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sich durch nichts Merkliches unterscheiden.“ Das hieß wahrlich am Ziele vorbeischießen! Aber unermüdlich im Zusammentragen von Vertheidigungsgründen, thut Schlegel doch noch mehr als einmal einen glücklichen Griff; so wenn er ins Feld führt, daß die Harmonie des Silbenmaßes den Gedanken,,einen bessern Nachdruck und eine viel empfindlichere Annehmlichkeit" gebe; ferner in der feinen Anmerkung, daß Vers und Reim den Dichter zu größerer Abrundung der Gedanken nöthigen; schließlich in der auf den ersten Blick überraschenden Wendung, daß wir oft ,,wider (richtiger wohl: ohne) unsern Willen" in jambischen Versen redeten.86) Vor allem aber zieht sich durch die zweite Hälfte von Schlegels Abhandlung der wiederholte Protest der ästhetischen Empfindung und der Erfahrung (Empirie) gegen die aprioristischen Regeln: 87) namentlich weist er, nach directer Anspielung auf Gottsched, von vorn herein die Verdammung der gereimten Komödie durch diejenigen zurück, welche „nicht aus ihrer Empfindung, sondern aus unterschiedenen ziemlich scheinbaren Gründen diese Meinung geschöpft haben“ und denen es hernachmals bei Aufführung solcher Stücke ergangen ist, wie denjenigen, welche einen Lehrsaß, den sie glauben, zu den Versuchen bringen, die man in der Natur zu machen pflegt." — In der Endfrage, welches Silbenmaß sich für die deutsche Komödie am besten eigne, giebt unser Autor zu, daß man nicht ein solches wählen solle, das entweder den Ton wider unsern Willen pathetisch macht, oder das durch einen allzu harmonischen und fast singenden Klang verhindert, die Worte auf eine so nachlässige Art zu sagen, als es die Aehnlichkeit der Reden in der Komödie mit den Reden im gemeinen Leben erfordert." Er macht praktisch unter anderm, mit Berufung auf einen gelehrten Professor hiesiger Akademie“ — wahrscheinlich Christ88) —, den Vor* schlag, ungereimte sechsfüßige Jamben anzuwenden, deren

Cäsur, nach einer der beiden gebräuchlichsten Arten des antiken Trimeters, in die Mitte des dritten Versfußes gelegt ist.

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Kaum hatte der strebsame Jüngling diese in ihrer Tendenz verdienstliche, in der Hauptgrundlage ihrer Beweisführung beeinflußte und verfehlte, im Einzelnen doch vielfach selbständige und verständnißvolle Abhandlung 8") beendet, als er gleichsam zur Illustrirung seiner Theorie ein einactiges Lustspiel in dem vorgeschlagenen Versmaße mit leichter Hand hinwarf. Obgleich diese Nachkomödie „Die entführte Dose" sofort in Leipzig unter großem Beifall zur Aufführung kam, hat der Dichter selbst in späteren Jahren sehr herbe über das Stück geurheilt, und so bringen denn auch die Werke“ nur drei Scenen als Proben der angewandten Versart. 9o) Mit vollem Recht; denn die Idee des Opus ist ebenso schal und erbärmlich wie in einer beliebigen Komödie aus der „Deutschen Schaubühne“, wenn auch einige wenige graciösere Stellen mit unterlaufen. Die Schnupftabaksdose eines Mädchens, von ihrem Geliebten als Liebespfand entführt, wahrlich ein sehr appetitliches poetisches Süjet! Die Namen der Personen deuten, dem litterarischen Zeitgebrauch gemäß, deren Charaktere an: Foppendorf ist ein lustiger Schabernack, Dratmann eine Zierpuppe, der Geschwäßige heißt Glocke. Diese Art der Benennung war von der englischen Litteratur in die deutsche übergegangen; mehr noch als die englischen Komödien haben die moralischen Wochenschriften zur Verbreitung dieser litterarischen Mode in Deutschland beigetragen.

Was die Verwendung des Versmaßes betrifft, so muß zugestanden werden, daß durch die Versehung der Cäsur der sechsfüßige Jambus eine glückliche Leichtigkeit der Bewegung erlangt hat, die es bedauern läßt, daß keine inhaltlich vollkommenere Probe in diesem Maße vorliegt,91) zumal dasselbe in dem Ringen der Epoche nach einem unserm

Sprachgeiste angemesseneren Dramenverse die glücklichste Vorstufe des fünffüßigen Jambus bildet. Die mitgetheilten 183 Verse sind durchgehends stumpf; Hiatus findet sich viermal in der Cäsur, dabei ist zweimal der Vers an dieser Stelle zwischen zwei Sprechende getheilt; außerhalb der Cäsur ist 16 Mal Hiatus nachweisbar.92) Abgesehen von diesen Härten ist die Metrik ziemlich elegant:

Ach Possen, Bruder! Immer mag sie böse thun.
Das bischen Stürmen dauret so gar lange nicht.
Hernach wird's wieder, wenn sie einmal ausgestürmt,
In ihren Augen rechtes Frühlingswetter sein.

Das muß ich wissen, wie man's mit den Mädchen macht.
Du magst mir's glauben oder nicht; so sag' ich Dir's!
Sie sehn mich gerne! Dennoch bin ich ihre Qual
Mit meinem Scherze. Nähzeug, Nadeln, Bänder, Puz,
Nichts bleibt gesichert, daß es nicht verwüstet wird.
Doch ich mag tändeln, necken, stören, wie ich will;
Sie keifen, lärmen, holen aus und sind mir gut.

Hier giebt der Vers ohne Zwang den Rhythmus der Sprache wieder, indem die Cäsur des Verses jedesmal zugleich einen logischen Ruhepunkt bedeutet. Die Erreichung eines solchen Erfolges erfordert freilich eine Macht über die Sprache, wie sie nur wahren Künstlern eigen ist. 98) Elias Schlegel offenbart diese Künstlerschaft weniger in seinen Tragödien als in den Komödien, soweit sie versificirt sind.

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Es wäre kaum möglich gewesen, daß ein junger, noch studirender Mann, der von Fall zu Fall seine Selbständigkeit wahrte, unmittelbar unter Gottscheds Augen sich hätte ungekränkt entfalten dürfen, wenn dieser Jüngling nicht das von Gottsched recht wohl erkannte Genie" 94) eines Elias Schlegel besessen hätte. Es mußte Seiner Magnificenz schmeicheln, einen so hoffnungsvollen Schriftsteller zu Ihren Schülern zählen zu dürfen. Der Herr Professor fühlte in seinem Dünkel nicht, daß dies Verhältniß der Schülerschaft von Schlegel mit voller Berechtigung rein äußerlich auf

gefaßt wurde; er glaubte sich in unglücklicher Selbstverblendung berechtigt, Schlegels Erfolge, selbst da wo sie im Kampfe gegen seine eigenen Grundsäße errungen waren, sich, seinem Einflusse, seiner Schulung zuschreiben zu dürfen.95) So entspann sich, da unser loyaler und höflicher Sachse stets den schuldigen Respect fühlte und offenbarte, ein engerer Verkehr zwischen dem gelehrten Gottschedschen Ehepaar und dem gelehrigen Studiosus Schlegel; und es muß der Wahrheit gemäß berichtet werden, daß dieser in einem so erlesenen Kreise mannigfache Anregung empfing.

Eines Tages fühlten sich die keuschen Ohren der Frau Professorin durch Verlesung einer Lucretia - Tragödie, welche der Tasso-Uebersezer Koppe für die „Deutsche Schaubühne“ eingesandt hatte, beleidigt. Anwesende maßen die Schuld ausschließlich der behandelten Materie bei, und der Herr Professor erklärte dieselbe, im Vollbewußtsein seiner Unfehlbarkeit, einer theatralischen Behandlung für schlechtweg unfähig. Roma locuta est. Nur Schlegel, eigensinnig wie gewöhnlich, wagte zu widersprechen, aber er fühlte wohl, daß mit Gründen, zumal wenn sie sich auf ästhetisches Gefühl stüßten, gegen die Autorität des Meisters nicht aufzukommen war. So schritt er, obgleich seit einigen Monaten über der Arbeit an einem großen vaterländischen Schauspiel, unverzüglich zur That; und wenn auch seine in wenigen Wochen vollendete Prosa - Tragödie, weil sie ausgesprochenermaßen der Gottschedschen Lehre von einem einzigen Endzweck - will sagen: einem einzigen Handlungsfortschritt folgt, ganz undramatisch erst nach erfolgter Schändung einsett, so widerlegte er doch durch seine Zeichnung der beiden Hauptcharaktere auf wirklich glänzende Weise das absprechende Vorurtheil des litterarischen Dictators. Eine Reihe feinster Charakterzüge wirkten zusammen, um Schlegel seinen Erfolg zu sichern: er läßt Tarquin aus überschäumendem Kraftgefühl, unbefriedigtem Thatendrang und

unerwiderter Liebe die Schändung vollführen; Lucretien aber giebt er so viel Keuschheit und Würde, daß nirgends ein Gefühl des Ekels oder auch nur Unbehagens aufkommt. Es ist ein ehrendes Zeugniß für Schlegels Herzenskenntniß und poetische Empfindung, daß wenige Jahre später Richardson, selbstredend ohne jede Kenntniß von dem damals noch ungedruckten deutschen Drama, durch dieselben Mittel 9o) die Hauptgestalten seiner „Clarissa“ das Mitgefühl von ganz Europa erwerben läßt. Vielleicht ist für Schlegel bereits einige Schulung an der ihm wohlbekannten, eben erschienenen „Pamela" desselben Engländers voraus zuseßen.

Interessant und wichtig zur Charakteristik der allmählichen Entwicklung des Revolutionsgedankens in der Litteratur des 18. Jahrhunderts ist die Art, in welcher sich Schlegel mit der politischen Seite seines Stoffes abfindet. Zunächst bietet ihm die antike Verfahrungsweise eine willkommene Anlehnung, um der loyalen Gesinnung seiner eigenen Zeit gerecht zu werden; wie er zu dem Chorspruch der Sophokleïschen Elektra":

"

Verflucht sei der, der es gethan,

Wo ich mit Recht es wünschen kann!

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die Bemerkung macht: „Sie halten es einigermaßen für unrecht, ihrem, obwohl unrechtmäßigen Herrn Böses zu wünschen" so schließt er zunächst die Anklagen gegen den prinzlichen Ehrenräuber mit bedingungsweise devoten Entschuldigungen: „Ich rede, Prinz, und fürchte nicht, daß ich dich beleidige"... "Ich hoffe nicht, daß du dich über meine Klagen erzürnen wirst, da sie gerecht sind, und da die Vorwürfe, die ich ihm mache, meine ganze Rache sein können." Am Ende, da das Recht der Revolution anerkannt werden muß, geschieht es auf recht geschickte Weise. Brutus, den der Dichter in seinem historischen Charakter zu zeichnen versucht, deutet den Ursprung des Königthums aus: „Collatin, daß ich recht sage, wir haben keine Könige. Sind nicht die

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