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fall gefunden, aber von einem Vergleich des Dichters mit Corneille oder Racine könne darum doch bei verständigen Deutschen selbst nicht die Rede sein. Und dies, obgleich Andres Schlegel neben Gottsched denjenigen nennt, welcher die Neuschöpfung des deutschen Theaters bewirkt habe.

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Besser zu nußen wußte das Theater den ihr gebotenen Schat denn als solcher mußte dies Stück dem damaligen Theater allerdings gelten. Schon Chr. Heinrich Schmid 864) hebt hervor, daß es vornehmlich die dankbare Rolle des „ungestümen“ Ulfo und daneben die der „zärtlichen“ Estrithe seien, welche den „Canut" zu dem am fleißigsten aufgeführten Schlegelschen Drama machen. Schönemann brachte es 1749 in Berlin auf die Bühne 365) und 1756 eröffnete er mit demselben seine Vorstellungen in Hamburg, wo es bereits 1754 von der Ackermannschen Truppe dargestellt war; Schröder spielte damals eine Nebenrolle, erst 1782 übernahm er den Ulfo, während Estrithe zu den Glanzrollen seiner Mutter gehörte und seit 1764 Eckhof als Canut „von Kennern und Nichtkennern“ angestaunt wurde. Das Stück ward damals in französischen Staatskleidern gegeben; aber Eckhof überstrahlte durch die bloße Kraft seiner Rede, durch den würdigen Ausdruck seines Gesichtes alles um sich her und flößte namentlich dem zwanzigjährigen Schröder eine Bewunderung für den Künstler ein wie nie zuvor. 866) Doch werden auch Stimmen des Mißmuths laut; so schließt der Bericht über eine Leipziger Festvorstellung bereits aus dem Jahre 1768: „Ueberhaupt haben viele lieber Schlegels (weil er's doch sein sollte) Trojanerinnen als seinen wenig interessanten Canut zu sehen gewünscht.“ 367)

Bald nach Erscheinen des „Canut" kam eine dänische Uebersetzung des Dramas von Jacob Graah, der schon vorher gleichzeitig mit Schlegel eine Wochenschrift herausgegeben hatte, in Druck, die jedoch viel zu wünschen übrig ließ. 868) Nachdem der vornehmste Gönner des Dichters,

Minister von Berkentin, eine Zeit lang vergebens einen französischen Ueberseßer des Werkes gesucht hatte, 369) unternahmen zwei in dänischem Dienste stehende Grafen, von Lynar und von Schmettau, die Uebertragung in die Sprache Voltaires, um sie womöglich von diesem selbst gefeilt zu sehen. 870) Welches Schicksal sie da erfahren hat, ist unbekannt geblieben.

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Noch hatte Schlegel den „Canut" nicht beendet, als er sich schon mit einem neuen, höchst originellen, dramatischen Plane trug. Am 8. October 1746 schreibt er an Bodmer: 371) Es war mir sonst eingefallen, ein halbkomisches und halbpathetisches Nachspiel über den Gärtner zu machen, den Alexander zum König seßte, worinnen Alexander und andre allezeit den Charakter der tragischen Poesie in ihren Reden hätten, der Gärtnerkönig mit seiner Familie aber immer unvermuthet in die niedrigen Ausdrücke der deutschen Trauerspiele verfiele." Bald 872) sendet er eine kurze Probe ein, die auch in seinen Werken zum Abdruck kam. Es sind im Ganzen nur 17 Verse nach Art der „Entführten Dose", reimlose sechsfüßige Jamben, deren Cäsur hinter der 5. Silbe ruht, wiederum mit stets männlichem Versausgang. Schon seht er refignirt hinzu: Es ist dieses ein Versuch, den ich vielleicht niemals wagen werde auszuführen." Als Bodmer jedoch seine Absicht bemängelt, giebt der Dichter eingehende Rechenschaft von seinem ursprünglichen Plane,373) der geistreich genug ist, um wenigstens kurz skizzirt zu werden. Schlegel wollte nicht blos sein Absehen auf die Kritik haben, sondern es so einrichten, daß unkritische Zuschauer nicht einmal die Satire merkten. Der Gärtner Abdolnim sollte ein Mann von ganz gesunder Vernunft werden, dem nur die Sitten der Welt und des Hofes fehlen. Seine Frau ist es, welche ihn, um sich ein Ansehen in der großen Welt zu geben, zur Annahme der Krone beredet. Sie, die Gärtnerkönigin,

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sollte hauptsächlich das satirische Element vertreten und „alle die gezwungenen und übel angebrachten Ausrufungen der neuen deutschen Tragödien, das precieuse Wesen der Panthea" (von der Gottschedin) kundthun, ihrem Manne Anstandsregeln, ihrer Tochter Anschläge auf das Herz Alexanders geben. „Als vollkommene Copie eines schlechten tragischen Helden" sollte ein Petit-Maître sich für den Sohn des vertriebenen Königs von Sidon ausgeben und durch Hofirung von Abdolnims Tochter sich den Weg zum Throne ebnen wollen. Die Tochter aber wäre vernünftig genug, der sich indeß schließ

sich in einen Schäfer zu verlieben, lich als das erweist, wofür sich jener Petit-Maître ausgiebt. Da nun Abdolnim bald der Thorheiten seiner Frau müde wird und die lächerliche Rolle erkennt, welche jeder spielt, der über seinen Stand hinausstrebt, wird der wahre Königssohn, welcher Abdolnims Tochter heirathet, mit der Krone geschmückt, während der falsche Prätendent gebührender Strafe anheimfällt und sich die Erkönigin über ihre Zurückwandlung in eine Gärtnersfrau höchst ungeberdig stellt. Schlegels Plan bedeutet demnach das kühne Streben, ein vielbeliebtes Lustspielthema der Zeit in historisches Gewand zu kleiden und damit zugleich die zeitgenössische Tragödie zu perfifliren. Offenbar vereinte sich hier der Einfluß von Molières Adligem Bürger“, Holbergs „Politischem Kannegießer" sowie desselben Jeppe vom Berge" einerseits mit Holbergs Ulysses von Ithacia“ andererseits; doch steht in jenen Komödien die Ueberhebung des Mannes im Vordergrunde, so daß Schlegel wesentlich nur einzelne drastische Situationen hätte verwenden können; des dänischen Meisters köstliche Traveitie der deutschen Tragödienfiguren darf man aber wohl als dasjenige Werk bezeichnen, aus welchem unser Schlegel die Verspottung dramatischer Zustände durch direct dramatisirte Satire lernte. Der Plan theilte das Schicksal von Schlegels anderem historischen Lustspielentwurf,

den „Drei Philosophen“: zwei unvergeßliche Ansäße, die mit dem Leben des Dichters früh abbrachen.

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Noch war dem jungen Dichter ein kurzer Liebesfrühling gegönnt. Erst nach jahrelangem Harren und schweren Kämpfen sollte es ihm beschieden sein, die Geliebte, Johanna Sophia Niordt, eine nahe Verwandte der Gemahlin seines Chefs, in sein Haus zu führen. Inzwischen während der Sommermonate von der Geliebten getrennt, richtete er Briefe voll von Zeichen innigsten Gefühls an sie. Jezt erst, da er am Ende der Zwanziger stand, erwachte mit der Liebe in ihm das durchdringende Verständniß und die Fähigkeit für wahre Lyrik. Aus leicht begreiflichen Pietätsrücksichten sind die meisten dichterischen Früchte dieses Liebesverhältnisses nicht in die Werke aufgenommen; der Urenkel des Paares bewahrt sie noch heute nebst den gleichzeitigen Briefen auf. Unter ihnen befindet sich die zweite der in den Bremer Beiträgen" und Elias' Werken gedruckten Oden „An Chloris“; da der Herausgeber sie ans Ende der Sammlung stellte und da sie auch an Reife und Empfindungstiefe durchaus auf der Stufe der übrigen an seine Braut gerichteten Gedichte stehen, so darf nicht gezweifelt werden, daß er seine Johanna Sophia als Chloris besang. Diese Verse voll Klagen über das Schwanken und Zögern der Geliebten, voll Flehen um Erhörung rufen den Eindruck des Unmittelbarerlebten hervor, und in der That bestätigen die Briefe das Zutreffende dieses Eindrucks. Das waren andere Töne als die Leipziger Anakreontik, wenn der Dichter sang: 874)

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Wie lange willst Du mich nur mit dem Munde lieben?
Soll stets ein schwacher Kuß mein ganzes Labsal sein?
Vergilt doch meinen Trieb einmal mit gleichen Trieben,

Mein Kind, Du sagst zwar: Ja! doch, ach! die That sagt nein!
Wie wenig hab ich Dir noch bittend abgerungen,

Seit Du mein hoffend Herz mit süßen Worten nährst?
Selbst das was ich erlangt, erlangt ich nur gezwungen.
Ein Traum gewährt mir mehr von Dir, als Du gewährst.

Nichts hab ich noch erlangt als Deinen Reiz zu kennen,
welche Schönheit hat nicht Aug und Hand entdeckt!
Doch was ich noch erkämpft, dient nur mich zu entbrennen.
Zu Löschung meiner Glut ist Alles mir versteckt.
Ist mir's nicht Schmerz genug, daß ich Dich nicht besigen
Und Dich an meine Brust nicht ewig drücken kann?
Denn Liebe braucht zwar nur ein Herz sich zu erhißen:
Doch Jahre, Glück und Gut, die machen Frau und Mann.
Ist mir's nicht Schmerz genug mich bald von Dir zu trennen?
Laß mich den Trost dafür in Deinen Armen sehn . . .

Das ist eine Erotik, ebenso echt, wie die Christian Günthers.

Wenn es gestattet ist, aus dem zeitlichen Zusammentreffen zweier verwandter auffallender Erscheinungen auf ihren ursächlichen Zusammenhang zu schließen, so darf angenommen werden, daß Schlegels Liebe ihm nicht nur für die Lyrik fruchtbar wurde: bis 1746 enthält außer der litterarisch überlieferten „Dido“, deren Handlung überdies erst im Augenblick der Trennung einseßt, kein Schlegelsches Drama ein eigentliches Liebespaar; vielleicht ist die zärtliche Estrithe des Canut" ebenso aus den eigenen Geschicken des Dichters herausgewachsen, wie die edle Geliebte des „Geheimnißvollen" in ihrem schamvollen Sträuben gegen die in ihr Herz einziehende Liebe nach dem Leben gezeichnet zu sein scheint.

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Aber Gellert hatte Recht, wenn er, wie wir erfuhren, meinte das Mädchen, welches Elias Schlegels Herz be= fiegen wolle, dürfe keines sein, das ihn von der dramatischen. Dichtkunst abziehe. Während er nur so nebenher ein artiges französisches Feenmärchen unter dem andeutenden Titel „Der Prinzessin Zartkinda und des Prinzen Typhon Liebesgeschichte“ überseßte und mit einer an die Eigenliebe gerichteten selbstironisirenden Zueignungsschrift veröffentlichte, 875) welche als Moral der Geschichte ausspricht: ,,Die gesunde Vernunft hat den Vortheil, daß sie allemal

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