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gerie in den um den Tiger gebildeten Kreis, welcher um Scho. nung des Löwen bat, der ebenfalls entkommen sei und seine Flucht weiter nach der linken Seite genommen habe. Die Befreiung der wilden Thiere wird darauf, da der Fürst die Unvorsichtigkeit des Mannes tabelt, dadurch motivirt, daß dieser bei der fürchterlichen Gefahr alle Besinnung verloren und die Thiere losgelassen habe, che der Brand die Bude ergriffen babe. habe. Die eisenbeschlagenen Kasten sind demnach gerettet, so daß man einen derselben benußen fann, um den Löwen, wenn man seiner habhaft geworden, ohne Gefahr zur Stadt zurückzuschaffen.

Ueber den Ort, an welchem sich der Löwe niedergelassen, werden wir sofort durch den berbeieilenden Wächter der alten Stammburg, dessen schon in der Exposition gelegentlich Erwähnung geschehen war, unterrichtet. Hinter der Ringmauer der alten. Stammburg hat sich der Löwe im Sonnenscheine am Fuße einer hundertjährigen Buche gelagert. Der Besizer der Menagerie verspricht, das Thier durch die Flöte und den Gesang des Knaben. zu zähmen, worauf der Fürst, da er des Löwen, wo möglich, zu schonen gedenkt, den Honorio auffordert, den schon in der Exposition beschriebenen Hohlweg, durch welchen der Löwe hinaufgekommen, zu beseßen und nicht eher zu schießen, bis sie nicht mehr im Stande seien, ihn zurückzuscheuchen; allenfalls sollten sie unten ein Feuer anzünden, um ihn abzuhalten. Der Mann aber, der durch diese Gunst des Fürsten sich dankbar verpflichtet fühlt, wendet sich an diesen in einer lyrisch begeisterten Rede, in welcher er seine Weisheit preist. Gott hat dem Fürsten Weisheit gegeben und zugleich die Erkenntniß, daß alle Gotteswerke weise sind, jedes nach seiner Art." Diese waltende Hand einer weise Alles lenkenden Vorschung weist er in der unbelebten Natur nach, indem er der Felsen gedenkt, auf denen die alte Stammburg gegründet ist 1),

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1) Die Stücke zusammengestürzter Theile des Felsen, sagt er, springen von der Seite des Hanges, den sie bedecken, muthwillig tief hinab, wo der Bach sie aufnimmt, der sie zum Flusse bringt. „Nicht widerstehend, nicht widerspenstig, ecig, nein glatt und abgerundet gewinnen sie schneller ihren Weg und gelangen von Fluß zu Fluß, endlich zum Ocean, wo die Riesen in Scharen daher ziehen und in der Tiefe die Zwerge wimmeln.“ Er spricht offenbar von dem vor ihm sich erhebenden Felsen und kann daher auch nur den Fluß bei der Stadt verstehn. Wäre aber unter diesem der Rhein gemeint, so könnte er unmöglich sagen, die Felstrümmer gingen von Fluß zu Fluß, dürfte man überhaupt Alles in dieser Rede ganz genau nehmen.

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und er zeigt sie in der Thierwelt vom kleinsten Geschöpfe bis zum schönsten und größten, deren jedes seine besondere Bestimmung habe. So herrscht der Löwe als Gebieter über alles Gethier im Palmenwalde und in der Wüste, wo ihm nichts widersteht. Doch der Mensch weiß ihn zu zähmen und das grausamste der Geschöpfe 1) hat Ehrfurcht vor dem Ebenbilde Gottes, wonach auch die Engel gemacht sind, die dem Herrn dienen und seinen Dienern." Nicht durch seine Kraft zähmt der Mensch die Thiere, sondern der Wille des Herrn hat es bestimmt, daß er vor dem Antlige des Menschen Scheu und Ehrfurcht habe. Der gefangene Löwe wird sogleich zahm, und wenn man seine erste Ucberraschung oder Scham benust, so kann man ihn an sich gewöhnen, ihm den Maulkorb anlegen und ihn führen, wohin man will 2). Selbst der wildeste, von Hunger gequälte Löwe schent des Menschen, wenn der Herr es will, der dem Frommen seinen Engel sendet, ihn zu schüßen. ,,Denn in der Löwengrube scheute sich Daniel nicht, er blieb fest und getrost, und das wilde Brüllen unterbrach nicht seinen frommen Gesang." Der Dichter deutet hier und im folgenden Liede des Knaben auf die bekannte Stelle im Daniel hin, welcher, als der König am andern Morgen ängstlich nach ihm rief, antwortete (Dan. 6, 22): „Herr König, Gott verleihe dir langes Leben! Mein Gott hat seinen Engel gesandt, der den Löwen den Rachen zugehalten, daß sie mir kein Leid gethan haben." Wir dürfen hierbei nicht unerwähnt lassen, daß, wie die Personen des alten und neuen Testaments unserm Dichter in seiner frühesten Jugend sehr zusagten, besonders Moser's „Daniel in der Löwengrube“ große Wirkung auf das junge Gemüth geübt hatte 3), eine Wirkung, die sich noch in unserer, in die lezten Jahre des Dichters fallenden Novelle kunbgibt. Die Rede des Mannes, in welcher sich lyrische Bewegtheit und mystische Dunkelheit nicht verkennen lassen, zeugt von jenem altpatriarchalischen Glauben, der eine allgegenwärtige, unmittelbare Einwirkung der göttlichen Macht auf das. Schicksal

2) Dieses ist eine Uebertreibung, welche wir schon der aufgeregten Darstellung des Mannes zu Gute halten können; denn das grausamste Geschöpf ist der Tiger. Eben so wenig ist es buchstäblich wahr, daß dem Löwen kein Thier widerstehen könne; denn es ist bekannt, daß der Elephant, das Rhinoceros und das Flußpferd ihm Widerstand leisten.

') Vergl. Buffon VII, 406.

") Vergl. B. 20, 91. 168.

des einzelnen Menschen mit unerschütterlicher Ueberzeugung festhält, der an allem Wunderbaren und Seltsamen, was seiner gläubigen Phantasie geboten wird, eine rein kindliche, das Herz mit Andacht vor dem Höhern erfüllende Freude äußert. So glaubt er an die Riesen und Zwerge eben so fest, als an die Engel; nur versezt er jene Fabelwesen, welche eigentlich den Bergen angehören, in die weiteste Ferne, an das Ufer und in die Tiefe des Oceans 1).

Um das Seltsame und Wunderbare der darzustellenden Begebenheit glaubhafter zu machen, hat sich der Dichter mit wohlberechneter Kunst einer glücklichen Steigerung bedient. Schon die Klage der Frau hat etwas Wunderliches, ganz Eigenthümliches, zieht uns aber eher an, als daß wir uns abgestoßen fühlten. ,,Eine natürliche Sprache, furz und abgebrochen, machte sich eindringlich und rührend; vergebens würde man sie in unsere Mundarten überseßen wollen." Die lyrisch begeisterte Rede des Mannes verseßt uns in ganz eigenthümliche, unserer neuern Kultur fremde Vorstellungen und Anschauungen, die aber wundervoll in uns wiederklingen. Wie wunderbar und auffallend auch die ganze Erscheinung des Mannes ist, der Dichter hat sie uns so anschaulich und charakteristisch dargestellt, daß sie für uns wirkliches Leben gewinnt und alles Störende schwindet, ähnlich wie im Faust und den meisten Götheschen Balladen das Magische, Zauberhafte und Gespenstige durch die Kunst des Dichters als ein Wirkliches, Gegenständliches erscheint. Das Folgende, wie wunderbar es auch sein mag, ist nur eine Steigerung dessen, was der Dichter uns bisher so lebendig vorgeführt hat, und gewinnt gerade nach solchen Vorgängen an Glaubhaftigkeit 2).

,,Nach der pathetischen Rede des Mannes, die schon poetische Prosa ist", sagt Goethe (bei Eckermann I, 301), „mußte eine

1) Wir erinnern hier an die Darstellung beider im zweiten Theile des Faust (B. 12, 51 ff.), wo es von den Riesen heißt, sie seien am Harzgebirge wohl bekannt. Vergl. daselbst S. 127.

2) Diesen für die Würdigung der Novelle so höchst wichtigen Punkt hat Edermann II, 312 ff. übersehen, wenn er meint, einem Wunder, das heute geschehe, eine Art von Realität zu geben, es neben dem sichtbar Wirklichen als eine höhere Wirklichkeit zu verehren, scheine nicht mehr im Menschen zu liegen oder werde ihm durch Erziehung ausgetrieben. Doch wird dieses dem wahren Dichter insofern gelingen, als er seine Gestalten und Begebenheiten zu einer poetischen Gegenständlichkeit und Wirklichkeit erhebt; den Glauben an die prosaische Wirklichkeit erstrebt der Dichter nicht.

Steigerung kommen, ich mußte zur lyrischen Pocsie zum Liede übergehen." Die erste Streyhe des Liedes, welches der Knabe singt, während der Vater ihn mit der Flöte begleitet und die Mutter zuweilen als zweite Stimme eintritt, erinnert an die wunderbare Rettung Daniel's. In der zweiten Strophe schiebt das Kind die Zeilen in anderer Ordnung mit geringer Veränderung, wodurch die Zahl derselben um eine vermehrt wird, so durcheinander, daß es „dadurch, wo nicht einen neuen Sinn hervorbringt, doch das Gefühl in und durch sich selbst aufregend erhöht"; eigentlich wendet es das eben von Daniel Gesungene auf sich selbst an, indem es den frohen Glauben ausspricht, daß die Engel das fromme Kind gegen alle Gefahren schüßen, daß sie selbst auf und niederschweben und es durch ihren Gesang erfreuen.

Diese sanften frommen Lieder
Lassen Unglück nicht heran;
Engel schweben hin und wieder

Und so ist es schon gethan.

Die Macht wahrer Frömmigkeit und ächten Gottvertrauens wird in der dritten Strophe gefeiert, welche alle Drei zusammen. mit Kraft und Erhebung singen:

Denn der Ew'ge herrscht auf Erden,

Ueber Meere herrscht sein Blick;

Löwen sollen Lämmer werden

Und die Welle schwankt zurück;

Blankes Schwert erstarrt im Hiebe 1);

Glaub' und Hoffnung sind erfüllt;

Wunderthätig ist die Liebe,

Die sich im Gebet enthüllt.

Die beiden ersten Verse sprechen in einer Art Parallelismus, die auch in der Rede des Mannes hervortritt, die Macht Gottes über Meer und Erde aus. Vers 3 bis 5 deuten die Wunder an, welche der Herr wirkt, um den Glauben, die Hoffnung und die Liebe derjenigen zu belohnen, welche auf ihn bauen, was Vers 6-8 ausdrücken. Was Vers 3-5 betrifft, so bedürfen diese, besonders, weil diejenigen, welche bisher sich an ihnen versucht haben, ganz in die Irre gegangen sind, eine genauere Auslegung. Die Geschichte der Martyrer ist voll von solchen Fällen,

2) So glauben wir richtiger interpunktiren zu müssen. Bei Göthe selbst steht nach Vers 4 ein Punkt.

wo der Herr sich an seinen Gläubigen dadurch offenbarte, daß er die Todesarten, denen man sie überliefern wollte, ganz unwirksam machte. So ging Johannes der Evangelist unversehrt aus dem Oelkessel hervor, in welchem man ihn sieden wollte; so tranten Biele den Giftbecher ohne Schaden 1). Polykarpus und Fruktuosus wurden von den Flammen des Scheiterhaufens nicht ergriffen, welche vor ihnen zurückwichen 2). Drei ähnliche Wunder aus der Geschichte der Martyrer erwähnt Göthe hier.

Löwen werden Lämmer werden.

Schon die frühere Erwähnung des Daniel nöthigt uns, an Martyrer zu denken, welche, wie es häufig geschah, Löwen vorgewor fen wurden, ohne von diesen irgend verlegt zu werden. Im Briefe des heiligea Ignatius an die Römer bittet er diese, sie möchten für ihn beten, daß die Löwen, denen man ihn vorwerfen werde, seiner nicht schonten, wie es bei vielen früheren Marty rern der Fall gewesen; er werde sie auf alle Weise zu reizen suchen, bemerkt er, damit er ja von ihnen zerrissen werde 3). Der Knabe meint also, der Herr werde sich an seinen Gläubigen dadurch offenbaren, daß die Löwen, denen man sie vorwerfe, lammmild werden und sie nicht gefährden.

Aehnlich singt der Chor der Anachoreten am Schlusse des Faust (B. 12, 300):

Löwen sie schleichen stumm
Freundlich um uns berum,
Ehren geweihten Ort,
Heiligen Liebeshort.

Und die Welle schwankt zurück.

Eine andere Totesart, welche die Martyrer häufig erlitten, war das Ertränken im Flusse over im Meere. Die Legende erzählt uns, daß der heilige Quirinus, welcher mit einem Mühlsteine in die Tiefe gesenkt wurde, lange Zeit vom Wasser getragen wurde, bis Gott sein Gebet erhörte und ihn, damit er der Martyrerkrone theil

1) Bergl. das Evangelium des Marcus 16, 18 mit der Bemerkung des Theophylaltus. Von Barsabas (vergl. Apostelgeschichte 1, 23) erzählte dies Papias.

Vergl. Prudent. Peristeph. 6, 106 sqq.

3) Vergl. Euseb. Hist. eccles. VI. 1. VIII. 7.

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