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In welchem Zustande befand sich denn unsere Komödie im Jahre 1741?121) Abgesehen von den früheren „unregelmäßigen" Versuchen, ganz zu geschweigen der Rüpelstücke, welche in Prügeleien und Zoten die Komik suchten, - war es etwa Gottscheds „geschickte Freundin", welche dem Lustspiel neue Bahnen wies? Was sie bis dahin geleistet hatte, waren abschwächende, verwässernde Ueberarbeitungen französischer Stücke, schwerfällige Versuche, welche zugleich mit der Ehrbarkeit und dem Pöbel coquettirten.122) Schlegels Geschäftiger Müßiggänger" führte, ganz ab= gesehen von seiner technischen Ueberlegenheit und seinem anständigeren Tone, dem Lustspiel drei bedeutsame, lebensfähige Keime zu, welche der Frau Professorin zeitlebens unbekannt geblieben sind: 1) entstand er nicht mehr aus litterarischen Mustern, sondern aus unmittelbarer Lebensbeobachtung, 2) schildert er deutsche Charaktere und deutsche Sitten, 3) führt er das Bürgerthum, den Mittelstand, aus den moralischen Wochenschriften, in denen er bisher allein sein litterarisches Leben fristen durfte, in das Drama ein. Freilich muß von dem jungen Leipziger Studenten keine umfassende Lebenserfahrung erwartet werden: aber die Welt, die er kennen konnte, hat er in ihren beiden Hemisphären, dem Stubengelehrten und dem Leipziger Philister, höchst anschaulich, nur leider zu anschaulich, wiedergegeben.

Psychologisch steht Schlegels Stück im Hauptcharakter noch auf dem Standpunkt, von welchem Gottsched Molière ansah: der Titelheld ist, wenn auch nicht mehr bloße Verkörperung einer allgemeinen Thorheit, doch ganz und ausschließlich ein von einer Eigenschaft erfüllter Typus. Das Studium Molières scheint denn auch den Anstoß zu dem Hauptcharakter des geschäftigen Müßiggängers gegeben zu haben: derselbe findet sich unter den im,,Misanthrope“ (II, 4) sfizzirten Typen vorgezeichnet, 128) welchen Schlegel nach seinem eigenen Geständniß später die Idee zu seinem „Geheimnißvollen“ entnahm: es ist jener Geck, der

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sans aucune affaire est toujours affairé. Tout ce qu'il vous débite en grimaces abonde. A force de façons il assomme le monde. Sofort mußte Schlegel erkennen, daß er in Leipzig innerhalb seiner eigenen Kreise, wo das Gelehrtenthum und das Stußerthum um die Wette florirten, mehr als eine Verkörperung dieses Typus finden könne. - Mit Holbergs Stundeslöse“, welcher in Deutschland unter dem Titel „Der beschäftigte (später, wohl unter Einfluß von Schlegels Stück, auch: der geschäftige) Müßiggänger“ erschien, hat das deutsche Lustspiel außer dem Titel nichts gemein; diesen aber hat Schlegel von der Uebersehung des Holbergschen Stückes direct entlehnt. Denn aus einem Briefe des Dichters an Gottsched vom 18. April 1743 124) geht her= vor, daß er letteres Anfang desselben Jahres auf der Durchreise nach Kopenhagen durch die Aufführung der Schröderin in Hamburg erst kennen gelernt habe; sein eigenes Lustspiel war zwei Jahre früher, wie wir sahen, unter anderm Titel geschrieben; als es Ende 1743 im IV. Theil der „Schaubühne“ erschien, führte es aber bereits die neue Bezeichnung. 125) In der Handlung beider Stücke ist keinerlei auch nur zufällige Uebereinstimmung wahrnehmbar.

Für den realistischen Stil der Komödie kann unser Schlegel litterarisch nirgends als an den moralischen Wochenschriften der Engländer, in welchen mit Vorliebe Charaktere aus dem bürgerlichen Leben abconterfeit wurden, Schulung gewonnen haben, da es doch wohl gesucht erschiene, an die niederländische Genremalerei zu erinnern. Verwandt find aber beide Richtungen zweifellos, und auch für den Stil des durch Schlegel geschaffenen bürgerlichen Lustspiels gilt, was Lübke 126) von jener Kunstrichtung sagt: „Wenn es einerseits ein nüchtern verständiger Sinn war, der die Schilderung der Zustände des gewöhnlichen Lebens begünstigte,

so ist andererseits das gemüthliche Behagen, welches die germanischen Völker an der Ausbildung der häuslichen Existenz haben, doch ein poetisch fesselnder Zug.“

Daß „Der geschäftige Müßiggänger" trok Schlegels Vertheidigung der gereimten Komödie in Prosa geschrieben ist, erklärt sich daher, daß der Dichter in der praktischen Durchführung seiner seiner theoretischen Ansicht ungeahnte Schwierigkeiten fand, deren Ueberwindung mehr Zeit und Mühe gekostet hätte, als er an den ihn selbst wenig be= friedigenden Müßiggänger" wenden wollte. 127)

Gottsched tadelte an der Sprache des Stückes in der Vorrede zum IV. Theil der „Schaubühne“, „daß der Herr Verfasser, als ein Meißner, die alltägliche Sprache seiner Landsleute aufs genaueste nachgeahmt: die sich aber, mit vielen Redensarten, über 10 oder 20 Meilen weit nicht erstrecket." Einen guten Theil dieser Provinzialismen hatte Gottsched in der Fassung der „Schaubühne“ ausgemerzt, die, soweit möglich, von Heinrich Schlegel wiederhergestellt wurden. So hat der Tert der „Werke“ (II, 45 ff.) 128) „hinnen“ gegen „hier“ in der Schaubühne, „hierinnen“ ebenfalls gegen „hier“, mehrfach „ei!“ gegen „je!“, „ei nun ja“ gegen „behüte Gott, nein!" In beiden Fassungen sind hypothetische Säße und Redensarten häufig, wie „nun wohl eben nicht," nicht eben," ich wüßte nicht," "etwan." Von einzelnen Meißener Idiotismen find besonders anzumerken: eingeben (übergeben, überliefern), vorstehen (gerichtlich vertreten), anstechen (ankommen), Mittelfenster (Mitte), thalen (tändeln), überlei, sogar flectirt: überleie (überflüssig) 129) und eine Reihe anderer dialectischen Eigenheiten, die inzwischen in unsern allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen find. Uebrigens hatte Schlegel keineswegs die Absicht, durch den litterarischen Gebrauch seines heimischen Dialects Gottsched in dem Bestreben zu unterstüßen, der Suprematie der obersächsischen Mundart die Anerkennung

aller Landschaften Deutschlands zu erwerben; 180) ja, wenige Jahre später spricht er seine Ansicht dahin aus: 181) Es sind eine unzählige Menge Redensarten und Wörter, die in Meißen bräuchlich sind, welche doch ein Mensch, der gut Deutsch reden und schreiben will, ebenso wohl vermeiden muß als ein Schwabe einen Theil seiner Redensarten wird verlernen müssen, um gut Deutsch zu sprechen." Auch hier ist Schlegel ohne jede parteiische Voreingenommenheit; denn alsbald fährt er Bodmer gegenüber verweisend fort: „Es scheint aber, daß Ew. H. E. zu gleicher Zeit weiter gehen, und die deutsche Hauptsprache, worinnen kein Wort einfließen soll, das nicht an allen Orten Deutschlands verstanden wird, und worinnen alle wohlgesittete Leute aus allen Provinzen übereinstimmen, für eine bloße Meißener Sprache ansehen und aus diesem Grunde dieselbe hintangesetzt haben wollten, und lieber sähen, daß eine jede Nation, die Deutsch redet, ihre eignen Worte und Redensarten mit in ihre Schriften mischte."

Indessen waren sprachliche Eigenheiten nicht das einzige Sächsische, welches dieser Komödie anhaftete. Die Charaktere find sächsische Kleinstadttypen, namentlich giebt sich der Pelzhändler Sylvester im guten und schlechten Sinne als getreuestes Conterfei des sächsischen Philisters: harmlos und gutmüthig, nüchtern und geschwäßig, beschränkt und selbstzufrieden, - aus dem Kernholz des Lebens geschnigt. Man höre und sehe nur sein ganzes Gehabe, und man wird zum ersten Mal unter den sich ringsum tummelnden inhaltslosen litterarischen Masken einen Menschen in Fleisch und Bein entdecken: Mein Sohn," hebt er das Stück an, „die Stube hier, die ich Euch indessen eingegeben habe, ist meine und meiner lieben Frau ihre Pugstube. Und Ihr wißt, daß wir und Ihr heute einen Besuch kriegen werden, der zu Eurem Besten abgesehen ist. Ich weiß nicht, warum Ihr beständig so viel Sachen hinnen habt, die zu Eurer Advocaterei

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doch gewiß nicht gehören können. Da sind Pistolen, da sind große Reitstiefel, da find Sporen, hier steht ja gar Malerzeug, dort steht eine Laute. Bücher sehe ich nun wohl eben nicht hierinnen. Aber, ich dächte doch, wenn Ihr ja viel hereintrügt, so solltet Ihr noch am ersten Bücher hier haben. Schafft ja die Sachen hinaus.“ - Und weiterhin: „Ei! was unnüze ist, das ist unrecht. Ich bin ein alter Mann geworden, und habe manchen Groschen erworben. Aber ich kann Euch auf mein Leben versichern, ich kann nicht mehr als einerlei. Ich handle mit Pelzen, und kenne meine Pelze, und die recht, und sonst nichts auf der ganzen Welt; insonderheit aber die Fuchspelze, und der soll noch geboren werden, der mich betriegen wird.“

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Gegen diesen Stiefvater contrastirt glücklich die in ihren Sohn vernarrte Frau Sylvesterin, während die Tochter Fiekchen in ihrer Faulheit der ziellosen Geschäftigkeit Fortunats, eines jungen Advocaten - natürlich! der Dichter war ja eben selbst beider Rechte Beflißner" -, gegen= übergestellt ist. Eine andere Contrastfigur zu diesem bildet die ihm zugedachte Braut, Jungfer Lieschen, in ihrer pedantisch abgezirkelten Ordnungsliebe. 132) Dazu diejenigen mit Etikette versehenen Typen der englischen Wochenschriften, welche dem sächsischen Stammcharakter am verwandtesten sind: Rennthier die personificirte Eilfertigkeit, Sorger der ängstliche Philister, Strom der ungestüme Client. — Diese Localfärbung - „Erdgeruch“ nennt sie recht glücklich der zeitgenössische Realismus ist es, welche dem Schlegelschen Werke troß aller Mängel Anrecht auf eine feste Stellung in der Geschichte des deutschen Lustspiels giebt.

Lessing, der sich über die Geschwäßigkeit des „Geschäftigen Müßiggängers" mit vernichtender Schärfe äußerte, 188) kann diesen sächsischen Charakter des Stückes als erstes Beispiel eines realistischen Lustspielstiles kaum verkannt haben. Hat er doch seine eigene dramatische Thätigkeit

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