität, nicht eine durch das Wort Gottes richtig gebundene war es, welche er jenen beherrschenden Mächten in den Weg warf. Es zeigte sich, daß in der römischen Kirche die Subjektivität nur ein Recht hat und zur Geltung kommt, wenn sie sich in den Dienst der äußern kirchlichen Autorität stellt oder wenigstens sich mit ihr verständigt.

5. Wesentlich verschieden von der Renaissance Italiens und diesem schwärmerischen Versuch Savonarola's ist die Reformation in Deutschland. Schon der Humanismus in Deutschland unterscheidet sich von dem Italiens. Es ist nicht bloß das kältere Blut des Nordens und die wesentlich dadurch mitbedingte größere Mäßigung der Sittenlosigkeit sowie des genialen Ueberschwangs; sondern es findet hier doch

ein größerer sittlicher Ernst und Gewissenhaftigkeit und von vornherein ein engeres Verhältniß zu den Ursprüngen unsrer christlichen Tradition statt. Der Meister des Griechischen, Erasmus, und der Lehrer des Hebräischen, Reuchlin, stellten bei aller Polemik gegen die Ausartungen des kirchlichen Wesens und seiner Repräsentanten, wie sie besonders Erasmus in schneidender Ironie übte, doch ihr Wissen vornehmlich in den Dienst des Verständnisses der heiligen Schrift und somit des Christenthums. Und Melanchthon hat dann die Früchte davon ge= sammelt und für die evangelischen Schulen zu Nuße gemacht. Aber immerhin würde nicht daraus die Erneuerung der Kirche und des ganzen sittlichen Lebens hervorgegangen sein, welche wir Reformation nennen. Erasmus hatte nicht entfernt das Zeug zu einem Reformator, auch nicht in der mildesten Form; und ebenso wenig Reuchlin. Dazu gehörte nicht bloß eine andere Natur, die aus festerem Holz geschnigt sein mußte, sondern vor Allem ein ganz anders gebundenes und eben deßhalb durch alle äußeren Schranken und Rücksichten, die sich in den Weg stellten, hindurchbrechendes Gewissen.

Luther's innere Entwicklung dagegen, wenn er auch von der neuen humanistischen Bewegung nicht unberührt war, ging von der Regung seines Gewissens aus. Wir finden am Ausgang des Mittelalters in weiten Kreisen eine ungewöhnliche Unruhe der Gewissen. Sie ist zwar nicht so stark und so krankhaft, wie sie am Ausgang der alten Welt war; aber sie erinnert doch unwillkürlich daran. In einer Reihe von Aeußerungen spricht sich diese Gewissensunruhe aus, und die religiöse Erregtheit des 15. Jahrhunderts, welche immer neue Andachten aufbrachte, ist ein Zeugniß dafür. Während sonst diese Unruhe durch die Steigerung der gewöhnlichen kirchlichen Mittel Beschwichtigung suchte, hat Luther, so sehr er diesen Weg am Anfang zu gehen und

1) Um nur eine Stelle zum Beleg anzuführen, aus Urb. Rhegins' Predigt in Minden „über die falschen Propheten“ (Wittbg. 1539. Uhlhorn, Urb. Rheg. Elberf. 1861, S. 306): „Und wenn man schon in alle Brüderschaft gab und allenthalben eingeschrieben war, so hatte man doch im Gewissen keine Ruhe. Man lief noch gen Einsiedeln, gen Aachen, gen St. Lienhardt, St. Wolfgang, und je mehr man allenthalben Gnad und Vergebung suchte, je unruhiger ward das Gewissen, denn die Verführer konnten Niemand von Glauben an Christum unterweisen und von der rechten Gerechtigkeit, die allein im Glauben steht. All ihre Predigt war allein von selbsterdachten Werken: gib hieher in die Kirchen, lege dort in den Stock, stifte da einen Altar und Messe, löse Ablaß, laß dich in die Bruderschaft einschreiben, befiehl dich in diesen heiligen Orden, faste so viel, bete so viele Rosenkränze, faste zu Wasser und Brod alle unsrer lieben Frauen Abende, rufe St. Barbara an, laß eine goldene Messe lesen, gelobe Keuschheit und solche Menschenträume ohne Zahl“ u. s. w.

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durch Möncherei in den Himmel zu kommen suchte, auf diesem Wege
den Frieden nicht gefunden. Den Vertretern der Renaissance ist diese
Unruhe des Gewiffens völlig fremd. Ihre Interessen sind ganz andere.
Formal zwar treffen beide Bestrebungen zusammen. Es ist auch hier
die Subjektivität, die sich geltend machte und ihr Recht forderte, nur
nicht die Subjektivität der natürlichen Begabung, sondern des religiösen
Bedürfnisses, nicht die Individualität wie dort, sondern die sittliche
Persönlichkeit. Die Geltendmachung dieser Persönlichkeit, die Forderung
der persönlichen Gewißheit, die Beziehung der göttlichen Offenbarung
das wurde
und ihrer Verkündigung auf das persönliche Gewissen
die bewegende Macht für die gesammte Entwicklung und die gesammte
Lebensarbeit Luther's. Und die stete Berufung auf den Trost und
die Gewißheit der erschrockenen Gewissen in den Bekenntnissen der
lutherischen Reformation ist die Nachwirkung und das Zeugniß davon.

Wenn aber die Reformation im Gewissen einseßte, so ist es nicht das lediglich auf sich selbst gestellte Gewissen, was sie meint. Es ist nicht die formale Gewissensfreiheit im modernen Sinn, welche von dem zur persönlichen Gewißheit gewordenen Inhalt desselben absieht, sondern es ist das im Worte Gottes gebundene Gewissen, worauf sich Luther in Worms gegen Kaiser und Reich und gegen die äußere Autorität der Kirche des Papstes stellte. Eben darum konnte er nicht weichen, weil er innerlich an jene höchste Autorität gebunden war. Es ist nicht seine Subjektivität, welche er der Welt der traditionellen Autoritäten entgegenstellt, sondern die höchste Wahrheit Gottes, die zum Inhalt seines persönlichen Gewissens geworden war. Das unterscheidet die Reformation wesentlich von der Revolution. Losgelöst von den religiösen Mächten, als rein formale Größe auf sich selbst gestellt, hat sich die Freiheit des Individuums als die Macht der Revolution erwiesen, welche die Welt nach den eigenen Gedanken umzugestalten sucht. Indem die Reformation die persönliche Freiheit des Gewissens an das Wort Gottes bindet, ist sie die Verneinung der Revolution geworden. Die romanischen Länder unter der Herrschaft der römischen Kirche haben die Reformation abgewiesen und dafür die Revolution eingetauscht, welche dort mit der Autorität der äußern Kirche abwechselnd die Herrschaft führt. Die Reformation ist beides, die Beseitigung dieser äußerlichen Autorität wie die Abwehr der Revolution, weil sie jener nicht die Freiheit des natürlichen Menschen, wie die Renaissance, sondern die des Christenmenschen entgegenstellte.

Die Renaissance war das Evangelium der individuellen Be

rechtigung zugleich der natürlichen Welt. Auch die Reformation hat das Recht der Welt und des Lebens in ihr verkündigt. Man hat sie deßhalb, allerdings mit sehr mißverständlichem Ausdruck, die Verweltlichung des Christenthums genannt. Aber es ist eine ganz andere Geltendmachung derselben wie dort. Dort ist es die Freude am Genuß der natürlichen Welt, wie sie ist. Daß diese Freude erst ihre Berechtigung nachzuweisen habe, kam nicht in Betracht. Darin war die mittelalterliche Denkweise dieser sittlich überlegen, indem sie allerdings eine solche Berechtigung forderte. Aber sie ruhte auf der Verkennung der sittlichen Berechtigung der Weltaufgabe selbst und hatte die Verneinung derselben zur Vorausseßung und zur Folge. So fehlte, wie wir sahen, das gute Gewissen zur Erfüllung des Weltberufs. Aber ohne dieses konnte der Uebergang in die neue Zeit mit ihren erweiterten und gesteigerten Aufgaben sich nicht richtig vollziehen. Nur dieses gute Gewissen ermöglichte die rückhaltlose Hingebung an die Erfüllung der Aufgaben, welche die neue Zeit stellte. Es war Luther's Verkündigung der Freiheit des Christenmenschen, welche dieses gute Gewissen ermöglichte. So steht die Reformation an der Schwelle der neuen Zeit und hat sie und das Arbeitsleben, das für sie bezeichnend ist, ermöglicht.

Man kann schwanken, ob man die neue Zeit mit der Entdeckung Amerikas oder mit der Reformation beginnen soll. Es ist beides im Recht, und beide Thatsachen stehen, ohne gegenseitig von einander zu wissen, in engem Zusammenhang mit einander. Denn es ist die Erschließung der neuen Welt, welche sowohl den Gesichtskreis in ungeahnter Weise erweiterte, als auch dem Leben eine Menge neuer Stoffe zuführte und dadurch eine ungemeine Steigerung der irdischen Berufsaufgaben herbeiführte. Es kam alles darauf an, daß man mit gutem Gewissen an dieselben herantreten konnte. Dieses gute Gewissen verdankte die Welt der Reformation. Es war, werden wir sagen dürfen, eine prästabilirte Harmonie zwischen den beiden Entdeckern der zwei verschiedenen Welten, die von Gott vorgesehen war. Beide dienten einander, ohne es zu ahnen und von einander zu wissen. Der Gewinn ist der neuen Zeit überhaupt zugefallen. Es ist eine ganz andere innere Stellung, die sie in den Gebieten, Berufskreisen und Aufgaben des natürlichen Lebens einnimmt als das Mittelalter.

Allerdings kann, wie es dort bei der Freiheit des Individuums war, dieses Weltleben sich auf sich selbst stellen, losgelöst von der religiösen Erkenntniß, in welcher sie ihre sittliche Berechtigung besigt.

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