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dann erschrak er wohl über den Schlag seines Herzens, entsetzte sich über den Geist seiner gestorbenen Jugend; die Haare standen ihm zu Berge und da, in seiner Todesangst, „nach gewohnter Weise, um alle Betrachtungen los zu werden“ verkroch

er sich in einen geborstenen Schafsschädel und hielt sich da versteckt, bis wieder Nacht und Kühle über sein Herz gekommen! Und den Mann soll ich verehren! Den soll ich lieben? Eher werfe ich mich vor Fizli-Puzli in den Staub, eher will ich Dalai-Lamas Speichel kosten! . . .“*)

Börne hätte entschieden diesen Mann ehren müssen und gerade aus demselben Grunde, aus dem er seine Geringschätzung für ihn kundgiebt. Denn sein Ruhm strahlt wohl nirgends heller als in diesem Falle. Indem Börne hier zeigt, daß er sich wie alle anderen Besucher Venedigs in nichtssagenden Mondschein und Sonnenuntergangsschwärmereien ergangen, und sich in Erinnerung an die Seufzerbrücke, die Vernichtung der Tyrannei, den Segen der Freiheit und in Alles, was da funkelt und tönt, versezt haben würde - starrte Goethe auf den Schafsschädel. Und welche Bewandtnis hatte es denn damit? Derselbe war geborsten, und Goethe erkannte mit dem Seherblick des Forschers, welcher in die Tiefen der Natur, in des Lebens innerste Werkstatt, wo die Formen der Dinge entstehen, eindringt, jene große Wahrheit, die er vordem schon geahnt hatte: daß alle Schädelknochen aus verwandelten Wirbelknochen entstanden seien. Und so hatte er auch auf dem Gebiete der Osteologie eine Entdeckung gemacht, welche mit derjenigen verwandt war, welche er schon früher in seiner Schrift über die Metamorphose der Pflanzen dargelegt hatte; er begründete die philosophische Anatomie wie er zuvor die philosophische Botanik begründet hatte. Börne begriff nicht, daß dieser Geist, dessen Lebenswerk einer der Grundpfeiler im modernen Weltenbau wurde, hier mit seinem Sinn für Einheit in der Verschiedenheit der Formen, durch seine heilige Einfalt an die ältesten Erforscher der Wissenschaft im Altertum, an einen Thales, einen Heraklit, erinnert.

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Wie man gesehen hat, können Börnes Angriffe auf Goethes Menschenwert nicht gleichbedeutend mit denjenigen Menzels betrachtet werden. Sie sind nie boshaft, geschweige gemein. Sie charakterisieren sicherlich Börne weit schärfer als Goethe, während sie doch hier und da wunde Punkte bei dem großen Manne berühren; immer aber, selbst wo sie am meisten gegen Börnes Intelligenz sprechen, legen sie Zeugnis ab von der Reinheit seines Charakters. Sie vermochten nicht, die Bewunderung für Goethes Genie anzufechten. Es würde ebenso widersinnig sein, Goethe mit Börnes falschem, politischem Zollstock von 1830 zu messen, als Börne selbst mit dem falschen deutschen Maßstabe von 1870, wie man es heutzutage fertig bringt, indem man ihn zu demselben schlechten Patrioten stempelt, für den er Goethe hielt. Es war naturgemäß, ja notwendig, daß Börne Goethe geringschäßen mußte. Man versteht vollkommen dieses sein Nicht-Verstehen, wenn man auch nicht seinen Unwillen teilt. Und man kann in vollem Maße das brausende Pathos, die Sprünge seines Wizes und die schneidende Schärfe in seinen Schriften würdigen, und braucht dennoch keineswegs über den zischenden und schillernden Kaskaden seiner Prosa die Ausdehnung und Tiefe jenes stillen Ozeans zu vergessen, der Goethe heißt.

7.

Börne und Jeannette Wohl.

Börne steht mit seinen Briefen aus Paris und besonders mit dem ersten Bande dieses Werkes auf der Höhe seines Dichterruhmes. Weder Bücher, Abhandlungen, noch Untersuchungen war er zu schreiben im Stande, und für seine Stimmungsund Gedanken-Ausbrüche war keine andere Form so passend als die Briefform. Und dies sind wirkliche Briefe, keine Zeitungsartikel oder an irgend ein Blatt gerichtete Korrespondenzen, nein Briefe, die er anfänglich auch ohne Absicht der Veröffentlichung an eine Freundin richtete. Diese erst ergriff die Initiative und erbat sich Börnes Einwilligung, versuchsweise

aus den empfangenen Mitteilungen diejenigen auszuwählen, die etwa für einen größeren Kreis Interesse haben könnten.

Der Name dieser Dame war Frau Jeannette Wohl. Sie nimmt in Börnes Leben einen sehr großen Plah ein, wenn auch vielleicht nicht einen so großen, wie er in ihrem Leben. Denn seit dem Jahre 1816, da er sie kennen lernte, bis zu seinem Tode, also volle 20 Jahre, hatte er ihr sein Vertrauen geschenkt und kaum je einen Schritt gethan, ohne sie um Rat zu fragen und in dieser ganzen Zeit waren seine Schriftstellerthätigkeit, sein Gesundheitszustand, sein tägliches Leben der Mittelpunkt ihres Daseins.

Als sie sich zuerst sahen, war er 30 Jahre, sie 33 Jahre alt. Sie war damals mit einem reichen Manne verheiratet, mit dem sie jedoch unglücklich lebte, und von welchem sie sich, nachdem sie ihn während einer langwierigen Krankheit gepflegt hatte, ohne weder einen Teil seines Vermögens annehmen, noch seinen Namen behalten zu wollen, scheiden ließ. Wenn Börne mit ihr am selben Orte lebte, so las er ihr Alles, was er schrieb, vor; lebten sie in verschiedenen Städten, so war sie es, welche ihn zur Arbeit anspornte, eifrig besorgt dafür, daß er Ruhm gewinne und sich seine Unabhängigkeit sichere; oder aber, wenn sie befürchtete, daß er zu fleißig sei, und daß seine stets zweifelhafte Gesundheit darunter leiden könne, so ermahnte sie ihn, sich seine Pflichten gegen die Verleger nicht so sehr zu Herzen zu nehmen und flehte ihn an, sich die so nötige Ruhe zu gönnen.

In ihrer großen Besorgnis für seine Ehre verbrachte sie manche Zeit in Angst und Aufregung, wenn es ihr schien, als entzöge er sich seinen Verpflichtungen gegen das Publikum. Als Börne einmal Vorausbestellungen von Abonnenten der „Wage" auf den zweiten Band dieser Zeitschrift angenommen, aber nach Herausgabe von nur fünf Heften eine längere Pause eintreten ließ, weil ihm die Arbeit lästig war und er sich auch momentan in Geldverlegenheit befand, so daß er sich mit einer lohnenderen Arbeit befaßte, hielt sie ihm in ihren Briefen, welche er stets in Aufregung, die oft fieberartig wurde, erwartete, mit der Erfindungsgabe und Ausdauer eines besorgten Weites

in den verschiedensten Wendungen und Formen die „Wage“ vor Augen! Sie bat und drohte, ermahnte und neckte, und sandte ihm vier große Seiten, auf welcher nur die Worte „Die Wage" standen.

Dahingegen ist sie aber auch ebenso oft einzig und allein davon erfüllt, ihn zu zerstreuen und zu unterhalten, vor Ueberanstrengung zu bewahren und ihm seinen guten Humor zu erhalten. Wurde er weit fort von ihr ernstlich krank, so kannte sie nur die eine Sorge, wie sie ihn pflegen könne. Einmal war sie sogar hierzu fest entschlossen, obschon sie dadurch ihren guten Ruf aufs Spiel gesetzt hätte; sie wußte recht gut, daß die Welt nicht daran glauben würde, daß es nur Freundschaft sei, was sie verband.

Es war in der That ein Gefühl, welches zwischen Freundschaft und Liebe die Mitte hielt, wofür der Sprache die Bezeichnung fehlt. Unter Jeannettens Nachlaß fand man ein gewöhnliches Gesindebuch, auf dessen Titelblatt Börne im November 1818 seinen Namen und sein Signalement geschrieben hatte. Auf dem ersten Blatte steht:

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Lakonischer kann man eine ohne jedes gesetzliche Band bestehende lebenslängliche Neigung nicht ausdrücken! Und die lezten Worte gingen buchstäblich in Erfüllung; denn Jeannette war dasjenige lebende Wesen, auf deren Gestalt des Sterbenden lezter Blick ruhte, und an sie richtete er auch seine letzten. Worte: Sie haben mir viel Freude gemacht."

Jeannette Wohls wohlgetroffene Bilder zeigen, wie auch Börne selbst bestätigt, ein Weib mit länglichem Antlig, regelmäßigen, ansprechenden Zügen, hoher Stirn, seelenvollem, schön geschnittenem Mund und etwas Funkelnd-Innigem im Blick; das starke Kinn verrät Energie. Ihre Stimme soll ungemein wohlklingend gewesen sein. Sie war keine ausgeprägt originelle, noch weniger eine produktive Natur, aber sie war eine jener

Frauen, welche in ihrer Zuneigung für einen Mann vollständig aufgehen können. Sie besaß Börne als Schriftsteller gegenüber die für ein Weib so natürliche Eigenschaft, dem Manne Vertrauen zu sich selbst einzuflößen, und sie hat seine eigenen, verkleinernden Aeußerungen über seine Fähigkeiten und Verdienste ebenso übel aufgenommen, als wären sie von Anderen gesagt worden. Sie war sein Trost in Menschengestalt. In ihr hatte er das Wesen gefunden, auf das er unbedingt zählen, der er Alles anvertrauen konnte, ohne Gefahr, je mißverstanden, geschweige denn verraten oder blosgestellt zu werden und so richtete er seine ganze Schriftstellerthätigkeit an sie. Sie war ihm die Abbreviatur des idealen Publikums, für das er schrieb.

In einem seiner vertrauten Briefe hat er sein Gefühl für Jeannette durch eine Stelle in der „Neuen Héloise" charakterisiert erklärt. Dieselbe lautet „Es ist jene rührende Vereinigung von lebendiger Empfänglichkeit und unveränderlicher Milde, jenes so zärtliche Mitleid mit den Leiden Anderer, jener sichere Verstand und auserlesene Geschmack, der eine Folge der Seelenreinheit, mit einem Worte, die Anmut der Empfindungen ist, die ich bei Ihnen anbete.“ Und daß er eine nicht minder starke Anziehung, wie er selbst sie empfand, ausübte, erfährt man, wenn man liest, wie Jeannette im Jahre 1833 (17 Jahre nach Beginn ihrer Bekanntschaft) die Aufregung, in der sie sich zur Zeit des Eintreffens der Post befindet, als eine fixe Idee, eine chronische Krankheit bezeichnet: sie hat an dem Tage ihre Arbeit unterbrechen und sich auf das Ruhebett legen müssen, und als der Brief kommt, weint sie vor Freude.

Sie ordnet für ihn seine Geldverhältnisse, macht Berechnung über seine Honorare und erhebt seine Polizeipension. Als er einmal lebhaft eine Reise nach Italien erwünschte, jedoch keine Mittel dazu besaß, nahm sie, in der Hoffnung, ihm den Betrag zu gewinnen, ein Lotterielos; als diese Hoffnung fehlschlug, wollte sie ihr Klavier veräußern, konnte aber die nötige Summe nicht dafür erhalten.*) Und dies alles ohne eigentliche Erotik.

*) Als Börne dies erfuhr, schrieb er: „Schon viele Menschen sind aus Liebe wahnsinnig geworden, aber aus Menschenliebe ist es noch keiner.

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