Page images
PDF
EPUB

Polignac und Peyronnet, wenn sie sich in diese Regionen versteigen, gehen zu Grunde." Sobald sich indessen der erste Schreck gelegt hatte, begannen er und seine Gleichgesinnten ihre weitverzweigte Wirksamkeit, um aus jeder Blöße, welche der politische Freisinn sich gab, Vorteile zu ziehen. Klug benut, hätte die Nachwirkung der Julirevolution in Deutschland durch rücksichtslose Unterdrückung und Verfolgung, durch Zensur und Gefängnis, der deutschen Freiheitsbewegung für lange Zeit einen kräftigen Stoß geben können; sie hätte, (wie Metternich ein paar Jahre später von dem revolutionären Hambacher Feste sagte) anstatt ein Fest der Schlechten zu sein, zum Feste für die Guten werden können. Und Genz, der die Zukunft zuweilen finster genug gesehen hatte, konnte wirklich schon ein Jahr darauf schreiben: „Nun fort mit allen schwarzen Gedanken! Wir sterben nicht, Europa stirbt nicht, was wir lieben stirbt nicht. Wie viel bilde ich mir darauf ein, nie verzweifelt zu haben!"

Mittelatter
Romantik

3.

Byrons Einfluß auf Börne.

Antike klassik Deutschlands klassische Litteratur vor und während der Wende des Jahrhunderts war antikisierend, sowohl in Stoff als Form. Die darauf folgende romantische Litteratur hatte in den Stoffen und Formen das Mittelalter verehrt: beide hatten sie sich von der sie umgebenden Wirklichkeit, von den politischen wie sozialen Verhältnissen ihrer Zeit, abgewandt; keine von ihnen war unmittelbar auf die Umbildung derselben ausgegangen. Das Ideal schwebte entweder in Hellas' tiefblauem Aether oder im katholischen Himmel des Mittelalters. Jegt wurde es entschlossen auf die Erde herniedergezogen. Vor den Augen der Träumer und Streber erschien das moderne Ideal, welches kein mythisches Element mehr in sich barg. Und mit einer Hast und einem Ungestüm, welche oft genug die Prosaform zu einer journalistischen und die Poesie nur lyrisch oder rein fragmentarisch machte, gingen jezt die oppositionell veranlagten Dichter und

Schriftsteller zu Werke, um das moderne Leben mit seinem Inhalt in die Litteratur hineinzutragen. Da aber dieses Aneignen und Hineintragen gleichsam unter den Waffen geschah, so wurden Witz und Satire jezt in Deutschland hervorragendere Mächte als je zuvor, und, was Troß und Sturm gegen das Bestehende anbelangt, so schien die Stimmung und Begeisterung aus Goethes Jugend, aus der Sturm- und Drangperiode, wieder erwacht zu sein.

[ocr errors]

In diesem deutschen Geistesleben wirkte indessen und zwar vorbildlicher als irgend eine Persönlichkeit der Vergangenheit, eine sehr oft genannte, häufiger ungenannte, vereinzelte und außerdem noch ausländische Erscheinung: Lord Byron. Seine künstlerischen Schwächen und Mängel erkannte man in Deutschland erst viel später. Guzkow allein beurteilt ihn ungefähr seit 1835 verständig. Aber Byron, den schon Goethe bewundert und geliebt hatte*) wenn auch hauptsächlich nur wegen derjenigen Stücke, in denen der alte Meister seinen eigenen Einfluß zu finden glaubte Byron mit seinem unbändigen Troß und Thatendrang, mit seiner Verachtung der Unfreiheit, die sich unter den „Freiheitskriegen“ gegen Napoleon verbarg, mit seinem Auftreten für alle unterdrückten Völker, seinem Auflehnen gegen das gesellschaftliche Herkommen, seiner Sinnlichkeit und seinem Spleen, seiner leidenschaftlichen Freiheitsliebe auf allen Gebieten, wurde jezt durch seinen Tod als Befreier verklärt, die Verkörperung von Allem, was man unter modernem Geist und moderner Poesie verstand.

Wilhelm Müller, der Dichter der „Griechenlieder" besang ihn mit inniger Begeisterung. Byrons Stolz und seine Verachtung der Unfreiheit begegnen uns bei Platen, sein aristokratisches Wesen, sein Widerwille gegen Vorurteile, seine Reiselust, seine Liebe zur Natur und zu den Tieren, seine Anmut und seine Ironie finden wir beim Fürsten Pückler wieder. Wie bedeutend sein Einfluß auf die Gestaltung von Heines Dichterideal war, bedarf keines Nachweises; es fühlt dies unwillkürlich ein jeder

*) Vgl. Eckermann, Gespräche mit Goethe. Medwin, Gespräche mit Lord Byron. Leipzig 1898 Verlag von H. Barsdorf. A. d. U.

sofort, der mit der neueren europäischen Litteratur vertraut ist. Merkwürdig aber und zugleich lehrreich ist es zu beobachten, in welchem Lichte Byron dem ersten Pionier in der neuen deutschen. Litteraturrichtung, Börne, erschien, der dem englischen Dichter in Allem so ungleich war. Man sollte glauben, Börne würde an dem frivolen und koketten Wesen Byrons denselben Anstoß nehmen, wie an demjenigen Heines. Aber weit gefehlt! Man lese nur, in welchen Ausdrücken er sich über ihn äußert, nachdem er Moores Leben Byrons" studiert hat: er nennt (Briefe aus Paris Nr. 44) dies Buch „Glühwein für einen armen deutschen Reisenden, der auf der Reise durch das Leben friert." Er wird fast krank über solche Lebensführung: „Wie ein Komet, der sich keiner bürgerlichen Ordnung der Sterne unterwirft, zog Byron wild und frei durch die Welt, kam ohne Willkommen, ging ohne Abschied, und wollte lieber einsam sein, als ein Knecht der Freundschaft. Nie berührte er die trockene Erde; zwischen Sturm und Schiffbruch steuerte er mutig hin, und der Tod war der erste Hafen, den er sah. Wie wurde er umhergeschleudert; aber welche selige Insel hat er auch entdeckt! . Das ist die königliche Natur . . . Denn König ist, wer seinen Launen lebt. Ich muß lachen, wenn die Leute sagen, Byron wäre nur einige und dreißig Jahre alt geworden; er hat tausend Jahre gelebt. Und wenn sie ihn bedauern, daß er so melancholisch gewesen! Ist es Gott nicht auch? Melancholie ist die Freudigkeit Gottes. Kann man froh sein, wenn man liebt? Byron haßte die Menschen, weil er die Menschheit, das Leben, weil er die Ewigkeit liebte . . . Ich gäbe alle Freuden meines Lebens für ein Jahr von Byrons Schmerzen hin."

Wie man sieht, nimmt Börne bei Byron nicht nur alles ernst, sondern er sieht in ihm auch nicht den Genußmenschen, der ihn gerade bei Goethe so sehr abstieß. Und, was am auffallendsten ist, Börne findet seine eigene Natur mit der Byrons verwandt. Er schreibt: „Vielleicht fragen Sie noch verwundert, wie ich Lump dazu komme, mich mit Byron zusammenzustellen? Darauf muß ich Ihnen erzählen, was Sie noch nicht wissen. Als Byrons Genius auf seiner Reise durch das Firmament auf die Erde kam, eine Nacht dort zu verweilen,

stieg er zuerst bei mir ab. Aber das Haus gefiel ihm gar nicht, er eilte schnell wieder fort und kehrte in das Hotel Byron ein. Viele Jahre hat mich das geschmerzt, lange hat es mich betrübt, daß ich so wenig geworden, gar nichts erreicht. Aber jezt ist es vorüber, ich habe es vergessen und lebe zufrieden in meiner Armut. Mein Unglück ist, daß ich im Mittelstande geboren bin, für den ich nicht passe."

Solche Worte legen am besten Zeugnis ab von dem Zauber, den Byrons Schatten noch über die Geister der leitenden Persönlichkeiten ausübte.

Der Wert der Litteratur von 1820-1848.

Unter solchen Verhältnissen und Einflüssen bildete sich nun Deutschlands oppositionelle Litteratur während der Zeit von 1820-1848. Wenn man eine so große Gruppe geistiger Schöpfungen überblickt, so sieht man sich natürlicherweise zuerst im allgemeinen in der Menge von Aktenstücken nach Nachrichten um, wie die Menschen jener Zeit und jenes Landes fühlten und dachten, in welcher Form ihre Bildung hervortrat, welche Gestalt ihr Hoffen und Wünschen, ihre Menschen- und Freiheitsliebe, ihr Rechtsgefühl und ihr politisches Denken annahm, und endlich, wie ihr Geschmack beschaffen war: wie der schreiben mußte, der sich Gehör und lebendiges Interesse verschaffen wollte. Also wird unsere historische Wißbegierde in dieser Hinsicht befriedigt.

Darauf entsteht unwillkürlich die Frage, nach dem Werte dieser Litteratur.

Von einer sehr großen Anzahl Schriftsteller bleiben, wie bekannt, nach Verlauf von ein paar Menschenaltern immer nur einige wenige übrig, welche man noch ferner liest. Von einer ungeheuren Anzahl von Werken bleiben nur einige wenige be-. stehen, die man noch benußt. Thatsächlich kennt und liest man in unserer Zeit außerhalb Deutschlands nur sehr wenige von den Werken der Geister jener Periode. In Deutschland natür

lich weit mehr, immerhin aber liest das Publikum eine verhältnismäßig nur kleine Anzahl der Werke aus jener Zeit. Die Zeit ist es, welche da die erste und gröbste Kritik ausübt.

Von allen Männern jener Zeit, und zwar von den Denkern, liest man außerhalb Deutschlands heute nur noch Feuerbach - doch wenig — und Schopenhauer stark. Dieser lettere gehört mit seinem Einfluß auf die Geister einer späteren Periode an; beide Denker aber liest man noch weit weniger wegen ihres inneren Gehaltes, als ihres originellen und kühnen Stiles halber. Von den Dichtern wird nur Heine außerhalb Deutschlands viel und beständig gelesen. In Deutschland betrachtet und beurteilt man ihn als die Brennnessel im Garten der Litteratur. Die Historiker verbrennen sich an ihm die Finger und thun ihn dann in den Bann. In Litteraturgeschichten und Leitartikeln bezeichnet man seine Prosa als veraltet und seine Poesie als gekünstelt, während man gleichzeitig seine Werke in zahllosen Ausgaben neudruckt, da jezt das Verlagsrecht freigeworden ist.

In Deutschland wird er indessen ebensoviel gesungen als gelesen. Es giebt mehr als 3000 Kompositionen seiner Gedichte. Bereits vor 10 Jahren hatte sich die Anzahl der Kompositionen für eine Singstimme (von Duetten, Quartetten und Männerchören gänzlich abgesehen) auf 2500 belaufen. Das Gedicht Du bist wie eine Blume" ist 160mal, „Ich hab im Traume geweinet“ und „Leise zieht durch mein Gemüt“ je 83mal, „Ein Fichtenbaum steht einsam" 76mal, „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten" 37mal komponiert. Unter diesen Kompositionen befinden sich zahlreiche von Schubert's, Mendelssohn's, Schumann's, Brahm's, Robert Franz's und Rubinstein's schönsten Liedern, von denen jedoch dem Dichter selbst nur einige wenige bekannt waren.*) Heine ist von allen deutschen Lyrikern derjenige, dessen Gedichte am häufigsten komponiert worden sind. Erst nach ihm mit seinen 3000 komponierten Gedichten folgt Goethe mit etwa 1700, und dann erst kommen in weitem Abstande die anderen Dichter.

Außerhalb Deutschlands ist sein Ruf jedoch nicht nur un

*) Vergl. Nassen, Neue Heine-Funde. 1898. pag. 28 ff. A. S. U.

« PreviousContinue »