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als den Menschen, aber so daß er dann auch die Folgen dieser Gehorsamsweigerung im Leiden unweigerlich auf sich nehmen muß. 1 Mit dieser Lehre steht Luther im Gegensaß zur Lehre vom Recht des aktiven Ungehorsams, wie sie auf reformirtem Boden aufgestellt wurde. Von seiner Grundanschauung aus entscheiden sich für Luther auch die Fragen nach dem Klag- und Strafrecht, nach dem Recht des Schwörens und nach dem Recht des Krieges für den Christen. Es ist immer der Unterschied zwischen der Person selbst und dem berufsmäßigen Thun, den er geltend macht. Für seine Person soll man Unrecht zu Leiden gewillt sein, sich nicht rächen, nicht tödten wollen u. f. w. Aber was man von Amts wegen thut, das thut man in Gottes Namen, nicht im eigenen. Das gilt insonderheit auch vom Krieg. Er führt dieß in der vortrefflichen Schrift von 1526 aus: „Ob Kriegsleute auch in einem seligen Stande sein können", an welcher auch Herzog Georg von Sachsen eine so große Freude hatte und diese gegen den Meister Lukas Kranach aussprach, von dem er dann freilich zu seinem Aerger erfuhr, daß sie von dem ihm so verhaßten Wittenberger Mönche sei.

So legten sich ihm die einzelnen Fragen leicht und klar zurecht. Mit berechtigtem Selbstgefühl durfte er denn auch im Gegensatz zu der römischen Verkehrung von sich sagen: „Denn ich mich schier rühmen möchte, daß seit der Apostel Zeit das weltliche Schwert und Obrigkeit nie so klärlich beschrieben und herrlich gepriesen ist, wie auch meine Feinde müssen bekennen, als durch mich".2 Wogegen er in der Verwirrung jener zwei Gotteswelten und der dadurch verursachten Verstörung der drei Hierarchien durch die römische Lehre und Praxis ein Hauptzeichen des antichristlichen Charakters der päpstlichen Kirche sah. 3

1) 3. B. 22, 102; 14, 277 f. (323).

2) 22, 248 (Ob Kriegsleute u. s. w. 1526); 31, 21 (Von heimlichen und gestohlenen Briefen 1529); 31, 236 (Verantwortung des aufgelegten Aufruhrs 1533) u. ö. Von der römischen Lehre 31, 34 (1529): „Die Allergelehrtesten hielten die weltliche Obrigkeit für ein heidnisch, menschlich, ungöttlich Ding, als wäre es ein fährlicher Stand zur Seligkeit".

3) 41, 299 (Auslegung des 12. Kap. Daniel's 1546): Durch diese zwei Stück hat nun der Papst die zwo Hierarchien verwüstet: durch das erste das weltliche Recht, Gehorsam und Obrigkeit unter sich getreten und wo er gewollt hat aufgehoben und verwüstet u. s. w. Durchs andere hat er die Kirche verstört, die heil. Schrift unter sich geworfen u. s. w., und also beide, Gottes Wort und Gottes Dienst, zu nichte gemacht". S. 300: „Und auf daß er nichts unverwüstet lasse, wird er die dritte Hierarchie Gottes auch zerreißen, nämlich den Ehestand, welchen er nicht allein verboten hat den Geistlichen, sondern auch durchaus verlästert, geschändet, verachtet und zu nichte gemacht damit, daß ers

19. Ueber jene drei göttlichen Stände hinaus geht nun „der gemeine Orden der Christenheit" 1 und christlichen Liebe; wohin vor Allem die Nächstenliebe gehört als die rechte Gesetzeserfüllung und der gottwohlgefällige Gottesdienst; aus welcher Liebe dann auch das Maß der nöthigen Beschränkung der Freiheit sich ergibt. Dazu aber ist nöthig, daß man sich nicht abschließe gegen den Nächsten und mönchisch sich aus der Welt zurückziehe. Denn das Mönchthum ist nicht bloß eine Sünde wider den Glauben und die Gerechtigkeit aus dem Glauben allein, sondern auch wider die Liebe und ihren Dienst. 2

Von da aus ergab sich ihm eine ganz andere Stellung zu den Aufgaben der christlichen Liebesthätigkeit im Gebiet des sozialen Lebens.

Das Mittelalter war mit schweren Nothständen des sozialen Lebens in die neue Zeit, die anbrach, herübergetreten. Es hatte troß aller Wohlthätigkeitserweisungen, an denen es so reich war, ja gerade durch dieselben gegenüber solchen Uebeln wie dem Bettelunwesen Bankerott gemacht. Luther's neue sittliche Denkweise enthielt das Programm auch einer neuen höheren Stufe der christlichen Liebesthätigkeit. Die mittelalterliche Denkweise, welche die Kontemplation höher stellte als die Arbeit und die Armuth höher als den Besitz, der sich sein Recht vielmehr erst durch theilweise Entäußerung erwerben mußte, darum den Bettel nicht als ein Uebel, das zu beseitigen sei, sondern nur als einen erwünschten Anlaß zu verdienstvollem Handeln ansehen konnte und so denn auch einen heiligen Bettel kannte3, mußte den unleugbaren Uebeln gegenüber, die sich daraus ergaben, ihr Unvermögen bekennen. Man hatte deßhalb diesen schon im Ausgang des Mittelalters von weltlicher Seite aus selb= fländig zu helfen gesucht und damit den mittelalterlichen Bann der ausschließlichen Kirchlichkeit aller christlichen und sittlich berechtigten Lebensbethätigung zu durchbrechen begonnen. Aber erst Luther's prinzipielle Anschauung gab die theoretische Berechtigung dazu und damit ein gutes Gewissen. Es handelte sich nun nicht mehr darum, gute Werke zu thun, um dadurch sich ein Verdienst zu erwerben und

ein unrein, fleischlich, ungöttlich Wesen schilt, darin man Gott nicht dienen könne“ u. s. w.

1) 23, 265 f. (1538 die drei Symbole).

2) 9, 287 f. (280 f.); 13, 296 ff. (372 ff.); 43, 352.

3) Vgl. meine Gesch. der christl. Ethik I, 321 f. Uhlhorn, Die christl. Liebesthätigkeit des MA. (II.) S. 138 ff. Seit der Reformation (III.) 1890 S. 3 ff.

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vor Gott gerecht und selig zu werden, sondern es handelt sich um den Dienst der Liebe, die dem Nächsten von seiner Noth helfen will, nachdem Gott uns in Christo von unsrer Noth geholfen. Das ist der neue Gesichtspunkt, der von nun an dieß ganze Lebensgebiet beherrschen sollte. So hat denn Luther von Anfang an gegen das Unwesen des heiligen und des unheiligen Bettels gekämpft1 und eine geordnete Armenpflege nachdrücklich empfohlen. 2 Da mochte es wohl geschehen, daß am Anfang der Wegfall der bisherigen falschen Motive in einem Rückgang der sog. guten Werke in empfindlicher Weise sich bemerklich machte, - und Luther hatte Anlaß genug, über den Geiz und die Hartherzigkeit der Bürger und Bauern zu schelten, und zu klagen, daß das reine Evangelium, das nun hervorgebracht sei, so viel weniger gute Werke wirke als der Irrthum unter dem Papst= thum die neue Wahrheit war doch ein großer Fortschritt, und dieser mußte sich sowohl im richtigeren Urtheil als auch in der That selbst je länger je mehr geltend machen.3 Und wenn man jezt die evangelischen Länder und Völker mit denen der römischen Kirche. und ihrem unausrottbaren Bettel vergleicht, so ist keine Frage, auf welcher Seite der Vorzug liegt, und es ist unleugbar, daß dieß mit der Veränderung der religiösen Betrachtungsweise in innerem Zusammenhang steht. So ergab sich für Luther auch eine andere sittliche Würdigung der Arbeit. Die antike Hochstellung des otium hatte sich fortgesezt in der Ueberordnung des kontemplativen über das aktive Leben, dessen Arbeit die Verneinung des otium ist. Der mittelalterliche Dualismus zwischen der Liebe zu Gott und der Liebe zum Nächsten, dem Leben in Gott und dem Leben in der Welt u. s. w.5 wich nun der Forderung, die Liebe des Glaubens eben in der Weltbethätigung zu erweisen: das ganze Leben wird dadurch zum Gottesdienst und soll zugleich ein Dienst des Nächsten sein. 6

Aber auch das gesammte übrige Gebiet des gesellschaftlichen und allgemein menschlichen Lebens bestimmte sich für Luther von da aus neu. Nach den verschiedensten Seiten hin machte er seine neue Erkenntniß geltend; und schon seine ersten Schriften enthalten fast ein

1) Vgl. z. B. An den christl. Adel u. s. w. 21, 335 f.

2) Vgl. z. B. „Ordnung eines gemeinen Kastens" (Leisniger Kastenordnung)

22, 105 ff.

3) Vgl. Uhlhorn a. a. D. III, 33 ff. 104 ff.

4) Negotium negat otium.

5) Vgl. z. B. Thom. Aqu. in meiner Gesch. der christl. Ethik I, 294.
6) Vgl. Uhlhorn a. a. D. III, 22.

allseitiges soziales Programm, wie es sich ihm von dort aus ergab. Die zwei hauptsächlichsten Gesichtspunkte, welche ihm hiefür maßgebend waren, sind erstens, daß das natürliche, von Gott geschaffene Leben mit seinen Gaben, Freuden und Thätigkeiten an sich gut und recht ist, und zum andern, daß dieß alles in den Dienst der Liebe und schließlich des Reiches Gottes treten soll.

In diesem Sinn urtheilt er über Fröhlichkeit, Tanz, Essen und Trinken u. s. w., straft die Unsitten seiner Deutschen, hat aber dabei „mit den Doktoribus in Wittenberg" fröhlich sein Bier getrunken und seine berühmten „Tischgespräche“ geführt, welche Heiliges und Weltliches in bunter Mischung und mit treffendem Urtheil und einer solchen Bielseitigkeit besprechen, daß nicht leicht etwas anderes sich ihnen an die Seite stellen lassen wird. In diesem Sinn verwirft er die sauer sehende Heiligkeit der Wiedertäufer u. s. w., welche der Gerechtigkeit vor Gott nicht gewiß ist, und warnt vor den Gefahren allzu großer Zurückgezogenheit und trüben Ernstes. Welch ein Freund der Natur er war, ist bekannt, und seine Schriften sind voll von Gleichnissen, die aus dem Naturleben genommen sind. Er nahm sich der Vögel an gegen seinen vogelstellenden Diener, und hat in schweren Stunden zu Koburg an seinen Sohn Hänschen jenen wunderlieblichen kindlichen Brief ge= schrieben, dessen gleichen es nicht zum zweiten Male gibt. Nicht minder ist bekannt und bedarf keines Beleges, wie frei, anerkennend und empfehlend er über die Wissenschaften, besonders die Sprachen und die edlen Künste, der Musika vor Allem, aber auch die bildenden Künste geurtheilt hat, und wie er von Anfang an für die Schulen eingetreten ist. Das alles bedarf keines weiteren Nachweises.

20. Kurz, wir finden hier eine sittliche Gesammtanschauung, so sicher, frei und weltoffen, und doch eben hierin so wahrhaft christlich, wie die ganze bisherige Geschichte der Kirche sie nicht gekannt hat. Allen bisherigen Gestaltungen und Entwicklungen der sittlichen Denkweise, auch eines Augustinus, ist sie weit überlegen. Erst wenn wir bis zu Paulus und zur Verkündigung und Vorbild Christi selbst zurückgehen, finden wir denselben freien Geist wieder. Luther hat aber das richtige Verhältniß zur Welt wieder gewonnen, weil er das richtige Verhältniß zu Gott wieder gewonnen hat in seiner Lehre von der Glaubensgerechtigkeit. Er hat die Gesundheit des christlichen Lebens wieder gerettet, weil er die Gesundheit der christlichen Lehre wieder gerettet hat. Die Trübung der paulinischen Erkenntniß von der Glaubensgerechtigkeit hatte auch die sittliche Erkenntniß getrübt und

das richtige Verhältniß zur Welt verschoben. Erst mit der Richtigstellung jener hat sich auch diese wieder richtig gestellt. Keiner vor Luther hatte in diesem entscheidenden Punkte richtig eingesetzt; auch die sogenannten Vorläufer der Reformation nicht. So hat denn keiner die richtige Gesundheit des christlich sittlichen Lebens und der Lehre vor ihm gefunden. Die Entwicklung ging theils in eine falsche Weltlichkeit, theils in eine falsche Geistlichkeit aus - Humanismus und wiedertäuferische Schwärmerei in den verschiedensten Gestalten sind die beiden irregehenden Einseitigkeiten in der Abirrung von der richtigen Mitte der Wahrheit. Und diese beiden Abirrungen haben sich seitdem in verschiedenen Gestalten wiederholt und werden sich stets wiederholen, sobald man jene Linie Luther'scher Erkenntniß verläßt.

§ 3. Melanchthon's theologische und philosophische Ethik.

Melanchthon war auch in seinem dogmatischen Denken vorwiegend vom ethischen Gesichtspunkt bestimmt, und so hat er denn auch die Ethik selbst, sowohl die theologische als die philosophische, vielfach angebaut: die theologische besonders in seinen Locis, außerdem in seinen Bekenntnißschriften und in verschiedenen einzelnen Abhandlungen auf der Grundlage der neuen Erkenntniß Luthers, wenn • auch mit Modifikationen, welche durch den stärkeren Einfluß praktischer Erwägungen veranlaßt waren; die philosophische vorwiegend im Anschluß an Aristoteles, indem er zugleich diese philosophische Ethik zur christlichen in Beziehung zu sehen suchte; hiebei bestimmt von seinem Ideal eines christlichen Humanismus, durch dessen Interesse ihm mehr der Bund zwischen der christlichen Lehre und dem allgemeinen wissenschaftlichen Geistesleben als die prinzipielle Unterscheidung beider gefordert schien.

1. Die theologische Ethik.

Schwarz, Stud. u. Krit. 1853, 1: Mel. u. seine Schüler als Ethiker. Herrlinger, Die Theol. Mel.'s in ihrer gesch. Entwicklung. Gotha 1879. S. 209-343: Die Ethik Mel.'s. Ders., P. R.E. IX, 471 ff. bes. S. 513 ff. Luthardt, Mel.'s Arbeiten im Gebiet der Moral. Lpz. Univ.programm 1884 (im Buchhandel bei Dörffling u. Franke). Gaß, Gesch. der christl. Ethit II, 1. 1886.

1. Allgemeine Charakteristik. Wenn Luther der Prophet der neuen evangelischen Erkenntniß für sein Volk war, so war Melanchthon der Lehrer, welcher die neuen Erkenntnisse zu formuliren

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