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seine Familie war ratsfähig. Er war schon 60 Jahre alt, stand auf dem höchsten Gipfel seines Ruhmes und Weihrauchwolken unter seinen Füßen wollten ihn trennend schüßen vor den niederen Leidenschaften der Thalbewohner da ärgerte er sich, als er erfuhr, die Frankfurter Juden forderten Bürgerrechte und er geiferte gegen die „Humanitätssalbader“, die den Juden das Wort sprächen."

Was Börne Goethe am wenigsten von Allem vergeben konnte, das war seine Stellung zu den Großen. Er übersah, daß das Menschenalter, welches er selbst jünger als Goethe war, eine Sphärenveränderung in der Stellung der Schriftsteller zu den Fürsten und zum Publikum bezeichnete. Es lebten im 18. Jahrhundert in Deutschland die Schriftsteller nicht von Honoraren, sondern von denjenigen Leuten, welchen sie ihre Schriften widmeten. Die Dichter waren gezwungen, sich vie Gunst eines vornehmen Beschüßers zu suchen, adlige Junker zu unterrichten oder junge Prinzen auf ihren Bildungsreisen zu begleiten. Wieland erhielt als Dank für seine Widmungen Geldgeschenke, Schiller empfing mit Freude die Unterstüßung, welche ihm der Herzog von Augustenburg von Dänemark verschaffte. Monarchen und Fürsten, hohe Herren und Aristokraten hegten bekanntlich am Ende des 18. Jahrhunderts ein wirkliches, zum Teil großes Interesse für Philosophie und Poesie, für jede neue Wahrheit und Schönheit und behandelten die Schriftsteller ihrer Umgebung wie ihresgleichen. Erst die französische Revolution machte diesem Verhältnisse ein Ende Goethes Lebensstellung aber war vor der Revolution geschaffen.

Börne las sich fast blind an den abgerissenen Ausdrücken Goethe'scher Fürstenverehrung. Er schrieb sich irgendwo diese Stelle aus Goethes Tagebuch ab: „Hierauf ward mir das unerwartete Glück, Ihro, des Großfürsten Nikolaus und Gemahlin Alexanders Kaiserliche Hoheit bei mir im Hause und meinem Garten. . . . . zu verehren. Die Frau Großfürstin, Kaiserliche Hoheit, vergönnten mir, einige poetische Zeilen in das zierlich prächtige Album verehrend einzuzeichnen." Börne fügt hinzu: „Das schrieb er in seinem 71. Jahre, welche Jugend

kraft!" Je älter Börne wurde, je mehr er sich dazu entwickelte, nichts anderes als die Inkarnation der politischen Ueberzeugung zu sein, ein Wesen, in dem sich die politische Ueberzeugung des ganzen Seelenlebens, des Talentes und Wizes bemächtigt hatte, und bei dem sich dann hieraus eine Art Religion mit den Aeußerungsformen der Religion: Glaube, Andacht, Fanatismus, gebildet hatte - desto wertloser, ja verächtlicher erschien ihm Goethes Zuschauerrolle im politischen Kampfe. An einer andern Stelle schreibt er:

Goethes Tagebuch, von dem ich Ihnen neulich geschrieben, habe ich nun geendigt. So eine dürre, leblose Seele giebt es auf der Welt nicht mehr, und nichts ist bewunderungswürdiger, als die Naivetät, mit welcher er seine Gefühllosigkeit an den hellen Tag bringt . . . Und solche Konsuln hat sich das deutsche Volk gewählt! Goethe der angstvoller als eine Maus beim leisesten Geräusch sich in die Erde hineinwühlt, und Luft, Licht, Freiheit, Alles, Alles hingiebt, um nur in seinem Loche ungestört am gestohlenen Speckfaden knuppern zu können- und Schiller, der edler, aber gleich mutlos, sich vor Tyrannei hinter' Wolkendunst versteckt und oben bei den Göttern vergebens um Hilfe fleht, und von der Sonne geblendet, die Erde nicht mehr sieht und die Menschen vergißt, denen er Rettung bringen wollte! Und so - ohne Führer, ohne Vormund, ohne Rechtsfreund, ohne Beschützer wird das unglückliche Land eine Beute der Könige und das Volk der Spott der Völker."

Im Sommer des Jahres 1818 tritt Börne, der bis dahin nur hier und da Brochüren herausgegeben hatte, als selbständiger Journalist auf, indem er die fast ganz von ihm allein verfaßte Zeitschrift Die Wage" herausgab. Er war der erste Journalist großen Stils, den die deutsche Litteratur hervorgebracht, und er war es, welcher die periodische Presse Deutschlands zu einer Macht erhob. Es ist eine wahre Freude, die jetzt so selten gewordenen Hefte jener alten epochemachenden Zeitschrift für Bürgerleben, Wissenschaft und Kunst" zu besißen. Das Mittel, womit sie durchdrang, war der lebendige Stil und der treffende Wit ihres Herausgebers. Sie behandelte Politik, Litteratur und Theater, und hatte Mitarbeiter wie Görres (vor seiner

Bekehrung), Willemer, den rationalistischen Freund Goethes („Suleikas“ Gatten); welches Thema die Zeitschrift aber auch behandeln mochte, stets wurde es in eine politische Farbe gekleidet. Im Laufe der vier Jahre, in denen Börne die „Wage“, herausgab, übernahm er außerdem noch die Redaktion zweier Tageblätter; zuerst die der „Zeitung der freien Stadt Frankfurt", welche er jedoch in Folge unaufhörlicher Zensurscherereien schon nach drei Monaten aufgeben mußte, dann diejenige des Blattes Die Zeitschwingen“, welches durch ein Machtgebot unterdrückt und dessen Redakteur zugleich zu einer kurzen Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Darauf reiste Börne zum erstenmal nach Paris, wo er eine Zeit lang als Korrespondent für die verschiedenen Zeitungen Cottas lebte, kehrte jedoch schon 1822 nach Deutschland zurück, wo eine lange und gefährliche Krankheit seine pekuniären Hilfsmittel erschöpfte und ihn zwang, seinen Vater um Beistand zu bitten.

Dieser war äußerst unzufrieden mit ihm. An seinen anderen Kindern erlebte er Freude; aber dieser Sohn, der Doktor, der nichts verdienen konnte, hatte, so behauptete er, ihm schon große Summen gekostet und war doch nichts Anderes, als Verfasser von Artikeln und Schriften geworden, deren Tendenz von seinem Gönner, dem Fürsten Metternich in Wien, durchaus nicht gebilligt wurde. Was hatte er die Großen anzugreifen und sich dadurch Feinde zu schaffen. War das für seine gesellschaftliche Stellung passend? Was bedeutete er überhaupt in der Welt, daß er sich erlaubte, ein so großes Wort zu führen? Jezt hätte er längst Arzt mit großer Praxis, oder Advokat sein und Rothschilds Prozesse führen können. Statt dessen schrieb er Zeitungsartikel, verreiste das bischen Geld, welches ihm diese einbrachten und versperrte sich mit seinen. gottlosen Bemerkungen über die Großen jede Gelegenheit, jemals auf einen grünen Zweig zu gelangen!

Und der Vater fannte die politischen Verhältnisse zur Genüge, um zu wissen, daß der Sohn es durchaus nicht nötig hatte, Arzt oder Advokat zu werden, um eine einträgliche Stellung zu erlangen. Er wußte ganz gut, woher Herr von Genz und Herr Friedrich von Schlegel ihre Wechsel erhielten. Und endlich

hatte sein Sohn noch Maria Theresias Zusicherung, auf die er sich beziehen konnte.*)

Kaum hatte Börne seine regelmäßige Wirksamkeit als Schriftsteller begonnen, als auch die großen Reaktionäre auf sein Talent aufmerksam wurden. Rahel schreibt in einem Briefe vom 18. Mai 1819, daß ihr Genz die „Wage“ als das Geistreichste und Witzigste, was in jener Zeit geschrieben, als das Beste dieser Art empfohlen habe, was überhaupt seit Lessing erschienen sei. Börnes Vater wußte ganz gut, daß Herr von Genz den Stil seines Sohnes und Fürst Metternich dessen politische Kenntnisse lobten.**)

Ohne seinen Sohn zu fragen, arbeitete er darauf hin, ihm einen vorteilhaften Baugrund an der Sonnenseite der Gesellschaft zu verschaffen. Als Börne davon erfuhr, hatte Metternich schon mit beiden Händen zugegriffen: Börne sollte in Wien mit dem Titel, Rang und Einkommen eines kaiserlichen Rates leben, ohne dafür zu irgend welchen gewöhnlichen Diensten verpflichtet zu sein. Unbedingte Zensurfreiheit für Alles, was er schreiben würde, war ihm vor allem zugesichert. Er sollte sein eigener Zensor sein. Auch sollte es ihm freistehen, diese Stellung nach einigen Monaten aufgeben zu können. So hätte er die beste Gelegenheit, für die Sache des Fortschrittes und der Humanität arbeiten zu können.

Der Vater schrieb ihm: Lieber Louis! Ich bitte Dich, lies diesen Brief mit derselben Aufmerksamkeit, mit der ich den Deinen gelesen habe. Glaube mir, Deine so hochgepriesene Unabhängigkeit ist unsicher; willst oder kannst Du sie bewahren? Weshalb solltest Du nicht einmal an ein festes Auskommen denken? . . . Worin besteht Deine gegenwärtige Glückseligkeit? Doch wohl nicht in den 500 Franken (monatliches Honorar

*) K. Guzkow, Börnes Leben. Ges. Werke pag. 328 ff.

**) Metternich kannte auch alle späteren revolutionären Briefe aus Paris. Die Fürstin Melanie Metternich schrieb unterm 26 Jan. 1834 in ihr Tagebuch: „Ich brachte die ersten Abendstunden bei Clemens zu, dem ich Börnes Pariser Briefe vorlas. Sie sind natürlich so boshaft wie möglich, Der Stil ist aber von einer dämonischen Ausgelassenheit und ungemein geist-. reich." Aus Metternichs nachgel. Pap. V. pag. 545 wie Holzmann anführt.

von Cotta)? Deiner Zukunft zu Liebe entschließe Dich doch, auf meine Kosten eine Reise nach Wien zu machen, ich beschwöre Dich, Dein Glück nicht zu verscherzen

Börne lehnte Alles ab, that dies so schroff, daß er nicht einmal mit dem Machthaber sprechen wollte.*) Goethe konnte sich an einem Hofe zum Geheimrat machen lassen - er nicht. Und die Versuchung war für ihn, den als Plebejer Geborenen, der auf Kommando jeden Vorübergehenden hatte grüßen müssen, viel größer als für den vornehmen Patriziersohn. Wenn man Börnes harte, höhnische Urteile über Goethe liest, so sollte man nicht über deren Ungerechtigkeit vergessen, daß hier ein Mann hinter seinen Worten stand, der nicht thun wollte, was Goethe gethan hatte.

Kunstsinn in des Wortes strenger Bedeutung besaß Börne nicht. Er hat das auch offen zugegeben, außerdem offenbart es sich, wenn er seinen Unwillen gegen jemand ausließ, dem es gleichgültig war, was der Künstler darstellte und wichtig nur, wie er es darstellte. Künstler und Kunstkenner dieses Schlages sind ihm von Herzen zuwider. Es ist ihm ein Greuel, daß man ein Stillleben über eine Malerei, welche eine Madonna vorstellt, sezen kann. Bei seiner Neigung zum Bedeutenden und Erhabenen liebt er in der Kunst nur das Göttliche und bekennt offen, daß, wo er nicht göttliche Natur finde, für ihn das Ganze nur Unnatur und Stümperarbeit sei.**)

Es wäre falsch, hier mit Steinthal zu sagen, daß Börne kein Bildungsgebiet, keine Form künstlerischen Schaffens fremd gewesen sei; denn gerade das Bildungsgebiet, welches durch die Kunst als Kunst bezeichnet wird, war ihm verschlossen.

*) Er schreibt seinem Vater: „Geng war zwar früher auch liberal, er aber konnte Bürgschaft geben seiner aufrichtigen Bekehrung, die ich nicht geben kann. Genz war schon viele Jahre, ehe er in österreichische Dienste trat, an England verkauft. Er ist sinnlich, verschwenderisch, der liederlichste Mensch im Lande

**) Ein Frosch, eine Gurke, eine Hammelkeule, ein Wilhelm Meister, ein Christus das gilt ihnen alles gleich, ja sie verzeihen einer Mutter Gottes ihre Heiligkeit wenn sie nur gut gemalt. So bin ich nicht, so war

ich nie.

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