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Ungeduld.

Immer wieder in die Weite
Ueber Länder an das Meer,
Phantasieen in der Breite,
Schwebt am Ufer hin und her!
Neu ist immer die Erfahrung:
Immer ist dem Herzen bang,
Schmerzen sind der Jugend Nahrung,
Thränen seliger Lobgesang.

Wanderlied.

Von dem Berge zu den Hügeln,
Niederab das Thal entlang,

. Da erklingt es wie von Flügeln,
Da bewegt sich's wie Gesang;
Und dem unbedingten Triebe
Folget Freude, folget Rath;
Und dein Streben, sei's in Liebe,
Und dein Leben sei die That.

Denn die Bande sind zerrissen,
Das Vertrauen ist verlegt;
Kann ich sagen, kann ich wissen,
Welchem Zufall ausgesett

Ich nun scheiden, ich nun wandern,
Wie die Wittwe, trauervoll,

Statt dem Einen, mit dem Andern
Fort und fort mich wenden soll!

Bleibe nicht am Boden heften,
Frisch gewagt und frisch hinaus!

1

Kopf und Arm mit heitern Kräften,
Ueberall sind sie zu Haus;

Wo wir uns der Sonne freuen,
Sind wir jede Sorge los;
Daß wir uns in ihr zerstreuen,
Darum ist die Welt so groß.

Lied der Auswanderer.

Bleiben, Gehen, Gehen, Bleiben,
Sei fortan dem Tücht'gen gleich;
Wo wir Nügliches betreiben,
Ist der wertheste Bereich.

Dir zu folgen, wird ein Leichtes;
Wer gehorchet, der erreicht es;
Zeig' ein festes Vaterland!

Heil dem Führer! Heil dem Band!

Du vertheilest Kraft und Bürde
Und erwägst es ganz genau;
Gibst dem Alten Ruh und Würde,
Jünglingen Geschäft und Frau.
Wechselseitiges Vertrauen

Wird ein reinlich Häuschen bauen,
Schließen Hof und Gartenzaun,
Auch der Nachbarschaft vertraun.

Wo an wohlgebahnten Straßen.
Man in neuer Schenke weilt,
Wo dem Fremdling reicher Maßen
Ackerfeld ist zugetheilt,

Goethe, Gedichte.

27

Siedeln wir uns an mit Andern.
Eilet, eilet, einzuwandern

In das feste Vaterland!

Heil dir, Führer! Heil dir, Band!

Erklärung eines alten Holzschnittes,

vorstellend

Hans Sachsens poetische Sendung.

In seiner Werkstatt Sonntags früh
Steht unser theurer Meister hie,
Sein schmuzig Schurzfell abgelegt,
Einen saubern Feierwamms er trägt,

Läßt Pechdraht, Hammer und Kneipe rasten,
Die Ahl steckt an dem Arbeitskasten;
Er ruht nun auch am fieb'nten Tag
Von manchem Zug und manchem Schlag.
Wie er die Frühlings-Sonne spürt,
Die Ruh ihm neue Arbeit gebiert:
Er fühlt, daß er eine kleine Welt
In seinem Gehirne brütend hält,
Daß die fängt an zu wirken und leben,
Daß er sie gerne möcht' von sich geben.
Er hätt ein Auge treu und klug
Und wär auch liebevoll genug,
Zu schauen Manches klar und rein,
Und wieder Alles zu machen sein;
Hätt auch eine Zunge, die sich ergoß
Und leicht und fein in Worte floß;
Deß thäten die Musen sich erfreun,
Wollten ihn zum Meister-Sänger weihn.

Da tritt herein ein junges Weib,
Mit voller Brust und rundem Leib;
Kräftig sie auf den Füßen steht,
Grad, edel vor sich hin sie geht,

Ohne mit Schlepp und Steiß zu schwenzen,
Oder mit den Augen herum zu scharlenzen.
Sie trägt einen Maßstab in ihrer Hand,
Ihr Gürtel ist ein gülden Band,

Hätt auf dem Haupt einen Kornähr-Kranz,
Ihr Auge war lichten Tages Glanz;
Man nennt sie Thätig Ehrbarkeit,
Sonst auch Großmuth, Rechtfertigkeit.

Die tritt mit gutem Gruß herein;
Er drob nicht mag verwundert sein,
Denn wie sie ist, so gut und schön,
Meint er, er hätt sie lang gesehn.

Die spricht: Ich hab dich auserlesen
Vor Vielen in dem Weltwirr-Wesen,
Daß du sollst haben klare Sinnen,
Nichts Ungeschicklichs magst beginnen.
Wenn Andre durch einander rennen,
Sollst du's mit treuem Blick erkennen;
Wenn Andre bärmlich sich beklagen,
Sollst schwankweis deine Sach fürtragen;
Sollst halten über Ehr' und Recht,
In allem Ding sein schlicht und schlecht,
Frummkeit und Tugend bieder preisen,
Das Böse mit seinem Namen heißen,
Nichts verlindert und nichts verwigelt,
Nichts verzierlicht und nichts verkrißelt;

Sondern die Welt soll vor dir stehn,
Wie Albrecht Dürer sie hat gesehn;
Ihr festes Leben und Männlichkeit,
Ihre innre Kraft und Ständigkeit.
Der Natur Genius an der Hand
Soll dich führen durch alle Land,
Soll dir zeigen alles Leben,

Der Menschen wunderliches Weben,
Ihr Wirren, Suchen, Stoßen und Treiben,
Schieben, Reißen, Drängen und Reiben,
Wie funterbunt die Wirthschaft tollert,
Der Ameishauf durch einander kollert;
Mag dir aber bei Allem geschehn,
Als thätst in einen Zauberkasten sehn.
Schreib das dem Menschenvolk auf Erden,
Ob's ihm möcht eine Wizung werden.

Da macht sie ihm ein Fenster auf,
Zeigt ihm draußen viel bunten Hauf,
Unter dem Himmel allerlei Wesen,
Wie ihr's mögt in seinen Schriften lesen.

Wie nun der liebe Meister sich
An der Natur freut wunniglich,
Da seht ihr an der andern Seiten
Ein altes Weiblein zu ihm gleiten;
Man nennet sie Historia,

Mythologia, Fabula;

Sie ist rumpfet, strumpfet, bucklet und frumb,

Aber eben ehrwürdig darumb.

Sie schleppt mit keichend-wankenden Schritten
Eine große Tafel in Holz geschnitten;

Darauf seht ihr mit weiten Aermeln und Falten

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