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über Philosophie zu hören. Indessen studirte er aufmerksam die Schriften der Gegenpartei, besonders Bodmers Abhandlung vom Wunderbaren und Breitingers Kritische Dichtkunst, daneben Miltons Verlorenes Paradies und diejenigen kritischen sowie poetischen Schriften der Franzosen, auf welche die eine oder die andere litterarische Partei sich besonders nachdrücklich berufen hatte. 60) Da er durch diese Werke vielfach belehrt und angeregt wurde, ohne daß er Gottsched durch die Schweizer aus dem Sattel gehoben fand wozu ihr unklares, widerspruchsvolles Wirken auch wahrlich nicht angethan war, so wies er jedenfalls seinen Bruder Adolf, deffen poetische Arbeiten er aus der Ferne sorgfältig corrigirte, 61) brieflich auf diese litterarischen Erscheinungen hin.

Mit Adolf stand er überhaupt in regstem Gedankenaustausch, von dem uns in dem Auszug eines Briefes, welcher einige kritische Anmerkungen über die Trauerspiele der Alten und Neuern enthält, ein beachtenswerthes Zeugniß vorliegt. 62) Bedeutungsvoll als erstes Ausspielen der Griechen gegen die Franzosen, bringt dieser Brief, ohne in sich Abgeschlossenes zu bieten, einige fruchtbare Bemerkungen bei, die, so neu fie für Deutschland waren, zum Theil Ergebnisse gerade von Schlegels französischer Lectüre bilden. Er polemisirt zunächst gegen Leute vom Schlage Perraults, welche die Sitten ihres Volks für die schönsten, die jemals sein können, oder wohl gar allein für schön achten,“ — schon bei Riccoboni 68) hatte er gelesen: „Il paraît que les tragiques français n'ont pas assez de soin de marquer les différences que le génie particulier de chaque nation a dû produire dans les héros nés chez des peuples différents." Er rühmt dann im einzelnen erstlich jenen denn auch in seinen eigenen Tragödien nachgeahmten

feinen Kunst

griff der Alten, die Scene im Eingang der dramatischen

Rede auszumalen, auch Aubignac lehrte: 64),,Il y a d'expliquer les décorations par les vers, pour joindre le sujet avec le lieu, et les actions avec les choses." Scharfsinnig fügt Schlegel hinzu, daß die französischen Stücke dagegen so eingerichtet seien, daß sie ebenso wohl in einer Scheune, als in einem Gemache, könnten vorgegangen sein; so wenig ist darinnen des Theaters gedacht.“ Nachdem er mit dieser Bemerkung die erste Bresche in die Regel von der Einheit des Ortes gelegt hat, deren schonungslose Bloßstellung sein Lebenswerk krönen sollte, tadelt er gegenüber der Einfalt in der antiken Einrichtung der Fabel die in den französischen Dramen herrschenden „Romanverwirrungen"; die Helden hätten „fast keinen andern Charakter, als diesen, daß sie verliebt sind“, hier hatte er wieder einen Franzosen selbst, Riccoboni, zum Vorgänger: 65),,Cet amour romanesque," sagt dieser,,,occupe ordinairement les trois quarts de l'action des tragédies françaises. Si on en ôtait les scènes de tendresses, et que l'on réduisait l'action principale à son simple objet, dans un acte et demi, ou deux au plus, la tragédie serait finie." Eine ähnliche Einseitigkeit hatte Gottsched 66) den Italienern vorgeworfen, nämlich daß immer Liebesstreiche der Inhalt, Heirathen das Ende ihrer Komödien seien. Und dieser selbe Mann war blind genug, um zu übersehen, daß die einförmigen Liebesintriguen das A und O seiner französischen Tragödienmuster waren! Schlegel

verweilt dann etwas ausführlicher bei den Charakteren, deren Individualisirung er an den Alten rühmt: „Es ist nicht genug, daß ich von jemanden sage, er sei listig. Ich muß auch wissen, was für Eigenschaften damit verknüpft sind. In unsern neuern Stücken aber findet man oft nichts, als Intriguen wider einander angesponnen.“ Das giebt ihm zugleich Veranlassung, die Moral der zeitgenössischen Schaubühne anzugreifen, indem er, an Gottsched anknüpfend,

doch über diesen hinausdeutet: „Denn das ist nicht genug daß Unfläthereien daraus verbannt sind; Liebesverwirrungen, Intriguen der Helden, und die Sprüche der Opernmoral, wovon auch die Tragödien voll sind, sind ebenso gefährlich.“ Der vielfach so vorgeschrittene Brief schließt mit einer aus der politischen Beschränktheit der Zeit herausgewachsenen, mit Gottscheds Meinung übereinstimmenden Anerkennung eines Unterschiedes zwischen den Neueren und den Alten: „Die Griechen waren ein freies Volk. Sie hatten die hohen Gedanken von den Königen nicht, die wir haben. Es ist uns heut zu Tage unerträglich, einen Helden reden zu hören, wie andere Leute reden. Er muß außerordentlich reden und erzählen.“ 67) Im ganzen zeigt diese erste kritische Schrift unsern Studiosus bereits am Scheidewege: halb steht er noch im Bann von Gottscheds Regeln, zur Hälfte hat er sie schon jezt, geleitet durch seine Ergründung der Alten, sowie unter Einfluß französischer Kritiker des 18. Jahrhunderts, überwunden.

Das Studium der Alten führte Schlegel weiter von Euripides zu Sophokles. In dem eben betrachteten Briefe erwähnt er: „Ich habe den Philoktetes mit unbeschreiblichem Vergnügen gelesen und übersehe die Elektra in ungebundener Schreibart." Als nun der Vater, in der Ueberzeugung, daß der wissenschaftliche Eifer seines Elias ernst entfacht war, ihm noch vor Ablauf des Jahres 1739 seine Zusage poetischer Enthaltsamkeit erließ,68) begnügte dieser sich nicht, seine früheren Dramen gründlicher Verbesserung zu unterziehen, sondern es drängte ihn vorwärts zu neuer Produktion. Jezt hielt er es doch für gerathen, sich Gottsched persönlich zu nähern, um dasjenige, was er von diesem lernen konnte, zu lernen, ohne sich irgendwie zu binden. Den Anknüpfungspunkt bildete Gottscheds Rednergesellschaft, welche in Leipzig die einzige Gelegenheit zu kritischen Uebungen bot.69) Der Herr Professor zeigte sich

dem Studiosus Elias Schlegel sehr entgegenkommend, wie es ihm denn stets angenehm war, sich junge Dichter zu verbinden. Eben damals plante er die Herausgabe der „Deutschen Schaubühne." Eröffnen wollte er sie, dem ursprünglichen Plane zufolge, mit einer Ueberseßung der Poetik des Aristoteles, welcher zur Erläuterung einige Tragödien des Sophokles beigegeben werden sollten. Da er von Schlegels prosaischer Uebersehung der „Elektra“ hörte, er: munterte er seinen neuen Schüler, eine Uebertragung in reimfreien Versen für die „Deutsche Schaubühne“ zu ver= fertigen.70) Nicht gewöhnt, sich eine Arbeit leicht zu machen, und stets für die Anmuth des Reims eingenommen, lieferte Schlegel Reimverse, begleitet von verständnißvollen Anmerkungen, die seine Beherrschung der antiken Litteratur wie ihrer modernen Commentare von neuem beweisen. Seine so vorliegende Arbeit schmiegt sich, soweit dies innerhalb des Zwanges von Silbenmaß und Reim möglich ist, in der Saß- und Gedankenfolge ziemlich getreu dem Terte an; jedenfalls ist derselbe nicht in der damals üblichen Weise zerdehnt, ja, die Ueberseßung hat einige dreißig Verse weniger als das Original, weil stets das beachtenswerthe Streben vorwaltet, die antiken Wendungen und Gleichnißwörter in möglichster Kürze durch verwandte deutsche Ausdrücke zu erseßen.71) Wenn auch nicht immer gewandt und poetisch in den epischen Theilen, athmet Schlegels Uebertragung an den dramatisch bewegten und namentlich den lyrischen Stellen, wo das alexandrinische Maß wirkungsvoll kürzeren Zeilen, wechselnd in Versart, Länge und Reimstellung, weicht, oft einen wirklichen Hauch dichterischen Schwunges und antiker Erhabenheit. So spricht der Chor:

Kann ich des Schicksals Sinn erreichen,
Und schließ' ich nicht aus eitlen Zeichen;
So seh' ich ist die Rache schon

Mit Strafen in den Händen drohn...

Mit hundert Füßen, hundert Händen
Wird hieher sich Erinnys wenden,
Die sich in Finsterniß und Nacht
Mit eh'rnen Füßen aufgemacht.

Weil man Gesez und Recht zerreißet,
Weil Ehe, die nicht Ehe heißet,

Ein Bette voller Mord befleckt.

Doch Schlegels Zeitgenossen scheinen der Uebertragung aus dem Griechischen nicht genügendes Verständniß entgegen= gebracht zu haben: selbst Haller 72) tadelt, daß der Ueberseßer „die den zärtlichen Ohren fast beschwerliche Niedrigkeit nachgeahmt“ habe; „ebenso widerlich", sagt er,,,ist uns das falte Gezänke des Orestes und Aegisthus, doch hier entschuldigt freilich Sophokles den Herrn Schlegel.“ Will man sich allerdings keiner Ueberschäßung schuldig machen, so muß man hervorheben, daß Schlegels Trojanerinnen“ in ihrer leichteren Anlehnung an die Alten auch freier und glücklicher den antiken Geist wiedergeben, als diese von so mannigfachen Fesseln beengte Ueberseßung.

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Die geplante Aristoteles-Ausgabe Gottscheds kam nun nicht zustande. Danzel 78) macht es wahrscheinlich, daß Gottsched sich schließlich nicht fest genug im Griechischen gefühlt und auch, als er von den französischen Commentaren zum Original überging, entdeckt haben mag, daß zur Einführung einer Deutschen Schaubühne nach seinem Geschmacke nichts weniger als die Poetik des Aristoteles geeignet sei. Erst lange Jahre mußten vergehen, ehe Schlegel das Manuscript seiner damit überflüssig gewordenen ElektraUeberseßung wiedererlangte: noch am 20. September 1746 74) bittet er Gottsched höflich, aber entschieden um Rückgabe desselben. Die,Elektra“ erschien dann 1747 in Schlegels ,,Theatralischen Werken."75)

Kaum war Schlegel in Beziehung zu Gottsched getreten, als sich durch unglücklichen Zufall eine Gelegenheit, dem Dictator zu huldigen, aufdrängte: Ein in Leipzig weilender

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