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Explosion vernommen hätte, eine abgerissene blutige Hand durch ein offenstehendes Fenster zu ihm hereingeflogen und auf den Schreibtisch, an dem er gesessen, niedergefallen sei. Ebenso wirkte die Einnahme Warschaus auf die deutschen Schriftsteller. Die abgeschlagene Hand des verstümmelten Polens fiel ohne jede Warnung auf ihren Schreibtisch nieder. Heine schreibt in seiner Vorrede zu Kahldorfs Buch über den Adel im Jahre 1831: „Ist es mir doch, während ich dieses schreibe, als sprigte das Blut von Warschau bis auf mein Papier und als hörte ich den Freudejubel der Berliner Offiziere und Diplomaten.“

Die drei Teilungsmächte waren gar schnell bei der Hand, diesen Sieg zur Ueberwältigung des bestürzten europäischen Liberalismus zu benußen, und zwar gleichzeitig in vier Ländern: in Deutschland, wo der Bundestag eine größere Reaktion herbeiführen und Preußen und Desterreich sie vollziehen sollten; in Italien, welches wieder von Desterreich beseßt, in Portugal, wo Dom Miguel gegen seinen Bruder geholfen, und in den Niederlanden, wo der König von Holland gegen das aufrührerische Belgien gestützt werden sollte.

Sofort nach Unterdrückung des polnischen Aufstandes wurde von Petersburg eine Note an die deutschen Regierungen. gerichtet. Rußland forderte sie darin auf, die revolutionäre Geistesrichtung in ihren Staaten im Zaume zu halten und bot hierzu seine Hülfe an. Die Zensur wurde verschärft, liberale Tagesblätter und Zeitschriften unterdrückt, während die Kammern der süddeutschen Staaten protestierten und die freisinnige Presse troz aller Verwarnungen und Drohungen mit jedem Tage eine leidenschaftlichere und rücksichtslosere Sprache führte. Man hatte nämlich bis jezt geglaubt, daß die Fürsten nur durch ihre Umgebung daran verhindert würden, dem Volke all das Gute zu gewähren, was es erwünschte. Dieser Glaube schwand nun. Man neigte im allgemeinen zu der Ansicht, daß die Vereinigung der deutschen Lande zu einem einzigen konstitutionellen und vor allem freisinnigen Staate nahe bevorstehend sei. Da man in politischer Hinsicht wenig vorausblickend, dagegen in allerhand optimistischen Anschauungen herangebildet war, so konnte man es sich nicht vorstellen, daß eine solche Bewegung, wie sie von

der Julirevolution hervorgebracht war, sich wieder verlieren. sollte, ohne das geringste politische Resultat ergeben zu haben. Die Verfechter des Liberalismus hatten die „Fortschrittsidee“ als Religion gepredigt; man glaubte eben, daß der Fortschritt unbedingt siegen und selbst jeder Reaktionsversuch ihm schließlich zu Gute kommen müsse.

In dieser Stimmung wurden die ersten Bände von Börnes Briefen aus Paris, die ihm die große Popularität einbrachten, aufgenommen. Sie wurden sofort verboten (November 1831). Dies Verbot und die Schmähworte, mit denen Börne von seinen Gegnern überhäuft wurde, vermehrten das Aufsehen, welches das Buch mit seiner freien Sprache erregte.

Der Stil, welcher bei Börne früher durchweg humoristisch war, ist es hier nur vereinzelt. Selten aber findet man hier jenen feinen, ergebenen Humor, der z. B. die typische Schilderung seiner nächtlichen Verhaftung und Gefangenschaft in Frankfurt im Jahre 1820 auszeichnet. „Ein Stiefelknecht wurde mir verweigert, um das traurige Bild knechtischer Dienstbarkeit fern zu halten. Messer und Gabel durfte ich nur im Beisein der Aufseher gebrauchen, damit ich mir kein Leid anthue. Schreibzeug und Papier wurde mir erst auf wiederholtes Bitten verabreicht und legteres zugemessen. Man fürchtete, ich möchte durch vieles Sißen und Schreiben meiner Gesundheit schaden. Jeden Abend untersuchte ein Wächter mit einer Laterne den Ofen, um zu sehen, ob er nicht etwa rauche und meinen schönen. Augen lästig fiele, und das Gitter am Fenster, damit kein Dieb von Außen hereinsteigen könne, um mich zu bestehlen“ usw.

Nur in der allerersten Zeit seines Pariser Aufenthaltes hält ihn sein Enthusiasmus über die vermeintlich wiedergewonnenen Resultate in einem beständigen Freudenrausch, so daß er noch leicht und frei scherzt, wie z. B. über die vielen Fürsten Heinrich von Reuß, Greiz, Schleiz, welche jetzt durch die Revolution in Gera für all die Qual gestraft würden, die sie ihm während seiner Schulzeit verursacht hatten, als er ihre Nummern lernen mußte. Bald jedoch weicht der Scherz aus seinem Brieftton und von dem alten Stil bleiben nur die energischen, treffenden Gleichnisse zurück.

Das Grundgefühl, wenn er an sein Vaterland denkt, ist Scham: Engländer, Holländer, Spanier, Italiener, Polen und Griechen haben in den Julitagen für die Freiheit der Franzosen mitgekämpft, die ja die Freiheit aller Völker bedeutete, aber keine Deutschen. Deutschland wird mit seiner Rechtspflege, ' seiner Zensur, seinen Zünften, bald Europas Antikenkabinet werden. Das Aergste ist ihm jedoch der loyale und unterthänige Geist in Deutschland: „Die Spanier, Italiener, Russen und andere sind Sklaven, die Völker deutscher Zunge sind Bediente. Aber Sklaverei macht nur unglücklich, erniedrigt nicht; doch Dienstbarkeit erniedrigt." (25. Jan. 1831.) Bei einem Welt-Essen" in Paris, wo Freisinnige aller Völker sprachen, hat er aus nationaler Scham sich nicht zu erheben. und für Deutschland zu sprechen gewagt. Er dachte, daß dieser Pole und jener Spanier, welche sprachen, ein Volk, ein Vaterland repräsentierten. „Aber was repräsentiere ich, an welche Thaten soll ich erinnern? Ich stehe allein, ich bin ein Lakai und trage," wie alle Deutsche, die Livrée des Grafen Münch-Bellinghausen." (14. Dezbr. 1831.)

In naher Verbindung mit diesem Schamgefühl steht eine Reizbarkeit, eine Neigung zur Entrüstung über Alles und Alle, welche in ihrer Maßlosigkeit eine gewisse Schwäche und etwas Krankhaftes aufweist. Alles ist zum Rasendwerden“; Alles, vom Größten bis zum Geringsten, von des Volkes Langmut und Saumseligkeit, einen Aufstand ins Werk zu sehen, bis zu einem unhöflichen Schreiben Spontinis an die Berliner Kapelle, von einem Vorschlage zu einer freigebigen Zivilliste für Ludwig Philipp bis zu einem unvollständigen Konversationslexikon! Allmählich sucht er Aerger förmlich als einen Nahrungsstoff für seine Entrüstung auf. Daher Wendungen, wie „ich bin vergnügt, denn ich habe mich geärgert", oder „Sie können mir keine größere Freude bereiten, als wenn Sie mir deutsche. Dummheiten mitteilen.“

Doch Scham und Zorn gehen in den ersten Jahren nach der Julirevolution in einem Meer von Hoffnungen unter, welches wie bei einem Orkan braust. Er hegte die feste Ueberzeugung, daß bald ein Weltbrand entstehen und darauf ein Sieg der

Freiheit folgen müsse, ähnlich, wie die ersten Christen an einen | nahe bevorstehenden Weltuntergang und das jüngste Gericht mit Errettung der Auserwählten und Verdammung der Verstockten glaubten. Er ist in einem Zustand der Erbitterung, der es ihm unmöglich macht, der Geschichtsschreiber seiner Zeit zu sein, aber zum Propheten fühlt er sich berufen, und, wenn nötig, „zwölf Bände durch". (30. Jan. 1831.)

Ach, nur die pessimistischen Propheten bekommen stets, früher oder später, Recht! Und Börne war ein optimistischer Prophet, ein Enthusiast, der stets in dieselbe Naivetät verfiel, das zu glauben, was er wünschte. Das französische Beispiel hatte ihm den Glauben beigebracht, daß die lezte Stunde der Reaktion jetzt gekommen sei. Er machte sich ernstlich darüber Vorwürfe, daß er sich schäme, die Hand dieses oder jenes Franzosen zu küssen, die Hand, die unsere Ketten zerbrochen, die uns freigemacht, die uns Knechte zu Rittern geschlagen." (17. Sept. 1830.) Und er weiß, daß das Ende nahe ist. Karl X. hatte irgendwo einen Grundstein gelegt und Börne meint, hieran anknüpfend, daß die Könige jezt aufhören sollten, sich dadurch lächerlich zu machen, daß sie noch beständig Grundsteine zu Gebäuden legten. Sie thäten besser, den lezten Ziegel auf dem Dache anzunageln. Denn die Zeit sei nahe, wo die fürstlichen Köche Morgens fragen würden: „Wem decken wir das wohl Mittags?" (19. Sept. 1830.) Auf die Frage, was er erwarte und denke, antwortete er einen Monat später, daß er die feste Ueberzeugung hege, daß ganz Europa im nächsten Frühjahre in Flammen stehen werde. Er bedauert die Diplomaten und hat Mitleid mit ihnen. Als der polnische Aufstand losbricht, glaubt er wohl nicht, daß es den Polen so leicht wie den Belgiern glücken werde, ihre Sache durchzusehen, da die Russen zu mächtig seien, doch hofft er, daß es gehen wird. Aber gleich einem Refrain kehrt die Wendung bei ihm wieder, daß sich jezt allmählich alle europäischen Staaten befreien werden und nur Deutschland werde in seinem jämmerlichen Zustande verbleiben. Und doch! zuweilen schaut er auch Deutschlands Erhebung im Geiste. Als die Cholera in Moskau wütet, glaubt er Gottes Finger darin zu erblicken, das ist wieder

Gottes nackte Hand! Die Fürsten werden gehindert, große Heere zusammenzuziehen und thun sie es doch ... Es ahnet mir, nein ich weiß es: die Pest wird vermögen, was nichts bis jetzt vermochte: sie wird das trägste und furchtsamste Volk der Erde antreiben und ermutigen". (3. Nov. 1830.) Nach und nach steigt auch sein Glaube an den Sieg der Polen, denn er urteilt, daß man stets siege, wenn man nur die Wahl zwischen Sieg und Tod habe; und zur Jahreswende 1830 ist er vom Untergang der Fürsten so überzeugt, daß seine „bescheidenen“ Wünsche für die Freundin zum neuen Jahre die sind, daß es ihnen beiden in demselben besser gehen möge, als Kaisern und Königen. Er wird seinem Diener sagen: „Wenn ein Kaiser kommt, sehen Sie ihm auf die Hände und lassen ihn nicht allein im Zimmer", und er schließt mit der Versicherung, daß im Jahre 1831 ein Dußend Eier teurer sein werden als ein Dußend Fürsten. (28. Dez. 1830.)

In seinem Briefe vom 8. Jan. 1832 erklärt er, daß, wenn die Polen sich nur nicht in Gefechte auf dem offenen Lande einlassen, die Russen, wenn auch noch so mächtig", verloren seien, außerdem führt er noch an, daß die Franzosen den Polen mit bewaffneter Hand zu Hilfe kommen würden: „Frankreich wäre ja ganz von Sinnen, wenn es diese Gelegenheit, Rußland zu schwächen, die nicht zum zweiten Male wiederkehrte, ungebraucht vorübergehen ließe." Am 11. Februar ist er seiner Sache ganz sicher: Es giebt bestimmt Krieg. Er hat zwar keinen Tag daran gezweifelt, aber Viele, welche jezt ihre Meinung geändert, wollten nicht daran glauben. Er bricht in den i Freudenruf aus: „Den Polen ist wieder eine Hilfe von oben gekommen; man hat hier ziemlich sichere Nachrichten, daß in einigen russischen Provinzen ein Aufruhr ausgebrochen.“ Am 6. März, als es bedrohlich genug für Polen aussah, erregte eine neue falsche Nachricht ihm Freuve. Ein Pariser Handelshaus hatte die Mitteilung erhalten, daß die Russen gänzlich zersprengt, und, was alles entscheide", daß Lithauen hinter deren Rücken aufgestanden wäre. Er jubelte bereits. In Zukunft würde man jedem Tyrannen mit den Polen drohen, wie man unartige Kinder mit dem Schornsteinfeger ängstige. Nikolaus

Brandes, Börne und Heine.

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