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Freude und Gesang, ganz Schwert und Flamme vielleicht auch ganz toll!"

...

Er erzählte unter anderem, daß der Fischer, welcher ihn. einige Tage später nach der Düne hinüberruderte, wo man badete, ihn mit den Worten angelacht habe: „Die armen Leute haben gesiegt", und Heine erstaunt über den richtigen Instinkt des geringen Mannes. Und doch waren es gerade im Gegenteil die reichen Leute, welche schließlich die Sieger und die Herren blieben.

Aber schon eine solche Aeußerung, wie die eben angeführte zeigt, wie die deutschen Schriftsteller die Julirevolution auffaßten. Sie erfüllte sie mit denselben religiösen Empfindungen, mit welchen vierzig Jahre früher die derzeitigen leitenden Geister in Deutschland die große Revolution erfaßt hatten. Sie galt ihnen nicht als ein Ausschlag der Kraft und Fähigkeit der liberalen Bourgeoisie, um die niederen Klassen für sich arbeiten und bluten zu lassen, sondern sie war ihnen im allgemeinen das Signal zur politischen, ökonomischen und religiösen Befreiung des Menschengeschlechtes. Sie war für sie die Großthat, welche mit einem Schlage das Joch vom Volke und den Druck von den Gemütern abschüttelte.

2.

Der Wert der Litteratur von 1820-1848. Heine.

Unter solchen Verhältnissen und Einflüssen bildete sich nun Deutschlands oppositionelle Litteratur während der Zeit von 1820-1840. Wenn man eine so große Gruppe geistiger Schöpfungen überblickt, so sieht man sich natürlicherweise zuerst im allgemeinen in der Menge von Aktenstücken nach Nachrichten um, wie die Menschen jener Zeit und jenes Landes fühlten und dachten, in welcher Form ihre Bildung hervortrat, welche Gestalt ihr Hoffen und Wünschen, ihre Menschen- und Freiheitsliebe, ihr Rechtsgefühl und ihr politisches Denken annahm, und endlich, wie ihr Geschmack beschaffen war: wie der schreiben mußte, der sich Gehör und lebendiges Interesse verschaffen

wollte. So wird unsere historische Wißbegierde in dieser Hinsicht befriedigt.

Darauf entsteht unwillkürlich die Frage, nach dem Werte dieser Litteratur.

Von einer sehr großen Anzahl Schriftsteller bleiben, wie bekannt, nach Verlauf von ein paar Menschenaltern immer nur einige wenige übrig, welche man noch ferner liest. Von einer ungeheuren Anzahl von Werken bleiben nur einige wenige bestehen, die man noch benutt.. Thatsächlich kennt und liest man in unserer Zeit außerhalb Deutschlands nur sehr wenige von den Werken der Geister jener Periode. In Deutschland natürlich weit mehr, immerhin aber liest das Publikum eine verhältnismäßig nur kleine Anzahl der Werke aus jener Zeit. Die Zeit ist es, welche da die erste und gröbste Kritik ausübt.

Von allen Männern jener Zeit, und zwar von den Denkern, liest man außerhalb Deutschlands heute nur noch Feuerbach - doch wenig - und Schopenhauer stark. Dieser lettere gehört mit seinem Einfluß auf die Geister einer späteren Periode an; beide Denker aber liest man noch weit weniger wegen ihres inneren Gehaltes, als ihres originellen und kühnen Stiles halber. Von den Dichtern wird nur Heine außerhalb Deutschlands viel und beständig gelesen. In Deutschland betrachtet und beurteilt man ihn als die Brennnessel im Garten der Litteratur. Die Historiker verbrennen sich an ihm die Finger und thun ihn dann in den Bann. In Litteraturgeschichten und Leitartikeln bezeichnet man seine Prosa als veraltet und seine Poesie als gekünstelt, während man gleichzeitig seine Werke in zahllosen Ausgaben neudruckt, da jezt das Verlagsrecht freigeworden ist.

In Deutschland wird er indessen ebensoviel gesungen als gelesen. Es giebt mehr als 3000 Kompositionen seiner Gedichte. Bereits vor 10 Jahren hatte sich die Anzahl der Kompositionen für eine Singstimme (von Duetten, Quartetten und Männerchören gänzlich abgesehen) auf 2500 belaufen. Das Gedicht ,,Du bist wie eine Blume" ist 160mal,,,Ich hab' im Traume geweinet“ und „Leise zieht durch mein Gemüt" je 83mal, „Ein Fichtenbaum steht einsam" 76mal, „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten" 37mal komponiert. Unter diesen Kompositionen

befinden sich zahlreiche von Schubert's, Mendelssohn's, Schumann's, Brahm's, Robert Franz's und Rubinstein's schönsten Liedern, von denen jedoch dem Dichter selbst nur einige wenige bekannt waren.*) Heine ist von allen deutschen Lyrikern derjenige, dessen Gedichte am häufigsten komponiert worden sind. Erst nach ihm mit seinen 3000 komponierten Gedichten folgt Goethe mit etwa 1700, und dann erst kommen in weitem Abstande die anderen Dichter.

Außerhalb Deutschlands ist sein Ruf jedoch nicht nur unangefochten, sondern im steten Wachsen und Steigen begriffen. In Frankreich beschäftigt er die Geister wie ein Zeitgenosse. Er ist der einzige fremde Dichter, den die Franzosen als einen der Ihren und zwar als einen ihrer Größten betrachten. Es kommt gegenwärtig in französischen Büchern kein fremder Schriftstellername so häufig vor, als seiner, und keinen erwähnt man mit größerer Bewunderung, selbst nicht denjenigen Shelleys oder Poes. Edmond de Goncourt gebrauchte den starken Ausdruck, daß ihn alle modernen französischen Schriftsteller im Vergleich mit Heinrich Heine an Handlungsreisende erinnerten, und eine von Théophile Gautiers Lieblingsredensarten war, daß die Philister damit gestraft werden müßten, Steine zu einer Pyramide über Heine's Grab herbeizuschleppen.

Es wird häufig von verschiedenen größeren Gesellschaften die Frage aufgeworfen, wie man verfahren müsse, um sich eine ganz erlesene Büchersammlung von hundert der allerbesten Bücher zusammenzustellen. Die Antworten lauten natürlich sehr verschieden. Doch Heine's Name wird man in allen romanischen und slavischen Ländern als einen der ersten auf allen Listen finden. In England stehen gewöhnlich 90 englische Bücher und 10 fremdländische auf der Liste, aber Heinrich Heine ist mit darunter. Der Glaube, daß man 100 Bücher finden könne, welche alle Menschen für die lesenswertesten halten würden, ein Glaube, der von der protestantischen Vorstellung abgeleitet ist, daß es ein Grundbuch dieser Art gäbe, ist natürlich kindlich und jene Frage nur insofern interessant,

*) Vergl. Nassen, Neue Heine-Funde. 1898. pag. 28 ff.. A. d. 11.

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als sie zeigt, welches ganz unpersönliche Bildungsideal den Fragern wie den unbefangen Antwortenden vorschwebt. Lehrreich ist es indessen zu beachten, wie die Antworten in gewissen bestimmten Fällen in Betreff Heines gelautet haben. Da trat vor einigen Jahren in Deutschland keine geringe Verwunderung zu Tage, als man eine große Anzahl englischer Listen veröffentlichte und auf allen Heinrich Heine, und zwar am häufigsten von allen deutschen Dichtern fand; es waren dabei sogar Listen, auf denen kein einziges Buch von Goethe verzeichnet stand.

Dieser Weltruf beruht indessen nicht einzig und allein auf Heines Vorzügen, sondern auch darauf, daß in seinen Werken eine große Anzahl Stücke enthalten sind, welche zum Verständnis nur eine ganz geringe Bildung erfordern, deren Genuß auch keinen Seelenadel bedingt, während bei anderen Teilen seelischer Adel eher ein Hindernis für den Genuß bildet. Das beweist aber doch nur glänzend, daß sein Talent dennoch in seiner Richtung das größte seiner Zeit war.

Wenn sich also der litterarische Wert eines Kunstwerkes in seinem Widerstandsvermögen gegen die Zeit und in seiner Fähigkeit, sich außerhalb seines Vaterlandes Leser zu gewinnen, kundgiebt, dies Widerstands- und Ausbreitungsvermögen aber dennoch gar keinen Maßstab für den Wert abgiebt, worauf beruht derselbe dann? Auf der Ursprünglichkeit und Stärke des Seelenlebens und der Gemütsbewegung, für welche das Werk im Verein mit seiner Fähigkeit, uns diese mitzuteilen, der Ausdruck ist. Alle Kunst ist ein Ausdruck für eine Gemütsbewegung und hat wieder den Zweck, Gemütsbewegungen hervorzurufen. Je tiefer ein kostbarer Stein ausgeschnitten ist, desto schärfer und deutlicher sehen wir später das Bild im Wachsabdrucke.

Je tiefer der Eindruck in der Seele des Künstlers, umso deutlicher und bedeutender auch der künstlerische Ausdruck. Die Gemütsbewegungen des Künstlers unterscheiden sich nur dadurch von denjenigen anderer Menschen, daß sie in seiner Seele die Erinnerungen auf eine Weise bilden, welche bewirkt, daß sie nach ihrer Ausbildung die Zuhörer oder Leser gewissermaßen anstecken.

Die Frage, welche ein einzelnes Werk uns beantwortet, ist also dann folgendermaßen: Wie weit reichte des Verfassers Blick? Wie tief vermochte er in seine Zeit einzudringen? Wie eigentümlich hat er Freude und Sorge, Wehmut und Liebe, Begeisterung und Menschenverachtung gefühlt? Wir sagen: ein so starkes Entseßen und solchen Abscheu hat Dummheit oder Schlechtigkeit ihm eingeflößt. So beißend und wizig hat er sich und uns auch an dem durch Dummheit oder Schlechtigkeit Verächtlichen gerächt. Heine aber ist derjenige unter den zeitgenössischen Geistern, der uns hinsichtlich der Beantwortung dieser Frage am meisten interessiert.

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Niemals stand das Ansehen jener Litteraturgruppe in Deutschland, besonders in Norddeutschland, so niedrig, als in unseren Tagen. Die Schriftsteller, welche um das Jahr 1830 die Gewaltherrschaft in allen ihren Gestalten bekämpften, die man damals überall, soweit die deutsche Zunge reichte, auf das Drückendste empfand, sind jezt von einer Unbeliebtheit betroffen, welche, wie es scheint, nur langsam weichen wird. Das ist erklärlich. Denn das jezt lebende jüngere Geschlecht in Deutschland, welches des Reiches Einheit erlebt hat jene Einheit, welche damals als phantastisches Hirngespinst betrachtet wurde und auch gesehen hat, wie Deutschland schnell entschlossen seine ganze Macht entfaltete und siegreich in all seinen Unternehmungen war, dies jüngere Geschlecht hat nur wenig Interesse für jene alten Träumereien, mit denen man die Einheit zu Stande bringen wollte, und es langweilt sich umsomehr bei jenen Schriftstellern mit ihrem ewigen Gespött über den deutschen Michel, als der Erfolg bewiesen hat, wie praktisch und mutig dies verspottete Deutschland sein konnte, sobald die Gelegenheit hierzu gegeben ward.

Besonders wurden seit dem deutsch-französischen Kriege diejenigen Schriftsteller von einer Art Bann betroffen, welche vor einem halben Jahrhundert beständig Frankreich auf Deutschlands Kosten erhoben oder fortdauernd betont hatten, daß die Freiheit Deutschland jene Güter vermitteln würde, die ihm nun Bismarck gebracht hat. Man betrachtete sie als schlechte Patrioten und thörichte Weissager. Nur eine geringe Minderzahl

6.

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