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lieferten Charaktere ihrer Hauptvertreter in dramatisches Leben umgesetzt! Nie hat Elias Schlegel so weit wie durch dieses graciöse, streng stilgerechte historische Lustspiel über seine Zeit hinausgedeutet: was er kühn versuchte, beginnt erst in unserm Jahrhundert sich mählich zu gestalten. 174) Durch diesen Zusammenhang gewinnt denn auch das Todtengespräch eine noch erhöhte Bedeutung. 175)

Elias Schlegel arbeitete unermüdlich weiter; aber er gab nicht nur viel aus, sondern er nahm noch mehr auf: so ward er nicht nur ein fleißiger, er ward ein entwicklungsreicher Schriftsteller. Was Gottsched abging, besaß Schlegel in vollem Maße: der junge Studiofus wußte, daß es ständig zu lernen gälte, um etwas zu leisten, während der berühmte Professor sich bereits im Besiß der Weisheit und der Wahrheit zu befinden glaubte. Noch in dem Todtengespräche hatte unser Autor die Beibehaltung der „Hauptumstände" als eine Wesenheit des historischen Dramenstils bezeichnet, wenige Wochen später hat er bereits das erlösende Wort vom historischen Charakter" gefunden. Fast scheint es, als wohne ihm nun das berechtigte Selbstbewußtsein inne, daß er nicht nur ein Recht habe mitzusprechen, sondern auch gehört zu werden: so consequent sehen wir ihn um diese Zeit jede ereignißvolle litterarische Erscheinung vor sein Forum ziehen. Während die französische Tragödie in Deutschland auf ganzer Linie vorrückte, erschien 1741 eine Uebersetzung von - Shakespears Julius Caesar", besorgt von einem Herrn von Bord. Grimmig entsegt stieß Gottsched ins Horn: 176) Die elendeste Haupt- und Staatsaction unserer gemeinen Komödianten ist kaum so voll Schnißer und Fehler wider die Regeln der Schaubühne und gesunden Vernunft, als dieses Stück Shakespears ist."

Sofort erscheint Elias Schlegel auf dem Plane, um diese Verunglimpfung nun, noch ist es ja vielumstritten,

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ob Schlegels Auffsaß eine Zurückweisung oder nicht vielmehr eine Unterstüßung des Gottschedschen Sturmlaufs ist. 177) Gottsched verurtheilt Shakespear, weil er nicht nach den Regeln der Franzosen gemessen werden kann; Gottsched liebt es, gegen ihm unbequeme Ausländer ältere deutsche Dichter auszuspielen, 178) und unter diesen hatte er Gryphius als denjenigen bezeichnet, der es am weitesten gebracht“, so lautete überdies das einmüthige Urtheil Deutschlands und des Auslands. 179) Gut, dachte unser Schlegel, der nicht nur die Franzosen, sondern jezt auch das ältere deutsche Drama ebenso wie das antike gründlich kannte und einigermaßen verstand, gut, hat Gottsched für Shakespear kein Verständniß, weil dieser nicht wie die Franzosen ist, vielleicht findet sich ein glücklicherer Vergleichungspunkt, ein Gesichtswinkel, aus dem er dennoch leidlich erscheint; denn die Franzosen sind mir schon lange keine absoluten Muster mehr! Wie, wenn ich Gottsched mit seinen eigenen Waffen schlage? wenn ich einen Vergleich mit den älteren deutschen Dramatikern versuche? wenn ich ihren größten, Gryph, heranziehe?? In der That, die Probe kann stimmen: zeigt nicht auch Gryph jene Verquickung von Natürlichem und Wunderbarem, welche nach keinen Regeln meßbar ist??

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Aus diesem Gedankengang heraus 180) schrieb Schlegel seine Vergleichung Shakespears und Andreas Gryphs bei Gelegenheit des Versuchs einer gebundenen Ueberseßung von dem Tode des Julius Cäsar, aus den Englischen Werken des Shakespear." Es war die erste Abhandlung, welche in Deutschland dem englischen Dichterkönig gewidmet wurde. Aus der Zahl fremdländischer Urtheile verräth Schlegel nur Kenntniß der vom ,,Spectator" kundgegebenen Anschauungen. 181) Shakespear wird hier als einer jener „natürlich großen Geister" genannt, „die niemals durch die Zucht oder Regeln der Kunst gebrochen worden," aber freilich sei er oft darin sehr fehlerhaft,

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daß er richtige und erhabene Gedanken oft durch klingende Redensarten, harte Metaphern und gezwungene Ausdrücke verdunkelt." Unter dem Einflusse dieser Urtheile wagt sich Schlegel an den großen Briten heran. Zunächst bemüht er sich, einen guten Theil des so anstoßerregenden Schwulstes dem Ueberseßer aufzubürden, wobei er freilich ungerecht gegen diesen wird, 182) und giebt deshalb eine Stelle aus der Leichenrede des Antonius in eigener, nicht immer glücklicherer Verdeutschung wieder. Zu der Erzählung des Inhalts übergehend, verräth er natürlich für die Fortdauer der Handlung über Cäsare Tod hinaus noch kein Verständniß, denn dieses gewinnt selbst der heutige Shakespear-Freund erst mit zunehmender Reife. Ueberhaupt sagt er sich von der hergebrachten Regelmäßigkeit“ noch nicht ganz los schreibt er doch überdies für eine Gottschedsche Zeitschrift! : so hebt er namentlich das Abgerissene in Shakespears Einzelscenen hervor, während ihm Gryphs Einrichtung wenigstens geschlossene Einheit der Handlung zu haben scheint. Aber Schlegel erkennt die englischen Tragödien richtig als Charakterstücke, für ihn steht und fällt ein Drama nicht ausschließlich mit der Regelmäßigkeit, und schon fühlt er, daß er die Engländer mit neuen Maßen messen muß. Charakteristisch ist hierfür namentlich was Schlegel alsbald hinzufügt: „Beide, sowohl Shakespear als Gryph, haben in diesen Stücken bewiesen, daß man schöne Auftritte verfertigen könne, ohne von der Liebe zu reden. Und daß die unglücklichen Zufälle der Großen und die Staatslehren einnehmend genug sind, die Leidenschaften zu erregen. Da man also bei beiden die Regelmäßigkeit nicht suchen darf, ob sie gleich bei dem Gryph in weit höherem Grade ist, als bei dem Shakespear: so will ich auf die Charaktere ihrer vornehmsten Personen gehen, worinnen die Stärke des Engelländers vor andern besteht."

Gewiß noch schüchtern, aber si egreich offenbart sich in

diesem Aufsage auch weiterhin das erste Aufdämmern eines Verständnisses für Shakespear: „Man sieht, daß diese Charaktere alle eine ziemlich große Aehnlichkeit mit den historischen Charaktern haben; obgleich Shakespear, nach dem Urtheile der Engelländer, seine Menschen selber gemacht hat... Man wird mir erlauben, daß ich, um den Werth dieser großen Tugend des Shakespear recht in das Licht zu sehen, eine Ausschweifung auf andre Nationen mache, welche sich zuweilen nicht undeutlich zu rühmen scheinen, daß ihre theatralischen Personen zwar die Namen der historischen Personen führen, aber von jenen ganz unterschieden sind" 188). „Der Engelländer hat einen großen Vorzug in den verwegenen Zügen, dadurch er seine Charaktere andeutet, welcher Vorzug eine Folge der Kühnheit ist, daß er sich unterstanden, seine Menschen selbst zu bilden, und welchen wenigstens ein andrer so leicht nicht erlangen wird.",,Wir würden hier die schönste Gelegenheit haben, zu zeigen, daß in der Sprache der Leidenschaften ihre größte Aehnlichkeit bestände . . . Beide sind Beide sind in ihren Gemüthsbewegungen edel, verwegen und noch etwas über das gewöhnliche Maß der Höhe erhaben. . . Bei dem Shakespear aber scheint überall eine noch tiefere Kenntniß der Menschen hervorzuleuchten als bei dem Gryph.“ Freilich tadelt er dazwischen stellenweise allzu kühne Bilder, Schwulst und platte Natürlichkeit; freilich fehlt ihm noch jedes Verständniß für den Aufbau der englischen Dramen;

aber man sieht doch, worauf es ihm ankam, wenn er schließlich Shakespear all denen empfiehlt, die alte Poeten lieben, wo mehr ein selbstwachsender Geist als Regeln herrschen... Ich habe weder Plaß noch Luft gehabt, ihnen alle Schönheiten dieser großen Leute zu zeigen: und noch weniger haben wir diesen Plaz anfüllen wollen, mehr Fehler von ihnen anzuführen, woran mehr ihre Zeiten als sie selber Schuld haben."

Wir sind nun heute leicht geneigt zu lächeln, daß Schlegel allen Ernstes Shakespear gegen einen Gryphius abmißt, aber beweist es nicht Einsicht genug, wenn einer, der nur zahme Hausthiere kannte, beim ersten Anblick des Löwen die Kaße zum Vergleich heranzieht??

Im allgemeinen nehmen wir überdies ein Gefühl der Unsicherheit an diesem Aufsaße wahr: wir haben die Empfindung, daß Schlegel das Wesen Shakespears zu ahnen beginnt, aber daß sein Rüstzeug noch nicht genügt, um die Vertheidigung des großen Briten zu völlig siegreichem Ende zu führen. Auch lesen wir hier nicht Schlegels legtes Wort in dieser Sache, wir haben nur einen ersten Versuch unjeres Autors vor uns, sich mit der neuen Erscheinung abzufinden. 184 184)

Jedenfalls gehörte die volle Verblendung, Geistlosigkeit und fanatische Selbstvergötterung Gottschede dazu, um aus diesem Aufsaße 185),,gar leicht inne zu werden, wie ungegründet die Hochachtung sei, die unser Gegner (der,,Spectator") gegen den Shakespear blicken lassen." Der arme Mann, dem allmählich seine Autorität zum Wahne geworden war, hielt den grundsäglichen Widerspruch seines Schülers für so unmöglich, daß er durch die leisetreterische Form über den kezerischen Inhalt dieser Bekenntnißschrift hinweggetäuscht wurde.

Wo Schlegel an Shakespear platte Natürlichkeit tadeln zu müssen glaubt, stellt er als Zweck des Tragödiendichters auf: „in seinen Zuschauern edle Regungen und Leidenschaften vermittelst der Nachahmung zu erwecken". Das bedeutete einen neuen Fortschritt, denn das Schreiben über die Komödie in Versen hatte das Vergnügen an der Nachahmung als Zweck derselben aufgestellt. Wenn wir unmittelbar nach dieser Beschäftigung mit Shakespear unsern Schlegel sich eingehenden Untersuchungen über die Theorie poetischer Nachahmung zuwenden sehen, so hoffen wir auf weitere

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