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Todtengespräche“ gehört zu dem Geistreichsten, was unser Autor geschrieben hat. 166) Zwar die Ironie wird gleich mit der ersten Rede des Demokritus offenbar, aber mit unbarmherziger Beharrlichkeit treibt er den Gegner in immer bedenklichere Enge, immer neue Ungereimtheiten werden vorgebracht, immer wieder der Gegner ad absurdum geführt, und aus der Rüge einzelner Stillosigkeiten weiß uns der Verfasser die Ueberzugung von der Nothwendigkeit eines festen historischen Dramenstils überhaupt beizubringen. Im Jahre 1741 war nämlich Regnards Lustspiel „Démocrite" in Leipzig zur Aufführung gelangt und hattte wegen seiner Costümwidrigkeit in Gottscheds Kreisen lebhaftes Mißfallen erregt. Elias Schlegel fühlte nur zu gut, daß hier kein einzelner Verstoß vorliege, der ja durch „so viele gute und lebhafte Einfälle", welche er dem Stücke zugestehen mußte, hätte aufgewogen oder doch gemildert werden können; er fühlte, daß es nichts anderes als die klassicistische Manier der Franzosen war, welche diese Stillosigkeit nicht nur veranlaßte, sondern geradezu bedingte, 187) und wie er bereits in seinen ersten „Kritischen Anmerkungen“ gegen= über dem Bruder vertraulich die ewigen Liebesverwirrungen der französischen Tragödien abgethan hatte, so hielt er es nun an der Zeit, gegen diese Verwischung und Verwaschung aller Charakteristik öffentlich zu protestiren, ja, sie durch das wirksame Mittel blutiger Satire ein für allemal bloszustellen.

Eine glückliche Form für seine Idee bot ihm niemand anders als der große Kunstrichter der Franzosen selbst, Boileau, der in seinen „Héros de roman" die Manier seiner Landsleute, alle historischen Stoffe in Liebesintriguen umzuwandeln, durch ein freilich etwas einförmiges Gespräch in der Unterwelt verspottet hatte. 168) Diese Form berührte sich glücklich mit der jener in Deutschland damals so beliebten dramatischen Litteratursatire „Das Reich der

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Todten." 169) So muß denn Demokrit den Regnard in der Unterwelt aufsuchen, um sich über die Verzeichnung feines Charakters und seiner Umgebung zu beklagen: „Ich hätte geglaubt, das Athen, das du beschreibst, müßte etwan in Paris liegen" Du hast mich," läßt Schlegel weiter Demokrit dem Regnard zu Leibe gehen, nicht ver liebt gemacht, weil du mich lächerlich machen wolltest, sondern du haft mich lächerlich gemacht, weil du mich verliebt machtest." Und Aristophanes ruft die Streitenden zu einer Berathschlagung ab: „ob man kein Mittel ausfinden könne, über die Leute zu spotten, ohne sie bei dieser Gelegenheit zu verheirathen." Doch gewinnt er Interesse an dem Streit und verspricht dem Angeschuldigten: „Ich will dich vertheidigen." Aber Stillosigkeiten auf Stillosigkeiten werden offenbar. Bald kann Aristophanes nur noch zugestehen: „Wohlan denn! weil dir Demokritus dieses schenken will, so will ich dich weiter vertheidigen.“ Sodann: „Du siehst, Regnard, daß dich Demokritus selber vertheidigen wollte, wenn nur einige Vertheidigung statt hätte." In formeller Künstlerschaft folgt die Auflösung der Ironie: „Regnard, ich werde dich schwerlich vertheidigen können." Ja, schließlich ein letter Trumpf: „Ich glaube, Aristophan," klagt Regnard, „ihr wollet mein Ankläger werden, an statt mein Vertheidiger zu sein." 170) Natürlich kehrt der Kampf gegen die französische Handhabung der Ortseinheit, welcher Schlegel durch sein ganzes litterarisches Wirken begleitet, auch hier wieder: Man weiß oft nicht, ob der Ort zu denen Personen, die auf dem Theater erscheinen, oder die Personen zu dem Orte gehen, oder ob der Ort und die Personen einander entgegenkommen."

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Wenn man nun Lessings Recenfion des Démocrite" im 17. Stück der „Dramaturgie" dem Schlegelschen Aufsat entgegengesetzt hat, so übersieht man die verschiedenen Zwecke beider: Lessing kommt es auf eine Erklärung an,

weshalb das Publikum, trog aller von ihm zugestandenen Mängel, dem Stücke Beifall zolle; darum folgert er, „daß die Schönheiten, die es hat, wahre allgemeine Schönheiten sein müssen, und die Fehler vielleicht nur willkürliche Regeln betreffen, über die man sich leichter hinausseßen kann, als es die Kunstrichter Wort haben wollen." Schlegel dagegen ist es nicht sowohl um das einzelne Stück als um einen Typus der ganzen Gattung französirender Charakteristik zu thun, und so hat er diese einzelne stillose historische Komödie zum Ausgangspunkt einer allgemeinen Begründung des historischen Stils im Lustspiel benußen wollen.

Ein klassisches Zeugniß für solche Auffassung ist der Weg, welcher von diesem Todtengespräche zu Schlegels Lustspielfragment „Die drei Philosophen“ führt. Schon Aristophanes fragt Regnard: „Du wolltest vielleicht zeigen, daß derjenige, der über die Leidenschaften der Menschen lachte, öfters selber davon eingenommen wäre?" Nun wohl, Schlegel versuchte auszuführen, was nach seiner Ansicht dem Franzosen mißlungen war: die dramatische Darstellung dieser Idee in historischem Gewande. Von dem so unternommenen Lustspiel liegen außer einigen Scenen nur zwei thatsächliche Nachrichten vor: Heinrich Schlegel, der sich im Vorbericht 171) außer Stande erklärt, über dies Stück einige weitere Nachricht zu geben", erwähnt in der Lebensbeschreibung des Bruders bei Aufzählung der Luftspiele wenigstens,172) daß dieser vor seiner Abreise nach Dänemark noch an einer Komödie von einer besonderen Gattung Die drei Philosophen" gearbeitet" habe. Elias selbst erwähnt dasselbe in einem Briefe an Bodmer 178) innerhalb eines höchst charakteristischen Gedankengangs; sein damals geplantes Stück „Der Gärtnerkönig“, dünkt ihn, wäre geschickt, „vielerlei Fehler der neuen Tragödien deutlich zu machen," aber selbst abgesehen davon könne es eine ganz gute Materie zu einer Komödie von der Art sein, wie

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der Amphitruo ist, oder wie der Demokritus des Regnard sein sollte." Und da entsinnt er sich der „Drei Philosophen“, die er „schon vor etlichen Jahren“ angefangen, eines Stückes, „dessentwegen mich meine guten Freunde in Leipzig immer erinnert haben, daß ich es fertig machen möchte." Wird das Fragment schon durch diese äußeren Zeugnisse in die Nähe des Todtengespräches über Demokrit gesett, so weist der Inhalt, soweit er aus den vorliegenden dritthalb Auftritten und der angefügten dürren Skizze der folgenden äußeren Situationen construirbar ist, noch nachdrücklicher auf eine Beziehung zu Regnards „Démocrite“ hin. Die drei Philosophen sind Plato, Aristipp und Diogenes, die am Hofe des Dionys zusammentreffen; nur noch drei Frauen nennt das Personenverzeichniß: Arete, Gemahlin des Dionys, Cleone, seine „Gebieterin“ (maîtresse!), und Phryne, eine Vertraute der Cleone. In geschickten Alexandrinern werden wir über die Situation belehrt: Diogenes kommt aus seinem Fasse an den Hof,

Euch zu bekehren,

Wo nicht, euch wenigstens, wie toll ihr seid, zu lehren.
Ich geh' zum Dionys und sag' ihm ins Gesicht,

Ich gäbe für sein Glück ihm meinen Mantel nicht.

Verächtlich bestreitet er dem Aristipp das Recht, sich Philosoph zu nennen:

Du auch? Du wirst die Sittenlehren

Durch einen neuen Theil vom Schmeicheln bald vermehren,
Und zeigen, wie man spricht, daß man es gerne hört,
Die Weiber nicht erzürnt, die Großen nicht beschwert;
Wie man die Speisen lobt, wie man die Weine preiset,
Sich bei den Spielern klug, bei Säufern froh erwciset .

...

Zu seinem lebhaften Erstaunen erfährt Diogenes, daß Plato den Dionys in die Philosophie einführe:

Drum redet er von nichts als von Vollkommenheiten.

Er will die Menschen so wie Steine zubereiten

Und denkt, ein braver Mann, der in dem Amte steht,
Müff' eine Säule sein, die nicht vom Flecke geht.

Doch ich bin andern Sinns und lern' in meinem Fasse,

Der beste Staat sei der, den man so kollern lasse.

Der Philosoph aus der Tonne wird der Phryne ansichtig, welche den Dionys zu ihrer über der Philosophie lange vernachlässigten Gebieterin rufen will; angesichts ihrer zum Kusse einladenden Lippen gesteht Diogenes:

Zwar hass' ich sonst die Tändelei,

Doch von den Lippen! Gut! da wär' ich noch dabei . . .
Das Mädchen spricht doch frei. Du hast mir unter allen,
So närrisch als du bist, am besten noch gefallen.

Und pointirt erwidert Phryne:

Gefällt man dir so wohl, wenn man die Wahrheit spricht?
So närrisch als du bist, gefällst du mir doch nicht.

Aus den folgenden bloßen Scenenüberschriften ersehen wir, daß Diogenes, offenbar die Hauptperson, bald Hofkleider anlegt, am Schluß aber zu seinem Fasse zurückkehrt; Cleone, die sich je nach den verschiedenen philosophischen Einflüssen mit Arete in der Gunst des Dionys abgewechselt hatte, entflieht endlich in Ungnaden.

Wir haben also hier in der Hauptsache dieselbe Idee wie bei Regnard: ein Philosoph kommt den Hof zu be= kehren, wird aber selbst ins Hofleben hineingezogen, so daß er endlich voll Unmuth und Beschämung in seine Einsamkeit zurückkehrt. Diogenes entspricht dem Démocrite, Aristipp in gewissem Sinne dem Strabon, Dionys dem Agelas, Arete der Jsmène, Cleone und Phryne der Criséis und Cléanthis. Aber mit wie souveräner Selbständigkeit hat Schlegel diesen Canevas ausgestaltet! Nicht nur, daß Plato die Ehre der wahren Philosophie retten muß, vor allem ist hier für die abstracte Idee der historisch richtige Rahmen gefunden; und wie glücklich hat der deutsche Dichter die drei philosophischen Richtungen durch die historisch über

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