Page images
PDF
EPUB

Das verhindert natürlich nicht, daß er viel Verständiges und Lehrreiches über Kunstwerke ausgesprochen hat, doch betrifft das nie das Künstlerische in denselben.

Man hat auch Börne gewaltig für den energischen Widerstand gelobt, welchen er den deutschen Schicksalstragödien entgegenstellte, die zu seiner Zeit die Bühnen zu überschwemmen begannen und den Geist verdummten. Man wird aber sehen, daß er gar nicht gegen das ästhetisch Verwerfliche darin eifert; er nahm die Sache von der moralischen oder religiösen Seite. Zu glauben, daß ein Datum, wie der 24. Februar, für eine Familie besonders verhängnisvoll sei, das galt ihm einfach als dumm und fade. Das hat absolut weder etwas mit dem antiken Glauben an ein unabwendbar vorherbestimmtes Schicksal zu thun, noch mit dem christlichen Glauben an eine allwissende Vorsehung, noch mit dem modernen deterministischen Kausalitätsglauben, der den Glauben früherer Zeiten an einen sogenannten freien Willen unmöglich gemacht hat. Aber für Börne ist dieser Glaube nur als die vermeintliche Zusammenmengung zweier theologischer Systeme vernunftwidrig. Er urteilt folgendermaßen: Entweder ist der Tod ein liebender Vater, der sein Kind aus der Schule des Lebens abholt, und dann ist das Schicksal untragisch, oder es ist der menschenfressende Kronos, der seine eigenen Kinder verschlingt, dann ist es unchristlich.“ Als ob dies ein Einwand wäre! das könnte ja dennoch höchst poetisch sein.

Börne besaß gegenüber den zahlreichen Dramen, die er zu kritisieren hatte, einen ausgezeichnet gesunden Verstand für das, was Wert hatte und was wertlos war. Er zeigte volles Ver- i ständnis für den Geist in Oehlenschlägers Correggio, war voller Nachsicht mit den Schwächen des Stückes, hatte aber gar keinen Blick für dessen Bühnenwirkung. Schauspieldichter wie Kleist, Immermann und den beginnenden Grillparzer versteht er vollkommen zu würdigen. Sobald er aber sein Lob oder den Tadel begründen soll, tritt beständig aufs neue sein unkünstlerisches Naturell zu Tage und gar oft die ganze pathetische Vorurteilsfülle des Idealisten. Er mißbilligt beispielsweise — und auch mit Recht Ifflands „Spieler". Seine Begründung ist aber

ganz barock: „Die Spielsucht auf die Bühne bringen? Man könnte ebensogut die Schwindsucht dramatisieren, durch alle Stadien hin!" ruft er aus. — Man sollte glauben, da bestehe nur der Unterschied, daß die Schwindsucht ein körperliches Uebel und die Spielsucht ein Laster sei. Sein Gedankengang ist der gewöhnliche des Idealismus, nämlich, daß man wegen dessen, was man zu Hause sehen könne, nicht erst ins Theater zu gehen braucht. Als Beispiel führt er Geldmangel, Schulden, ein treues Weib, das jeden Mangel geduldig erträgt, an, und, anstatt den platten, unkünstlerischen Geist hervorzuheben, der sich hier kundgiebt, sagt er: Sind dies so seltene Erscheinungen, daß man deren Anblick erst erkaufen muß? Auf der Bühne soll der Mensch eine Stufe höher stehen als im Leben." Und er erklärt, daß man deshalb zur Heldenzeit der Griechen und Römer Fabeln und Göttergeschichten auf die Bühne brachte. Die Modernen, die weniger sind, brauchten nur die wirklichen. Menschen der alten Völker darzustellen, oder dürften nur in den Feierkleidern ihrer Leidenschaften auf die Bühne kommen. Wie man sieht, nährt er naiv den Glauben, daß die „klassischen“ Altertumsmenschen durchgängig weit über den modernen standen. und er versteht nicht, daß die schlichte Wirklichkeit durch geeignete Behandlungsweise zur Kunst geadelt werden kann.

Ein noch viel stärkeres Zeugnis als diese akademischen Tiraden für den Börne mangelnden Sinn für einfache Poesie bietet seine Kälte gegenüber dem alten Testament. In einem seiner Briefe an Henriette Herz aus seinem 19. Jahre kommt eine Stelle vor, so trocken und ältlich wie ein Wiz Voltaires über die fünf Bücher Moses — und zwar nach Goethe: „Die alten Juden von Abraham an bis zu dem weisen Salomo sind mir stets vorgekommen als ob sie die allgemeine Weltgeschichte travestieren wollten. Lesen Sie nur Josua und das Buch der Könige und Sie werden finden, wie Blumauerisch alles darin aussieht."*)

Diese uralten Zusammenstellungen merkwürdiger Legenden und Geschichten mit einer plumpen deutschen Travestie von

* Briefe des jungen Börne. pag. 143.

Virgils Aeneis zu vergleichen, ist nur möglich, wenn man unempfänglich für die Gestalten der Vorzeit, in jedem Werke eine modern-gefühlvolle, religiöse oder politische Moral sucht. Es stimmt dies aber gut dazu, daß Börne mit einer blinden Schwärmerei für das unbestimmte, halb neutestamentliche, halb modern-salbungsvolle Pathos in Lamennais' „Worte eines Gläubigen" endigt.

6.

Börne, Menzel und Goethe.

Ohne diesen Mangel an poetisch-künstlerischer Empfänglichkeit würde Börne's Beteiligung an der von mehreren Wortführern seiner Zeit in Szene gesezten Reaktion gegen Goethe nicht voll und ganz erklärlich sein. Obgleich sein Unwille gegen Goethe ursprünglich genug war, so war er doch keineswegs der Schöpfer jener Reaktion gegen ihn; er fand sie vielmehr im vollen Gange vor. Ungefähr gleichzeitig mit der Freude, welche von pietistischer Seite über Pastor Pustkuchens falsche „Wanderjahre“ mit ihrem Angriff auf die Gottlosigkeit des Heiden Goethe erhoben wurde, begann man in der aufstrebenden politischen Jugend Untersuchungen zu billigen, welche Goethes politische Ueberzeugung betrafen. Man maß ihn da mit dem Maßstabe der letzten Tage und schilderte ihn als einen „Aristokraten", welcher ohne Herz für das Volk und in Wirklichkeit ohne Genie sei.

Der erste, welcher in großem Stil und mit konsequenter Hartnäckigkeit die Herabseßung Goethes während einer langen Reihe von Jahren systematisch betrieb, war Wolfgang Menzel (geb. 1798). Noch nicht dreißig Jahre alt, ausgerüstet mit einer gewissen groben litterarischen Begabung, ungeheurem Selbstbewußtsein im Auftreten, dabei ein stramm liberaler Doktrinär, Patriot und Moralist, hatte er sich zu großem und gefürchtetem Einfluß aufgeschwungen. Gleich Börne ging auch er ursprünglich von Jean Paul aus. Aber die zu seiner Zeit berühmten Streckverse" (1823), welche unzweideutig eine Nach

"

ahmung dieses Vorbildes sind, verunstalten die Jean Paul'sche Art der Geistreichheit zur Karikatur. Dinge, die in absolut keiner natürlichen Verbindung mit einander stehen, werden zu einem Aphorismus zusammengezwungen, wie man ungefähr in einem Kalauer einander nichts angehende Vorstellungen zu einem Wortspiel zusammenkoppelt. Er schreibt: „Allerheiligen geht vor Allerseelen, die Propheten haben den Himmel eher als das Volk“. „Die Religion des Altertums war die Kristallmutter vieler glänzender Götter, die christliche ist die Perlmutter eines einzigen, aber unschäzbaren Gottes.",,Das Erdenleben ist eine Bastonnade.“ „Jede Kirchenglocke ist eine Taucherglocke, unter welcher man die Perle der Religion findet."

In seinem Litteraturblatt „Deutsche Litteratur“, begann er seit 1819 eine mit wahnwißigem Dünkel und felsenfestem Glauben an die Berechtigung seines Angriffes geführte Polemik gegen Goethe. Zuerst suchte er die Bewunderung der Lesewelt für Goethes Originalität zu untergraben und strebte danach, in dessen Schriften Nachahmungen eines Vorbildes oder doch geborgte Gedanken aufzuspüren und überall fremden Einfluß nachzuweisen.

In seinem ersten zusammenhängenden litterarhistorischen Werke „Die deutsche Litteratur“, welches 1838 in zwei Bänden erschien, beschuldigte er Goethe in affektiert ruhigem Tone unter Anderem, auch allen Vorurteilen und Eitelkeiten des Zeitalters geschmeichelt zu haben. Er beschränkt hier dessen geistige Fähigkeit auf reine Darstellungsgabe, auf ein „Talent“, welches seinem Wesen nach ohne inneren Halt sei, „eine Hetäre, die sich jedem preisgiebt." Goethe habe allzeit mit dem Strome geschwommen und zwar auf der Oberfläche wie ein Kork, jede Mode-Schwäche und -Thorheit habe in ihm ihren bereitwilligen Diener gefunden; unter der glatten Maske seiner Werke verberge sich eine raffinierte Genußsucht und Sinnlichkeit; seine Gedichte seien die Blüte des in der modernen Welt herrschenden Materialismus. Goethe habe kein Genie, aber in hohem Grade „das Talent, seine Leser zu seinen Mitschuldigen zu machen usw.“*)

*) Menzel, die deutsche Litteratur. Bd. II. S. 205-222.

[ocr errors]
[ocr errors]

Heine, welcher unkritisch genug, in einer Recension das Werk und dessen Verfasser lobte ein Lob, das er bald genug bereuen sollte wich doch vor der Menzel'schen Lehre zurück, daß Goethe kein Genie, sondern nur ein Talent sei. Er spricht die Ansicht aus, diese Lehre würde nur bei Wenigen Eingang finden und selbst die Wenigen werden doch zugeben, daß Goethe dann und wann das Talent hat, ein Genie zu sein."*)

Menzel sezte indessen sowohl in zahlreichen Zeitungsartikeln als auch in seinem bald um das Doppelte vermehrten Werke über die deutsche Litteratur die Kanonade fort. Er wies darin dreierlei Eitelkeiten und sechserlei Wollüsteleien bei Goethe nach. Er ging dessen größere und kleinere Schriften eine nach der andern durch, maß sie mit seinem moralisch-politischen Zollstabe und fand sie erbärmlich. Clavigo verurteilte er, weil dieser Marie verläßt. Es nüht nichts, daß der Dichter ihn durch die rächende Bruderhand fallen läßt, gerade dies erbittert Menzel auf das Aeußerste, da bekanntlich der berühmte Liebhaber in der Wirklichkeit lustig weiter lebte, und sein Tod auf der Bühne ihm nur als gewöhnlicher Theatercoup galt. Wie man sieht, muß der Kritiker, um das Stück hinreichend unmoralisch zu finden, ein Wissen zu Hilfe nehmen, das gar nichts damit zu thun hat. Tasso" gilt ihm als Goethe's „Höflingsbekenntnis“, worin die Eitelkeit des Emporkömmlings in den Frauen zugleich das Vornehme, das Königliche begehrt. Mit Leichtigkeit kann. sich nun der Leser das Moralische vorstellen, das Menzel an den Mitschuldigen“, den „Geschwistern“, in welcher „die Wolllust nach der schönen Schwester schielt," an,,Stella", wo der Reiz der Raffiniertheit nach dem Reiz der Bigamie gelüftet“

auszusehen hat. Aber selbst,,Wilhelm Meister" ist ihm nur eine Umschreibung für Goethe's unwürdige Geringschäßung der inneren Würde der Tugend und seiner Begierde nach den Annehmlichkeiten des Adelsstandes.**) Die „Wahlverwandt

*) Heine, sämtliche Werke. Bd. XIII. S. 265.

**) Geadelt zu werden, im Reichtum zugleich den haut goût der Vornehmigkeit in behaglicher Sicherheit zu genießen, war ihm für dieses Leben das Höchste.

« PreviousContinue »