Page images
PDF
EPUB

ganz frei, denn die Rathgeberschaft bei einer Herausgeberschaft ist doch auch ein Stück davon. Wirklich habe ich seit Michael v. J. über meines sel. Bruders Arbeiten gesessen und Du thust mir Unrecht, wenn Du glaubst, daß ich gar nicht dabei Hand anlege; und wenn ich gleich nicht Muße habe, auch hier zu viele Censuren passiren muß, um selbst Herausgeber derselben zu sein, so bin ich doch gewiß dabei nicht müßig. Corrigiren werde ich freilich seine Sachen nicht. Was willst Du mit dem Corrigiren? .. Sei indessen versichert, daß in die Sammlung kein Blatt von des sel. Bruders Arbeiten kommen wird, das nicht durch meine Hände gegangen, und daß meinerseits alles daran gethan worden, was nur die Kritik dabei leisten kann, eine gute correcte Ausgabe zu liefern. Freilich muß ich mir's gefallen lassen, was für eine Form mein dänischer Bruder den Materialien gegeben haben wird. An gutem Rath hat es von meiner Seite nicht gemangelt, und an gutem Willen wird's ihm auch nicht fehlen. Er ist aber einmal ein Scribent mehr für die belesen gelehrte Welt, als für das Reich des Geschmacks." Troß dieser Theilnahme Adolfs läßt die Ausgabe namentlich in der Anordnung des Stoffes viel zu wünschen übrig: Es ist völlig unmöglich, sich aus derselben ein Bild von der reichen geistigen Entwicklung des Autors zu bilden.

Dieser Umstand führte zu der irrigen Annahme, daß auch Elias Schlegel, wie die litterarischen Kämpen um ihn herum, eine Entwicklung garnicht gehabt habe, und so glaubte man oft genug bis in unsere Tage hinein, über ihn mit Bekämpfung irgend einer seiner frühesten Ansichten zur Tagesordnung übergehen zu dürfen. Die unverantwortliche Verspätung von 14 bis 17 Jahren aber, mit welcher eine Reihe gerade seiner reifsten und vorgeschrittensten Werke erschienen, haben ihrer Einwirkung und fast mehr noch ihrer historischen Werthschäßung in der ersten Hälfte unseres Jahr

hunderts weit erheblicher geschadet. Erst Danzel, der gleichfalls zu früh Verstorbene, dem wir so viele bahnbrechende Litterarhistorische Entdeckungen verdanken, hat in seinem Werke über „Gottsched und seine Zeit" 1848, fast ein Jahrhundert nach Schlegels Tod, von neuem auf diesen einst so glänzend leuchtenden und dann so jäh erloschenen Stern nachdrücklich hingewiesen. Seitdem hat er bei Joseph Bayer und Hermann Hettner etwas eingehendere Betrachtung erfahren, bis die lezten Jahre Werner Söderhjelms schwedisch geschriebene Abhandlung über Schlegels Lustspiele und Johann von Antoniewicz' Einleitung zum Neudruck der ästhetischen und dramaturgischen Schriften brachten.

Johann Elias Schlegels Werke gehören nicht zu denen, welche das Lesepublikum noch zur Hand nimmt der Durchschnittsreisende unternimmt im Sommer seine Fahrt, er will Blüthen sehen und Nachtigallen hören; ärgerlich schilt er den April, in welchem bunt Regen und Sonnenschein wechseln. Der Kenner der Natur aber weiß sich keinen herrlicheren Genuß, als den Kampf des Jünglings Lenz mit dem greisen, erstarrten Winter wahrzunehmen, er erfreut sich am Anblick von Keimen und Knospen, und der Jubel der Lerche klingt in seinem Herzen wieder, wenn sie sich kühn in die Lüfte hebt. Auch Elias Schlegels Zeit fällt nicht in den blüthenreichen Hochsommer, sie bezeichnet den Vorfrühling unserer neuen und vergessen wir es ihm nicht! einer nationalen deutschen Dichtung.

Anmerkungen.

1) Vgl. die von Johann Heinrich Schlegel verfaßte Lebensbeschreibung seines Bruders Elias im V. Theil von dessen „Werken“.

2) Sie war bisher unbekannt. In der Königlichen Bibliothek zu Berlin fand ich dieselbe unter der Bezeichnung als vermuthliches Werk von Johann Adolf Schlegel, aus dessen Nachlaß sie in S. Hirzels Besiz gelangt war. Indessen reichen die Daten der zahlreich im Bande enthaltenen Gelegenheitsgedichte vom 28. August 1709 bis 21. Juni 1748; Elias Bruder Adolf wurde aber erst 1723 geboren, der Vater dagegen lebte nach Mittheilung von Elias' Urenkel, Justitiarius N. F. Schlegel in Kopenhagen - von 1689 bis 6. September 1748. Ueberdies singt der Verfasser in einem Klage= gedicht auf den Tod seiner Frau (Blatt 72b) von seiner „Wilkin“ Liebe, und es findet sich in der Sammlung auch die an den Vater gerichtete Epistel Elias' zum Lobe des Grafen Holzendorf („Werke“ IV, 77 f.) nebst der (in Elias' Werken" gleichfalls, IV, 79, abge= druckten) „Antwort seines Vaters" (danach erweist sich übrigens das Reimwort der viertleßten Zeile „lehren“ als eine Entstellung aus dem hs. überlieferten hören," welches auch besser in Sinn und Reim past). Der Band umfaßt 84 numerirte Octavblätter, von verschiedenen Händen beschrieben, anfangs wohl vom Abschreiber, dann vom Verfasser selbst bald flüchtig, bald in Zierschrift, mehrfach auch von Kinderhänden, anscheinend besonders von Elias und Adolf, ein Beweis, wie regen Antheil beide an den Dichtungen des Vaters nahmen.

"

"

3) Bei Erwähnung der Gedichte seines Vaters in Elias' Lebensbeschreibung a. a. D. S. XI.

4) So!

5) Mittheilung von N. F. Schlegel.

6) In dem (ungedruckten) Brief einer Schwester v. 5. Febr. 1749 erwähnt (Besiß von N. F. Schlegel).

7) Leben IX.

8) Bittcher: Pförtner-Album.

9) Leben IX.

10) Vgl. Franz Munder: Klopstock S. 16 f.
11) Leben XI f.

12) Adolf Schlegel in den Abhandlungen zu seiner BatteuxUeberschung II3, 516 ff.

13) Diese Ansicht sprach Haller in seiner Recension der „Troja= nerinnen" aus (Göttingische Zeitungen von gelehrten Sachen, 1748, S. 359).

14) Briefe, die neueste Litteratur betreffend, Brief 311 (Moses Mendelssohns Gesammelte Schriften IV. 2, S. 445 ff).

15) Zuerst 1747 in den „Theatralischen Werken“, sodann 1761 in der Gesammtausgabe der „Werke“ I, 137 ff. und nachgedruckt im III. Bd. des „Theaters der Deutschen" (2. Aufl. 1769).

16) Die Redaction von 1745 geschah unter Berücksichtigung der von den Bremer Beiträgern gemachten Anmerkungen; s. Elias Schlegels Brief an Bodmer v. 15. April 1747 (abgedruckt in Stäudlins „Briefen berühmter Deutschen an Bodmer").

17) In der Vorrede zu den „Theatr. Werken“.

18) Joh. Frd. Löwens Schriften IV, 42 f.; Schmid: Chronologie des deutschen Theaters 129 f. und Nekrolog 263 ff. Vgl. auch „Unterhaltungen", hrsg. v. Eschenburg, 1768, S. 274.

19) Vgl. Meyer: F. L. Schröder I, S. 92 u. 106, II, 2, S. 54, 139, 142 u. 155. Noch 1782 erschien in Wien eine TheaterAusgabe (Im K. K. Nationaltheater aufgeführte Schauspiele" V. Bd ).

20) Ich weiß, daß nicht überall diese Grundanschauung litterarhistorischer Betrachtung anerkannt wird: man hält vielfach die Verschmelzung des germanischen Geistes mit dem antiken für Ziel und Gipfel unserer gesammten litterarischen Entwicklung. So seßt sich Cholevius zum Zweck seiner verdienstlichen „Geschichte der deutschen Litteratur nach ihren antiken Elementen" ausgesprochenermaßen, nachzuweisen, daß die antik-klassische Dichtung zur Grundlage genommen werden muß, wenn ein wirklicher Fortschritt in unserer Litteratur hervortreten soll. Indessen widerspricht diese abstracte Deduction dem innern Triebe jeder litterarischen Entwicklung: denn dieser geht bei allen selbständigen Völkern naturgemäß auf den vollendeten Ausdruck des nationalen Geistes hin. Wenn Gottsched sich an die Franzosen anlehnte und die Schweizer Milton auf den Schild erhoben, so stellten sie ebenso rückhaltlos die Befruchtung der deutschen Litteratur durch fremde Elemente als vorübergehend, ihre Selbständigkeit und eigene, reine Blüthe als Endziel hin, wie später für Lessing, Goethe und

[ocr errors]

Schiller der unerschöpfliche Born antiker Kunst als ein Jungbrunnen erschien, keineswegs aber als ein Meer, in welches der Strom deutscher Dichtung zu münden habe. Ich freue mich der Uebereinstimmung mit dem trefflichen Koberstein (Jahrbuch der deutschen Shakespear= Gesellschaft I, 12 f.): „Noch fehlte es immer," sagt er von der VorHerderschen Zeit, „in Deutschland an dem Glauben, daß es auch noch andere wahre und echte Poesie geben könne, als die antike oder die ihr nachgekünstelte; noch ich will nicht sagen an der Einsicht, sondern selbst an der Ahnung, daß die Pocsie der Alten eine durchaus cigenartige, durch Himmelsstrich und Naturumgebung, durch Religion und Geschichte, Sitte und Lebensweise und wie viele andere Dinge noch, in ihrem innern Wesen, wie in ihren äußeren Formen, mannigfaltig bestimmte und bedingte sei, daß also eine Wiedergeburt derselben, da wo alle jene bestimmenden und bedingenden Einflüsse sich von Grund aus geändert haben, zur völligen Unmöglichkeit werde, eine blos oder doch vorzugsweise nur auf Aeußerlichkeiten gerichtete Nachbildung es aber nimmermehr bis zu lebensvollen, von einem volksthümlichen Geiste erfüllten Erzeugnissen bringen könne.“

21) Gedruckt nur in den „Werken" I, 1 ff.

22) Vgl. Söderhjelm: Om Elias Schlegel S. 97.
23) Leben XIII f.

24) Bittcher Pförtner-Album.

25) Vgl. J. Adolf Schlegels Vermischte Gedichte I, 222 ff.
26) Batteur-Ausgabe 13, 50.

27) Janozki: Briefe (Dresden 1745), 17. Br., vgl. auch 24. Br. 28) „Wig“ entspricht in der damaligen Terminologie unserm heutigen „Geist“ und allen seinen Functionen, auch wohl „Gemüth,“ - vgl. „Belustigungen des Verstandes und Wizes," Neue Beiträge zum Vergnügen des Verstandes und Wizes," und dgl. „Gemüth" dagegen hatte noch durchaus die ursprüngliche, im heutigen wohl= gemuth" erhaltene Bedeutung,Sinn," Stimmung."

"

[ocr errors]
[ocr errors]

29) Kneschte: Zur Geschichte des Theaters und der Musik in Leipzig, S. 11.

30) Meyers Erwähnungen des Dramas in der Biographie Schröders (I, S. 85, 109, II, 2, S. 51) reichen bis ins Jahr 1762.

31) Geschichte der deutschen Dichtung IV5, 406 ff. Ebenso völlig unrichtig ist Gervinus' Aeußerung, daß sich Elias Schlegel schon frühe altklug,, benahm. Der Angabe schließlich, „Die Geschwister in Taurien“ seien „auf Gottscheds Betrieb" zur Darstellung gelangt, widerspricht abgesehen davon, daß sie nirgends quellenmäßig belegt ist vor allem der Umstand, daß Schlegel erst im zweiten

[ocr errors]
« PreviousContinue »