Page images
PDF
EPUB

brauchbar gemacht hat, sie uns allein zeigen konnte, im ebeln Waidwerk, in welchem er uns auch in seiner nächsten dramatischen Arbeit, ,,der natürlichen Tochter" die höchsten Personen des Reiches vorführt.

"

Die Fürstin, welche am Jagdzuge selbst nicht Theil nahm, fellte, wenn wir richtig vermuthen vom Jagdschlosse aus am Abende einen Spazierritt dem Gemahle entgegen machen. Ihr Verhältniß zu ihrem jugendlichen Begleiter, der in der Novelle Honorio genannt wird, würde im Epos weiter ausgeführt und dieser selbst schon in den Gesprächen der fürstlichen Jäger uns geschildert worden sein. Daß in dem Epos Löwen und Tiger auf eine wunderbar überraschende Weise erscheinen sollen, beweisen schon die AnDeutungen in Göthe's und Schiller's Briefen. Natürlich konnten diese auch hier nur aus einer Menagerie entkommen sein, doch dürfte es nicht unwahrscheinlich sein, daß der Dichter um das Wunderbare dieser Erscheinung für die Jagdgesellschaft zu erhöhen, die Menagerie nicht in die Residenzstadt, sondern in eine andere benachbarte Stadt verlegt habe. Auch deutet Goethe's Ausdruck meine Tiger und Löwen", dessen er sich in einem Briefe an Schiller, wie wir oben sahen, bedient, sowie die Sache an sich genugsam an, daß hier mehrere Löwen und Tiger erscheinen sollten, welche wahrscheinlich die ruhig gelagerte Jagdgesellschaft aufschreckten. Die Verfolgung derselben würde einen der Glanzpunkte des Gedichtes gebildet haben. Einer der von den Jägern verfolgten Tiger stürzt der Fürstin entgegen, wird aber von ihrem Begleiter getödtet. Die Scene des knieenden Honorio, die Ankunft der Besißer der Menagerie und die Zähmung des einen Löwen, der sich vielleicht in den Hof des Jagdschlosses geflüchtet hatte, würde den Schluß des Gedichtes gebildet haben, der besonders nach der vorhergegangenen Schilderung fröhlicher Mordsucht" sehr ergreifend gewirkt haben würde. Der Oheim Friedrich, der später in der Novelle zur genauen Schilderung der Oertlichkeit und zur Steigerung der Angst beim Ausbruche des Brandes dient, sollte in dem Plane des Epos wohl selbst an der Jagd Theil nehmen. 1) Daß aber das Ganje

2) Göschel (Unterhaltungen II, 241) scheint in seiner Weise im Namen Friedrich eine Hindeutung auf den friedlichen Charakter des fürstlichen Cheims zu erkennen, was fast an die mystische Deutung des Namens, Jarno als,,ja und no mit dem recht eigensinnigen zwischentretenden r“ erinnert, die einst das literarische Conversationsblatt brachte. Eher dürfte man daran benfen, daß der Name des ehrsüchtigen Honorio nicht

zu einem eigentlichen Epos nicht geeignet sei, mußte Göthe besonders auf Schiller's und Humboldt's Erinnerung bald erkennen, da hier eine eigentliche Handlung erst gegen den Schluß bei der großen Gefahr, in welcher die Fürstin schwebt, oder frühestens bei der Erscheinung der Tiger und Löwen sich bildet. Mochte das Verhältniß zwischen der Fürstin und Honorio auch lebendiger entwickelt werden, so mußte es doch hinter der Beschreibung der Jagd zu sehr zurücktreten, als daß es den Träger der epischen Handlung hätte bilden könne.

Fast dreißig Jahre später, gegen Ende des Jahres 1826, als Göthe nach Vollendung der „Helena“ eine völlige Umarbeitung der Wanderjahre beabsichtigte, nahm er den Plan seiner Jagd," den er fast so lange mit sich herumgetragen hatte, wie die Legende vom Paria, wieder auf. Zufälliger Weise konnte er das alte Schema nicht finden, weshalb er ein neues zu machen genöthigt war. Erst nach der Vollendung der Novelle (denn diese Form schien ihm jezt die einzige dem Gegenstande gemäße) fand sich das alte Schema wieder, und er freute sich, daß er es nicht früher gehabt habe, weil dieses, da es für die prosaische Darstellung gar nicht anwendbar gewesen, ihn eher verwirrt, als gefördert haben würde. Sollte sich dieses alte Schema, was nicht unwahrscheinlich ist, noch im Nachlasse Göthe's finden, so würden die Herausgeber seiner Werke durch Mittheilung desselben einen sehr dankenswerthen Beitrag zur Geschichte unseres Dichters liefern. Hat man ja die

ohne Absicht gewählt sei. Auch möchte wohl bei dem Oheim Friedrich, wenn anders diese Person schon bei der ,,Jagd" vorschwebte, eine bestimmte fürstliche Person vom Dichter in ihren Hauptzügen dargestellt worden sein, von welcher er auch den Namen hergenommen haben lönnte. Man dürfte, wollte man eine Vermuthung wagen, an den Bruder der Herzogin Amalia, Friedrich August von Braunschweig - Oels, denken, der in Weimar im Jahre 1805 starb. Vgl. B. 27, 209. 420.

1) Vgl. Gespräche mit Eckermann I, 82 f.,,Mir drückten sich,“ sagt Göthe B. 40, 445.,,,gewisse große Motive, Legenden, uraltgeschichtlich Neberliefertes so tief in den Sinn, daß ich sie vierzig bis fünfzig Jahre lebendig und wirksam im Innern erhielt; mir schien der schönste Besiz solche werthe Bilder oft in der Einbildungskraft erneut zu sehn, da sle sich denn zwar immer umgestalteten, doch ohne sich zu verändern, einer reinern Form, einer entschiedenern Darstellung entgegen reiften.“

[ocr errors]

Schemata der Fortsetzung der natürlichen Töchter und der Pandora mit Recht in die Werke aufgenommen (B. 34. 347 ff.). Nach der Vollendung der Novelle verhandelte Göthe mit Eckermann mehrfach über dieselbe; auch kam die Frage, welchen Titel man der Novelle geben solle, zur Sprache. Wir thaten manche Vorschläge," erzählt Eckermann; „einige waren gut für den Anfang, andere gut für das Ende, doch fand sich keiner, der für das Ganze passend und also der rechte gewesen wäre. Wissen Sie was? sagte Göthe, wir wollen es die Novelle nennen; denn was ist eine Novelle anders, als eine sich ereignete unerhörte Begebenheit? Dies ist der eigentliche Begriff, und so vieles, was in Deutschland unter dem Titel Novelle geht, ist gar keine Novelle, sondern blos Erzählung oder was Sie sonst wollen. In jenem ursprünglichen Sinne kommt auch die Novelle in den Wahlverwandtschaften vor:" Unter den vorgeschlagenen Titeln waren ohne Zweifel „die Jagd“, „der Tiger und der Löwe", wie Eckermann (II. 307) selbst sie die Novelle vom Tiger und Löwen" nennt, und das Kind mit dem Löwen". Der erstere Titel wäre freilich unpassend gewesen, da die Jagd selbst nicht zur Darstellung kommt; der zweite wäre für eine Fabel geeignet gewesen, in welcher blos ein Tiger und ein Löwe auftreten. Wenn aber Göthe auch den Titel „das Kind mit dem Löwen" verwarf, welcher den eigentlich bedeutsamen Theil der Handlung deutlich bezeichnet, so that er es wohl blos darum, um nichts von der Handlung zu verrathen, da er sich gerade darauf etwas einbildete, wie wir aus den Gesprächen mit Eckermann (1, 288.) ersehen, daß man nicht ahnen könne, wie man sich des Löwen bemeistern werde.

Mit Recht bemerkt Eckermann (II, 307.), es liege in der Novelle eine gewisse Allgegenwart des Gedankens, welche daher zu kommen scheine, daß der Dichter den Gegenstand so viele Jahre in seinem Innern gehegt habe und dadurch so sehr Herr seines Stoffes geworden sei, daß er das Ganze, wie das Einzelne in höchster Klarheit zugleich übersehn und jede einzelne Partie geschickt dahin stellen konnte, wo sie für sich nothwendig war und zugleich das Kommende vorbereitete und darauf hinwirkte. Nun bezieht sich alles vorwärts und rückwärts und ist zugleich an seiner Stelle recht, so daß man als Komposition sich nicht leicht etwas Vollkommneres denken kann. Auch hebt er hervor, daß der Umfang des Gegenstandes gerade ein sehr günstiges Maß habe, sowohl für den Poeten, um alles klug durcheinander zu verarbeiten, als für den Leser, um dem Ganzen, wie dem Einzelnen mit einiger Vernunft wieder bei

"

zukommen. Neben dieser vollendeten Komposition bewundern wir in unserer Novelle die klarste Anschaulichkeit und lebendigste Vergegenwärtigung, wie wir sie selbst bei Göthe selten in so hohem Grade finden; wie in einem glänzenden Spiegel tritt uns alles im reinsten Bilde vor das Auge, so daß wir nicht den Bericht des Erzählenden zu hören, sondern selbst zu schauen glauben. Was Rahel von ,,Hermann und Dorothea" bemerkt, Göthe habe von der ersten bis zur lezten Zeile jenes Gedichtes so genau eine Gegend, einen Tag und sein ganzes Wetter und Schreiten dargestellt, daß es ein Element des Gedichtes sei und wie ein wahrer Tag, eine wahre Gegend es machen helfe, kann man mit demselben Rechte von unserer Novelle sagen, welche uns ganz in den Zustand des wirklichen Zuschauens versett.

Von höchster Besonnenheit der Kunst und innerster Klarheit des Dichters, der freilich auch fast ein Menschenalter den Stoff mit sich herumgetragen hatte, zeugt vor allem die Erposition der Novelle, in welcher alles dasjenige, was zur klaren sinnlichen Auffassung der darzustellenden Begebenheit gehört, auf die geschickteste Weise mitgetheilt wird, ohne daß wir die Absicht des Dichters voraus ahnen. können, welche nur derjenige erkennt, der die Novelle genau zergliedert. Göthe selbst bedient sich gegen Eckermann (1, 302.) eines treffenden Gleichnisses, um den Gang der Novelle darzustellen. "Denken Sie sich aus der Wurzel hervorschießend ein grünes Ges wächs, das eine Weile aus einem starken Stengel kräftige grüne Blätter nach den Seiten austreibt und zuleßt mit einer Blume endet. Die Blume war unerwartet, überraschend, aber sie mußte kommen; ja das grüne Blätterwerk war nur für sie da und wäre ohne sie nicht der Mühe werth gewesen."

An einem nebeligen Herbstmorgen unternimmt der Fürst eine Jagdpartie in das nahe Gebirge. Der Fürst, der, wie seine Gemahlin, von thätig lebhaftem Charakter ist und dem es, wie wir später hören, nicht an militärischen Erfahrungen fehlte, gehört der neuesten Zeit an, die ihn jene militärischen Erfahrungen in den Befreiungskriegen machen ließ. Sein Vater, heißt es gleich im Anfange, hatte noch den Zeitpunkt erlebt und genugt, wo es deutlich wurde, daß alle Staatsglieder in gleicher Betriebsamkeit ihre Tage zubringen, in gleichem Wirken und Schaffen, jeder nach seiner Art erst gewinnen und dann genießen sollte." Man hört hier jene Lehre durch, welche in den Wanderjahren so bestimmt hervorgeboben wird. Unter jenem Zeitpunkte ist offenbar die Revolution

zu verstehn. Ganz ähnlich nennt Göthe in den „Aufgeregten“ (B. 10, 190.) die Gräfin „eine Schülerin der großen Männer, die uns durch ihre Schriften in Freiheit gesezt haben, einen Zögling der großen Begebenheiten, die uns einen lebendigen Begriff geben von allem, was der wohldenkende Staatsbürger wünschen und verabscheuen muß". Und in den venediger Epigrammen werden auch die Großen aufgefordert Frankreich's traurig Geschick zu bedenken (Nro. 54.), und sie werden angewiesen redlich für das allgemeine Beste zu sorgen (Nro. 52, 56, 58.). Der Fürst, der sich die Grundsäße seines Vaters angeeignet hat, wandte die höchste Sorgfalt dem materiellen Glücke seines Landes zu, das er auf jede Weise zu fördern bestrebt war. War er doch mit seiner vor kurzem angetrauten Gemahlin am gestrigen Tage durch das Getümmel der eben stattfindenden Messe geritten, um sie dort auf die Betriebsamkeit seines Länderkreises aufmerksam zu machen, indem er ihr die mancherlei aufgehäuften Waaren zeigte; er hatte sie bemerken lassen, wie gerade hier das Gebirgsland mit dem flachen Lande einen glücklichen Umtausch treffe, wie beide hier so deutlich aussprechen, was sie brauchen und was sie wünschen. Selbst in diesen ersten Tagen nach der Vermählung bei der Anwesenheit so vieler Fremden hatte er sich mit den Seinigen vielfach über die Förderung des Wohlstandes seiner Länder unterhalten. Die eigentlichen Hofverguügungen schien er hierüber ganz vergessen zu haben, so daß es der wiederholten Aufforderung des Landesjägermeisters bedurfte, ihn bei der günstigen Jahreszeit und bei der Anwesenheit vieler fürstlichen Gäste zu einer Jagdpartie zu bestimmen. Diesem, dem Besten des Landes einzig gewidmeten Sinne des Fürsten entspricht es, daß er in seinem Lande kein Wild hegen läßt, als im hintern Gebirge, wohin sie jezt ziehen, um „die friedlichen Bewohner der dortigen Wälder durch einen unerwarteten Kriegszug zu beunruhigen“. Bet den meisten Charakterzügen des Fürsten scheint dem Dichter der Herzog Karl August von Weimar vorzuschweben, der sich die schwere Kunst des Regierens sauer werden ließ, da sich seine väterliche Sorge auf alle Verhältnisse seines Landes erstreckte. 1) Einen Gegensaß zum regierenden Fürsten, dessen ganzes Streben dem allgemeinen Besten gewidmet ist, bildet der fürstliche Oheim Friedrich, der sich in einem ruhigen, edelm Genusse geweihten Leben gefällt. Eben ist

1) Vgl. B. 2, 32, 34, 27, 54. Riemer II. 10 ff. 50. 76 f. 120 ff.

« PreviousContinue »