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die Sitten sofort als deutsch erscheinen, weil ja in den höheren Ständen Deutschlands französische Sitten herrschten! Als ob nicht die Verkleidungskomödie, wenn überhaupt irgendwo, noch am ehesten in dem Agenor-Nikanderschen Nirgendheim wahrscheinlich wäre !436) Statt der versprochenen Kürzungen ist der Dialog noch länger und dadurch langweilig geworden; steifer als im Original, hat er viele Pointen verwaschen. Diese Umstände sowie die Nachäffung einiger Aeußerlichkeiten der Sturm- und Drang-Sprache wie häufige Apostrophirungen und Auslassung des persönlichen Fürworts lassen die Umarbeitung getreu in dem mittelmäßigem Stile eines Stephanie erscheinen. Auch der Titel ist nicht geschont: Seltene Treue! oder Giebt's viele solcher Weiber?" lautet er jegt im moralisirenden Sinne desselben Philisterdichters. In dem an sich richtigen Gefühl, daß der Polterer Agenor zu gut weggekommen, ändert Lotich die Auflösung, indem er diesen von Juliane geschieden werden läßt, wodurch nur leider nach Lotichs Ausführung mehr der Mann als die Frau triumphirt! — Ein werthvollerer Erfolg des Schlegelschen Lustspiels war es, daß aus ihm unmittelbar nach seinem Erscheinen Lessing die Anregung zum „Misogyn“ empfing: er läßt ebenfalls eine Hilaria in Jünglingskleidern erscheinen, um einen Verächter der Frauen durch scheinbares Eingehen auf dessen Ideen für sich zu gewinnen und gleichzeitig den Don Juan zu spielen. Christian Felix Weiße hat 1765 seine „Amalia" an denselben „Tender Husband", jedoch viel unselbständiger als Schlegel, angelehnt.

Gleichzeitig mit dem Vorspiel „Die Langeweile" und dem Triumph der guten Frauen" gedachte Schlegel als Beitrag zum dänischen Theater ein Nachspiel in Versen unmittelbar nach dem Leben auszuarbeiten. Schon am 15. April 1747 hat er begonnen, die Titelfrage aber noch offen gelassen, da der Name „die Bildsäule," an welchen er einen

Augenblick ged acht hatte, den Charakter der kleinen Komödie nicht deutlich genug zu verstehen gab. 487) Obgleich er nach dem dänischen Volkscharakter arbeitete, glaubte er, daß viele von unsern deutschen Frauenzimmern werden die Originale dazu abgeben können." 488) Dieses Nachspiel, welches in würdigster Weise Schlegels Lustspieldichtung abschließt, wurde 1748 in Kopenhagen unter dem Titel „Die stumme Schönheit" gedruckt 489) und ging noch während desselben Jahres in die Beiträge zum dänischen Theater" über. Die geplante Ueberseßung ins Dänische ist ebensowenig wie die des „Triumphs“ zu Stande gekommen. - Wir stoßen hier wieder auf andeutende Namen. Jungwit heißt ein gebildeter Landjunker, Lakonius ein schweigsamer Philosoph, Praatgern (dänisch) eine geschwäßige Bürgerswitwe. 440)

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Conventionell litterarischer Tradition entsprungen ist sonst nur der Kindertausch, welcher, der Handlung zu Grunde liegend, bereits der Vorfabel angehört. 441) Die Idee des Stückes selbst ist in ihrer Einheit Schlegels Eigenthum, wenn es auch leicht erkennbar scheint, daß dieselbe aus Elementen zweier Komödien des Destouches zusammengeflossen ist. La Force du Naturel" bot den Kindertausch, der sich durch die Stimme der Natur, durch die natürlichen Neigungen der vertauschten Kinder offenbart. Desselben Dichters Komödie „La Fausse Agnès ou Le Poète Campagnard" führte den wißigen Landjunker zu der ihm bestimmten einsilbigen Braut, 442) über deren falsche Anpreisung er sich beim Vater derselben so lange beschwert, bis ihm. die geistvollere jüngere Tochter zur Frau gegeben wird. Schon in Regnards „Bal" (Scene 8) ist die Braut zu schweigsam, worüber sich der ihr zugedachte Bräutigam beim Vater beschwert; von hier hat Destouches die Situation entnommen (und auch in seinem „Dépôt“ verwandt). Regnards Distrait" (I, 4) war es schließlich noch, welcher unserm Schlegel Anlaß zu einer feinen Scene bot, die ein erster

Beitrag zur

körperlichen Beredsamkeit" in Deutschland

wurde. Die Mutter commandirt der Tochter:

Venez, mademoiselle, et saluez les gens.

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Plus bas; encore plus bas. O ciel! quelle ignorance!
Ne savoir pas encor faire la révérence,

Depuis trois ans et plus qu'elle apprend à danser!...
Levez la tête; encor. Soyez droite. Approchez.
Faut-il tendre toujours le dos quand vous marchez?
Présentez mieux la gorge et baissez cette épaule...

Schlegels Nachahmung dieser Stelle (Scene 8) zeugt jedenfalls von selbständigen scharfen Physiognomiestudien und einer Gracie, die Leffing, ohne daß er die Entlehnung bemerkte, zum Abdruck der Rede in seiner „Dramaturgie" veranlaßte. 448)

Bist Du vielleicht nicht wohl gekleidet? Laß doch schen!

Drch' Dich um!

Nun!
Das ist ja gut und sigt galant.
Was sagt denn der Phantast, Dir fehlte der Verstand?
Laß sehn, wie trägst Du Dich? Den Kopf nicht so zurücke!
Wer fragt: hat sie Verstand? der sch' nur ihre Blicke!
Gch' doch einmal herum. Gut! hierher!

Da haben wir's, das fehlt.
Ich finde gleichwohl nichts.
Sie hat Verstand genug.

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Neige dich!
Nein, sich! So neigt man sich.
Herr Jungwiß ist ein Thore.

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Und was die Hauptsache ist, diese feine Gewandtheit findet sich hier nicht mehr vereinzelt, sondern verbreitet sich gleichmäßig über das ganze Werkchen. Zwar ist die Reifrockzeit und das steifere dänische Wesen das Stück hat frische Zeit- und Ortsfärbung deutlich erkennbar, wie es denn in Dänemark als Satire auf Verhältnisse des mittleren Bürgerstandes aufgefaßt wurde,444) aber innerhalb der damit gegebenen Gangart 445) herrscht recht gewandte Bewegung. Unser Dichter ist jezt weit über die Entwicklungsstufe hinausgeschritten, auf welcher er die Langeweile nur Langweilig darzustellen vermochte, - das bewies schon sein Vorspiel zur Eröffnung des dänischen Theaters; hier nun

veranschaulicht er die Steifheit mit künstlerisch vollendeter Gracie, indem er die Modepuppen mit „Röcken wie ein Zelt für sien Janitscharen" perfiflirt.

"

Einfacher Aufbau und prägnante Charakterzeichnung vereinen sich mit einem gewandten Dialog voll Wiz und Geist,446) um diese Komödie, in Form und Inhalt die reifste und abgerundetste dichterische Schöpfung von Elias Schlegel, zu einem Kleinod der deutschen Litteratur zu stempeln. Die Sitten darin", erklärt Lessing gelegentlich der Aufführung des Stückes am Hamburger Nationaltheater,447),,sind wirklich dänischer als deutsch. Demohngeachtet ist es unstreitig unser bestes komisches Original, das in Versen geschrieben ist. Schlegel hatte überall eine ebenso fließende als zierliche Versification, und es war ein Glück für seine Nachfolger, daß er seine größeren Komödien nicht auch in Versen schrieb. Er hätte ihnen leicht das Publikum verwöhnen können, und so würden sie nicht allein seine Lehre, sondern auch sein Beispiel wider sich gehabt haben." Wer hat im deutschen Lustspiel je diese Zierlichkeit, noch dazu in Alexandrinern, erreicht?

Richard (Vater der Braut).

Jehund erzicht man fast die Mägdchen gar zu klug.

Sie müssen sich den Kopf mit tausend Zeug zerbrechen.
Das dächt er nicht einmal: Drei Sprachen kann sie sprechen.

Jungwiz.

Doch ist sie auch belebt und spricht mit jedermann?

Richard.

Ei das versteht sich wohl, wenn sie drei Sprachen kann.

Jungwiz.

Und spricht sie mit Verstand?

Richard.

Das weiß ich nicht so eben.

Doch sagt man, sie versteht recht nach der Welt zu leben.
Sie spielt, sie pußt sich gut, sie trägt sich mit Manier,
Und klimpert über das recht schön auf dem Klavier...

Und später nach der enttäuschenden Bekanntschaft:

Richard.

Wenn ich ein Mägdchen seh, das hübsch natürlich ist,
Nicht so von Kleidern strogt, und nicht die Schritte mißt,
So lacht mir, meiner Treu! das Herz in meinem Leibe,
Und es hält hart genug, daß ich ein Witwer bleibe.

Jungwiz.

Mein Herr, es ist mir lieb, Sie so gesinnt zu sch'n.

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Wär' sie nur nicht ein Ding, das wie im Drahte geht,
Nur Complimente macht, und ihren Reifrock dreht,
Das lauter Kleider ist, nichts wünscht, als schöne Kleider,
Und ihren Vater kaum so gern sieht als den Schneider;
Das kaum vor lauter Zucht die Lippen öffnen kann,
Und denkt, mit Ja und Nein ist alles abgethan; ...
Wär sie hübsch ohne Zwang und hätte Munterkeit,
Und spräche, doch nicht stets, und auch nicht zu gescheidt,
Und wüßte, was sich schickt, und wär' im Hause nüße,
So fragt' ich viel danach, ob sie Verstand besize.

Jungwiz.

Mein Herr, so sind wir eins, so hätte sie Verstand . . .
So find ich zwischen uns vollkommen Einigkeit.

Richard.

Nun! wenn wir einig sind, was braucht es denn für Streit? . . .

Jungwiz.

Es muß einmal heraus. Am besten ist's ich rede.

Richard.

Nun ja, so red' er doch! Was thut er denn so blöde?
Jungwiz.

Ich ging zwar den Vergleich mit viel Vergnügen ein,
und freute mich darauf, Ihr Tochtermann zu sein;
Doch die Bedingung war, daß sie mir auch gefiele.

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