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Hiarbas gerade jezt Dido mit Krieg überziehen, so daß Aeneas' Ehre sein Bleiben fordert. Während in der ersten Anlage durch Didos freiwilligen Tod der Knoten mehr zerschnitten als gelöst ist, hat der Dichter bald in einer Umarbeitung Aeneas auf der Flucht noch den Angriff des Hiarbas zurückschlagen lassen und so die kriegerische Ehre seines Helden zugleich mit seiner eigenen dichterischen Ehre gerettet. Freilich wurde durch diese Einrichtung die Titelheldin noch mehr zur vorwiegend leidenden Person.

Was der „Dido" in den Augen der Zeitgenossen hauptsächlich Werth verlieh, war wiederum die tragische Sprache, welche auch hier, wenigstens in den Reden der Dido selbst, echte Töne des Herzens erklingen läßt. Indessen selbst Aeneas und die anderen Personen geben sich noch immer weniger als kalte Standespersonen, zeigen troß vorwiegend kahler Stellen noch immer mehr Menschenherz als irgend ein schulgerechtes Product streng Gottschedscher Observanz.84) Gewiß stehen die Charaktere an tragischer Hoheit aus naheliegenden Gründen hinter denen der dafür auch unselbständigeren früheren Dramen zurück. Der Conflict zwischen Liebe und Pflicht, das Obsiegen der leztern, tritt hier schon ganz im Sinne der französischen Technik, nur ungezwungener, weil natürlich gegeben, hervor; unverkennbar den Franzosen, und zwar glücklich, abgeguckt ist jedenfalls die Verdoppelung der Intrigue, so daß, wie wir sahen, ein dramatischer Conflict in der Brust des Aeneas ausbrechen kann. Von feinem theatralischen Verständniß zeugt schließlich die Verwendung der Geistererscheinung des Sichäus (IV, 4) derart, daß nur die erregte Phantasie der Dido, nicht aber Anna dieselbe wahrnimmt. Hier erweist sich Schlegel bereits als Geistesverwandter der Engländer, deren Shakespear in seinem „Hamlet" den Geist des todten Königs einmal (III, 4) auf gleiche Weise verwendet:

Wolff, J. E. Schlegel.

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Hamlet. Seht ihr dort nichts ?

Königin. Garnichts; doch seh' ich alles, was dort ist...
Hamlet. Ha, seht nur hin! Seht, wie es weg sich stiehlt!
Mein Vater in leibhaftiger Gestalt!

Seht, wie er eben zu der Thür hinausgeht!

Königin. Dies ist blos eures Hirnes Ausgeburt . . .

Aehnlich bei Schlegel:

Dido. Ach Schwester! ich erschrecke.

Anblick! siehst du nichts dort in des Zimmers Ecke?
Anna. Was siehst du? fasse dich. Trau' nicht auf dein Gesicht.
Denn deine Furcht allein betrügt der Augen Licht.

Dido. Nein, nein! Ich sehe selbst den mir bekannten Schatten!

Ich sehe die Gestalt des sonst geliebten Gatten! . . .

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Will man den naheliegenden Gedanken einer directen Beeinflussung aussprechen, so muß man, da Schlegels Bekanntschaft mit Shakespear erst 1741 beginnt, annehmen, daß dieser Zug zu den späteren Einfügungen und Verbefferungen gehörte, deren sich das Werk, namentlich gegen Schluß, bis 1743 mehrfach zu erfreuen hatte; inzwischen war Schlegel durch die Ueberseßung des Julius Caesar" in das Studium Shakespears eingeführt und Notiz in seiner Wochenschrift „Der Fremde“ „Hamlet“ bekannt geworden.

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Gottsched fand an den „mehr zärtlichen Leidenschaften“85) der „Dido" besonderes Gefallen. Hier redet das Herz!" konnte er in seinem Sinne besonders von diesem unter allen Schlegelschen Trauerspielen versichern, bot es doch eine regelrechte Liebesintrigue! Er nahm darum „Dido“ mit äußerst schmeichelhaften Einführungsworten in den V. Band seiner „Deutschen Schaubühne“ auf. Nachdem der Dichter bereits während seiner Leipziger Studienzeit namentlich die wesentliche Veränderung des Schlusses vorgenommen und auch sonst fortdauernd gebessert hatte, feilte er nun vor dem Druck, unterstüßt durch Hagedorn,86) von neuem an dem Drama.

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Vergleichen wir den Gottschedschen Abdruck der „Dido“ mit der Fassung, welche Schlegels, Werke“ (I, 70 ff.) bieten, so treten einige Verschiedenheiten der Lesart hervor, welche dem Anschein nach von unglücklichen Aenderungen Gottscheds herrühren. Ein Beispiel statt vieler. So bietet Heinrich Schlegel in des Bruders Werken" den Text:

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Soll Jupiter mich selbst noch aus dem Schlaf erwecken?
Wart' ich, daß er mich reißt, wohin er mich bestimmt?

Gottscheds Lesart lautet:

Soll mich ein Wunderwerk aus meinem Schlafe wecken,
Daß mich der Himmel reißt, wohin er mich bestimmt?

Auch im Lager der Schweizer fand „Dido" Gnade: Bodmer schreibt nach Leipzig, 87) sie sei „nicht übel gerathen; Gottsched ist sehr unvorsichtig gewesen, daß er sie neben seine schlechten Sachen gestellt hat. Es sind opposita juxta se posita."

Elias Schlegel verlor auch angesichts dieses neuen Erfolges seine Selbstkritik nicht; so fügt er Bodmer gegenüber 38) dem Tadel der „kriechenden Ausdrücke“ in den Tragödien der Gottschedschen Schaubühne“ hinzu: „Ich nehme einige Stellen meiner „Dido“ davon nicht aus.“ Heinrich Schlegel tadelt ferner in seinem Vorbericht 39) mit vielem Recht die große Weitschweifigkeit des Stückes. Eine Aufführung deffelben ist denn auch nirgends belegt. 4o)

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So werthvoll diese ersten dramatischen Jugenddichtungen, troß ihrer mangelnden Reife, als Werke der Phantasie und Empfindung in einer öden, kalten Zeit bleiben, so be deutungslos ist der gleichzeitige epische Versuch Be= mühungen Irenens und der Liebe." Hier fehlte es dem Jüngling an einem gehaltvollen Muster und Führer, wie ihm Euripides auf tragischem Gebiete geworden war. Dazu das Unbedeutende des Stoffes! Im Stile des Virgil, dessen äußere Kunstfertigkeit den Nachahmer nur zu leicht

auf Frrwege führt, bestrebt sich Schlegel, die 1738 er= folgende Hochzeit der sächsischen Prinzessin Amalie und des König Karl von Sicilien, mit seinem Vater wetteifernd,11) zu besingen. Von dieser Verbindung - nur zu trügerisch! eine andauernde Befestigung des europäischen Friedens erhoffend, segt er eine gewaltige Maschinerie von Tugenden und Bildern in Bewegung, um das Entstehen dieses Bundes nach der politischen und erotischen Seite zu schildern, ohne sich jedoch in seinen Alexandrinern zu wirklichem Schwung zu erheben. Die Personificirung abstracter Begriffe, welche auch für Schlegels spätere epische Dichtung charakteristisch bleibt, entsprang dem Glauben, durch diese maskirten Schatten die antike Göttermaschinerie ersehen zu können; „August im Lager“, das damals berühmte Epos des sächsischen Hofdichters Ulrich von König, ist als Vorbild unverkennbar. Im übrigen darf man dem Gedichte allenfalls eine gewisse Anschaulichkeit, namentlich in der Schilderung der Jagd, welcher der Bräutigam besonders zugethan war, und in der Zeichnung Dresdens, nachrühmen. Als man dem Herausgeber von Elias' Werken einen Vorwurf aus dem Abdruck dieses Jugendversuches machte, lobte dem gegenüber sein an der Ausgabe mitbetheiligter Bruder Adolf das Werkchen als „malerisch, reich an Gleichnissen“ und nach einem „ordentlichen Plan“ verfaßt, 42) verdienstliche Eigen= schaften, die doch äußerlich bleiben, so lange das Werk nicht von poetischem Gefühl durchtränkt ist.

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Ein verwandtes Thema behandelte unser Elias Schlegel, als er, 21 Jahre alt,48) mit einer Abschiedsrede über die damalige Verbindung zwischen Desterreich und Florenz am 23. März 1739 Pforta verließ. Noch lange stand sein Andenken dort in Ehren, auch blieb er außer mit seinem Bruder Adolf noch mit mehreren andern Portensern in brieflicher Verbindung.44) So regte sein Wirken einen Jüngling zu dichterischen Versuchen an, der ein halbes Jahr

nach seinem Abgang in die Schulpforte eintrat 45): Friedrich Gottlieb Klopstock. Auf der Meißener Fürstenschule aber im Verkehr mit Schlegels Bruder Heinrich wurde wenige Jahre später ein anderer heranwachsender Sachse von Elias Schlegels litterarischen Thaten fortgerissen und angefeuert: Gotthold Ephraim Lessing.

Eine neue Welt that sich vor Elias auf, wahrhaft eine Welt, als er aus den engen Mauern von Pforta trat: er bezog die sächsische Landesuniversität Leipzig. Sein ganzes Wesen schien ihn mehr auf die Einsamkeit hinzuweisen, aber er konnte doch auch mit Ehren in Gesellschaft bestehen. „Er war blond. Ein paar hellblaue, denkende, halbtraurige, halbfrohe Augen, bald muthwillig, bald ernsthaft lagen tief in seiner breiten und hohen Stirne. Sein Mund, die Oberlippe etwas aufgeworfen, und seine Habichtsnase gaben seinem Gesichte ein ebenso edles Ansehen, als sein beredtes Auge dasselbe angenehm machte." 46) Er hatte bereits poetische Werke geschaffen, die zum Theil öffentlichen Ruhm erworben hatten, und war doch noch ohne jede Beziehung zu den litterarischen Kreisen, ohne jede eigentliche Fühlung mit den litterarischen Strömungen der Zeit geblieben. Nun gelangte er unmittelbar in das Hauptquartier der Litteratur und des herrschenden Geschmackes.

Die Führerschaft auf belletristischem Gebiete lag damals in den Händen der Sachsen; aber nicht der ausschweifende Dresdener Hof, dessen Prunksucht sich in Anhäufung von Kunstschäßen gefiel, sondern Leipzig mit seiner blühenden Hochschule, seinem weltberühmten Buchhandel und seiner wohlhabenden, intelligenten Bürgerschaft bildete den Ausgangspunkt dieser sächsischen Litteratur,17) und zwar war es, dem Zeitcharakter entsprechend, besonders die Universität, von welcher die mächtigsten Anregungen ausgingen. Wie die herrschende Philosophie Christian Wolfs,48) so ging die litterarische Bewegung vom Katheder aus. Von

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