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gungen desselben zuvorzukommen (Präventionstheorie, Spezialprävention); oder

BB. als Nothwehr des Staats gegen den Uebertreter (Selbsterhaltungstheorie, oder Theorie der Nothwehr). bb. Oder die Bestrafung soll auf sämmtliche Bürger einwirken, indem Alle durch die Vollstreckung abgeschreckt werden sollen (Theorie der unmittelbaren Abschreckung). Gegen diese Classification der Strafrechtstheorieen, so viele Anerkennung fie auch gefunden hat, sprechen doch manche Bes denken, welche kurz berührt zu werden verdienen.

Erstlich ist die Eintheilung der absoluten Theorieen nicht bloß unvollständig, sondern sie erzeugt auch leicht die unrichtige Vorstellung, als ob die moralische und die rechtliche, die materiale und die formale Vergeltungstheorie eben so viele besondere Arten der, auf dem kategorischen Imperative des Sittengesehes beruhenden, absoluten Theorie seyen. Vielmehr stellen die rechtlichen Vergeltungstheorieen entweder eine materiale oder eine formale Vergeltung als Maaßstab der Strafe auf, und diesen legteren will auch die, von Bauer gar nicht berücksichtigte, dialectische Vergeltungstheorie, welche, so wenig wie die moralische, den Talionsmaaßstab zulassen kann.

Zweitens beruht die Eintheilung der relativen Theorieen in Vergütungs- und Verhütungstheorieen auf einer zum Theil unrichtigen Anwendung. So wie Bauer die Sache darstellt, sollte man meinen, daß mit alleiniger Ausnahme der Theorie von Welder, sämmtliche relativen Systeme die Strafe nicht als rechtlich nothwendige Folge einer in der Vergangenheit liegenden Verlegung, sondern nur in Beziehung auf die Zukunft (d. h. zur Erreichung in der Zukunft gelegener Zwecke) auffaffen. Im Sinne des relativen Systems verhält es sich aber gerade umgekehrt. Denn, wenn dieses die Strafe als ein rechtlich gebotenes Mittel zur Erhaltung der, durch das Verbrechen verlegten Rechtsordnung (des mittelbar verlegten Staats) auffaßt, so heißt dieß mit andern Worten: die Strafe soll das dem Staat zugefügte Unrecht wieder aufheben (tilgen, fühnen). Von diesem Gedanken sind nun zwar die Nüglichkeitstheorieen abgewichen, um für den Ge

seggeber und Nichter ein möglichst festes und brauchbares Strafmaaß aufstellen zu können. Allein den Rechts- und den Vertragssystemen (welche lettere in der Bauerschen Classification ganz fehlen) kann diese Inconsequenz im Allgemeinen nicht vorgeworfen werden; und selbst die Präventionstheorie sucht darzuthun, daß sie den Verbrecher nur um des verübten, und nicht um künftiger Uebertretungen willen strafe, wobei sie freilich für Sachgrund der Strafe ausgiebt, was nur Gelegenheitsgrund derselben ist. Hiernach ist es nicht nur zweckmäßiger, sondern auch der Sache selbst angemessener, im Sinne der obigen Darstellung die relativen Systeme in Vertrags-, in Nüglichkeits-, und in Rechtssysteme einzutheilen, wodurch zugleich die nach der Bauer'schen Classification unvermeidliche Zersplitterung der verschiedenen Abschreckungs-Theorieen (Ziff. 1, a und b, Ziff. 2, bb), und andere Inconvenienzen vermieden werden, wie z. B. wenn die Grolman'sche Spezialprävention (Ziff. 2, aa) fern von der Feuerbach'schen Generalpräventions-Theorie (Ziff. 1 a) classificirt, dargestellt und beurtheilt wird, obwohl sie zugleich auf Generalprävention beruht. Denn je mehr Zusammengehöriges aus einander gerissen wird, um so schwieriger wird dadurch der Standpunct nicht nur für den Beurtheiler, sondern auch für den Leser.

Die Ausbrücke: Nüglichkeits- (oder Nußens-) Theorieen und Gerechtigkeitstheorieen in dem Sinne, als ob jene (unbedingt) den relativen, diese (eben so unbedingt) den absoluten Theorieen entsprächen, hat dagegen Bauer mit Recht vermieden, weil diese Auffassung eine völlig verfehlte wäre. Zur Beseitigung aller Mißverständnisse dürften folgende historische Notizen nicht ungeeignet seyn.

Die Eintheilung der Strafrechtssysteme in Nüglichkeits- und Gerechtigkeitstheorieen, als angeblich correspondirend der in Deutschland üblichen Eintheilung in absolute und relative Theorieen, stammt vom Auslande her, und wurde hervorgerufen durch Bentham und dessen zahlreiche Schule, die, da sie aus der Rechtslehre wie aus der Moral den Rechtsbegriff völlig verbannte, und demselben den Begriff des Nugens substituirte (Bentham's Grundfäße der Criminalpolitik, bearbeitet von Hepp, Tübingen 1839,

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und kritische Zeitschrift für Gefeßgebung des Auslandes Bd. XI Nr. 25), mit Recht Vertheidiger einer Nüglichkeitstheorie genannt würde, und zwar nicht nur in Beziehung auf das Strafrecht, sondern das öffentliche Recht überhaupt, und das gesammte Civil- oder Privatrecht. Im Gegensaße von dieser rein criminalpolitischen Theorie des Strafrechts, wurde die von andern Schriftstellern des Auslandes dagegen aufgestellte Theorie der moralischen Vergeltung mit dem Namen Gerechtigkeitstheorie bezeichnet, indem die Eintheilung der Theorieen des Strafrechts in absolute und relative Theorieen im Auslande nicht üblich war, und zudem unter den legteren keine so weit geht wie Bentham, d. h. mit einem Läugnen des ganzen Rechtsbegriffs anhebt. Nach und nach wurde es indeß üblich, auch andere Systeme des Strafrechts mit dem Namen der Gerechtigkeitstheorie zu bezeichnen, wenn sie nur von dem Rechtsbegriffe ausgingen und an demselben festhielten, also weder im Sinne Bentham's und seiner Schule dem Recht den gemeinen oder individuellen Nußen substituirten, noch im Verlaufe des Systems in diesen Begriff verfielen. In diesem Sinne können, auffer Bentham's Theorie des Strafrechts, auch die Abschreckungssysteme, kurz alle Theorieen, welche einen Mittelzweck der Strafe als Nüglichkeitszweck aufstellen, d. h. welche von diesem das rechtliche Strafmaaß abhängig machen (und dadurch alle rechtliche Proportion zwischen Schuld und Strafe vernichten), Nüglichkeitstheorieen, und im Gegensaße von diesen Nußenstheorieen alle übrigen, absoluten und relativen Syfteme, welche von dem Rechtsbegriffe ausgehen und an demselben festhalten, Rechts- oder Gerech= tigkeitssysteme genannt werden. Nur in dieser Weise ist eine Vermittelung oder Ausgleichung der einheimischen mit der fremden Eintheilung möglich, und zugleich zweckmäßig.

S. 6.

Von dem legislativen Einflusse der
Strafrechtssysteme.

Nach diesen formellen Erörterungen bliebe noch die wichtige Frage übrig: ob überhaupt, und welchen Einfluß die Philosophie des Strafrechts seither auf die bürgerliche Strafrechtspflege aus

geübt habe, und welchen weiteren Einfluß man von ihr zu erwarten berechtigt sey? Denn auf dem Gebiete der practischen Philosophie darf nicht nur, sondern soll auch diese Frage aufgeworfen werden, weil es sich hier nicht von müssigen Speculationen handelt, sondern von practischen Grundsägen, welche ihre Anwendung auf die bürgerlichen Verhältnisse, und zwar auf einem Gebiete finden sollen, wo die höchsten irdischen Güter des Menschen auf dem Spiele stehen.

Wie schon die obige Ausführung (S. 2) ergiebt, so war es auch nicht Speculationssucht, sondern das practische Bedürfniß der damaligen Zeit, welches zur Begründung der höchsten Prinzipe des Strafrechts, namentlich zur Auffindung eines haltbaren Strafmaaßes führte; und ganz das nämliche practische Bedürfniß liegt auch noch gegenwärtig vor, indem für die Verbesserung der neueren Strafgeseßgebungen nicht nur in leßterer Beziehung, sondern auch in Beziehung auf den Umfang des Strafgebiets (d. H. mit Rücksicht auf die häufig ungebührliche Ausdehnung desselben) — im Interesse der bürgerlichen Gerechtigkeit und Humanität Vieles, ja sehr Vieles geschehen kann und soll. Eine Theorie des Strafrechts, welche sich nicht diese Aufgabe seßt, mag wohl die Zahl der bereits bestehenden Theorieen noch um eine weitere vermehren, allein für das Leben ist sie ohne allen Gewinn, daher ohne practisches Interesse.

Daß aber auch die neueren Strafgeseggebungen und Entwürfe, des In- wie des Auslandes, mehr oder weniger unter der Herrschaft des einen oder andern Strafrechtssystems, oder mehrerer derselben, zu Stande gekommen seyn werden, läßt sich nicht nur von vorne herein erwarten, sondern man kann auch diesen Einfluß sehr bestimmt nachweisen, wenn auch die Regierungs - Motive hin und wieder solches in Abrede stellen sollten. Zur Bestätigung dienen folgende Beispiele.

Das Str.G.B. für den Kanton St. Gallen vom J. 1819 stellt ein Strafensystem auf, welches auf dem Prinzipe der (analogen) Talion beruht, und von den Motiven in folgender Weise gerechtfertigt wird: Gerecht ist die Bestrafung, wenn für dieselbe das Verfahren des Schuldigen zur Regel genommen, und

gegen ihn nur angewendet wird, was er selbst gegen Andere verübte. Die „wohlverstandene“ Talion, indem fie für die jeder Verlegung entsprechende Strafart eine feste Regel abgiebt, verbindet (zugleich) wichtige Vortheile, daß nämlich der Schuldige sich nicht über die zugefügte Strafe beklagen kann, und daß sie (die wohlverstandene Talion) die ewige Wahrheit, daß das Böse sich gegen seinen eignen Erzeuger kehre, auch auf dem Rechtsgebiete anschaulich macht. Die Kette, als die schwerste Freiheitsstrafe, ist rechtliche Vergeltung roher und gefährlicher Gewaltthat gegen den Staat, wie gegen Leib, Freiheit und Eigenthum der Privaten. Die Strafe des Zuchthauses, verbunden mit Arbeit, ist Ausgleichung gegen größere Verlegungen, und für Fälle geeignet, wo der Verbrecher, unfähig am Vermögen zu büßen, nur durch Eingabe der Vermögenskräfte büßen kann; auch ist sie anpassend den schwe= reren Unzuchtsverbrechen. Deffentliche Schandausstellung ist die rechte Talion gegen Unwahrhaftigkeit und Tücke. Vermögensstrafen sind nur bei minder schweren Unzuchtsverbrechen zulässig.“ Ausserdem ist Todesstrafe für Mord, Hochverrath, für die schwerften Fälle des Aufruhrs 2c. (im Ganzen sehr verschwenderisch) festgesezt. Vgl. Mittermaier im neuen Archiv des Criminalrechts, Thl. 6. S. 18 fg.

Das Str.G.B. für Louisiana (von Livingstone) v. Jahr 1820 beruht auf dem Prinzipe der Prävention, und zwar in dreifacher Richtung: um Andere von der Begehung gleicher Verbrechen abzuschrecken (Generalprävention), um den Verbrecher auffer Stand zu sehen zu schaden (physische Prävention), und um ihn zu bessern und den Hang zur Wiederholung des Verbrechens in ihm zu ersticken (psychische Prävention). Nur eine diefem dreifachen Zwecke verhältnißmäßige Strafe soll angedroht werden. Zu gleicher Zeit aber soll die Strafe nicht von der Art seyn, daß sie nie zurückgenommen werden kann, oder dem Verbrecher einen unerseßlichen Nachtheil bringt. Denn Irrthum `bei der Annahme einer Ueberführung des Missethäters ist immer möglich; daher muß bei jeder zu bestimmenden Strafe auf diese Möglichkeit eines Irrthums Rücksicht genommen werden, Ausgeschlossen werden nach allen diesen Rücksichten folgende Strafen: Landes

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