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habe geprahlt, daß er die Polen wie ein Knäuel Zwirn zusammenwickeln wolle nun sei der Knäuel zur Bombe geworden, die ihn zerschmettert habe! Börne phantasiert dann noch über eine hierauf bezügliche Illumination von Paris. Am 18. März, als er nicht mehr an die Wahrheit jener günstigen Nachricht glauben kann, jagt er bereits einer neuen Chimäre nach: Alles gehe gut, denn jezt sei in Frankreich selbst eine neue Umwälzung nahe bevorstehend: „Die Lage der Dinge ist hier jezt so, daß ich jeden Tag, ja jede Stunde den Ausbruch der Revolution erwarte. Nicht vier Wochen kann das so fortdauern...'

Es ist ja sicherlich ein großer Beweis von Börnes Ehrlichkeit, daß er der Freundin gestattete, seine Briefe so abdrucken zu lassen, wie sie ihm aus der Feder geflossen, ohne den geringsten Versuch zu einer Redaktion zu machen, um diejenigen Stellen, denen die Thatsachen sofort ein kräftiges Dementi gaben, zu streichen oder zu mildern; doch stärkt dies unmöglich das Vertrauen zu seiner politischen Urteilsfähigkeit.

Zuweilen wird der Widerspruch zwischen dem, was er prophezeite und dem, was geschah, so auffällig, daß die Wirkung komisch ist. So will Börne (25. Dez. 1830) über Lafayettes Unentschlossenheit verzweifeln: „Er, wenn er wollte, könnte alles durchseßen. Er brauchte nur zu drohen, er würde das Kommando der Nationalgarde niederlegen und sich zurückziehen, und der König, die Minister und die Kammern müßten nachgeben." Am Tage darauf (26. Dez.) teilt er ganz trocken mit, daß man Lafayette seines Kommandos entsezt und daß kein Hund darüber gebellt habe. Wunderbar! sagt sich der Leser, daß ein so leidenschaftlicher politischer Beobachter nie den Drang gefühlt hat, politische Studien zu treiben und erst nach ge= wonnener Einsicht zu urteilen; aber er begnügt sich und ist -stets mit diesem rein feuilletonnistischen Gefühlsausbruch zufrieden, der heute wahr ist und morgen in den Ofen wandert.

Was Börne beständig in die Irre leitet, ist sein schon berührter naiver und fanatischer Optimismus, der stets aufs neue einen Grund findet, warum das Schlechte, was geschieht, doch das Beste sei. Im März 1831 zittert er für die Polen und

erklärt sich auf das Schlimmste gefaßt. „Aber“, fügt er hinzu, für die Russen würde dieser Sieg verderblicher sein, als es ihnen eine Niederlage wäre. Der erhabene Nikolaus würde dann übermütig werden und glauben, mit Frankreich ebenso leicht fertig zu werden, als mit den Polen." Welcher Trostgrund! — Beständig hofft Börne auf eine Revolution in Paris, welche die Throne stürzen soll. Aber sie bleibt aus. Schnell findet er da einen Grund, warum diese Ruhe Frankreichs den Fürsten am allergefährlichsten sei. Er schreibt: (30. Nov. 1831.) Frankreich war seit vierzig Jahren der Krater Europas. Wenn der einmal aufhört, Feuer zu werfen, dann ist kein Thron der Welt auf eine Nacht sicher .... Nichts war verderblicher für die Könige, als der Untergang Warschau's. Weil sie ein Wunder zerstört, glauben sie, sie könnten auch ein Wunder machen." Mit anderen Worten: Eine Revolution in Paris ist gut, feine ist noch besser. Polens Sieg würde der Könige Verderben, sein Untergang eine noch größere Gefahr für sie sein.

Aber dies hängt mit dem eigentümlichen Köhlerglauben zusammen, der nur selten einmal durch Zweifel der gesunden Vernunft unterbrochen wurde. Gewöhnlich besteht die Formel, in der Börne Trost sucht, darin, daß er sich auf Gott verläßt. Nikolaus rückt mit überwältigender Macht gegen die Polen Börne „verläßt sich auf Gott". Wohl ist es nur der polnische Adel, welcher sich erhoben hat, aber Börne „zählt auf Gottes Weisheit und seiner sogenannten Stellvertreter Dummheit." Er ist, sagt er, klüger als alle anderen in Frankreich, wie er es in Deutschland war; warum? Weil er „auf Gott und die Natur vertraut“, die anderen dagegen auf Menschen und Polizei.

Doch zuweilen zeigt sein Glaube Schwankungen. Wie wir gesehen, freute er sich zuerst über die Cholera, sah Gottes Finger in ihrem Kommen; sie würde sogar die Deutschen zur Revolution treiben. Nur zwei Monate später (19. Jan. 1831) schildert er die wirklichen Folgen der Cholera, des Volkes geistige Lähmung, welche das bischen Freiheit verdirbt, das noch übrig geblieben ist. Früher hieß es: die Best wird ver

mögen, was Nichts bis jetzt vermochte"; jezt gerade entgegengesezt: Was kein Kaiser von Rußland, kein Teufel verhindern könnte, das kann die Pest verhindern". Und er, der damals „Gottes nackte Hand" in ihrem Kommen sah, ruft jezt: „Dann kommen die Pfaffen und verkündigen Gottes Strafgericht"! Drei Vierteljahre später endlich (25. Nov.) zieht er sich mit einem humoristischen und ganz gedankenlosen Spaß aus dem Widerspruch: Selten schickt Gott ein himmlisches Strafgericht herab, die Verwaltung seiner Stellvertreter zu untersuchen, und so oft es noch geschah, wurde nichts dadurch gebessert. Die himmlischen Kommissäre waren auf der Erde fremd, gingen irre oder ließen sich wohl gar bestechen. Das haben wir ja kürzlich erst an der Cholera-Morbus gesehen, die, statt die Unterdrücker die Unterdrückten züchtigte. Nur dem hilft Gott, der sich selbst Hilft".*)

Nur ein einziges Mal, als Polens Untergang nahe bevorstehend schien, fühlt man, daß Börne ernstlich an seinem System unsicher wurde. (5. März 1831.) Wie gewöhnlich reitet er auf seinen Lieblingsworten: Gott, Teufel usw., als die Russen die Stärkeren waren, herum. Börne kommt zu diesem Resultat: Nicht Gottes Weisheit, nur die Dummheit des ·Teufels allein kann die Polen noch retten". Dann unterbricht er sich mit einer Frage: „Ach giebt es denn einen Gott? Mein Herz zweifelt noch nicht, aber der Kopf darf einem wohl davon schwach werden, und wenn was nüßt dem vergänglichen Menschen ein ewiger Gott? Wenn Gott sterblich wäre, wie ́der Mensch . . . dann würde er rechnen mit der Zeit und dem Leben, würde nicht so späte Gerechtigkeit üben und erst den entferntesten Enkeln bezahlen, was ihre Ahnen zu fordern hatten. Die Freiheit kann, sie wird siegen, früher oder später; warum siegt sie nicht gleich? Sie kann siegen einen Tag nach dem Untergange der Polen, soll einem das Herz nicht darüber brechen? . . . Giebt es einen Gott? heißt das Gerechtigkeit üben? Wir verabscheuen die Menschenfresser, dumme ́ Wilde, die doch nur das Fleisch ihrer Feinde verzehren. Aber, wenn

*) Börne, ges. Schriften, Bd. III. S. 75, 86, 172, 43, 99, 267.

die ganze Gegenwart, mit Leib und Seele, mit Freude und Glück, mit allen ihren Hoffnungen und Wünschen gemartert, geschlachtet und zerfezt wird, um damit die Zukunft zu mästen diese Menschenfresserei ertragen wir!“*)

Wenige Tage später wendet er sich jedoch wieder zu seinem bereits erwähnten Köhlerglauben und seinem troz aller Täuschungen unanfechtbaren Optimismus zurück.

Zuweilen findet man in diesen Pariser Briefen die reine Kannegießerei wie die Phantasieen über die Folgen der hannöverschen Revolte bisweilen Zeugnisse für eine rein einfältige Leichtgläubigkeit, wie z. B. wenn Börne sich einbilden läßt, daß es Metternich sei, der die Unruhen in Süddeutschland angezettelt habe, um sich Bayerns zu bemächtigen, während die Truppen anderswo in Anspruch genommen seien, oder, daß die französische Regierung auf nichts anderes finne, als die Dynastie Karls X. zurückzuführen, daß sogar Ludwig Philipp selbst damit einverstanden sei.**)

Sehr oft kommen jedoch auch Aeußerungen vor, welche lebendigen, politischen Sinn, großen, natürlichen Scharfblick für die gegebene Situation und ungewöhnliche Fähigkeiten verraten, um vorauszusehen, wie sich die Geschicke und Aufgaben der Zukunft gestalten werden. Schon am 9. November 1839, also nur vier Monate nach der Revolution, sieht Börne ein, daß nichts weiter geschehen ist, als daß die Industriellen zur Macht gelangt sind, die nichts haben als „Furcht und Geld“, und er ist sich ganz klar darüber, daß, da die lezte Revolution ihren Zweck nicht erreicht hat, indem die Machthaber darin nur eine Veränderung der Dynastie sehen wollen, eine neue Revolution nötig sei, und die bleibt gewiß nicht aus.“ Eine Woche später entwickelt er sogar mit ebenso vollkommenem Realismus als scharfer Logik, wie die Entwickelung vor sich gehen wird: Da die Industriellen, welche fünfzehn Jahre lang gegen alle Aristofraten gekämpft haben und jezt kaum gesiegt, eine neue, eine Geld-Aristokratie, einen Glücksritter- Stand bilden wollen, der

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*) Börne, ges. Schriften, Bd. III. S. 159, 160.
**) Börne, ges. Schriften. Bd. III. S. 39. 98. 270.

nicht wie der alte Adel, auf einem Prinzip beruht, sondern auf Vorrechten, welche an den Besitz gebunden sind, so wird das französische Volk mit seiner Leidenschaft für Gleichheit bei der nächsten Umwälzung das zu erschüttern versuchen, worauf die Vorrechte jezt gegründet worden: den Besit, und man wird Gräuel erleben, gegen welche die der früheren Revolution nur Scherz gewesen sind. Wie man sieht, ahnt Börne den Sozialismus als Macht und prophezeit die Kommune. Ein Jahr später (1. Dez. 1831) ist er seiner Sache noch so gewiß, daß er den' Ausdruck braucht: „der fürchterliche Krieg der Armen gegen die Reichen, der mir so klar vor den Augen steht, als lebten wir schon mitten darin ...." Und zu dieser Zeit ist er auch troh seiner moralischen Grundneigung zu dem Begriff gelangt, daß es eine Hauptsache sei, hinter das Recht auch die Macht zu stellen. Ist dies unmöglich, so bleibt die Aufgabe, die Herzen zu bewegen, die Geister aufzurütteln für ihre Sache und die Tyrannei mit Spott, Haß und Verachtung zu verfolgen. Bloße Ehrlichkeit und das reine Bewußtsein, Recht zu haben, nüze dagegen ganz gewiß nichts. Nein ihre Ehrlichkeit richtet sie zu Grunde. Sie meinen immer noch, es käme darauf an, Recht zu haben, zu zeigen, daß man es hat. Jezt sprechen sie für die Freiheit wie ein Advokat für einen Besit. Als käme es hier noch auf Gründe an!" (1. Febr. 1831.)

Im Grunde genommen ist es aber doch ein politischer Schwärmer, ein Freiheitsgläubiger, den man in diesen Briefen vor sich sieht, keine staatsmännische Natur. Wir begegnen, nicht nur einer Liebe für das niedere Volk, sondern einer Rousseau'schen Bewunderung für diejenigen, welche weder Reichtum noch Wissen verdorben“ hat, und zu dieser Bewunderung und Liebe gesellte sich ein beständig wachsender Haß gegen die legitimen Könige und Fürsten Europas, der im selben Verhältnis, wie Börne mit seinen Illusionen auch jedes Maßhalten fallen ließ, bis zur Vernichtungslust stieg. „Und mit zehn Ellen Hanf wäre der Welt Friede, Glück und Ruhe zu geben.“ Zwischen diesen beiden Polen: das Volk - die Fürsten, schwingen Börnes politische Gedanken ständig, es war des Zeitalters politischer Gedankenschwung. Und das Verharren bei

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