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Heinrich Heine.

Vorwort.

Am 13. Dezember 1897 sind hundert Jahre entschwunden, seit Heinrich Heine geboren ward und fast zweiundvierzig Jahre seit seinem Tode. Aber er gehört zu jenen Toten, welche leben. Das elastische, kraftvolle Leben, das er seinen Versen und seiner Prosa eingehaucht hat, fesselt Geschlecht auf Geschlecht an seine Schriften. Noch ist die Zeit nicht vorbei, wo die Sechzehnund Siebzehnjährigen aus einem geliehenen Exemplar des „Buches der Lieder“ sich Verse abschreiben, um selbe immer wieder lesen zu können. Noch giebt es dreißigjährige Männer und Frauen, welche durch den kriegerischen Wit in Heines Satiren erweckt und angeregt werden und in seinem „Wintermärchen“ einen Anreiz für ihre Lebensgeister, Nahrung für ihre Begeisterung, ihren Zorn und ihren Thatendrang finden. Die noch Aelteren kennen das Meiste auswendig.

Der Name Heinrich Heine enthält gleichsam durch den im Vor- und Zunamen vorkommenden hellen, scharfen Flötenlaut des Doppelvokals etwas Bezeichnendes. Derjenige, welcher diesen Namen trug, war ein gar lockender Flötenspieler, der zu seinen Lebzeiten einen großen Teil Europas als Lauscher seiner Töne gewann, und jezt seine Zuhörerschaft rund um den Erdball verteilt besitzt.

Heinrich Heine war durch seine Abstammung Orientale, durch Geburt und Erziehung Deutscher, durch einen großen Teil seiner Bildung Franzose, geistig endlich Kosmopolit, und zwar in ausgeprägterer Weise als irgend ein anderer Dichter, mit Ausnahme von Goethe.

Brandes, Börne und Heine.

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Kein Dichter von israelitischer Abstammung hat seit den Zeiten Jehuda ha Levi's und Mose ben Esra's solch' einen dichterischen Höhenflug erreicht; jedoch gleicht Heine keineswegs diesen seinen großen Vorgängern. Er zeigt, wie etwas später Disraeli in England, Lassalle in Deutschland, Gambetta in Frankreich, den Bruch, unter welchem die Eigenschaften seiner Rasse sprühten, als die moderne Kultur über dieselbe hereinbrach und sie traf, wie der Stahl den Feuerstein. Als Deutscher gehört Heine der deutschen Romantik an, besißt deren Grundstimmung: Schwärmerei, ihren Wohllaut und ihr Kolorit. Aber als Deutscher ist er zugleich ein Schüler Goethes und Hegels, besigt beider Hellenismus, etwas von dem heidnischen Geiste des ersteren, etwas von der Dialektik des anderen in seinem Wiz. Als Kosmopolit vereinigt er germanische Gefühlsromantik mit französischem Esprit und jüdischer Innigkeit, Wehmut und Schelmerei in einer Form, welche ebenso leicht verständlich als anziehend, seinen Schöpfungen Eingang in der ganzen Welt verschafft hat, so daß sie heutzutage in alle Sprachen übersetzt sind.

Das neue deutsche Reich hat sich geweigert, Heinrich Heine das Denkmal zu errichten, welches seine Verehrer ihm sehen wollten, und das er so gut entbehren kann. Desterreich-Ungarns Kaiserin mußte seiner Zeit notgedrungen ihren Beitrag für die Heine-Statue zurücknehmen. Selbst in der Provinzstadt, in der er geboren, war kein Play für seine Bildsäule zu haben. Und gegenüber dieser Haltung des deutschen Reiches haben nicht einmal die zeitgenössischen Franzosen den Gedanken aufgegriffen, ihm in Paris, das er so über alles geliebt und wo er die lezte Hälfte seines Lebens zugebracht hat, ein Denkmal zu errichten.*) Indessen hat außerhalb des deutschen Reiches sicherlich keiner, der in deutscher Sprache geschrieben hat, einen gleich großen Leserkreis wie er.

Die neuere europäische Litteratur ist reich, wie Noahs Arche. Sie besigt wilde und zahme Tiere, königliche Löwen und mächtige

*) Zeitungsnotizen zufolge ist ein solcher Plan jezt in Paris im Werke.

A. d. U.

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