Page images
PDF
EPUB

Macht Eichen biegsam und die Felsen weich,
Und wirkt Gefühl in Dingen, die nicht fühlen.
Was bin denn ich? Bin ich denn tauber noch
Als Holz und Stein, daß mein zu mächtig Leid
Kein süßer Klang in Schlummer wiegen kann?

Kann denn Dein Schmerz nicht eine Stunde schweigen ?
Da im Triumph Dein Vater wiederkömmt,

Da hinter ihm die Königin der Mohren

Gefesselt folgt, da alles sich erfreut?

Was ist um mich, das mich nicht weinen hieße? . .

Wunderbar ist über diese Verse Stimmung hingehaucht. Und nur ein echter Künstler vermag mit wenigen Worten in ähnlicher Weise gleichsam die Schauer des Ortes zu malen, wie Schlegel in der Grabscene:

Was flohst Du denn? Es war ein leeres Schrecken.

Es war der Schall von eines Menschen Ruf.

Es war nur Deine Furcht; vielleicht ein Sausen
Des Windes, der durch hohle Klüfte streicht,
Vielleicht der Wiederschall von unsern Worten.

Mein Auge hat's gesehn, mein Ohr gehört;
Das ehrne Thor des Grabes stund eröffnet,
Und eine Stimme rief in Finsterniß,

Mit vielem Ach, Anselmos theuren Namen. . .

[ocr errors]

Heinrich Schlegel, der erste, welcher seit 1758 den englischen Vers mit seiner vollen Freiheit ins deutsche Drama einführte,465) war durch dieses Fragment aus seines Bruders Nachlaß, das er erst 1762 herausgab, beeinflußt. Er gesteht es indirect selbst zu, wenn er in der Vorrede zu seiner Uebersehung der Thomsonschen „,Sophonisba" sagt: Der Vorzug dieser Versart vor den sonst bei Tragödien gebräuchlichen sechsfüßigen jambischen oder sogenannten alexandrinischen Versen besteht eben vornehmlich in der Freiheit abzuwechseln, und wo mich anders das Urtheil verschiedener Personen von Geschmacke, die sonst

Wolff, J. E. Schlegel.

12

eben keine Liebhaber von reimlosen Versen sind, nicht betrügt, auch darin, daß man bei ihnen die Reime ganz und gar nicht vermißt, da hingegen viele glauben, daß sie bei den sechsfüßigen Versen fast unentbehrlich sind. Das Beispiel der englischen Nation giebt diesem Urtheil ein starkes Gewichte." - Auch Goethe wurde zu seinen frühesten Versuchen im fünffüßigen Jambus durch Elias Schlegel an= geregt. 1765 schreibt er an J. J. Riese, er werde für seine geplante Tragödie „Belsazar" diese Versart wählen: Die Versart, die der große Schlegel selbst Und meist die Kritiker fürs Trauerspiel Die schicklichste und die bequemste halten.466)

Daß Goethes spätere Verwendung des fünffüßigen Jambus aber durch Heinse nach dem Italienischen veranlaßt sei, hat Zarncke überzeugend nachgewiesen.467) Auch hier ist es Lessing gewesen, der, schon vor Veröffentlichung von Elias Schlegels Fragment mit Entwürfen in fünffüßigen Jamben beschäftigt, zu vollem Siege geführt hat, wozu Schlegel einen verheißungsvollen Ansaß genommen.

Nun hatte doch der strebsame Mann ein Ziel erreicht, an welchem ein andrer als Elias Schlegel einen Augenblick stillgestanden und sich des Errungenen erfreut hätte: was in einer Zeit, da der philosophische und der litterarische Fortschritt vom Katheder ausgegangen, als das Höchste gelten mußte, das hatte er errungen; er hatte außer seinem litterarischen und persönlichen Einfluß ein eigenes Katheder inne, er konnte in Zukunft wirken hätte ein Gottsched in partibus Gegend wohne", schreibt er statt dessen an Bodmer 468) bei Frühlingsanfang 1749, welche mit unter die schönsten von ganz Norden rechnet, und mein Haus fast in einem Walde liegt": so werde er vielleicht im Sommer ein Trauerspiel beginnen! Und daneben überseßte er Scenen aus Shakespear, Maffei, Metastasio!

[ocr errors]

wenn er gewollt ,,Da ich in einer

Dieser Arbeitsleidenschaft fiel seine ohnedies schon lange schwankende Gesundheit zum Opfer. Hinzu kamen häusliche Sorgen, da er vergebens um Erhöhung des nicht ausreichenden Gehaltes von 300 Thalern petitionirt hatte. 469) Am 13. August 1749, wenige Wochen nachdem ihm seine Frau einen zweiten Sohn (Heinrich Friedrich) geboren, dessen Nachkommen noch fortleben, erlag Johann Elias Schlegel einem hißigen Fieber, tiefbetrauert von seinen Collegen170) und dem litterarischen Publikum Deutschlands und Dänemarks.471) 1784 folgte ihm seine Witwe ins Jenseits; beide ruhen in der alten Klosterkirche zu Soröe, wo auch mehrere dänische Könige begraben find.472)

Das günstige Vorurtheil, welches er in seiner zweiten Heimath für deutsche Dichter erweckt hatte, bahnte mehreren Schriftstellern seines Kreises den Weg nach oder wenigstens durch Dänemark. Schon seit 1748 weilte sein Bruder Heinrich in Kopenhagen, er wurde in der Folge Professor an der dortigen Universität sowie dänischer Historiograph. Anderthalb Jahre nach dem Tode von Elias Schlegel fand Klopstock zur Vollendung seines Messias“ am dänischen Hofe freundliche Aufnahme und dieselben Gönner, welche vorher Schlegel gefördert hatten. 478) Auf Klopstocks Veranlassung wiederum wurde 1753 ein anderer Bremer Beiträger, Johann Andreas Cramer, als Hofprediger nach Kopenhagen berufen. Wenn sie daselbst Verständniß für deutsche Litteratur fanden, so war dies ausschließlich Elias Schlegels Werk.

[ocr errors]

In Deutschland veranlaßte die neutrale Stellung, welche er zu den litterarischen Parteien im ganzen beobachtet hatte, daß beide Schulen ihn für sich in Anspruch nahmen.174) Wie Gottsched eifersüchtig bemüht ist, den berühmt gewordenen Mann mit der ihm eigenen wohlwollenden Herablaffung als seinen Schüler hinzustellen, 475 so schwingt sich Bodmer noch 1782 voll Aerger über den

475)

Erfolg von Schillers Räubern" auf seinen lahmen
Pegasus: 476)

Von den Schlegeln der Erstgeborene,477) der starb, und Thalien
In den Händen der Räuber ließ, von ihm nicht beschüßet.

"

Während die „Chronologie des deutschen Theaters" sich begnügte, unter dem Jahre 1749 mitzutheilen, 478) daß durch den frühzeitigen Tod J. E. Schlegels der deutschen Bühne ,,eine reifende Hoffnung" entrissen sei, erklärte ihn die „Allgemeine deutsche Bibliothek“ noch 1771 trog seines kurzen Lebens für unsterblich.“ 479) Klopstock schrieb am 24. September 1749 an Adolf Schlegel: 480) „Wenn ich an den Verlust Ihres unvergeßlichen Bruders und an Sie denke, so bin ich unter allen unsern Freunden am wenigsten geschickt, Sie zu trösten, oder vielleicht am geschicktesten, mit Ihnen zu weinen. Ich habe auch recht viel verloren, mein liebster Schlegel. Ich habe einen Freund verloren, der mich noch nicht kannte, und ich Ihn noch nicht . . . Das Muster Ihres Bruders hat meine Jugend in der Pforte mitausgebildet, weil ich immer so viel reizende Sachen von ihm sprechen hörte, daß ich einen rechten Geschmack daran fand, ihn ganz besonders hochzuschäßen und zu lieben. Und ich habe es also versäumt, meinem geliebten Lehrer selbst meine Dankbarkeit zu sagen. Vertreten Sie die Stelle seines heiligen Schattens und nehmen meinen zärtlichen Dank an seiner Statt an!!"

"

Das schönste Ehrenzeugniß aber hat Lessing unserm Schlegel ausgestellt, indem er, der Gottsched mit Verachtung, die Schweizer mit Nichtachtung gestraft, sich an den einzigen Elias Schlegel in Theorie und Production anschloß. In diesem Sinne ist der zu früh Verstorbene allerdings unsterblich geworden: sein Werk lebte fort, um zu schönerer Vollendung zu gedeihen.

[ocr errors]

Adolf Schlegel beklagte den Tod seines Bruders in warm empfundenen Versen und dachte alsbald auch an eine

Ausgabe von Elias' Werken 481) Der erste, der ihn hierzu ermahnte, war Klopstock. In dem erwähnten Briefe vom 24. September 1749 schließt er: „Das aber will ich doch nicht ganz unberührt lassen, daß Sie seine Werke prächtig herausgeben müssen." Bereits am 23. October desselben Jahres schreibt dann Adolf Schlegel an den damals in Hamburg weilenden Giseke: 482) „Da sich meine Liebe gegen meinen verstorbenen Bruder durch sonst nichts mehr äußern kann, so habe ich mich entschlossen zur Befriedigung meines Herzens und zur Erfüllung einiger meiner Pflichten gegen sein Angedenken eine Herausgabe seiner sämmtlichen Werke zu besorgen. Sie werden indessen so gütig sein und mein Vorhaben noch nicht vielen Leuten sagen, damit ich nicht vor der Zeit den Pöbel, die bisher seine Verleger gewesen, gegen mich aufrührisch mache. Sollten etwa H. Hagedorn einige seiner Stücke oder andere Umstände, die zur Vollkommenheit einer solchen Ausgabe etwas beitragen, bekannt sein, von denen ich nichts wüßte, so hoffe ich es zu der Freundschaft, welcher er meinen verstorbenen Bruder gewürdigt hat, daß er mir dieselben durch Sie, mein liebster Giseke, mittheilen lassen wird."

Lange lesen wir dann im Adolf Schlegelschen Briefwechsel nichts von diesem wichtigen Thema, so daß zunächst eine Verhinderung des durch sein endlich erlangtes Amt reichlich beschäftigten Mannes anzunehmen ist. Am 20. Februar 1756 mahnt Gellert: „Denkst Du denn nimmermehr an eine Ausgabe der Werke Deines seligen Bruders? D Banier, Banier! 488) Diese Ausgabe wäre zur Ehre unserer Nation, ist so nöthig, als irgend etwas. Machen Sie doch fort." 484) Endlich am 13. August 1761 spricht der Gemahnte das rettende Wort, welches beweist, daß die von Heinrich besorgte Gesammtausgabe der Elias Schlegelschen Werke unter wesentlicher Mitwirkung von Adolf geschah: "In der That bin ich von aller Autorschaft noch nicht so

« PreviousContinue »