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In welcher geistigen Atmosphäre er hier unter oberster Anleitung seines Vaters aufwuchs, läßt sich mit überraschender Deutlichkeit aus der handschriftlich noch erhaltenen Gedichtsammlung Johann Friedrich Schlegels erkennen.2) Wie gering auch ihr poetischer Werth sein mag, sie giebt ein glückliches Bild der litterarischen Strömungen in Elias' Jugendzeit und veranschaulicht zugleich in ungewöhnlichem Maße die geistige Vererbung. Anfangs findet sich neben Gelegenheitsgedichten viel Anakreontisches, mit den Jahren nehmen die Episteln zu, dazwischen stehen Arien (Cantaten) und Erzählungen, bis dann Ende der dreißiger und Anfang der vierziger Jahre religiöse Gedichte voll Gottvertrauen überwiegen. Hier haben wir die Lyrik von Elias und Adolf Schlegel im Keime vor uns. Für die vernünftig abwägende, jedem Extrem abholde Richtung, in welcher sie erzogen wurden, ist gleich das Eingangsgedicht charakteristisch: Wer stets auf seinen Büchern liegt, Wer stets mit Lieben sich vergnügt, Weiß weder Ziel noch Maß zu üben. Man mische Scherz und Ernst mit ein, Weil doch die Musen Jungfern sein, Die einen steten Wechsel licben.

Sonst sind vor allem die Gelegenheitsgedichte bezeichnend, deren Adressen die gesammte Gevatterschaft umfassen: auf Promotionen, Hochzeiten, Wochenbetten und Todesfälle der Honoratioren von Meißen und Umgegend werden gewaltige Lobesepisteln dem Papiere anvertraut; fie preisen die rein bürgerlichen Tugenden, stets voll gebührender Ehrfurcht vor der Obrigkeit und besonders voll Unterthänigkeit gegen den Landesherrn. Selbst eine langathmige Lobhudelei auf die Geißel des Landes, den Grafen Brühl, wird uns nicht erspart: „Gedanken bei dem Bau des Hoch-Reichs-Gräflich Brühlschen Palais in Dresden, als S. Excellenz zu gleicher Zeit von einer harten Krankheit genesen und mit der glück

lichen Geburt eines jungen Grafen erfreut wurden"! Aber inmitten dieser Dede ertönen plöglich vereinzelt wirkliche Herzenstöne, welche auf Selbsterlebtes, auf wahre Empfindung hindeuten. Am meisten gilt dies von einzelnen anakreontischen und den religiösen Liedern, die auch in der Form etwas flüssiger sind als die übrigen wie schon Johann Heinrich Schlegel) anerkennt nicht immer correcten Versuche. Zur Kennzeichnung des Einflusses, welchen der Vater auf Elias ausübte, genügen wenige Proben anakreontischer Manier:

Die Küsse.

Mein Engel will mit tausend Küssen
Mir die lange Zeit versüßen,
Nur, spricht sie, schweige bei der Lust;
Doch dieses ist mein größtes Quälen,
Daß ich den Handel soll verhehlen.
Ihr Küsse, die ihr meiner Brust
Und dem in Sehnsucht kranken Herzen
Ein Labsal seid vor alle Schmerzen,
Wofern ich soll verschwiegen sein,
So drückt mir euer Siegel ein.

Ob sich die Sonne oder die Welt bewege.

Wer etwa gerne wissen will:

Ob statt der Sonnen unsre Erde

In einem Lauf beweget werde,
Studire nur nicht allzuviel

Und quäle sich mit langem Dichten,
Er lege Sorg' und Bücher hin,
Dieweil ich schon versichert bin,

Es werd' es 4) ein Glas und Wein verrichten,
Er trinke etwa dreißig mal

Und mehre wie er will die Zahl,
So wird er augenscheinlich schen:
Daß sich die Erde wolle drehen.

Der verliebte Mönch.

Ich bin ein Mönch, daß Gott erbarm!
An Flammen reich, an Keuschheit arm,
Doch soll ich einsam leben!

Wiewohl ich geh' es endlich ein,

Doch müßt ihr, soll ich Pater sein,
Mir eine Nonne geben.

Man sieht, Prüderie war troß der geistlichen Ahnen kein Erbtheil der Familie Schlegel. Bürgerliche Ehrbarkeit, Lebensgenuß mit Mäßigung, ungewöhnliche Geistesgaben, Hang zur Poesie und Wissenschaft, das war der geistige Besiß, den Elias im Elternhause aufnahm. Bezeichnend bleibt es, daß der Einfluß des Vaters auf seinen Bildungsgang innerlich und äußerlich nachweisbar ist, während wir von seiner erst 1736 verstorbenen 5) Mutter weder durch den brüderlichen Biographen noch sonst etwas erfahren; darum fehlte ihm auch jede Spur von „Frohnatur.“ Die liebliche, aber jedes großen Charakteranstriche bare Lage von Meißen, sowie der Weinberg, welchen sein damals noch vermögender Vater in Besiß hatte,) erklären neben den anakreontischen Gedichten des Vaters alles, was dem jungen Elias an Lebenslust innewohnte.

Mit Kenntnissen ausgerüstet, welche manchem andern als Vorbereitung für die Universität genügt hätten, 7) trat er Ostern 1733 in die kursächsische Landesschule Pforta ein, wohin ihm zwei Jahre später sein Bruder Adolf folgte. 8) Schon in Meißen hatte Elias, angeregt durch die Gedichte von Neukirch, Hanke und wohl nicht in leßter Linie durch die poetischen Versuche seines Vaters, erträgliche deutsche Verse verfaßt, auch bereits eifrig den Plautus studirt.") In Schulpforte nun wurde das Studium der Griechen und Römer besonders gepflegt. Metrische Ueberseßungen aus ihnen und eigene poetische Versuche in lateinischer Sprache wurden häufig angefertigt. Latein war die Umgangssprache,

die Schüler der oberen Klassen genossen den gesammten Unterricht in lateinischer Sprache. Das Studium der Muttersprache aber ward arg vernachlässigt: deutsche Schriften wurden spärlich gelesen, manche waren ausdrücklich verboten, deutsche Auffäße und Vorträge fast gänzlich unbekannt, so daß Verstöße nicht nur gegen die deutsche Stillehre, sondern auch gegen Grammatik und Rechtschreibung häufig genug vorkamen. Nicht besser war es mit dem Unterricht im Französischen bestellt. 10) - Die würdige Anleitung, welche er von seinen Lehrern wenigstens in den klassischen Sprachen genoß, der edle Wetteifer mit begabten Genoffen und die freimüthigen Nathschläge seines Vaters vereinten sich mit ernstestem Privatstudium, um alle Talente des strebsamen Jünglings gründlich und glänzend auszubilden. Namentlich des Vaters wachsames Auge ruhte auch aus der Ferne beständig auf der Entwicklung des Fürstenschülers: er warnte vor dem Hauptfehler der Schulen, dem unzweckmäßigen Lernen, dem Lernen fürs künftige Vergessen, er ermunterte zu fruchtbaren Uebungen, welche dem Jüngling frühzeitig eine formelle Versgewandtheit verschafften: so unternahm der unermüdlich fleißige Elias schon 1735 eine poetische Uebersetzung des vierten Buchs der Georgica von Virgil, welche er ebenso wie seine folgenden Uebertragungen Horazischer Episteln immer und immer wieder überarbeitete; auf des Vaters Rath begann er auch 1737 Xenophons Cyropaedie deutsch wiederzugeben, Arbeiten, welche sich noch nach seinem Tode unter seinen Handschriften fanden. Natürlich war es, daß der loyale Beamtensinn des alten Johann Friedrich Schlegel den talentvollen Sohn bei alledem von jeder genialischen Ausschreitung fernhalten wollte: „Absonderlich hüte Dich," schrieb er, wenn Du Lust zur Poesie hast, vor der Satire." 11)

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Neben Euripides, Sophokles und Horaz bildeten die französischen Tragiker, sowie Hedelin und Boileau sein

Privatstudium; von deutschen Dichtern schulte er sich namentlich an Opitz und Canit; dabei gewann sein poetischer Drang durch das Studium von Gottscheds „Kritischer Dichtkunst" eine erste entscheidende Form. 12) So ausgerüstet wagte sich Elias Schlegel an eigene dramatische Arbeiten, deren erste Frucht 1736 eine Tragödie,,Hekuba" war.

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In Anlehnung an drei antike Tragödien entstanden, deren benachbarte Stoffkreise Schlegel verschmolz, ist dieses erste regelmäßige deutsche Originaltrauerspiel denn Gottscheds Musterstück" ist kein Original zugleich der erste Versuch unserer Litteratur des 18. Jahrhunderts, unmittelbar auf die Antike zurückzugreifen. Während sich Gottscheds ,,Sterbender Cato“ bis in den 4. Act an ein französisches Drama des Deschamps, sodann an das englische Original des Addison in fast wörtlicher Uebersehung sclavisch anschließt, hat der junge Fürstenschüler mit wirklichem Geschick aus den Trojanerinnen“ und der „Hekuba“ des Euripides, sowie den „Trojanerinnen“ des Seneca die zusammengehörigen Theile der Fabel herausgearbeitet, so daß zur Handlung der griechischen „Trojanerinnen“ die PolyrenaScenen der Hekuba" traten, woneben dann die Bergung des Astyanay in Hektors Grab und die Bekämpfung von Pyrrhus' Blutgier durch Agamemnon aus Seneca eingefügt wurden. Doch läßt Schlegel lezteres Moment um vieles stärker hervortreten und vereinigt, allerdings nur äußerlich, die beiden nach einander eintretenden Katastrophen des Euripides zum Schlußeffect der Tragödie. Nach Ausscheidung der Polydoros-Episode aus der Hekuba" und der verschiedenen Helena-Scenen aus den beiden benutten „Trojanerinnen“ sowie schließlich des Chors ergab sich somit ein Tragödienplan, welcher Elias Schlegel sofort als ausschließlichen Schüler der Alten erscheinen ließ: keine Liebesintrigue nach französischem Recept, keine seufzende Zärtlichkeit, kein Conflict zwischen Herzensneigung und Pflicht, freilich

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